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Das Wurmloch von Bayview

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03.10.2020
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Das Wurmloch von Bayview

Nach dem Verschwinden unserer Eltern hatte sich meine Schwester verändert und ich redete mir ein, dass ich mich täuschte. Unser gemeinsamer Verlust schweißte uns stärker zusammen denn je. Anfangs redeten wir oft darüber, trösteten uns gegenseitig in den Schlaf und sprachen uns jeden Morgen neuen Mut zu. Wir erfanden ein Spiel, in dem wir die Ranger von Bayview verkörperten: Ich, Theodor, der verwegene Antiheld mit dem lockeren Colt, und sie, Eleonora, die geheimnisvolle Femme fatale. Gemeinsam jagten wir die Verbrecher, die unsere Eltern gekidnappt hatten. Der Fall bereitete uns ganz schön Kopfzerbrechen.
Ein paar Wochen danach fiel es mir zum ersten Mal auf. Wir sassen nebeneinander auf der Couch und ich hatte beide Hände am Steuer, tat so als würde ich unseren Dienstwagen durch den Stadtverkehr lenken. Eleonora legte ihrer Femme fatale gerne fremdartige forensische Wörter in den Mund, um ihren Intellekt zu betonen, aber diesmal klang ihre Sprache ganz komisch, rau und kratzig, als hätte sie den Stimmbruch, und ich fragte mich, ob sie heimlich rauchte oder sich draußen vielleicht eine Krankheit geholt hatte. Auf jeden Fall klang sie viel älter, nicht wie siebzehn, aber ehrlicherweise hatte ich sowieso vergessen, ob sie nun siebzehn oder schon dreiunddreißig war.
Mit der Zeit bemerkte ich ebenfalls eine Veränderung in ihren Augen. Eines Morgens lag ein Glänzen in ihnen, dass ich erst auf die Müdigkeit schob. Vielleicht hatte sie schlecht geschlafen. Sie wäre nicht die Einzige gewesen. Doch es war auch am Abend, am nächsten Morgen und selbst eine Woche später noch da. Als würde sie mich heimlich verspotten oder als hätte sie ständig unglaublichen Hunger. Dazu kam das Gefühl, dass ihre Augen sich mit jedem Tag verengten.
Diese Vorstellung wurde so intensiv, dass ich davon träumte. Wie sie eines Morgens, die Lider zu zwei engen Schlitzen zusammengewachsen, kopflos durch das Haus taumelte oder lachend und schmatzend in der Küche sass, ihr Bauch zu einer dicken Kugel angeschwollen.
Aber wenn ich dann genau hinsah, waren es immer noch ihre Augen und das Glänzen fiel mir erst wieder auf, wenn ich es schon fast vergessen hatte.
„Was ist mit dir?“, fragte sie einmal während des Abendessens.
„Ach nichts“, antwortete ich. „Ich mag deine Augen. Sie erinnern mich an das Meer.“

Unser Vater war Astrophysiker gewesen. Die Bücher in seinem Büro, das direkt an die Lobby angrenzte, ließen wir unberührt und sie hatten mit der Zeit eine dicke Staubschicht angesetzt. Manchmal verbrachte ich dort die Tage, sass im Ohrensessel und stellte mir vor, tief zwischen seinen Polstern zu versinken, hinab in eine Welt, wo alles noch beim Alten war. Wenn ich mich konzentrierte, konnte ich die Stimmen unserer Eltern hören. Mutter bettelte mich an, ihnen zu helfen, oder Vaters Flüstern, dass es ihm leidtäte, schwebte durch den Raum.
Ich versuchte, nicht daran zu denken, aber manchmal studierte ich herum, was ihnen wohl zugestoßen war. Irgendwann fiel es mir unmöglich, zu sagen, wie lange sie schon fort waren. Ein Tag konnte sich anfühlen wie eine Woche und der nächste war so kurz, dass ich glaubte, es wären nur eine oder zwei Stunden vergangen.
Meine einzige Orientierung bestand aus den festgelegten Abläufen. Aufstehen. Frühstücken mit meiner Schwester. Den Eingangsbereich vom Sand befreien. Um ungefähr zehn Uhr verließ sie das Haus und ich war allein. Meine Zeit verbrachte ich in Vaters Sessel oder las in alten Magazinen, sass auf der Couch rum und beobachtete den tanzenden Staub im Sonnenlicht. Falls mir das zu langweilig wurde, klimperte ich eine Melodie auf dem Steinway, die mir Mutter beigebracht hatte.
Gegen den späteren Nachmittag, wenn die Sonne bereits tiefe Schatten ins Wohnzimmer warf, kam meine Schwester zurück. Dann kochte sie für uns und am Abend erzählte sie mir von draußen. Ihre Geschichten waren stets dieselben, doch gab ich mich interessiert, stellte ihr möglichst viele Fragen, um das Schlafengehen hinauszuzögern. Ich fürchtete mich davor, aufzuwachen und alles wieder von vorne zu erleben.
Die eine Frage, die mich wirklich beschäftigte, stellte ich ihr lange Zeit nicht. In Wahrheit dachte ich irgendwann gar nicht mehr viel über unsere Eltern nach, sondern nur noch an die Warnungen meiner Schwester. „Geh nicht nach draußen oder in den Keller, während ich weg bin“, sagte sie, bevor sie zu ihren Ausflügen aufbrach.
Seit das mit der Stimme und dem Verengen der Augen schlimmer geworden war, sprach sie öfters davon. Manchmal war der Satz reines Kauderwelsch, von dem ich nur ein paar ähnlich klingende Silben aufschnappte. Ich glaubte nicht, dass ihr diese Veränderungen bewusst waren, aber meist versuchte sie es dennoch ein zweites Mal, und fügte an: „Am besten setzt du dich einfach ins Wohnzimmer und wartest auf mich.“

Unsere Mutter hatte bei Bayview Wildlife Watch gearbeitet, zumindest bis sie entlassen wurde, weil irgendwann keine Touristen mehr hergekommen sind. Was wollten die sich noch ansehen bei uns? Die fortschreitende Versteinerung einer einst berühmten Tier- und Pflanzenwelt? Das Landefeld war längst verlassen und von Vaters Sessel hatte ich einen guten Blick auf die Ankunftshalle und den Navigationsturm. Dessen Rundumfenster schillerte in der Sonne wie ein Prisma, als wäre noch Leben hinter ihm, als versuchte jemand, mir eine Botschaft zu übermitteln.
Wanderdünen hatten die meisten Gebäude unter sich begraben und nur die obersten Stockwerke der Hotels ragten noch daraus hervor. Kantige Felsformationen im roten Sand. Unser Haus stand zum Glück auf einem Hügel am ehemaligen Stadtrand von Bayview, und deshalb waren wir vorerst sicher. Diese Sicherheit erschien mir jedoch zunehmend trügerischer, weil wir jeden Morgen länger brauchten, um die Veranda von den Sandmassen zu befreien. Es dauerte ein paar Wochen, bis mir vollständig bewusst wurde, dass wir eine solch sinnlose Routine nur in unseren Alltag aufgenommen hatten, um täglich den Schein ebenjener Sicherheit zu wahren.
Obwohl meine Schwester mir stets davon erzählte, dass sie draußen auf andere Menschen traf, sich mit ihnen unterhielt und handelte, zwei oder drei gefangene Sandwürmer gegen eine Konserve Erbsen oder Tomaten tauschte, so wurde mir irgendwann bewusst, dass sie von Anfang an gelogen hatte. Die Esswaren musste sie beim Durchsuchen der verlassenen Gebäude gefunden haben. Ein paar davon waren sicher noch zugänglich.
Vor den Fenstern glitzerte der Sand in der brennenden Sonne. Darüber spannte sich der blaue, vollkommen leere Himmel. Abgesehen von den Würmern existierte kein Leben. Die unscharfen Gestalten im Hitzeflimmern, die ich manchmal zu sehen glaubte, entsprangen lediglich meiner Fantasie. Wenn das Menschen gewesen wären, hätten sie unser Haus sicher bemerkt und uns früher oder später einen Besuch abgestattet. Ich hätte sogar Freude gehabt, wenn jemand nur zum Plündern vorbeischaute. Aber das passierte nie. Seit Jahren, so kam es mir vor, hatte ich mit niemand anderem gesprochen als mit meiner Schwester. Das Meer war längst ausgetrocknet und hatte eine riesige salzverkrustete Senke zurückgelassen. Eleonora und ich waren schon so lange allein hier, dass ich mir eingestehen musste, keine andere Menschenseele je wiederzusehen.

Die Würmer, die meine Schwester auf ihren Ausflügen erbeutete, waren so lang wie mein Unterarm und stanken nach Fisch, der zu lange in der Sonne gelegen hatte. Ihre augenlosen Schädel bestanden aus übereinandergeschichteten, dreieckigen Knochenplatten. Die Haut war sandfarben, rau wie Schleifpapier und mit atmenden, daumennagelgroßen Poren bedeckt.
Nach dem Kochen griffen wir die Knochenplatten mit einer Zange und zogen diese samt der Haut von den weichgekochten Körpern. Ich hatte es mir zum Hobby gemacht, aus den Platten fetischartige Anhänger zu basteln und diese an die Decke des Wohnzimmers zu hängen. Oder Figuren zu schnitzen, mit denen ich Kämpfe zwischen Superhelden und Bösewichtern nachstellte. Das mit den Bayview-Rangern hatte Eleonora längst vergessen und ich brauchte dringend eine Alternative.
Als sie das erste Mal mit den Würmern zurückkehrte, erschrak ich dermaßen, dass ich nach dem Besen griff und ihr damit den Beutel aus den Händen schlagen wollte. Eleonora steckte die Würmer jeweils lebend in einen Jutesack, um sie so frisch wie möglich zu halten. Sie betrat mit einem stolzen Grinsen die Küche und warf das zugebundene Bündel auf den Tisch. Auf den ersten Blick wirkte es, als strampele ein Säugling im Stoffknäuel! Ich hätte schwören können, seine verzweifelt gegen den Beutel drückenden Händchen und Füßchen zu sehen. Aber als meine Schwester mich ermutigte reinzuschauen, wanden sich darin nur die Würmer.
Das mit Abstand schlimmste waren jedoch die Laute, die sie von sich gaben. Durch das Öffnen und Schließen ihrer übergroßen Poren erzeugten sie ein ledriges Ploppen, begleitet von einem durchgehenden Geräusch, das viel höher klang. Bei genauerem Hinhören konnte ich darin etwas Menschenähnliches erkennen. Das leise Weinen eines Kindes. Dazu sonderten sie ein dünnes, farbloses Sekret ab, dass den Beutel vollschleimte. Sie verstummten erst, nachdem wir sie ins kochende Wasser geworfen hatten.
Um die optimale Garzeit herauszufinden, brauchten wir einige Versuche. Kochten wir sie zu kurz, schmeckten sie stark nach verrottetem Fisch. Dass ich den ersten Bissen erbrach, war nicht einmal dem Geschmack geschuldet, sondern der eklig glitschigen Struktur im Mund. Beim Schlucken steckte mir ein schleimiger Aal im Hals, der meine Speiseröhre hinaufzappelte.
Waren sie zu lange im Topf, wurde das Fleisch zäh und faserig und ich glaubte, mir den Kiefer auszurenken, um ein Stück davon abreißen zu können. Wir fanden heraus, dass sich die optimale Kochzeit bei ungefähr einer halben Stunde einpendelte. Dann konnten wir uns vorstellen, dass sie geschmacklich an sowas wie Hühnchen erinnerten. Jedenfalls wenn wir die Augen vor dem ungesund gräulichen Aussehen des Fleisches verschlossen. Mit der Zeit hörte ich auch das Weinen nicht mehr. Irgendwann wurde alles zur Gewohnheit.

Eines Morgens wachte ich auf und Eleonora blieb im Bett. Normalerweise schlief ich länger als sie, aber an diesem Tag war ihr Platz auf der Couch im Wohnzimmer leer. Üblicherweise hockte sie dort, betrachtete die Fetische, für die sie eine ungesunde Faszination entwickelt hatte, und wartete darauf, dass ich mich endlich aus meinen Alpträumen zwang. Voller Sorge klopfte ich an ihre Schlafzimmertür. Nachdem mehrmals keine Reaktion erfolgte, trat ich ein. Sie lag regungslos auf den schmutzigen Laken und in der Luft hing ein fauliger Geruch, als hätte sie zu viel von den Würmern gegessen und die ganze Nacht aufgestoßen. Rasch öffnete ich ein Fenster.
„Zeit aufzustehen, die Ranger von Bayview haben einen neuen Fall“, begrüßte ich sie und versuchte mir meine Angst nicht anmerken zu lassen, sie mit Fröhlichkeit und Tatendrang zu überspielen. Es dauerte einen Moment, bis sie mir den Kopf zuwandte und mit einer Stimme antwortete, die ihre Tonalität vollkommen verloren hatte: „Ich weiß nicht, was los ist, Theodor. Egal was ich versuche, ich kann nicht!“
„Soll ich dir helfen?“, fragte ich und als ich ihren Blick bemerkte, fügte ich an: „Bist du krank?“
Sie blieb ein paar Minuten still, als überlegte sie, ob das eine plausible Erklärung für ihr Verhalten darstellte. Ich glaubte schon, sie würde gar nicht antworten, doch dann presste sie keuchend und mit schmerzverzerrtem Gesicht hervor: „Nein, ich glaube nicht. Vielleicht habe ich mich überanstrengt und muss mal einen Tag ausruhen. Es kostet mich enorme Kraft, jeden Tag da raus zu gehen.“
Obwohl ich froh war, dass sie überhaupt etwas sagte, fühlte ich mich plötzlich wie ein geprügelter Hund. „Bleib einfach liegen, ich kümmere mich um den Rest. Du wirst schon wieder zu Kräften kommen, dafür sorge ich! Sag mir, wenn du etwas brauchst. Ich bin da, so wie du für mich da bist. Ich bringe dir ein Glas Wasser.“
„Danke.“
Bevor ich das Zimmer verließ, blickte ich zurück und erwartete eine Regung in Eleonoras Gesicht. Irgendeine. Vielleicht war es nur der letzte Rest einer kindlichen Naivität, aber ich fand, jetzt wäre der perfekte Zeitpunkt für ein Lächeln gewesen. Ihre Miene jedoch blieb ausdruckslos und die Augen geschlossen. Die gelockten Haare wallten über das Kissen und umkränzten ihren Kopf wie eine erlöschende Aura.
Auf dem Weg nach unten hörte ich sie wieder in dieser seltsamen Sprache sprechen, die eigentlich gar keine Sprache mehr war, sondern lediglich aus abgehackten Kratz- und Gurgellauten bestand, die meine Knie auf der Treppe weich werden ließen.

An diesem Tag vergaß ich, die Veranda vom Sand zu befreien. Ich ging auch nicht nach draußen, wie ich gegenüber meiner Schwester angedeutet hatte. Stattdessen trat ich an die Tür zum Keller. Strich mit meinen Fingern über das Holz. Als meine Eltern noch gelebt haben, ist mir die Tür gar nie aufgefallen. War sie schon immer dagewesen? Meine Hände drückten die Klinke nach unten und sie öffnete sich. Eine steile Treppe führte in die Dunkelheit.
Ich zögerte, fragte mich, wieso ich das nicht schon früher getan hatte. Meine Selbstvorwürfe brachten mich schließlich zu einem Entschluss. Irgendetwas musste ich ja tun. Nach einem Lichtschalter tastend stieg ich die ersten Stufen hinunter. Ich fand keinen. Am Ende der Treppe glomm ein blauer Schimmer, der mich die Stufen als kantige Schatten erkennen ließ. Je weiter ich hinabstieg, desto heller wurde sein Leuchten, blendete mich, sodass ich das Gefühl hatte, trotzdem blind die Treppe runter zu stolpern. Unten angekommen, erkannte ich mit zusammengekniffenen Augen, dass es von einer mitten im Raum schwebenden, pulsierenden Kugel ausging.
Sie wurde von einem flimmernden Kraftfeld zwischen zwei gebogenen Metallstreben gehalten, an denen das blaue Licht in verästelten Blitzen nach oben und unten lief, was Schatten auf die Steinwände des Kellers warf, als fliesse stetig Wasser an ihnen herab. Ein elektrisches Summen erfüllte die Luft.
Unter der Kugel liefen die Streben zusammen, auf einen transparenten Quader geschweißt, in dem ich Rohre und Kabelstränge erkennen konnte, die sich aus dem Rumpf der Maschine emporzogen. An ihrer Seite saßen zahlreiche Ventile, die sich zischend öffneten und dabei weißen Dampf ausstießen. Aus der mir zugewandten Fläche des Quaders ragte ein gekrümmter Füllstutzen. Ich hielt die seltsame Apparatur für eine Art Maschine, zumindest verfügte sie über irgendeine Form des mechanischen Antriebs. Ich vermutete, dass es sich bei dem, was in ihrem Innern keuchte und stampfte, um einen Motor handelte. In einer Ecke des Kellers fiel mir ein offenes Fass auf. Es war überfüllt mit ausgepressten Würmern. Ihr Sekret musste als Brennstoff für die Maschine dienen.
Ein Experiment meines Vaters? Er hatte an verschiedenen Projekten gearbeitet, die sich mit Raum und Zeit beschäftigten, aber so wie ich es verstanden hatte, war ihm der Durchbruch zu seinen Lebzeiten nie gelungen. Ich betrachtete die Maschine und fragte mich, zu welchem Zweck er sie entwickelt hatte. Früher erzählte er oft von der Arbeit. Seine ausschweifenden Erklärungen ließen Mutter die Augen verdrehen. Obwohl ich nicht die Hälfte des Fachjargons verstand, habe ich ihm immer sehr gerne zugehört. Ich fand das sehr beeindruckend. Andererseits hatte er die Maschine vor uns geheimgehalten. Wahrscheinlich war sie gefährlich. Vielleicht, und diese Möglichkeit musste ich in Betracht ziehen, lieferte sie aber auch Antworten.
Meiner Bedenken zum Trotz trat ich auf die leuchtende Kugel zu.

Am nächsten Tag sass ich auf der Bettkante und hielt Eleonoras Hand. Spürte, dass sie im Sterben lag, ohne das jemand es laut aussprechen musste. Ihre Haut fühlte sich ledrig und rau an und der Puls ging nur sehr schwach. Unter ihrer roten Stirn zeichneten sich dreieckige Formen ab. Ich versuchte, die grässlichen Umstände zu ignorieren und blickte aus dem Fenster zum Auge des Navigationsturms.
„Ich war im Keller. Bei der schwebenden Kugel.“
„Du warst schon immer sehr neugierig.“
Ihr Lächeln brach mir fast das Herz. Es erinnerte mich an alles, was ich verloren hatte. An all das, was unter den Sanddünen begraben lag. Etwas Uraltes, das mir jetzt vollkommen fremd vorkam. Nur eine düstere Erinnerung, zugeschüttet von der Zeit und gefangen in dieser seltsamen Kugel, diesem Wurmloch im Keller.
„Was ist das?“
„Hast du hineingeschaut?“
„Ja.“
„Sie müssen glücklich sein, in ihrer neuen Heimat unter dem Sand. Hast du gesehen wie sie tanzen?“
Von diesem Tag an ging ich oft in den Keller und starrte stundenlang in die Kugel. Hypnotisiert von den Traumsequenzen, welche die Geburt einer neuen Welt zeigten. Das Bayview der Zukunft. Ihre Transzendenz wurde schwächer mit jedem Besuch, doch ich brachte es nicht über mich, Brennstoff nachzutanken.
Als ich eines Morgens in das Zimmer meiner Schwester zurückkehrte, verstand ich zuerst nicht, was sich verändert hatte. Aber dann dämmerte es mir. Eleonoras Bett war leer. Sie hatte mich verlassen und mit ihr war dasselbe geschehen, wie vermutlich mit meinen Eltern. Ich hatte damit gerechnet, dass es irgendwann soweit kommen musste, doch nun, da dieser Umstand tatsächlich eingetroffen war, spürte ich dessen Konsequenz wie Faustschläge im Magen. Mein Mund war trocken, am Hals zuckte eine Ader und heiße Kieselsteine rollten zwischen meinen Schläfen hin und her. Das Fenster stand offen. Eine warme Brise bewegte die Vorhänge.
Auch unter der Bettdecke regte sich etwas. Vielleicht war Eleonora kalt und sie hatte sich nur zugedeckt. Ich wollte es nicht wahrhaben, bis ich sie zurückschlug. Auf dem Laken wimmelten die frischgeschlüpften Würmer, häuteten und verknoteten sich zu einem grotesken, ineinanderfließenden Knäuel. Sie hatten ihre stinkenden Schleimspuren wie Rotzflecken kreuz und quer auf dem Bezug hinterlassen und fielen windend und zappelnd über die Bettkante. Mit letzter Kraft robbte ich aus dem Zimmer und verlor auf der Treppe das Bewusstsein.

Zum ersten Mal habe ich unser Haus verlassen. Ich konnte nicht länger in die schwebende Kugel hineinsehen. Trotz der Sonne ist mir kalt. Ich rede mir ein, dass es nur ein ganz normaler Tag ist. Ein ganz normaler Tag in Bayview. Menschliche Silhouetten im Hitzeflimmern winken mir zu. Wind hebt tanzenden Glitzerstaub von den Dünenspitzen. Die Fenster des Navigationsturms schillern wie ein riesiges Käferauge. Vielleicht sollte ich dorthin gehen. Vielleicht ist dort wirklich noch jemand. Theodor, der verwegene Bayview-Ranger und der letzte seiner Art, meldet sich zum Dienst. Haben Sie per Zufall Stift und Papier dabei? Ich schreib meine Geschichte auf und steck sie in einer Flasche in den Sand.
Dann höre ich ein Geräusch unter der Stille. Ihren weit entfernten Ruf. Wenn ich auf die salzverkrustete Einöde hinaus laufe, wird er lauter. Ein seufzender Singsang, als besäßen sie echte Stimmen. Das ist ihre Form der Kommunikation. Ich denke, ich weiß jetzt, was meine beste Option ist. Streng genommen ist es meine einzige Option, aber das interessiert mich nicht. Ich bin schon immer sehr neugierig gewesen. Irgendwann werden sich die Poren der neuen Erde öffnen und aufbrechen, was darunter liegt. Milliarden Köpfe werden sich aus dem Sand strecken und mit ihrem Tanz beginnen. Solange folge ich einfach dem leisen Weinen der Würmer.

 
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Hallo @deserted-monkey ,

was mit Wurmloch klingt immer erst mal spannend - mir fiel es aber ehrlich gesagt schwer, im Text zu bleiben. Du hast ziemlich viele Füllsel drin (es klingt sehr mündlich, wie jemand etwas in einem Café erzählen würde) und sagst oft Dinge um die Ecke oder mehrfach (Redundanzen).

Ich hoffe es ist okay, wenn ich dir ein paar Dinge vom Beginn anmerke. Warst du das, der mal einige Zeit im Ausland wohnte oder im Ausland geboren ist? Vieles im Text erinnert mich an meine Probleme langsam, Sachen nicht wie verquast aus dem Englischen übersetzt klingen zu lassen. Oft muss ich nachschauen, ob man sagt 'ich erzähle von jemandem' oder 'über jemanden'. Solche Stellen sehe ich hier auch, mag allerdings ganz andere Gründe haben. Die erste ist gleich der Titel (dadurch dachte ich erst, es ginge um eine TV-Serie wie Baywatch, dann wäre es grammatikalisch korrekt - aber das weiß der Leser ja an diesem Punkt nicht):

Das Wurmloch in Bayview
Im Deutschen sagt man da: von

Ich versuchte, nicht daran zu denken, aber manchmal studierte ich herum, was ihnen wohl zugestoßen war.
?
Irgendwann fiel es mir unmöglich, zu sagen, wie lange sie schon fort waren.
Das war wohl erst 'fiel schwer'.
Die eine Frage, die mich wirklich beschäftigte, stellte ich ihr lange Zeit nicht.
Das ist unnötig verschwurbelt. Klarer wäre sowas wie: Aber die wichtigste Frage hatte ich ihr nie gestellt.
Nach dem Verschwinden unserer Eltern hatte sich meine Schwester verändert und ich redete mir ein, dass ich mich täuschte.
aber / ich allerdings redete ...
Das ist doch ein Widerspruch, keine Verknüpfung.
Unser gemeinsamer Verlust schweißte uns stärker zusammen denn je.
Das ist semantisch unsauber. Hier sagst du: Der Verlust hatte sie schon immer zusammengeschweißt, aber nun (wann / warum auch immer) mehr als zuvor.
Ich denke du meinst, dass sie früher schon eng waren, und der Verlust sie stärker verband. Also: Der Verlust schweißte uns nur noch stärker zusammen.
Auch vllt. drauf achten: Zu hast oft Personalpronomen (meiner, meines, unseres) und dann noch Redundanzen - wie hier: klar gemeinsam, es sind ja beider Eltern. Das wirkt ein bissl arg geschwätzig auf mich, sorry.

Anfangs redeten wir oft darüber, trösteten uns gegenseitig in den Schlaf und sprachen uns jeden Morgen neuen Mut zu.
Das gegenseitig ist durch das uns schon gesagt. Ist das Dialekt? In den Schlaf wiegen oder weinen kenne ich; trösten nur allein.
Wir erfanden ein Spiel, in dem wir die Ranger von Bayview verkörperten: Ich, Theodor, der verwegene Antiheld mit dem lockeren Colt, und sie, Eleonora, die geheimnisvolle Femme fatale. Gemeinsam jagten wir die Verbrecher, die unsere Eltern gekidnappt hatten. Der Fall bereitete uns ganz schön Kopfzerbrechen.
Naja, 'ein Spiel erfinden' - da erwarte ich dann sonstwas Neues. Dann tun sie aber einfach nur so, als wären sie fiktionale Figuren / jemand anderes, also eines der ältesten Prinzipien menschlicher Kultur. So tun, als ob - die Grundlage von Riten und Theater, und Kinderspiel sowieso.

Warum nicht gleich sagen, dass sie in die Persönlichkeiten von Figuren schlüpfen und eben dann Szenen (nach)spielen? Denn das mit dem 'Autofahren' etc. ist ja sehr niedlich gemacht und auch eine schöne, lebendige Szene zum Vorstellen.

Dann werde ich beim letzten Satz unsicher, wie die Stimmung in der Geschichte und damit die ganze Geschichte aufgefasst werden soll. Am Anfang sprichst du von Verlust, trösten, also einem Drama, Trauma. Jetzt heißt es lapidar-flapsig: Bereitete uns ganz schön Kopfzerbrechen. Das ist ja kein Drama, das ist so, als hätte man ein Kreuzworträtsel nicht gelöst oder einen Krimi nicht kapiert. Ich sehe für den Bruch auch keinen psychologischen Grund - es kann keine Verdrängung sein, denn der Erzähler spricht eingangs frei davon.

oder sich draußen vielleicht eine Krankheit geholt hatte.
Erkältung, würde ich sagen, denn nicht jede Krankheit äußert sich im Hals.
Auf jeden Fall klang sie viel älter, nicht wie siebzehn, aber ehrlicherweise hatte ich sowieso vergessen, ob sie nun siebzehn oder schon dreiunddreißig war.
Das kann ich nicht nachvollziehen, versteh ich auch inhaltlich nicht. Die sind kulturell genug geprägt, um Polizisten zu spielen und er kennt den Begriff 'forensisch', aber weiß nicht, wie man ein Kind/Jugendliche von einer Dreißigjährigen unterscheiden kann?
Eines Morgens lag ein Glänzen in ihnen, dass ich erst auf die Müdigkeit schob.
Glänzen, das
Spricht etwas gegen Glanz, der?
Vielleicht hatte sie schlecht geschlafen. Sie wäre nicht die Einzige gewesen.
Die einzige in diesem Kontext. Es könnte ein Substantiv (der einzige = der einzige Mensch) anschließen.
Als würde sie mich heimlich verspotten oder als hätte sie ständig unglaublichen Hunger.
:confused: Wie kommt er denn auf die Idee? Nur von dem Glanz? Ist das Kind (ist es ein Kind?) auf Drogen?
Dazu kam das Gefühl, dass ihre Augen sich mit jedem Tag verengten.
Diese Vorstellung wurde so intensiv, dass ich davon träumte. Wie sie eines Morgens, die Lider zu zwei engen Schlitzen zusammengewachsen, kopflos durch das Haus taumelte oder lachend und schmatzend in der Küche sass, ihr Bauch zu einer dicken Kugel angeschwollen.
Aber wenn ich dann genau hinsah, waren es immer noch ihre Augen
Verengen bedeutet, die Lider halb zu schließen, aber so, dass man die Augen noch sieht (wie in Wut z.B.). Du meinst aber glaube ich eher, dass die Augen zuschwellen - sagst du dann ja auch. Hier rate ich zum starken Kürzen, präzisieren - ich sehe teils überhaupt nicht das vor mir, was du eigentlich meinst, weil du etwas erst als A, dann als B beschreibst. Lieber nur ein mal etwas sagen, aber dann eben treffend.

Weiter oben verwendest du ein ß.

Manchmal verbrachte ich dort die Tage, sass im Ohrensessel und stellte mir vor, tief zwischen seinen Polstern zu versinken, hinab in eine Welt, wo alles noch beim Alten war.
saß

Ansonsten ist das aber ein sehr schöner, konkreter und auch stimmungsvoller Satz.
Welt, in der (wo ist eher ein Fragewort).

Meine einzige Orientierung bestand aus den festgelegten Abläufen. Aufstehen. Frühstücken mit meiner Schwester. Den Eingangsbereich vom Sand befreien. Um ungefähr zehn Uhr verließ sie das Haus und ich war allein. Meine Zeit verbrachte ich in Vaters Sessel oder las in alten Magazinen, sass auf der Couch rum und beobachtete den tanzenden Staub im Sonnenlicht.
saß
sitzen = rumsitzen (wenn dir das zu schwach ist, vielleicht 'gammelte', das mag aber zu wertend sein).
Um ungefähr zehn = gegen zehn (konkreter, weniger quasselig, vermeidet um un-)
Würde nicht so starke Schwenks ins Sätzen machen, vor allem nicht, wenn sie durch und verbunden sind: Gegen zehn ging sie und ließ mich allein. (Da er dann allein ist, ist klar, dass sie nicht im Haus irgendwohin geht, sondern raus.)

An sich an spannendes Set-up, möglicherweise etwas, das ich in Flash Fiction-Länge mal probiert hab und woran ich bei der Vermittlung an den Leser gescheitert bin: Kids sind in einer dramatischen Lage, wissen das eigentlich auch, aber überspielen das in Teilverdrängung. Dein Text mag auch ganz anders gemeint sein - ich lese die Tage noch weiter, würde dir aber noch eine Editing-Runde ans Herz legen.

Mag sein, dass du den Eindruck hast, ich möchte aus deinen individuell klingenden Sätzen eine kalte Beamtensprache machen. Ich weiß, es geht in Prosa nicht allein um die Vermittlung von Sachverhalten. Aber du kannst immer noch Stimmung und Spannung aufbauen und alles eigenständig lösen, wenn du präziser und semantisch stimmiger schriebst. Momentan muss ich mich durch zu viel Worte wühlen, bis ich endlich sehe, was du eigentlich sagen wolltest; auch mein Bild / Aussagen immer wieder korrieren, mich strengt das bissl an und das nimmt auch die Spannung, die Lust am Weiterlesen.

Meine 5 Cent, ich hoffe sehr, du kannst etwas damit anfangen.
Herzlichst,
Katla

 

Hallo @deserted-monkey,

und sie, Eleonora, die geheimnisvolle Femme fatale.
"Femme fatale", dieser Begriff kommt mir etwas fremdkörperartig im Text vor - den kennt man doch eig. erst, wenn man etwas älter ist und sich mit Filmen auseinandersetzt, würden die Kinder diesen Begriff selbst verwenden? Und: Der Begriff hat etwas Sexuelles, das irgendwie auch ein wenig falsch platziert ist, für die Storylogik, finde ich. Würde der Bruder sie Femme fatale oder sie sich selbst so nennen voreinander?

Gemeinsam jagten wir die Verbrecher, die unsere Eltern gekidnappt hatten. Der Fall bereitete uns ganz schön Kopfzerbrechen.
Puh, die Eltern sind weg - würden Kinder das dann nachspielen, während sie noch nicht wissen, was los ist? Ist das nicht emotional zu sehr aufgeladen, zu aktuell? Würden sie - es kommt natürlich auf das Alter an - das im Spiel nicht anders verarbeiten, verdeckter, mit z.B. Dinos oder wenn sie älter sind mit - k. A. - Kampfspielen auf dem Nintendo? Mir kommt das unauthentisch vor, dass Kinder das so verarbeiten bzw. so reagieren, wenn sie noch mitten im Geschehen stecken

Eines Morgens lag ein Glänzen in ihnen, dass ich erst auf die Müdigkeit schob. Vielleicht hatte sie schlecht geschlafen. Sie wäre nicht die Einzige gewesen. Doch es war auch am Abend, am nächsten Morgen und selbst eine Woche später noch da. Als würde sie mich heimlich verspotten oder als hätte sie ständig unglaublichen Hunger.
Ein Glänzen, als würde sie ihn verspotten oder hätte ständig unglaublichen Hunger? Ich habe es nicht vor Augen, das liegt mir zu weit auseinander

Dazu kam das Gefühl, dass ihre Augen sich mit jedem Tag verengten.
Wie meinst du das - wird sie eine Asiatin? Oder verengen sich die Pupillen wie auf Koks?

Wie sie eines Morgens, die Lider zu zwei engen Schlitzen zusammengewachsen, kopflos durch das Haus taumelte oder lachend und schmatzend in der Küche sass, ihr Bauch zu einer dicken Kugel angeschwollen.
Moment - die Lider zu engen Schlitzen zusammengewachsen, aber kopflos - wo sieht er denn dann die engen Lider, wenn sie keinen Kopf mehr hat? Da stimmt etwas in der Logik des Bildes nicht

Aber wenn ich dann genau hinsah, waren es immer noch ihre Augen und das Glänzen fiel mir erst wieder auf, wenn ich es schon fast vergessen hatte.
Jetzt hat er beinahe das Glänzen fast wieder vergessen - obwohl es für ihn ein so interessantes, ausergewöhnliches Ding war. Das kommt mir paradox vor, würde ich streichen

Manchmal verbrachte ich dort die Tage, sass im Ohrensessel und stellte mir vor, tief zwischen seinen Polstern zu versinken, hinab in eine Welt, wo alles noch beim Alten war
Das würde ich konkretisieren - wie schaut es aus, wenn alles beim Alten ist? So bleibt die Aussage schwammig

Wenn ich mich konzentrierte, konnte ich die Stimmen unserer Eltern hören. Mutter bettelte mich an, ihnen zu helfen, oder Vaters Flüstern, dass es ihm leidtäte, schwebte durch den Raum.
Wieso müssen die Stimmen durch den Raum schweben? Sie sind ja in seinem Kopf - würde ich streichen, das verwässert das Bild unnötig

Meine Zeit verbrachte ich in Vaters Sessel oder las in alten Magazinen, sass auf der Couch rum und beobachtete den tanzenden Staub im Sonnenlicht.
Ah ok, sie wohnen noch im Elternhaus. Wie alt sind die beiden? Wenn sie noch Fantasiespiele spielen, sind sie für mich nicht älter als 12 beide

In Wahrheit dachte ich irgendwann gar nicht mehr viel über unsere Eltern nach, sondern nur noch an die Warnungen meiner Schwester.
Moment - wie paradox. Er denkt in Wirklichkeit nicht mehr viel über die Eltern nach? Das glaube ich nicht. Der ganze Text bis jetzt dreht sich darum, dass die Eltern weg sind und sie Spiele spielen, dass sie die Eltern wieder finden. Glaube ich nicht!

„Geh nicht nach draußen oder in den Keller, während ich weg bin“, sagte sie, bevor sie zu ihren Ausflügen aufbrach.
Ich kann das Alter der beiden nicht genau zuordnen - sie ist älter, klar, aber wie alt? 12 und er 10? Oder ist sie 16 und geht arbeiten, und er ist ca. 12? Einen HInweis, der mich das genau einordnen lässt, hätte ich gut gefunden bis jetzt im Text

Ich finde es auch seltsam, wie rigide der Junge sich an das Verbot seiner Schwester, rauszugehen, hält. Das ist irrational und unauthentisch, finde ich - eigentlich müsste er irgendwann mal neugierig werden: Warum darf die raus und ich nicht? Und: Wenn das eine Postapokalypse ist, in der sie sich befinden, muss die Schwester auch irgendwann mal denken, dass es sicherer für beide wäre, wenn er mit ihr mit rauskäme. Sie ist ja auch ein Mädchen, also ganz anderen Gefahren ausgesetzt, und er ist ein Junge, der sicherlich nicht alleine das Haus bewachen könnte. Also, sie setzt beide größerer Gefahr aus, dadurch, dass sie sich täglich trennen. Und was macht er den ganzen Tag? Er sitzt nur im Haus ohne Unterhaltungsmedien rum? Eigenartig für mich, glaube ich dem Text nicht leider

Die Würmer, die meine Schwester auf ihren Ausflügen erbeutete, waren so lang wie mein Unterarm und stanken nach Fisch, der zu lange in der Sonne gelegen hatte.
Stinkt Fisch nicht immer erst nach Fisch, wenn er schlecht ist? :D

Als sie das erste Mal mit den Würmern zurückkehrte, erschrak ich dermaßen, dass ich nach dem Besen griff und ihr damit den Beutel aus den Händen schlagen wollte.
Provokanter Vorschlag: Falls du deinen Text sehr stark verschlanken und eindampfen möchtest, könntest du ihn auch hier anfangen!

Dazu sonderten sie ein dünnes, farbloses Sekret ab, dass den Beutel vollschleimte.

Üblicherweise hockte sie dort, betrachtete die Fetische, für die sie eine ungesunde Faszination entwickelt hatte, und wartete darauf, dass ich mich endlich aus meinen Alpträumen zwang.
Die Fetische? :D :chaosqueen:


Als meine Eltern noch gelebt haben, ist mir die Tür gar nie aufgefallen. War sie schon immer dagewesen?
Glaube ich nicht - Kinder inspizieren doch alles im eigenen Haus, die kennen mehr Winkel als ihre Eltern!

Meine Hände drückten die Klinke nach unten und sie öffnete sich. Eine steile Treppe führte in die Dunkelheit.
Ich zögerte, fragte mich, wieso ich das nicht schon früher getan hatte. Meine Selbstvorwürfe brachten mich schließlich zu einem Entschluss. Irgendetwas musste ich ja tun. Nach einem Lichtschalter tastend stieg ich die ersten Stufen hinunter. Ich fand keinen. Am Ende der Treppe glomm ein blauer Schimmer, der mich die Stufen als kantige Schatten erkennen ließ. Je weiter ich hinabstieg, desto heller wurde sein Leuchten, blendete mich, sodass ich das Gefühl hatte, trotzdem blind die Treppe runter zu stolpern. Unten angekommen, erkannte ich mit zusammengekniffenen Augen, dass es von einer mitten im Raum schwebenden, pulsierenden Kugel ausging.
Sie wurde von einem flimmernden Kraftfeld zwischen zwei gebogenen Metallstreben gehalten, an denen das blaue Licht in verästelten Blitzen nach oben und unten lief, was Schatten auf die Steinwände des Kellers warf, als fliesse stetig Wasser an ihnen herab. Ein elektrisches Summen erfüllte die Luft.

Frage: Wenn seine Schwester so großen Wert darauf legt, dass er NIEMALS dort runter geht, wieso hängt sie kein Schloss oder ähnliches davor? Wieso mauert sie die Tür nicht zu? Er kann sie einfach so öffnen? Dann muss es ja unten nicht so gefährlich sein! :D

Am nächsten Tag sass ich auf der Bettkante und hielt Eleonoras Hand. Spürte, dass sie im Sterben lag, ohne das jemand es laut aussprechen musste.
Uff. Das ist hart. Also, ich meine es nicht böse, du weißt, ich mag dich, d-m-, ich meine es nur auf den Text bezogen. Ich finde die Aussage jetzt nicht schlimm, aber unauthentisch. Wenn jemand im Sterben liegt, das verstehen oft nicht mal Erwachsene. Das ist so ein eigentartiger Prozess, oft denken erfahrene Pflegekräfte, dass jemand im Sterben läge, und dann rappelt sich die Person doch wieder und lebt noch fünf Jahre. Ein Kind könnte Angst haben, natürlich, dass die Schwester jetzt stirbt. Aber dass er es ganz genau weiß, glaube ich nicht. Er hätte Angst, dass es so ist, aber gleichzeitig die Hoffnung, dass es nicht so ist. Wenn so etwas passiert, muss Angst auftreten, massive Angst, Panik. Das ist mir zu sehr runtererzählt an der Stelle, das ist ein Kind, ein Junge, die Eltern sind weg, der müsste völlig hohldrehen

„Ich war im Keller. Bei der schwebenden Kugel.“
„Du warst schon immer sehr neugierig.“
Das kann ich nicht bestätigen! Er sitzt doch immer nur zuhause und tut - was eigentlich? Er ist die unneugierigste Kindperson, die ich kenne! :D

Mein Mund war trocken, am Hals zuckte eine Ader und heiße Kieselsteine rollten zwischen meinen Schläfen hin und her.
Ich würde mich bei der Beschreibung des eigenen Gefühls auf eine Perspektive konzentrieren - entweder von innen oder außen betrachtet. Der Mund ist trocken - innen. Am Hals zuckt eine Ader - das sieht man nur von außen, er selbst kann das nicht sehen. Er würde seine Halsader pochen spüren. Heiße Kieselsteine rollen zwischen seinen Schläfen - das würde ich definitiv kicken. Das wirkt comichaft und ist kein Gefühl, das der Leser nachvollziehen könnte. Meine Meinung.

Zum ersten Mal habe ich unser Haus verlassen. Ich konnte nicht länger in die schwebende Kugel hineinsehen.
Zum Schluss switched du ins Präsens - was bedeutet, dass er jetzt draußen ist. Seltsam, der Erzähler klang für mich viel weniger nach einem Kind, als nach einem Erwachsenen. Deswegen dachte ich, dass der Erzähler das viel später aus dem Off über die Vergangenheit erzählt. Aber er erzählt den Text quasi jetzt, als er draußen herumirrt im Sand?

Also, ich weiß deine Fantasie und deinen Willen, ein solches Szenario zu schreiben und etwas Neues zu wagen, zu schätzen, d-m, bitte versteh mich nicht falsch. Es geht mir auch nicht darum, dir eins reinzuwürgen oder einen Text schlecht kommentieren zu wollen. Glaub mir, das fällt mir schwerer als einen Text zu loben. Ich denke, dass du Talent hast, und möchte das gerne ein wenig in die - meiner Meinung nach - richtigen Bahnen lenken, weil ich geilere Texte von dir lesen möchte. Mit Schulterklopfern wächst man nicht weiter, deswegen kommt jetzt ein wenig Kritik, bitte nimm sie nicht persönlich und sieh es als gut gemeinten, persönlichen Ratschlag von mir.
Ich finde, die Figuren handeln zu oft unorganisch und das Szenario ist mir zu undurchsichtig für mich als Leser aufgebaut. Wieso bleibt der Junge immer zuhause? Ist er nie mal neugierig? Wieso nimmt ihn die Schwester nicht mit raus - es wäre doch für beide sicherer? Zumal sie nur ein paar Jahre älter als er scheint. Was ist mit der Welt passiert? Gab es einen lauten Knall? Irgendeine Erklärung muss die Schwester dem Jungen doch gegeben haben - und wenn sie gar nicht wissen, was passiert ist, müssen sie doch ständig nach Erklärungen suchen? Was ist mit den Eltern passiert? Das ist zu uneindeutig für mich. Wieso füttert die Schwester die Kugel im Keller? Wieso sperrt sie die Tür nicht ab? Eigentlich müsste sie den Jungen draußen immer bei sich haben wollen, damit er zuhause nicht heimlich in den Keller geht. Und: Warum macht sie ein Geheimnis um die Kugel vor dem Jungen? Wieso weiht sie ihn nicht ein und erklärt ihm genau, was er mit der Kugel darf und was nicht? Wieso darf er nichts davon wissen? Das Spiel der beiden nimmt einen viel zu großen Raum ein, dafür, dass es die Story überhaupt nicht voran bringt oder etwas Wichtiges beizutragen hat. Konzentriere dich lieber auf das Worldbuilding und die Konflikte der beiden. Wieso sollten sie auch Energie verbrennen für so ein Spiel, wo sie doch Nahrung und Wasser finden müssten? Wo kriegen sie all die Kalorien am Tag her, um nicht zu hungern? Eigentlich müsste der Hunger hier auch eine riesige Rolle spielen. Wo kriegen sie sauberes Wasser her? Wieso trauern sie nicht um die Eltern, vermissen sie, sind psychisch am Ende?
Das ergibt leider alles keinen Sinn für mich, ist von der Figurenpsychologie her nicht schlüssig und wirkt daher konstruiert auf mich. Ich finde es verdammt wichtig, dass die Motivationen und die Psychologie der Figuren schlüssig ist und stimmt und dass das Worldbuilding zuverlässig gemacht wurde, alles durchdacht wurde vom Autor. Da bin ich schon etwas enttäuscht bei der Story, außer ich habe zentrale Dinge nicht richtig verstanden.
Sprachlich ist es gut geschrieben, aber du musst an der inneren Logik deiner Figuren und deiner Welt arbeiten, wenn das nicht steht, bringt dir jede Sprache wenig.
Wie gesagt, nimm es mir bitte nicht übel, das ist meine ehrliche Meinung. Ich denke, du hättest hier einen wesentlich besseren Text draus machen können, aber du bist nicht tief genug eingestiegen, deine Figuren handeln zu sehr für die Story und kaum für sich selbst, und das funktioniert nicht. Falls ich etwas falsch verstanden oder gelesen habe, schreibe es mir gerne.

Viele Grüße
zigga

 
Zuletzt bearbeitet:

Moin @deserted-monkey ,

ich noch mal - da hab ich ja gestern an der denkbar ungünstigsten Stelle abgebrochen. Abgesehen davon, dass ich immer noch dringend rate, bei Semantik und Präzision eine ordnende Hand anzulegen, hat mir die Geschichte im Kern ausnehmend gut gefallen. Ich mag ohnehin Geschichten, in denen es zu keinem Zeitpunkt einen Alltag in herkömmlichen Sinne gibt, sondern wo die Ausgangslage bereits seltsam ist und es dann im Seltsamen einen spekulativen Konflikt gibt, der alles noch seltsamer macht - aber nicht als Steigerung, sondern als dramatischer Bruch. Also: nicht der Horror, der in den Alltag einbricht, sondern der Horror, der ins Seltsame einbricht. Sehr gut auch, dass sich die Geschichte in diesem Sinne ganz konsequent entwickelt und der Status quo nicht wieder hergestellt wird (es wird eine neue Normalität angedeutet, die aber der alten nicht ähnelt).

Selbst, wenn du wahrscheinlich aus Sicht des Protas dachtest und direkt in seine Welt / Sicht einsteigen möchtest, fände ich es sinnvoll, die Enthüllung, was da vor sich geht, direkt an den Anfang zu stellen; Vorschlag weiter unten. Erst bei der Stelle mit dem Turm (ihr Haus ist im Navigationsturm eines kleinen Flughafens, oder davon gegenüber?) und der Aussicht ebenfalls - dann erfahre ich etwas vom Set-up, was da ungefähr los ist. Dann wäre es egal, ob ich von Kolonisten auf dem Mars ausgehe oder von einem terrestrischen Setting.

Ich denke, dass momentan sehr viele vage, unausgesprochene Dinge aufeinanderfolgen, ohne dass ich anfangs weiß, wie ich das einzuordnen habe. Dann kommt mir das mit ihren Augen, mit den Eltern, der Aufteilung Rausgehen/im Haus bleiben zu eigenartig vor, weil ich annehme, dass es realistisch im Hier und Jetzt spielen soll. Klar, die besten Geschichten haben kein riesen Schild Vorsicht, spekulativ!, sondern behandeln alles ganz selbstverständlich und das lese ich eigentlich am allerliebsten. Aber vielleicht noch mal schauen, dass du nicht zu viele falsche Fährten und unerklärte Andeutungen streust; noch mal nach einem roten Faden schauen (den hat die Geschichte an sich ja sehr wohl, ganz gradlinig eigentlich, aber das ist noch nicht ganz auf Absatz-/Abschnitt-Ebene herausgearbeitet).

Mein Hauptproblem bleibt die Sprache, genau wie ich es oben geschrieben habe. Vieles wirkt recht spontan notiert (auch, wenn es das nicht sein mag), wie eine Rohfassung. Vielleicht könnte es dir helfen, wenn du dir ein künstliches Zeichenlimit als Maximum setzt, und dann den fertigen Text (also bereits nach ein, zwei Edits) darauf hin kürzt. Und zwar nicht blockweise kürzen, sondern journalistisch: Satz für Satz, Wort für Wort. Vielleicht sogar Wörter suchen, die kürzer sind als die gewählten. Ich rate hier zu einem Zeichenlimit von minus 20-25%.

Dann würde sich mMn der Plot und die wirklich raffinierten Hinführungen (genau das mit den Augen z.B.) auch besser herauskristallisieren. Ich hab den Eindruck, du hättest wirklich tolle Geschichten im Kopf, ungewöhnliche und sowas, das man selten liest, aber der Weg von Hirn zu Papier (Textprogramm) ist noch nicht geschmeidig genug, das bleibt vieles auf der Formulierungsebene hängen, auch auf Konzeptionsebene (was willst du aussagen, was noch verschleiern, worauf soll es hinführen?).
Da muss glaube ich aber nur ein mal der Knoten platzen, vielleicht wenn du ein mal einen Text editierst, bis es da nix mehr zu editieren gibt, ganz hart.

Ein paar Details:

wo alles noch beim Alten war. Wenn ich mich konzentrierte, konnte ich die Stimmen unserer Eltern hören. Mutter bettelte mich an, ihnen zu helfen, oder Vaters Flüstern, dass es ihm leidtäte, schwebte durch den Raum.
beim Alten finde ich - auch mit dem Wissen, was da los ist - zu schwach.
Den zweiten Satz verstehe ich inhaltlich nicht: ihnen zu helfen kann an diesem Punkt alles sein: vom beim Abwaschen helfen zum helfen, weil sie krank sind ... das ist zu viel zu vage. Und dann von der Bitte um Hilfe zum Leidtun, ich hab keinen Plan, was dazwischen lag, ob das dieselbe Situation darstellen soll oder zwei auseinanderliegende, warum die Eltern denken, dass die Kids eine Hilfe wäre etc etc.
Du musst bedenken: Wenn du teaserst, muss der Leser kapieren, wo er ist - Teaser sind ja Hinweise für Kommendes. Wenn ich nicht weiß, was da los ist (wo ich stehe im Text), was das Problem ist und was die eventuelle Gefahr (wovon bislang noch keine Rede ist), kann ich keine projizierte Problematik deuten.

Gegenbeispiel, wo es dir imA ausgesprochen gut gelungen ist: Die verwaschene Sprache der Schwester, ihr verändertes Gesicht und dann die gefangenen Würmer. Da ziehst du auf Erzählerebene gar keinen direkten Vergleich, aber da fügen sich Bilder zusammen und dann ist das ein toller, fieser Ausblick.

Meine einzige Orientierung bestand aus den festgelegten Abläufen. Aufstehen. Frühstücken mit meiner Schwester.
Das ist nicht ganz das passende Wort, und ich checke gleich ab, was da noch alles ist, komme darauf, dass er von Morgen und Sonne und täglich spricht, und weiß: es gibt noch Tageszeiten, die sind ganz sicher ein massive Orientierung. Routine trifft es sicher auch nicht, vielleicht etwas, das klarmacht, diese Abläufe dienen als Anker in einer unsicheren Welt?

Seit das mit der Stimme und dem Verengen der Augen schlimmer geworden war, sprach sie öfters davon. Manchmal war der Satz reines Kauderwelsch, von dem ich nur ein paar ähnlich klingende Silben aufschnappte.
Das Verengen ist wie oben nicht ganz das korrekte Wort, und den zweiten Teil verstehe ich nicht: ähnlich wozu? Zu dem, was sie sonst häufig sagt? Meinst du eher, dass er einzelne Wörter daraus versteht, aber keine ganzen Sätze? Hier lieber weniger wortreich, dafür eben das wirklich Adäquate schreiben.
Ich glaubte nicht, dass ihr diese Veränderungen bewusst waren, aber meist versuchte sie es dennoch ein zweites Mal, und fügte an: „Am besten setzt du dich einfach ins Wohnzimmer und wartest auf mich.“
Sehr wortreich, viele Füllsel, das wirkt bissl geschwätzig, unkonzentriert geschrieben. Auch ist ihre wörtliche Rede sehr druckreif. Wenn ich Probleme mit dem Sprechen habe und schon neu ansetzen muss, würde ich wohl nur noch Stichworte geben, damit die wenigstens verstanden werden. Am besten / einfach / und sind schon viel, wenn man keine Probleme mit dem Reden hat. ;-)
Setz dich. Warte. - bei sowas hätte ich auch eher die Stimmung im Kopf, die du wohl anstrebst. Würde gleich ihre Probleme beim Reden hören, ohne, dass du da in drei Satzteilen extra sagen musst. Vertrau dir da ruhig mehr, auf Satzebene könntest du dem Leser mehr zutrauen.
Unsere Mutter hatte bei Bayview Wildlife Watch gearbeitet, zumindest bis sie entlassen wurde, weil irgendwann keine Touristen mehr hergekommen sind. Was wollten die sich noch ansehen bei uns? Die fortschreitende Versteinerung einer einst berühmten Tier- und Pflanzenwelt?
Bei sowas krieg ich schlechte Laune beim Lesen: sie hat da und da gearbeitet. Aha, ich hab ein Bild. Dann: Ach nee, sie wurde ja entlassen. Bild korrigieren. Ach und nicht wegen ihrer Arbeitsleistungen - sie war gar nicht das Problem, sondern die fehlenden Touristen. Weil? Die die Region außer Mode kam? Pandemie? Weltwirtschaft? Die Wildlife Watch hat versäumt, in den SoMe ordentlich Reklame zu machen? Das sind alles Dinge, die du ja gar nicht in den Kopf des Lesers setzen möchtest. Da wäre es sinnvoller, das stark zu kürzen, denn dann wäre ich schneller durch und vielleicht bei dem wichtigsten Satz angekommen, bevor mein Hirn mich auf Fragen und Abwege führt:
Bis zum Ausbleiben der Touristen hatte Mutter bei der Bayview Wildlife Watch gearbeitet - aber was hätten sie sich noch ansehen sollen? Die fortschreitende ...

(Das fortschreitend + ansehen könnte man eh überdenken, es klingt nämlich, als ginge es so schnell, dass man zuschauen könnte - ist das gemeint? DAS allerdings hätte sicher Touristenmassen dahin gelockt.)

Das Landefeld war längst verlassen und von Vaters Sessel hatte ich einen guten Blick auf die Ankunftshalle und den Navigationsturm.
Was ist ein Landefeld? Die Landebahn eines Flughafens? Wo steht der Sessel, wenn er den Turm und die Halle sehen kann? Ist das Haus, in dem die beiden wohnen, gegenüber? Teil des Flughafens? Wenn der Vater Astrophysiker ist, was hat er mit einem Flughafen zu tun? Oder beschreibst du eine Space Station? (Haben die Navigationstürme?)

Wanderdünen hatten die meisten Gebäude unter sich begraben und nur die obersten Stockwerke der Hotels ragten noch daraus hervor. Kantige Felsformationen im roten Sand. Unser Haus stand zum Glück auf einem Hügel am ehemaligen Stadtrand von Bayview, und deshalb waren wir vorerst sicher.
Das ist eine ganz unverschwurbelte, klare Ansage zum Setting: Zeit, Ort, was ist passiert, was ist das Problem. Sowas braucht die Geschichte mehr (ganz wesentlich mehr) und diese Passage würde ich so hoch an den Anfang setzen wie irgend möglich. Von mir aus als zweiten Satz im Text.
Es ist ja bereits irre vieles im Unsicheren: Wer sind die Protas, wo ist das, was ist mit den Eltern, was ist mit dem Titel der Geschichte, was ist der Konflikt, was ist mit der Schwester los, warum ist das Verhältnis so seltsam (sie geht raus, verbietet es ihm aber), wieso spricht der Erzähler nicht aus, was los ist, verdrängt er Dinge, ist er zu jung, wie alt ist er eigentlich, wie alt die Schwester, und spielt das im Hier & Jetzt, in der Zukunft, auf einem anderen Planeten ...? Dann brauchst du nicht noch so ein Geheimnis darum machen, was in deiner Welt los ist, du hast schon Geheimnisse genug.
Mit der Passage fängt imA die Geschichte eigentlich an - von hier ab entwickelt sich alles so, dass da eine Basis ist, von der aus du Fäden spinnst und Konflikte ausarbeitest.

Diese Sicherheit erschien mir jedoch zunehmend trügerischer, weil wir jeden Morgen länger brauchten, um die Veranda von den Sandmassen zu befreien. Es dauerte ein paar Wochen, bis mir vollständig bewusst wurde, dass wir eine solch sinnlose Routine nur in unseren Alltag aufgenommen hatten, um täglich den Schein ebenjener Sicherheit zu wahren.
Kürzen auf 50% bei gleichem Informationsgehalt. Dann ist das eine tolle Entwicklung, ein schönes Hinleiten auf alles weitere.

Obwohl meine Schwester mir stets davon erzählte, dass sie draußen auf andere Menschen traf, sich mit ihnen unterhielt und handelte, zwei oder drei gefangene Sandwürmer gegen eine Konserve Erbsen oder Tomaten tauschte, so wurde mir irgendwann bewusst, dass sie von Anfang an gelogen hatte. Die Esswaren musste sie beim Durchsuchen der verlassenen Gebäude gefunden haben. Ein paar davon waren sicher noch zugänglich.
dito

Abgesehen von den Würmern existierte kein Leben.
Sowas würde ich streichen. Es klingt auf den ersten Blick dramatisch-poetisch, aber sofort danach stelle ich mir Fragen, die du als Autor nicht gebrauchen kannst: das ist ein heftiger Bruch dazu, dass es vor absehbarer Zeit noch Touristen gab. Wie lange ist das her? Wie alt ist der Prota (immer noch nicht geklärt), betrifft das Problem auch den Rest der Welt (was er nicht wissen könnte) und wenn nicht, warum kommt keine Hilfe? Ist das eine Gesellschaft wie in Dune? Ist das die Erde? Die Aussage kann nicht stimmen, denn die Protas brauchen nicht nur Nahrung, sondern Wasser. Woher kriegen sie das? Wenn Wasser da ist, ist auch anderes Leben da. Wüsten sind nicht ohne Leben, im Gegenteil ...
Alles Fragen, die dein Text nicht gebrauchen kann - du musst imA die Aufmerksamkeit des Lesers so halten, dass er mitgeht wie du es beschreibst, und quasi gedanklich deinen Text nicht verlässt. ImA geht das nur, indem du präzise formulierst, deine Bilder im Griff hast, die Infos sinnvoll / an sinnvoller Stelle vermittelst und einen Blick aufs Pacing hast.

Eleonora und ich waren schon so lange allein hier, dass ich mir eingestehen musste, keine andere Menschenseele je wiederzusehen.
Ist mir zu flapsig. Bei diesen Drama-Emotionen hat dein Text auch ein Problem. Da ist keine Tiefe, keine Glaubwürdigkeit und keine - ich sag mal - Sensorik / Haptik. Wenn du das schwierig findest (ginge mir durchaus auch so, oder vielleicht jedem Schreiber), kannst du es emotionsloser lösen, dann wird dein Text etwas surrealistisch-absurder.

Die Würmer, die meine Schwester auf ihren Ausflügen erbeutete, waren so lang wie mein Unterarm und stanken nach Fisch, der zu lange in der Sonne gelegen hatte. Ihre augenlosen Schädel bestanden aus übereinandergeschichteten, dreieckigen Knochenplatten. Die Haut war sandfarben, rau wie Schleifpapier und mit atmenden, daumennagelgroßen Poren bedeckt.
entweder wie Schleifpapier oder rau.
Vieles liest man schon mit, dann ist falsch: Knochenplatten sind nicht geschichtet, dann wären sie alle auf einem Stapel, sondern versetzt, überlappend, irgendwie was mit geschuppt.
Nach dem Kochen griffen wir die Knochenplatten mit einer Zange und zogen diese samt der Haut von den weichgekochten Körpern. Ich hatte es mir zum Hobby gemacht, aus den Platten fetischartige Anhänger zu basteln und diese an die Decke des Wohnzimmers zu hängen. Oder Figuren zu schnitzen, mit denen ich Kämpfe zwischen Superhelden und Bösewichtern nachstellte. Das mit den Bayview-Rangern hatte Eleonora längst vergessen und ich brauchte dringend eine Alternative.
Nach dem Kochen griffen wir die Knochenplatten mit einer Zange und zogen diese samt der Haut von den weichgekochten Körpern.
-> Mit einer einer Zange zogen wir die Knochenplatten samt Haut von den weichgekochten Körpern.
That's it, würde ich sagen. Dito zum Hobby gemacht und so - noch mal mit dem Editingblick drüber. Dein Wortreichtum killt oft die wirklich tollen Bilder.

Ansonsten finde ich das eine grandiose Stelle. Mir wird schon klar, was mit dem Mädel los ist, und ihr Interesse an diesem Mobile/Fetisch ist wirklich gut aufgezogen. Auch ein tolles Bild. Ich denke, in sowas liegt deine große Stärke - das sind im Grunde sehr komplexe Figuren, die entwickeln sich auch im Text, sehr schräg und sehr stimmig dabei. Da hast du auch ein gutes Händchen, wann du das Foreshadowing einsetzt und auch gut dosiert. Ich finde, hier kommt sehr viel raus, wie die Beziehung ist, dass sie auseinanderdriften (und implizit auch schon, warum).

Als sie das erste Mal mit den Würmern zurückkehrte, erschrak ich dermaßen, dass ich nach dem Besen griff und ihr damit den Beutel aus den Händen schlagen wollte. Eleonora steckte die Würmer jeweils lebend in einen Jutesack, um sie so frisch wie möglich zu halten. Sie betrat mit einem stolzen Grinsen die Küche und warf das zugebundene Bündel auf den Tisch. Auf den ersten Blick wirkte es, als strampele ein Säugling im Stoffknäuel!
Coole Idee, auch hier bissl straffen. Plötzlich klingt der Erzähler auch wieder wie ein Kleinkind. Zwischendurch war er aber zu Reflexionen fähig. Absicht? Regression? Ich kann keinen sinnvollen Anhaltspunkt finden - ist der Text vllt. passagenweise, nicht chronologisch geschrieben? Und du hattest seine Kinderstimme im Kopf?
Ich hätte schwören können, seine verzweifelt gegen den Beutel drückenden Händchen und Füßchen zu sehen. Aber als meine Schwester mich ermutigte reinzuschauen, wanden sich darin nur die Würmer.
Würde ich stilistisch knapper formulieren, durch den Konversationstonfall macht das null Eindruck auf mich, obwohl die Idee sehr gut ist.
Das mit Abstand schlimmste waren jedoch die Laute, die sie von sich gaben.
Das Schlimmste. Klingt mir zu flapsig. Das ist auch einfach behauptet, klingt fast schon pulpig.
Durch das Öffnen und Schließen ihrer übergroßen Poren erzeugten sie ein ledriges Ploppen, begleitet von einem durchgehenden Geräusch, das viel höher klang. Bei genauerem Hinhören konnte ich darin etwas Menschenähnliches erkennen. Das leise Weinen eines Kindes. Dazu sonderten sie ein dünnes, farbloses Sekret ab, dass den Beutel vollschleimte. Sie verstummten erst, nachdem wir sie ins kochende Wasser geworfen hatten.
ImA hat die Geschichte immer dort große Stärken, wo du wirklich etwas konkret sagst. Wo du eine stringente Abfolge mit cause & effect hast. Trau deinen Bildern mehr, die wecken dann schon die richtigen Eindrücke - du brauchst also nicht alles künstlich zu verschleiern und zu umschreiben.
Dass ich den ersten Bissen erbrach, war nicht einmal dem Geschmack geschuldet, sondern der eklig glitschigen Struktur im Mund.
Bissl hochtrabend - das ist ein hartes, fieses Bild, das wäre am besten so knapp und hart wie möglich formuliert. Ich darf nicht wesentlich länger an dem Satz lesen, als ein Bild in meinem Kopf entsteht, verstehst du, was sich meine?
Eines Morgens wachte ich auf und Eleonora blieb im Bett.
Du verbindest öfter mal Sätze mit und, die inhaltlich keine Verbindungen sind. (s.o.)

dass ich mich endlich aus meinen Alpträumen zwang.
:confused: Wiechen?

Eines Morgens wachte ich auf und Eleonora blieb im Bett. Normalerweise schlief ich länger als sie, aber an diesem Tag war ihr Platz auf der Couch im Wohnzimmer leer. Üblicherweise hockte sie dort, betrachtete die Fetische, für die sie eine ungesunde Faszination entwickelt hatte, und wartete darauf, dass ich mich endlich aus meinen Alpträumen zwang. Voller Sorge klopfte ich an ihre Schlafzimmertür.
Eleonora / Bett -> Eleonora / Couch -> Eleonora wartet auf Aufwachen Erzähler = Erzähler schläft auf Couch (?) -> Eleonora / Schlafzimmer ... Alter! :sconf:
Blickführung und Sachverhalte ordnen, ganz dringend. An sich sind das ja wichtige Punkte und sehr schöne Bilder.

Nachdem mehrmals keine Reaktion erfolgte, trat ich ein.
Nachdem mehrmals keine? :susp:
Also blieb es still.

„Nein, ich glaube nicht. Vielleicht habe ich mich überanstrengt und muss mal einen Tag ausruhen. Es kostet mich enorme Kraft, jeden Tag da raus zu gehen.“
Mega gestelzt. Die wörtliche Rede der Prota finde ich insg. zu bürokratisch, ganz besonders in ihrem 'Zustand', aber schon als Geschwister.
„Bleib einfach liegen, ich kümmere mich um den Rest. Du wirst schon wieder zu Kräften kommen, dafür sorge ich! Sag mir, wenn du etwas brauchst. Ich bin da, so wie du für mich da bist. Ich bringe dir ein Glas Wasser.“
Dito bei ihm.
Bevor ich das Zimmer verließ, blickte ich zurück und erwartete eine Regung in Eleonoras Gesicht.
Unpassende Verbindung. Würde ich ganz rauslassen: ... zurück, erwartete ... (dein und ist ja kein auch, sondern ein weil. Aber das schnallt der Leser auch so.)
aber ich fand, jetzt wäre der perfekte Zeitpunkt für ein Lächeln gewesen.
Klingt wie ein Lifestyle-insta-Post. Da geht es doch um Emotionen, oder? Schmerz, Sehsucht, Bitterkeit, Verlassensein, Angst ...
Auf dem Weg nach unten hörte ich sie wieder in dieser seltsamen Sprache sprechen, die eigentlich gar keine Sprache mehr war, sondern lediglich aus abgehackten Kratz- und Gurgellauten bestand, die meine Knie auf der Treppe weich werden ließen.
Würde ich wenn in einen neuen Satz packen, nicht alles wie ein Einkaufszettel in Reihe.

An diesem Tag vergaß ich, die Veranda vom Sand zu befreien. Ich ging auch nicht nach draußen, wie ich gegenüber meiner Schwester angedeutet hatte.
behauptet eher?
Irgendetwas musste ich ja tun.
Bissl lapidar, würde ich kicken. Das nimmt jegliche Tragik, Tragweite.
trotzdem blind die Treppe runter zu stolpern.
hinunter, wenn du Drama möchtest.
An ihrer Seite saßen zahlreiche Ventile,
Seite? Seitlich waren Ventile angebracht?
Auch die ansonsten schöne Beschreibung des Apparats kann bissl Straffung gebrauchen.
Am nächsten Tag sass ich auf der Bettkante und hielt Eleonoras Hand. Spürte, dass sie im Sterben lag, ohne das jemand es laut aussprechen musste.
saß

Warum sollte er es aussprechen, wenn eh niemand außer den beiden da ist?
Das nehme ich der Figur so nicht ab. Keine Ahnung, aber da noch mal reingehen emotional (bei dir, beim Schreiben).

Es erinnerte mich an alles, was ich verloren hatte. An all das, was unter den Sanddünen begraben lag. Etwas Uraltes, das mir jetzt vollkommen fremd vorkam. Nur eine düstere Erinnerung, zugeschüttet von der Zeit und gefangen in dieser seltsamen Kugel, diesem Wurmloch im Keller.
Das ist imA bissl viel auf einmal und damit verwässert der Eindruck. Mehr Desselben ist nicht unbedingt mehr an Impact.
Als ich eines Morgens in das Zimmer meiner Schwester zurückkehrte, verstand ich zuerst nicht, was sich verändert hatte. Aber dann dämmerte es mir. Eleonoras Bett war leer.
Register / Sprachebene. Viel zu flapsig.
Ich hatte damit gerechnet, dass es irgendwann soweit kommen musste, doch nun, da dieser Umstand tatsächlich eingetroffen war, spürte ich dessen Konsequenz wie Faustschläge im Magen. Mein Mund war trocken, am Hals zuckte eine Ader und heiße Kieselsteine rollten zwischen meinen Schläfen hin und her. Das Fenster stand offen. Eine warme Brise bewegte die Vorhänge.
Zu unausgegoren, du schweknst von argem tell aus der Distanz zu billigen Phrasen (Faustschläge) zu Beobachtungen (des Autors) zum Setting zu poetisch-gemeinter Symbolebene, was dann auf etwas Konkretes hinweisen soll. Die Passage ist imA komplett verhagelt.
Mit letzter Kraft robbte ich aus dem Zimmer und verlor auf der Treppe das Bewusstsein.
Wieder so ein unpassendes und.
Auch zu lapidar, zu wortreich für den Schock. Spricht eigentlich etwas dagegen, den Text ins Präsens zu setzen? Durch die Vergangenheitsform hast du mehr Bürokratie, mehr auf Armlänge erzählt, als du gebrauchen kannst.
Zum ersten Mal habe ich unser Haus verlassen. Ich konnte nicht länger in die schwebende Kugel hineinsehen.
Das schließt irgendwie null aneinander an.
Auch seltsam, weil er - wie vorher auch - die restlichen Teile des Hauses nutzen könnte. Bislang hatte er das Zimmer ja auch gut ignorieren können.
Ein ganz normaler Tag in Bayview. Menschliche Silhouetten im Hitzeflimmern winken mir zu. Wind hebt tanzenden Glitzerstaub von den Dünenspitzen. Die Fenster des Navigationsturms schillern wie ein riesiges Käferauge. Vielleicht sollte ich dorthin gehen. Vielleicht ist dort wirklich noch jemand. Theodor, der verwegene Bayview-Ranger und der letzte seiner Art, meldet sich zum Dienst.
ImA ist dieser Tonfall, dieser Stil und diese Erzählhaltung etwas, das sich durch den gesamten Text ziehen müsste. Ich hab fast den Eindruck, die stärksten Sätze wären die, die du als Kitt, als Erklärungen oder so dazwischengeschoben hast. Mein Eindruck, wie gesagt. Das sind so gute, klare Stellen, das hat auch eine eigene Sicht, auch Poesie, auch Drama. Das klingt, als wärst du ein mal im Kopf der Figur, nicht in deinem, der die Figur beschreibt.
Dann höre ich ein Geräusch unter der Stille.
Englisch gedacht ? So geht das auf Deutsch nicht.
Dann höre ich ein Geräusch unter der Stille. Ihren weit entfernten Ruf. Wenn ich auf die salzverkrustete Einöde hinaus laufe, wird er lauter. Ein seufzender Singsang, als besäßen sie echte Stimmen. Das ist ihre Form der Kommunikation. Ich denke, ich weiß jetzt, was meine beste Option ist. Streng genommen ist es meine einzige Option, aber das interessiert mich nicht. Ich bin schon immer sehr neugierig gewesen. Irgendwann werden sich die Poren der neuen Erde öffnen und aufbrechen, was darunter liegt.
Bei so wichtigen Schlüsselmomenten nicht zu viel quatschen. Das ist doch ein ganz wunderbarer Abschluss sonst.
Milliarden Köpfe werden sich aus dem Sand strecken und mit ihrem Tanz beginnen. Solange folge ich einfach dem leisen Weinen der Würmer.
Ich bin zwiegespalten. An sich mag sich starke Erzähler, die mal Aussagen treffen, bissl Pathos. Das mit dem Tanz ist aber eine Genre-Phrase und davon war vorher ja nie die Rede. Dann hast du zwei Sätze mit gleicher Funktion, aber mit Inhalten, die irgendwie nix miteinander zu tun haben; da werden zwei völlig andere Bilder entworfen. Ich plädiere, nur den letzten Satz zu nehmen, den davor zu killen.

Sorry, das war (wie so oft) wesentlich länger als geplant. Ich hoffe sehr, du kannst damit was anfangen. Arbeite an deinen Texten, irgendwann löst sich der Knoten.

Edit: Nachdem mir die Geschichte im Kopf rumging, fiel mir ein, dass du zwei gewichtige Dinge erzählst: das Verschwinden der Eltern (womit der Text beginnt) und die Veränderung der Schwester (gleich zweite Nennung im Satz). Ohne den Verlauf der Geschichte zu kennen, hab ich das Drama auf die Eltern gelegt, was der Text auch eine Weile bedient (gegenseitig trösten), aber dann eigentlich gar nicht angemessen behandelt wird. Vorschlag (nur ne Idee, natürlich): Was. wenn die Eltern einen Reisegrund vorgeschoben hätten? Etwas ganz Dringendes, und man wüsste, die Kids - oder eines zumindest - sind groß genug, ein paar Wochen auf sich selbst aufzupassen? Sodass die Abwesenheit schmerzlich wäre, und dann auch zweifelhaft, weil zu lange andauernd, aber noch so, dass dies nicht ein Megadrama ergibt. Dann ist das bisschen unheimlich, und die könnten sich ja auch trösten - aber nicht gleich über sowas wie den Tod oder das endgültige Verlassensein, wofür die einfach nicht traumatisiert genug sind. Dann würde sich der Text von einer beunruhigenden Situation langsam zu dem entwickeln, was ja das (imA) eigentliche Drama wird: die Veränderung der Schwester und letztlich der Welt.

Vom Ende der Geschichte aus gesehen finde ich es nicht mehr seltsam, dass die Schwester aus dem Haus geht und den Raum unverschlossen lässt, sondern sehr konsequent und interessant. Ich interpretiere es so: Ihre 'neue' Seite möchte, dass der Bruder die Maschine entdeckt und wird wie sie; aber ihre menschliche Seite möchte daran nicht aktiv beteiligt = Schuld sein. (Ich gehe davon aus, dass ihre Veränderung mit der Maschine = dem Wurmloch zusammenhängt und nicht mit der Nahrung, sonst hätte es ihn zeitgleich getroffen). Falls ich richtig liege, ist das ein super schönes, subtiles Detail.

Du löst hier sehr viel besser, als z. B. Emily John St. Mandel es in ihrem Station Eleven gelöst hat, immerhin ein Buch, das einige wichtige Phantastikpreise abgeräumt hat. Du machst nämlich etwas aus dem entworfenen Setting, du hast in einer spekulativen Geschichte einen spekulativen Konflikt (das missachten Autoren viel zu oft), du verhedderst dich nicht in Subplots oder in zu extensiv zwischengeschobenen Erinnerungen / Flashbacks.

Auch löst du etwas, das in SF oft ignoriert wird: Die Romane haben zwei Bezugspunkte: unsere Realität jetzt sowie den den direkten Punkt der erzählten Zeit - heute und XY Jahre in der Zukunft. Dann wird aber nur etwas an diesen beiden Punkten erzählt, es gibt nichts, was die Protas in der Zwischenzeit geprägt hat, keine neuen Rituale, Moden, Kunst, nicht mal Erinnerungen, die aus der Zwischenzeit stammen. Du hast mit dem Mobile und dem Rollenspiel aber genau sowas erfunden. Ich bekomme einen Eindruck, dass der Autor auch die Zeit seit der Veränderung im Kopf hat, nicht sich-beim-Leser-einschleimend ständig Bezüge zum realen Hier & Jetzt setzt.

Die Grundidee ist auch konsequent, da stimmt alles und das ist auch total spannend und schön, und so nix, was ich schon mal gelesen hätte. ImA sollte das nur etwas sauberer rausgeschält werden. Mein Nölen ist wirklich 100% Ansporn.

Lesetipp zu diesem 'Genre': Harlan Ellison - Deathbird Stories. Da könntest du von profitieren, schau mal, wie der löst, was ich hier kritisiere (und lobe). Grandioses Buch auch.

Herzliche Grüße, bleib dran!
Katla

 

Hallo @Katla
Hallo @zigga

Ich hab mich noch gar nicht für eure Kommentare bedankt ... Das tut mir leid! Die waren echt extrem hilfreich, sehr wohlwollend und ausführlich. Werde mich sehr gerne revanchieren. Ich bin momentan daran, die Geschichte komplett neu aufzuziehen bzw. sie neu zu schreiben. Ihr habt euch echt Mühe gegeben und ich möchte der Geschichte dieselbe Sorgfalt bei der Überarbeitung widmen. Ca. die Hälfte habe ich bereits geschafft, bin aber gerade bisschen stuck. Aber es wird schon noch. Ich melde mich ausführlich bei euch, sobald ich das geschafft habe! Vielen herzlichen Dank und ich hoffe ihr verzeiht mir mein Berner Schneckentempo.

Ihre 'neue' Seite möchte, dass der Bruder die Maschine entdeckt und wird wie sie; aber ihre menschliche Seite möchte daran nicht aktiv beteiligt = Schuld sein. (Ich gehe davon aus, dass ihre Veränderung mit der Maschine = dem Wurmloch zusammenhängt und nicht mit der Nahrung, sonst hätte es ihn zeitgleich getroffen). Falls ich richtig liege, ist das ein super schönes, subtiles Detail.
So hab ich's mir gedacht. Schön das Du es rauslesen konntest.

Lesetipp zu diesem 'Genre': Harlan Ellison - Deathbird Stories. Da könntest du von profitieren, schau mal, wie der löst, was ich hier kritisiere (und lobe). Grandioses Buch auch.
Ich habe letztes Jahr 'Ich muss schreien und habe keinen Mund' gelesen. Da hat mir echt jede Geschichte supergut gefallen (bis auf 'Der Mann, der Christoph Kolumbus an Land ruderte', mit der werd ich einfach nicht warm). Danke für den Tipp!

Bis bald,
d-m

p.s.: Da hab ich mir echt ein paar peinliche Sachen geleistet, z.B. beim Titel oder das der Junge "neugierig" ist, wtf :sconf:

 

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