Der 99. Geburtstag
Er öffnete das Fenster mit einem Taschentuch, das er sofort in seine Hosentasche steckte, nachdem er das Fenster geöffnet hatte. Sein roter Pullover, seine braune Jeans und sein dunkelblauer, offener Mantel wurden durch das dämmrige Licht dunkel gefärbt. Wie erwartet lagen die Schlüssel zu Browns Arbeitszimmer auf dem Küchentisch. Der alte Brown würde auf der Stelle tot umkippen, wenn er erfahren würde, dass seine treue Köchin Magda Welsh an dem heutigen Geschehen nicht unbeteiligt gewesen war. Leise waren die Stimmen aus dem Nebenzimmer zu hören. Neunundneunzig Gäste hatte sich der alte Brown, mehrfacher Millonär dank hervorragenden Aktiengeschäften, zu seinem 99. Geburtstag eingeladen. Lange würde er es nicht mehr tun, sagte Magda immer. Vorsichtig schloss er die Tür hinter sich wieder zu als er die Küche verließ und die Treppen zur oberen Etage hochstieg. Teure Gemälde hingen an den Wänden und er, Konrad Welsh, konnte seinen Blick nicht von ihnen reißen. Das Arbeitszimmer war natürlich verschlossen. War nicht anders zu erwarten gewesen. Wo hatte Magda noch gleich gesagt, wo der alte Sack seine Schlüssel aufbewahrte? Er hatte keine Zeit, lange zu überlegen und ging einfach in Browns Schlafzimmer. Er kannte das Haus gut genug, dank Martha. Er wusste, dass das Schlafzimmer genau gegenüber dem Arbeitszimmer lag.
Vorsichtig betrat er den unverschlossenen Raum und tastete sich in dem Dunkel voran. Angewidert packte er an den nikotingelben Schalter um das Licht anzuknipsen. Nun ging die Sucherei los. Die erste Suche verlief erfolglos. Der Alte hatte weder unter seinem Kopfkissen, seiner Bettdecke noch in seiner Schlafkommode irgendwelche Schlüssel. Vielleicht war er nachlässig. Er versuchte es im Schrank. Eine grüne Jagdmütze polterte auf den Boden als er ihn öffnete. Welsh untersuchte alle drei Jacken und wurde in der letzten fündig. In einer blauen Tweed-Jacke waren ein Schlüssel sowie ein ganzer Schlüsselbund. Zunächst wollte er den einzelnen Schlüssel ausprobieren. Er ging über den Flur zum Arbeitszimmer und probierte ihn aus. Erfolglos. Als er gerade auf Höhe des Bettes angekommen war, vernahm Welsh Stimmen auf dem Gang. Hoffentlich war das nicht der alte Brown, der seinen Gästen sein Haus zeigte! Doch es war nur eine Person. Sofort bemerkte die junge Blondine den gutaussehenden Mann Ende dreißig am Ende des Bettes stehen. Sie war nicht sein Typ. Schnell hatte er sie überwältigt, ohne dass ein Geräusch nach draußen gedrungen wäre. Als er sie mit dem Gürtel des alten Brown gefesselt hatte, überlegte Welsh, wie er sie auf Dauer ruhigstellen konnte, ohne sie zu töten. Er entdeckte Schlaftabletten auf der Nachtkommode und zwang die Blondine, eine Tablette ohne Wasser zu schlucken. Die junge Frau lies die Tablette auf der Zunge zergehen, ehe sie zusammenbrach und auf das leere Bett fiel. Jetzt hatte Welsh Zeit, um die einzelnen Schlüssel des Schlüsselbundes auszuprobieren. Erst der drittletzte passte in das Schloss zum Arbeitszimmer zur großen Freude des nächtlichen Einbrechers, der fast an die Decke gesprungen wäre, als er wieder eine Stimme auf dem Flur hörte. ,,Wo bist du?", fragte sie, eine tiefe weibliche Stimme. Die Person bemerkte, dass die Tür zum Arbeitszimmer nur angelehnt war und trat ein.
Zuerst bekam Welsh die Pistole zu Gesicht. Dann sah er sie. Magda hatte ihre Kochschürze umgebunden und lächelte scheu. Er wandte sich dem Wandtresor zu und öffnete ihn mit den Schlüsseln, die Magda Brown vor einigen Tagen gestohlen hatte. Es lagen zweierlei Dinge in dem Wandtresor, der versteckt unter einer originellen Fälschung der Mona Lisa lag. Einmal das Geld: Siebenundzwanzig Millonen Euro. Und einmal das Testament. Welsh konnte nicht anders und warf einen Blick drauf. Er stockte als er sah, wer als Haupterbin eingesetzt war: seine Frau Magda.
,,Du solltest wissen, dass Brown von seinem Arzt noch höchstens drei Wochen bekommen hat!", flüsterte sie. Dann schoss sie.