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Der eiserne Zyklop

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01.05.2009
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Der eiserne Zyklop

Nässe rinnt die Tunnelwände herab, tropft von der Decke auf rußgeschwärztes Eisen. Die Zugmaschine ist von öligen Verbrennungsrückständen überzogen wie von einem stacheligen Pelz, zwei Scheinwerfer ihres Dreilichtes sind zersplittert. Hinter ihr ragen Metallstreben der ausgebrannten Waggons wie zerborstene Rippen in die Dunkelheit. Ein Tunneleinsturz hat ihr das Rückgrat gebrochen und die hintersten Wagen zerschmettert unter Tonnen von Gestein begraben. Pt 47-65 steht direkt hinter dem Tunnelausgang, vor ihr überwuchern Gräser und Flechten die Gleise, neigt sich ein Birkenwäldchen im Wind. Die Lokomotive wartet. Im Dämmerlicht glimmt ihre rechte Lampe auf wie ein verirrter Glühkäfer.


Als Janek Żagań ins Büro des Bahnhofsvorstehers gerufen wurde, schlug sein Herz vor Freude schneller: Er wird eine Prämie bekommen, eine Auszeichnung für fünfundvierzig Jahre im Dienst der Eisenbahn. Vielleicht den Vorruhestand, worauf er sich in seinem Geburtsort am Fuße des Tatra-Gebirges eine kleine Hütte suchen und den Lebensabend in der Nähe seiner ersten Dienststelle verbringen würde. Er riss die Tür auf ohne anzuklopfen und stürzte ins Büro.
Der Vorsteher jedoch sah ihn ernst an. „Janek, alter Kollege“, seufzte er. „Die Stelleneinsparungen, Redundanzen … Nun, um es kurz zu machen: In Wolsztyn benötigt man einen Gleiswächter, aber hier … Es tut mir leid.“
Den Namen des kleinen Bahnhofs hatte Żagań nie zuvor gehört und der Gedanke daran, die letzten vierzehn Monate seines Dienstes an einem solch entlegenen Ort zu verrichten, erfüllte ihn mit Hoffnungslosigkeit. Er löste seinen bescheidenen Hausstand auf, ließ ein paar Möbel und Gebrauchsgegenstände verladen und bestieg den Zug. Wolsztyn – Stara Kopernia stand als Ziel auf dem Laufschild.

Entgegen seiner Befürchtungen erwies sich nicht nur der Bahnhof, sondern auch sein abseits gelegenes Wächterhäuschen als heimelige Einöde, die Kollegen nahmen ihn überaus freundlich auf. Die Halbtagsstelle erlaubte es, seine Behausung zu renovieren, und er fand sogar die Zeit, ein ungenutztes Nebengleis, das davor entlangführte, von Grasbewuchs und Rost zu befreien. Mit seinem geschlossenen Stellwerk und der eingleisigen Strecke, auf der alle paar Tage ein Zug durchfuhr, hatte der neue Gleiswächter nicht viel zu überwachen – und dennoch hielten er und seine Kollegen mit viel Liebe alles so in Schuss, wie es einem Hauptbahnhof zur Ehre gereicht hätte.

Als die ersten diesigen Herbsttage anbrachen, Nebel ins Tal kroch, entfachte Żagań Feuer in einer ausgedienten Öltonne, setzte sich mit einem Starka oder Dunkelbier zu den alten Bahnwärtern, Lokführern und Heizern, lauschte ihren Heldentaten und Schauermärchen, nickte gelegentlich dabei ein und wurde so – ohne es zu merken – ein stummer Teil ihrer Legenden.
„Nicht mehr lange“, pflegten sie zu sagen. „Nicht mehr lange und auch diese Station wird geschlossen, die Strecke dem Vergessen anheimfallen. Nur noch die dunklen Hänge der Schlucht werden über die verlassenen Gleise wachen.“
An diesem Abend erwähnte der alte Lokführer beinahe flüsternd eine katastrophale Kollision, die sich auf dem Streckenabschnitt unweit von Żagańs Häuschen ereignet hatte: Vor zehn Jahren war ein voll besetzter Passagierzug in einen Güterwagen gerast – ein falsch gesetztes Signal hatte das Nebengleis freigegeben, auf dem der Passagierzug rangierte. Beide Lokomotiven wurden vom Aufprall von den Schienen geschleudert, dann ließ die Gasbeleuchtung alles in Flammen aufgehen. Es gab fast einhundert Tote, die Aufräumarbeiten dauerten mehrere Wochen und nur eine der beiden Loks konnte wieder eingesetzt werden. Die andere – schwarz verrußt und vom Inferno gleichsam skelettiert – wurde in einem aufgegebenen Tunnel untergestellt. Die Bahnleitung hatte verlauten lassen, man wolle die Lok restaurieren, zumindest ihr Eisen einschmelzen, doch die Arbeiten wurden nie begonnen. Schließlich brach ein Tunnelabschnitt ein und die Stadtverwaltung hielt es für das Beste, den Zug der Vergessenheit anheimfallen zu lassen. Nachdem der Lokführer geendet hatte, wurde nicht wie üblich der Starka herumgereicht, die Männer saßen in tiefem Schweigen da, jeder seinen Erinnerungen nachhängend. Żagań wurde angesteckt von dieser Trauer und den lebendigen Bildern der Katastrophe, die der Bericht in ihm heraufbeschwor. Er bedankte sich schließlich leise beim Erzähler, legte ihm die Hand auf die Schulter und verabschiedete sich zur Nacht.

Żagań hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, in der Dämmerung an den Schienen entlang nach Hause zu laufen und dort – in einen Wintermantel gewickelt – auf einem Streckenstein eine Pfeife zu rauchen. Die Geschichten der alten Eisenbahner setzten sich immer stärker in seinem Gemüt fest. Er ließ seinen Blick über die Hänge schweifen und meinte, weit über sich einen Feuerschein auszumachen, der den Dunst rötlich färbte und den Wald als Silhouette hervortreten ließ. Als er ins Häuschen eilte, um sein Fernglas zu holen, erlosch das seltsame Licht.
Żagań verließ die Kollegen am folgenden Nachmittag unter einem Vorwand und legte sich auf die Lauer. Er wurde belohnt: Wieder glühte der Abenddunst wie von einer Lohe und der alte Streckenwärter meinte, hinter dem Feuerschein eine Höhle ausmachen zu können. Lange fand er keinen Schlaf und plante, am nächsten freien Tag eine Wanderung den Hang hinauf zu unternehmen – dort oben musste einfach die verunglückte Zugmaschine stehen! Es gab keine natürliche Erklärung für dieses Phänomen, so spät im Herbst, mit Feuchtigkeit und Nebel. Was, wenn die Vergangenheit ihn heimsuchte wie ein Gespenst? Er mochte sich schelten, dass die Legenden der Eisenbahner seine Phantasie beflügelten, wie Seemannsgarn die Schiffer ängstigen mag. Und doch konnte er es kaum erwarten, den Berg nach verlassenen Schienensträngen und dem aufgegebenen Tunnel abzusuchen. Seinen Kollegen gegenüber verschwieg er seine Gedanken.

Am Samstagmorgen rüstet sich Żagań mit Rucksack, Lampe und Fernglas aus, immer den Hügel im Blick, mögliche Spuren einer ehemaligen Strecke, die sich durch ihre menschgemachten Linien offenbaren müssten. Er rechnet den Vormittag für den Aufstieg ein, doch schreitet er so zügig aus – getrieben von der Hoffnung, die geheimnisvollen Überbleibsel der Katastrophe zu finden –, dass er bereits nach zwei Stunden auf einen überwucherten Schienenstrang stößt. Das verrostete Metall führt den Hang hinauf, und in den Lücken, wo Schrotthändler die Gleise abmontiert haben mussten, weist ihm eine Schneise die Richtung. Er ist sicher, der Unglückszug rufe ihn – nur ihn, denn die Kollegen, die die Kollision selbst gesehen hatten, erwähnten keinen verdächtigen Feuerschein oben am Berg. Żagań flüstert zu sich selbst: „Sie alle eint dieses Unglück, nur ich, der nun zu ihrem Kreis gehört, habe es nicht gesehen … Dies ist nicht irgendeine Strecke, die bald aufgegeben, demontiert und verlassen sein wird, und die Stara Kopernia nicht irgendein Tal, das verödet daliegen wird, nur noch vom Wind und dem Regen besucht. Der Platz und der Zug sind eins, und sie wollen in den Köpfen der Menschen fortleben. Oder … sie suchen sich die alten Eisenbahner, mit denen sie endlich sterben können.“ Er ist so versunken in seinen phantastischen Theorien, dass er beinahe über einen Birkenast gestolpert wäre, der über den Schienen liegt.

Hinter schlanken Baumstämmen und Wildgras klafft dunkel der Tunnel. Und schwarz vor dem Schwarz kann Żagań die Umrisse einer Zugmaschine erkennen.
Er stürzt vorwärts, wirft Rucksack und Kompass ins Gras, reißt im Laufen die Lampe aus der Manteltasche – und hält inne. Vor ihm ragt das eiserne Ungeheuer auf: ein kurzer Schlot, Rauchkammer, Schneeräumer, zwei massive Pufferteller und über allem liegt – wie eingebrannt – eine dicke Schicht Ruß. Żagań hebt die Hand und legt sie ehrfürchtig an das Metall. Erst nach einer Weile meint er, Erlaubnis zu erhalten, den Tunnel zu betreten und seine Laterne anzuschalten. Er wagt es kaum, hörbar aufzutreten, als er sich am Kessel vorbeischiebt. Im Führerstand sind alle Fenster zerborsten, die Kabine gähnt dunkel wie ein verlassener Bunker, ebenso lichtlos wie der eingestürzte Tunnel dahinter. Żagań entzündet seine Laterne, klettert den steilen Tritt hinauf und leuchtet den engen Raum ab. Durch die Fensterhöhlen streicht feuchtkalter Wind, trägt den Duft des Birkenwaldes mit sich, den regennasser Erde und etwas, das ihn an verzweigte Höhlensysteme erinnert: Mineralien und kalkiges Kondenswasser. Über allem aber liegt der Geruch öligen Rußes, verbrannten Holzes, verschmorter Leitungen. Rußpartikel tanzen im Lichtkegel, möglicherweise von seinen Schritten hochgewirbelt, denn er hat weder Rahmen noch Wände berührt. Żagań hustet, schmeckt Asche. Er hebt die Laterne höher, für einen Moment überzeugt, etwas außer ihm müsste die winzigen Metallplättchen abgestreift haben.

Alles, was im Führerstand noch zu erkennen ist, sind die Rahmen eines Sitzes, Schraubventile und Schalthebel. Auf dem Boden liegt undefinierbares Gerät, zerbrochen, geschmolzen, zu bizarren Formen verdreht. Er wendet sich dem Kohlenkasten zu, von dessen Klappe nichts zu sehen ist. Beugt sich vor, als etwas Helles im Lampenschein aufleuchtet. Er hängt die Laterne an ein abgebrochenes Scharnier und kniet sich vor die Öffnung: Inmitten von kalzinierten Briketts liegen lose Papiere – fast alle sind verbrannt, doch einige nur verfärbt. Er hält kurz inne, bevor er eines davon mit den Fingerspitzen aufnimmt und herauszieht. Es wird doch niemand den Aufstieg zum Tunnel unternommen haben, um ein Tagebuch oder Briefe zu verbrennen, fragt er sich selbst und schilt sich gleichzeitig einen Narren. Andererseits: Papier hätte keine Feuersbrunst überstanden, die ganze Holzwaggons auffraß. Behutsam hebt er das aschfarbene Blatt zum Licht, erkennt eine alte Handschrift, ihre Tinte so schwarz, dass er einige Worte sogar an den verkohlten Stellen entziffern kann: der Antrieb … sonderbar … violett … eine Kraft reißt alles mit sich …
Das Papier zerbröselt unter seinen Fingern und driftet zu Boden. Żagań befreit vorsichtig ein weiteres. Vaters Beerdigung …nd die Soldaten … so viel Blut … wie ein Kugelblitz durchschlä… Mehr ist nicht zu erkennen. Er legt das gewellte Blatt sorgfältig zur Seite, hebt ein drittes hoch. …das Mädchen darf nicht … Herberge … Steinhaven … die Brücke über dem Tal soll nicht … Florek und das Ande…
Die Laterne flackert. Erlischt.
Der alte Bahnwächter zieht sich an einem Ventil hoch, wischt sich schartige Metallsplitter am Mantel ab und klettert die Stufen hinunter aufs Gleis. Das Herz hämmert ihm gegen die Rippen, er bekommt kaum Luft und fühlt doch einen Zwang, keine Furcht zu zeigen. Nicht aus dem Tunnel ins Freie zu stürzen und hinunter ins Tal. Draußen erwartet ihn kein Tageslicht, sondern das Indigo der Abenddämmerung. Wind peitscht die Äste, trägt ein leises Heulen und Pfeifen aus dem Tunnel. Żagań stolpert, fällt auf die Knie. Als er sich wieder aufrichten will, sieht er eine Reflexion von den Schienensträngen aufblitzen. Er schaut auf – die rechte Lampe der Lokomotive glüht aus der Dunkelheit hervor. Der schwache, gelbe Schein wird gleich darauf verdunkelt von dichten Schwaden, die an der Zugmaschine vorbei aus dem Tunnel rollen. Żagań hustet, kriecht auf Händen und Knien rückwärts, gebannt von der geisterhaften Erscheinung und beinahe überzeugt, einer Halluzination zu erliegen.

Aus der Tiefe des Tunnels glüht oranger Feuerschein und hebt die Lok als Schattenriss hervor, das Fauchen und Tosen eines Infernos schluckt alle anderen Geräusche, eine Hitzewelle kräuselt das hohe Gras. Bevor Żagań aufstehen, weglaufen kann, schießt eine Flammenzunge über die Zugmaschine hinweg nach draußen, leckt am Tunnelbogen und den Bäumen darüber. Im Innern birst Stein, Eisen knirscht und knackt, Hitze entzündet das Rauchgas, lässt die Rußwolken schwarz und rot-orange aufglühen. Der alte Eisenbahner sieht noch, wie eine Dampfwolke aus dem Schlot der Lok schießt, sich vor der Lohe in die Höhe schraubt, dann wirft er sich flach aufs Gleis, die Arme über den Kopf gelegt. Er meint, über dem Grollen des Feuers Metall auf Metall schlagen zu hören – wie Stangen an Kolben, dann erbeben die Schienen unter ihm.

 

Hallo Katla,

hab da kein Problem mit Deinen "Reaktionen", es wird immer nur eine Annährung sein zwischen Autor und Leser, niemals eine 100%ige Deckung. Jeder hat seine Sicht auf die Dinge; wäre es nicht so, wir hätten wohl nie Sprache und Schrift erfahren. Danke für Deine ausführliche Antwort.
Liebe Grüße - Detlev

 

Hallo @Detlev ,

alles klar, das freut mich zu hören. Und ganz herzlichen Dank noch mal für deine Rückmeldung. :gelb:

Liebe Grüße aus dem Norden,
Katla

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Willibald,

ich freue mich sehr über deinen Gegenbesuch, ganz herzlichen Dank. :gelb:

die offensichtlich schon ihre Druckvollendung erlebt haben dürfte.
Fast, ich sehe grad 300 Seiten Satzlauf durch (und finde immer noch Zeugs :heul:).
Kein Text ist je fertig, egal, ob gedruckt oder nicht ... man muss wohl nur irgendwann pragmatischerweise loslassen. :shy: An dem Punkt bin ich noch nicht.
Das Problem der Wahrscheinlichkeit wurde schon angesprochen: Warum kennt der Protagonist das mächtige Ereignis nicht, das vor zehn Jahren ?
Wieviel % Wahrscheinlichkeit braucht Fiktion? Keine, es muss nur im gesetzten Rahmen möglich sein und darf nicht vollkommen entgegen der Charakterisierung laufen.
Zum einen kommt mein Prota nicht aus der Region, zum anderen kann es Ereignisse in seinem Leben oder im Weltgeschehen (1. WK) gegeben haben, die ihn stark beschäftigten.
Häuschen
:sconf: Dachte ich auch, das hatte mir der liebe @Hanniball aber so korrigiert.
Der Korrektor des Verlags hat nicht gezuckt, aber mir kommt das auch super spanisch vor. Habs jetzt wieder zu Häuschen zurückgeändert (das kam ja grad noch zur rechten Zeit). Vielen Dank!

Hierbei ...

Ist dieses poetische Raunen wirklich im Eisenbahner-Code zu verorten?
und hierbei
Auch hier das Problem der Stilhöhe in der Rede des Prot ("eint"), vor allem in dem langen Relativsatz.
... muss ich mich bissl zusammenreissen, um jetzt nicht in einen rant zu verfallen, der auch nur zum Teil mit meinem eigenen Text zu tun hätte, aber ich habe eine Allergie gegen den Ruf nach Repräsentation in Fiktion. Dieser Text soll nicht die historischen / realen Eisenbahner im Polen der 1920er repräsentieren.

Er ist als Grabinski-Pastiche angelegt, und soll der Art & Weise und der Sicht / Stimme folgen, mit der Grabinski in den 1920ern seine vierzehn spekulativen Eisenbahngeschichten schrieb. Dabei nehme ich stark an, dass auch er keine Repräsentation der polnischen Eisenbahner seiner Zeit schreiben wollte. Sondern literarische Figuren, die zum einen realistische psychische Zustände erleben, zum anderen aber auch symbolisch verkörpern.
Ich kann nicht mal in Ansätzen schreiben wie Grabinski, daher mag es gut sein, dass sich bei meinen vergleichsweise unzulänglichen Texten Fragen zur Authenzität / Repräsentation stellen, die man dem Original nie stellen würde. Damit kann (muss *gn*) ich leben.

Ich sehe die unbedingte Repräsentation realer Identitäten in Fiktion als etwas, das - zusammen mit Deep Point of View - einige postmoderne Prosawerke schlichtweg unlesbar macht. Es macht Texte starr und sehr 'wortwörtlich'. Sie werden schnell klischeehaft, weil soziale oder sonstige Gruppen (Berufsgruppen) keineswegs homogen sind.
Worauf es mir ankommt (und ich will nicht behaupten, dass mir sowas immer gelingt), ist, dass eine Figur innerhalb ihres jeweiligen fiktionalen Rahmens funktioniert und in sich folgerichtig dargestellt wird. Wenn ich darin gescheitert sein sollte, ist das natürlich ewas anderes, so hab ich deinen Komm aber nicht verstanden.

That said: Ich hab keinen Plan von Eisenbahnern in- oder außerhalb Polens. Aber massig Tagebücher / Memoiren von Matrosen und Schiffsjungen der gleichen Zeit gelesen bzw Interviews in Archivfilmen gehört. Das waren u.a. Leute mit vergleichbarem Bildungsstand wie meine Protas und ihre Sprache ist weder grob noch im Slang gehalten, sondern es sind extrem poetische, feinfühlige, aufmerksame Beobachtungen bzw. Emotionen. Die ich heute von Leuten in den selben Berufen höre.
Irgendwie besonders grob zu formulieren, nur weil es ggfs. um Nicht-Akademiker geht, halte ich daher für äußerst heikel, und mich kicken entsprechende Dialoge oft total aus dem Text (zumindest, wenn es eben keine own voices sind). Mein absolutes Negativbeispiel wären die KGs von Bram Stoker. Letztlich kann das auch ganz schnell klassistisch wirken - also das Gegenteil von dem, was es erreichen sollte.

Der Prot ist hier allein, das "flüstert zu sich selbst" holpert ein wenig.
Ich weiß, was du meinst. Mir geht es tatsächlich um den Unterschied zwischen dem Mitsichselbstreden, das eine nicht anwesende Person / Entität adressiert oder das bewusste sich selbst ansprechen (das noch einen Tick schrulliger ist). Daher lasse ich das mal.
verlassen sein wird KOMMA
Au weia, klar.
Mit Friedel meine ich, dass hier Konjunktiv I recht gut passt. Ein Irrealis nach "ist sich sicher" ist eher unwahrscheinlich.
Das mag daran liegen, dass du einen personalen Erzähler siehst, wo er auktorial mit personalen Anflügen ist. (Ein personaler hätte z. B. das Intro nicht erzählen können.) Mein eingeschränkter auktorialer Erzähler kann nur in den Kopf des Protas schauen. Aber er hat auch eine eigene Position, die sich vom Prota unterscheidet: und berichtet, dass der Prota glaubt, dass etwas so wäre, der Erzähler selbst das aber nicht als realistisch ansieht und es daher in Konj. II wiedergibt.
Die Erläuterung dazu geht heftig ins Linguistische oder ginge oder würde gehen...
Oh, try me. Das hätte mich durchaus interessiert, weil ich das mal studiert hab (Anglistik). Gegenüber einem aktuell Studierenden bin ich aber sicherlich massiv eingerostet.
Die Variante "keinen anderen/niemand anderen würde der Zug rufen" ist auch gut möglich
Nee, denke ich nicht - 'würde' wäre hier nur die Option, um den Konj. II von der Vergangenheitsform abzuheben, ich schreibe an der Stelle aber bereits im Präsens.
und von etwas (?), "Duft" passt hier in der Fortsetzung von "trägt" nur bedingt, aber ein anderes Akkusativobjekt, z.B. und die Ausdünstung von etwas, das ihn ...
Hm, von finde ich nicht schön.
Eigentlich müsste das gehen:
Durch die Fensterhöhlen streicht feuchtkalter Wind, trägt den Duft des Birkenwaldes mit sich, den regennasser Erde und (...)
Das ist ja nur eine Ellipse: trägt den Duft des Birkenwaldes mit sich und [trägt den Duft] regennasser Erde mit sich.
Durch die Fensterhöhlen streicht feuchtkalter Wind, trägt (...) etwas, das ihn an verzweigte Höhlensysteme erinnert:
Trägt etwa
s ohne ein mit sich kann man sicher als zu bildhaft / physisch kritisieren, aber zu sagen der Wind trägt den Duft von einem Birkenwald mit sich wäre doch super ungelenk, doppelt gemoppelt. Ich möchte gern eine Form, die ich für die ganze Reihe verwenden kann, ohne gegen Ende noch mal neu anzusetzen.
Etwas anderes als er
Ja, über den Satz stolpere ich selbst, weil das Anklänge an außer sich sein hat. Ich habs letztlich so gemacht, weil etwas anderes imA zu stark suggeriert (und sei es reine fuzzy logic), dass da etwas paranormal Physisches ist, und außer ihm klingt für mich freier. Vermutlich spinne ich nur und ändere das näxte Woche wie vorgeschlagen. :lol:

Ich quatsche mich noch mal um Kopf und Kragen ... Wenn ich schreibe, was ich bei dem Text vorhatte, will ich dir nicht erklären, wie du ihn bitte zu lesen hättest, und schon gar nicht deine Einwände vom Tisch wischen. Ich lerne einfach am besten, wenn ich Kommentare noch mal auseinanderdrösel und im Detail hin- und herwende. Ich freue mich jedenfalls riesig über jede Rückmeldung, die mich zwingt, mir über das Gedanken zu machen, was ich da eigentlich so anstelle. :)

Ganz herzliche Grüße und dir ein schönes Wochenende,
Katla

 

W.: Lieber@Friedrichard

ich ahne, was Du hier meinst, aber könntest Du...?


wobei der glückliche Fall „riefe“ Prät. oder Konjunktiv II sein kann (und auch ist, als ein „als ob ...“ - und somit nicht die Bohne mehr mit der Zeitenfolge zu tun hat)
Gerne, lieber Willibald!

Die Feststellung des Konj. II bezieht sich auf diesen Absatz

Das verrostete Metall führt den Hang hinauf, und in den Lücken, wo Schrotthändler die Gleise abmontiert haben mussten, weist ihm eine Schneise die Richtung. Er ist sicher, der Unglückszug riefe ihn – nur ihn, denn die Kollegen, die die Kollision selbst gesehen hatten, erwähnten keinen verdächtigen Feuerschein oben am Berg. Żagań flüstert zu sich selbst:
der aus Vermutung („ abmontiert haben mussten“) und – m. E. eindeutigem Konj. irrealis („ der Unglückszug riefe ihn …“), denn soweit ich weiß, besteht der „Ruf“ einer Lok bestenfalls aus einem Pfiff.

Der Konj. II – ob irrealis oder potentialis, Jacke wie Hose, wird aus dem Prät. des entsprechenden Verbes gebildet (zB: fahren, fuhr Konj. II = führe), was nicht immer zu einer eindeutigen Lösung führt, wenn wie eben bei rufen keine Umlautung stattfinden kann, Prät. „rief“, die Lösung für Konj. II ist der Auslaut auf „e“, „riefe“, was nicht jeder Leser sofort begreifen wird - sehn wir mal von ab, dass der Konj. II gar nix mit der Zeitenfolge zu tun hat, sondern sich von der Aktualität als Potentialität unterscheidet. Um den Stand der Dinge für jedermann sichtbar zu machen, bietet (fast hätt’ ich den Konj. „böte“ gewählt) sich an, ein Hilfsverb zu nutzen und eine zweistellige Formulierung zu wählen etwa „Er ist sicher, der Unglückszug hätte ihn gerufen ...“

Konnte ich -

lieber @Willibald?

Gruß ausm Pott und einen schönen (hier isser't) Sonntag!

Friedel

 
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Hallo @Willibald ,

:eek: halt mich fest! Ich mach mal ein Kreuz in den Kalender für: Da hat jemand ein Stück Sekundärliteratur zu meinem Text geschrieben, das liest sich voll krass. Vor allem, wenn du von mir redest, als wäre ich nicht anwesend, Schlingel. ;)

Boa, hab wirklich ganz lieben Dank, ich kann mir kaum vorstellen, was das für Zeit gekostet hat.

Meine Antwort mixt deine Punkte ein bisschen, ich hoffe, das ist okay.

Zum rufe / riefe (auch @Friedrichard , lieber Friedel):
Ziehe ich mal vor. Da es die Diskussion schon weiter oben im Faden gab und ich nicht möchte, dass noch fünf Leser drüber stolpern, hab ich jetzt aus Goodwill rufe draus gemacht.
Meine Wahl auf K II kam daher, dass der auktoriale Erzähler das sagt und der ist eher skeptisch. Allerdings sehe ich einen Bruch nach dem Intro, nach dem ja auch der Fokus des Erzählers wechselt. Ich nehme im Nachhinein auch an, dass @Hanniball das mit der fehlenden Klammer meinte - die ich gegeben sah, weil der Text mit der Zugmaschine beginnt und aufhört. Allerdings steckt der auktorial-personale Erzähler im Intro mit im 'Kopf' der Lok und dann nie wieder.
Das war geplant, aber von daher lässt sich natürlich zu Recht anzweifeln, ob der Erzähler später wirklich so rationalistisch / skeptisch sein kann. Daher gehe ich auf K I.
Ein Hilfverb kommt mir da nicht in die Tüte. Auch, weil sich das nach genauso viel Skepsis anhört wie das riefe und von daher keine Verbesserung darstellte.

Setzt hier der Er-Erzähler aus dem Off ein solches Signal? Dann ist das eine massive Ausweitung seines Anteiles an der aktuellen Perspektive im Double Voice.
Genau, der Erzähler betont seinen Skeptizismus. So extrem drängelt er sich nicht ein, denn er erzählt selbst als eingeschränkter auktorialer Erzähler (er kann Dinge sehen, die der Prota nicht sehen kann, aber kann nicht in die Zukunft sehen und nur in den Kopf Zagans schauen, in keinen weiteren). Die Perspektive changiert zwischen einer auktorialen und einer personalen Erzählstimme, und das an sich ist kein Fehler, sondern vermutlich die am meisten verwendeten 3. Person-Stimme.
Also keine massive Ausweitung, es ist bissl osmotisch.

Was ich eben sehr hässlich finde (und es gibt Lektoren, die das rauslektorieren), ist ein: XY dachte: Blablabla. Das kommt, wenn der auktoriale Erzähler zwar in den Kopf des Protas schauen kann, aber nicht in dessen Sicht springen darf. Finde ich - mit Ausnahmen abgesehen, wo das absichtlich eingesetzt wird - wirklich grausam. (Auch, wenn ich es nicht hart rauslektoriere, wenn ich in der Position bin.)

Hinzu kommt: Zagans Denken ist logisch präzise und weitgehend vorsichtig.
Ja, genau. Da hab ich einen Kniff versucht, der typisch für die Gothic Tales ist, wie z. B. Le Fanu schreibt: Durch den Erzähler und / oder die Protas wird alles Paranormale geleugnet oder wegdiskutiert, während aber die Handlung selbst das Gegenteil zu belegen scheint oder dies sogar tut.
Ich finde diesen Spannungsmoment extrem interessant und versuche das eben selbst auch öfter.
Andererseits hält er es für "Narrheit", dass die Papierfetzen Überbleibsel der Feuersbrunst sind. Zwei richtige Conclusionen, die zweite dürfte für ihn (und den Leser) die wahrscheinlichere sein.
Hier zum Beispiel. Das ist mir bei dir zumindest aber nicht recht gelungen. Der Prota sagt sich: Das kann ja gar nicht sein - ist die Lok verbrannt, sind die Papiere es auch, zumal die in der Feuerbüchse liegen. In der Geschichte ist es aber so, und das ist ein - vielleicht zu? - dezenter Verweis auf den spekulativen Charakter der Papiere.
Wenn eine Person natürlicher oder besonderer, irgendwie übernatürlicher Art Teil einer Legendenhandlung wird, so verortet unser Welt- und Genrewissen diese Person in einem mirakulösen Umfeld, prototypisch in unseren Dämonen-, Götter-, Heiligen- und Heldensagen oder auch in geschichtlichen Großtaten eines Kollektivs
Jein. Auf Legenden allein bezogen ist das alles natürlich korrekt und super ausgeführt.
Allerdings läuft eine klare Grenze zwischen Legenden und spekulativer Fiktion: Legenden sind Mythen, die Teil der kulturellen Tradition sind und damit gelten sie quasi als 'real'- Spekulative Erzählungen sind Fiktion und gelten nicht als 'real'.
Legenden und spekulative Fiktion beinhalten vllt. die gleichen Figuren, z. B. Drachen, aber die Drachen, die die Christen in den Beowulf und das Nibelungenlied reingesplict haben, sind Legenden - sind wie tatsächliche Historie, die mythenhaft durch die Generationen weitererzählt wird. Während Grendel (und Grendels Mutter) tatsächlich spekulative Figuren im Beowulf sind, die bewusst fiktional gestaltet sind und keinen Mythos darstellen.
Meine 'Legende' hier ist ein Augenzwinkern zu Grabinski (nicht Grabowski, übrigens), der seine Geschichten gern mal untertitelt mit: "Eine Eisenbahnlegende". Im Grunde ist das ein Hinweis auf eine industrielle Mythenbildung der damals aktuellen Zeit.

Zagan wird Teil der Legende, indem er sie hört und im Hören - wie es mit Mythen eben passiert - aufnimmt und evt. später leicht verändert weiterspinnen wird. Legenden und Traditionen sind ja eigentlich lebendig und dem Wandel unterworfen, das hörte erst auf, als erste Volkskundler und Leute wie die Grimms und Lönnroth mündliche Traditionen hörten, editiert / stark verändert bzw. neuerfunden zu Lyrik, Epos oder Prosa abänderten und damit leider festschrieben. In meiner Geschichte meine ich die 'Legende' in dem ursprünglichen - a) vorchristlichen europäischen und b) vor-ethnologischen Sinne, in dem sie lebendige Mythenbildung sind, an der die Erzählenden einen Anteil haben.

Hier aber an dieser Textstelle scheint es so zu sein, dass die Hauptfigur Zagan (Aside: Pseudomonarchia Daemonum, Distrikt Zagan?) bei den entsprechenden Legenden-Erzählungen mit ihm als Trägerfigur schon präsent ist und einschläft.
Hehe, die Stadt. Eine coole, stillgelegte Strecke läuft zwischen Wolsztyn und Zagan. Und mir gefiel der Name.

Aber: Sekunde. Zagan pennt nicht ständig ein und durchschläft nicht komplette Erzählungen. Ich schrieb: gelegentlich. Die erzählen sich da über Wochen hinweg Stories und ab & zu nickt Zagan mal weg. Das heißt nicht, dass er den Großteil des Erzählten oder überhaupt Teile dieser speziellen Geschichte überhört.

Damit ist dann der Legendenbegriff problematisch: Sollten die Eisenbahner rückblickend erzählen und Zagan ist dabei? Ist das ein Versehen des Erzählers?
Auch sehr interessant, aber nein. Die Geschichte läuft chronologisch, und ab einem Punkt an ist sie nicht mehr Rückblick, sondern läuft quasi mit dem Lesen des Lesers zusammen in die Zukunft.
Ist der einnickende Zagan vielleicht in mehreren Zeitebenen kopräsent oder zeitenthoben, nachdem er – der Schluss legt das nahe – gestorben sein dürfte?
Nein, aber wie gesagt, interessante Idee. Er stirbt, aber ist ein realer Mensch und - bis auf sein Ende offscreen - lebendig.
Die Eisenbahner (T1) präsentieren in ihren Gesprächen beim Starka-Wodka und beim Dunkelbier einen sublimen, fast poetischen Code: Verben wie „anheimfallen“, Adjektivattribute in Syntagmen wie „dunkle Hänge“, „verlassene Gleise“ und eine Verbkonstruktion mit einer metaphorischen Wendung „dunkle Hänge wachen über“ schaffen hier eine hochpoetische Sprachebene. Eine Sprachebene, die ein wenig befremdlich wirken kann.
Ich sehe die Befremdlicheit wirklich nicht, sorry. Du ziehst dich ein bisschen am 'anheimfallen' hoch, das ist aber durchaus ein Wort in meinem aktiven Wortschatz. Und die anderen Beispiele finde ich nicht so arg überkandidelt, sorry. Klar, es ist gehobene Sprache von heutigem Standpunkt, damals eher zwischen gehobener und Alltagssprache. Meine Geschichte spielt ja zu Beginn des 19. Jh. und ich legte bereits da: Eisenbahner ist ein Lehrberuf, vor allem Lokführer, und meine Vergleiche aus Tagebüchern vergleichbarer Berufstätiger geben mir absolut nicht den Eindruck, dass dieses Register vermieden werden sollte.
Die in T3 erwähnten elaborierten „Tagebücher/Memoiren von Matrosen und Schiffsjungen“ und auch die Interviews sind wohl andere Kommunikationsformen als die üblichen beim Wodka- und Dunkelbiertrinken in geselliger Runde.
Auf was beruht deine Einschätzung? Annahme?
Es geht eher darum, das genus humile nicht aus den Augen zu verlieren und den poetischen Hochkultur-Code – wenn überhaupt - in wörtlicher, unredigierter, spontaner Rede nur punktuell einzusetzen. Sei es bei den Kollegen von Zagan, sei es im „stillen Monolog“ von Zagan selbst, siehe T2.
Schlag mich, aber der genus humile wird verwendet, um klare Sachverhalte ohne viel Gedöns drumrum auszudrücken. Als vornehmliches Beispiel werden Kinderbücher genannt. Solchen Erzählern - auktorialen wie personalen bzw. ein Mix daraus in der Phantastik zwischen mind. 1800 und 1940 - geht es nicht um die Übermittlung von nüchternen Sachverhalten.
Grabinski bedient sich des (zu seiner Zeit bereits außer Mode kommenden) Sublimen der frühen Gothic Tales: Landschaft, Wettergeschehen und - in Grabinskis Fall als Innovation - Technik sollen das Erhabene vermitteln. Daher genügen keine schlichten Beschreibungen im Register der Alltagssprache.
(Ob man sowas lesen mag oder nicht, ist ja eine andere Frage! Meine Argumentation dient jetzt nicht dazu, diesen Stil jemandem aufzuschwatzen - das ist auch epochenabhängig. Wilhelmini editierte das für die 1958er Ausgabe des Demon ruchu alles raus, Suhrkamp / Insel übernahmen diese Texte und editierten / kürzen andere demgemäß. Das war für mich der Grund, vier der fünf bislang unübersetzten Texte in Grabinskis Sinne bzw. analog zu den Texten in Das graue Zimmer bei Volk & Welt von den Originalfassngen ausgehend übersetzen zu lassen).
Wenn ich jetzt im genus humile erzählen würde, boykottierte ich diese Haltung. Und ich finde eben, diese Passagen machen die besondere Schönheit in Grabinskis Texten aus - womit ich nicht sagen will, ich es mir so gelingt wie ihm! Selbstverständlich.
Ein letztes Argument ist eines der Textsorte, der Pastiche. Katla verortet den „Eisernen Zyklop“ mehrfach in diesem Genre. Eine solche „parodia seria“ (Text „nach dem Vorbild von“ ) orientiert sich dann folgerichtig an Grabowski Geschichten und darf an deren Eigenheiten im Kommunikationsspiel gemessen werden.
Hier auch ein Einspruch, sorry: Ein Pastiche ist eine Anlehnung an Plots, Motive, Stil, teils Vokabular und Themen, und Figuren eines Autors. Es bedeutet aber, dass man auch noch - und zwar ist das in allen Aspekten möglich - eine Eigenleistung erbringen sollte. Man ist nicht gezwungen, sich sklavisch ans Original zu halten und ein Abziehbild zu verfassen. Ich hab mich hier auch im ersten Teil an ein Plot-Element in "Der verlassene Ort" angelehnt nicht nur an den Stil.

Wenn ich ein Lovecraft-Pastiche schreibe (ist wohl das häufigste zur Zeit), kann ich - so ich das wollte - genausogut eine Frau als Prota nehmen und die Geschichte im 21. Jh. ansiedeln. Ein Bruch wäre eher, ein Hollywood-Happy-End zu schreiben, eine süßliche Liebesgeschichte zwischen ihr und Dagon zu erzählen, etc. Dann wär es eher eine Parodie als ein Pastiche.

Kurz und gut: Die gesellige Starka- und Dunkelbier-Runde braucht keinen groben Slang in ihren Gesprächen, aber eben auch kein genus sublime. Wenn man eine parodia seria/Pastiche zu Grabowski schreibt. Oder man müsste diese Sprachebene plausibler machen. Wior ist eine Ausnahmeexistenz.
Ich gehe - aus den o.g. Gründen - nicht konform, sorry.
Es ist bewundernswert, dass du dir die Mühe gemacht hast, Stellen aus einer Demon ruchu-Geschichte zu zitieren. Und für den Text würde ich dir recht geben ("Der Schmutzkerl" wäre ein ähnliches Beispiel.)
Die vierzehn Eisenbahngeschichten Grabinskis sind allerdings recht unterschiedlich. Es gibt Agatha-Christie-ähnliche, teils witzig-ironische Murder-Romances, Abenteuer, eher psychologisch ausgerichtete Dunkle Phantastik, tatsächlich Unheimliches und Paranormales, und eben eine Neuinterpretation des Gothic Sublime (oder nenn es das Sublime der Romantik, natürlich), an die ich mich angelehnt hab.

Wenn ich jetzt so frech bin, und aus meinem eigenen Buch zitiere (nur aus Faulheit, weil ich aus dem Satzlauf copypasten kann), nehme ich mal "Der verlassene Ort" (a.k.a. wörtlich: Der taube Raum):

Das ist es, woran sich dein Ort erinnert.“
„Davon träumt er, träumt unaufhörlich am Tag unter der Sonne und in den langen, schwarzen, blinden Nächten ...“
„Und du, Wawera, was ist mit dir?“
„Ich tue es ebenso, als wäre er mein Seelenverwandter.“
„Ihr träumt beide, schwelgt in Erinnerungen?“
„Wir träumen in großer Sehnsucht und warten.“
„Worauf könnt ihr denn hier warten?“
„Die Erfüllung dessen, wovon wir träumen.“
„Ein vergebliches Warten! Die Vergangenheit kehrt nicht zurück.“
„Wer weiß, alter Freund? Deshalb bin ich hier – um sie zurückzubringen.“ Er stand auf, reichte dem Schmied zum Abschied die Hand und fügte nach einem Moment des Schweigens hinzu: „Glaubst du, dass die Erinnerung nichts ist, nur ein leeres Wort?“ Er ließ den Blick schweifen über die Schlucht, das Gleisbett mit seinen Schienen. „Hier leben diese Erinnerungen überall; sie wandern für das menschliche Auge unsichtbar zwischen den Wänden dieser Schlucht, auf diesen Schienen, streifen weithin über diesen Ort. Man muss nur in der Lage sein, hinzusehen und zuzuhören.“
„Reminiszenzen an alte Zeiten?“
„Erinnerungen – unauslöschliche Spuren. Denk nach, Luśnia. Meinst du, es ist möglich, dass von alldem, das hier geschehen ist, nichts übrig bleibt?“
„Was ist denn geschehen?“
„Denk nur! Jahrzehntelang fuhren Züge durch diese Senke, erfüllten sie mit dem Rattern der Räder, dem Klackern der Schienen, so viele Jahre lang prallten ihre Echos von den Wänden dieser Schlucht aufeinander wie Billardkugeln. Tag für Tag, Nacht für Nacht wurden in diesem Tal Luftwirbel geboren und verpufften, hefteten sich an den scharlachroten Schornsteinqualm, schmiegten ihre Nebelfetzen ans Gleisbett, versteckten sich im Gewölbe des Tunnels ...“
Das ist in diesem Stil sowohl im Dialog (wobei sich der Schmied als ungebildeter herausstellt als der Eisenbahner, der hier hauptsächlich spricht), als auch im gleichen Tonfall in der auktorialen Erzählstimme. Ähnlich ist es in u.a. "Ultima Thule". Das zumindest hab ich angepeilt beim Pastiche - womit ich selbstverständlich nicht behaupten will, dass ich schrieben könnte, wie Grabinski!

Er ist so versunken in seinen phantastischen Theorien (d), dass er beinahe über einen Birkenast gestolpert wäre, der über den Schienen liegt. Nun ist aber an dieser Stelle recht deutlich Außenperspektive vorhanden, die Wertung „phantastische Theorien“ und "versunken" erfolgt ja kaum durch Zagan selbst, da dem Protagonisten ja die Reflexionshöhe fehlt, sein tranceartiges Verhalten zu erkennen und zu markieren.
Das ist in der Phantastik nicht unbedingt eine Außenstimme, es gibt oft Protas, die sich des Aberglaubens oder der Leichtgläubigkeit schelten oder die bezeugen, dass sie eigentlich oder sonst gar nicht paranormalen Phänomenen aufsitzen etc.
Er kann – ich vereinfache noch einmal – eine auktoriale oder figurale Perspektive einnehmen. Er kann , siehe Martinez, Lahn, Stanzel, Nünning, Schmid, die Ereigniskette in Übersicht, Mitsicht (szenisch) oder Innensicht (personal, figural) fokussieren und präsentieren. Er ist nicht gehalten, eine einmal gewählte Perspektie durchzuziehen. Der Reiz mancher Erzählung resultiert aus dem geschickten Wechsel der Fokalisierung.
Genau, es gibt auktoriale Erzähler und personale sowie den Mix aus beiden in einer enormen Bandbreite. (Grandios aufgedröselt in James Wood: How Fiction Works, womit ich ebenfalls keineswegs behaupten will, ich wisse in der Praxis, wie 'fiction works'!).
Ein Er-Erzähler (Ein mehr oder weniger latentes Ich erzählt über ein fremdes Ich) hat anders als der Ich-Erzähler (Ein Ich erzählt über sein eigenes Ich) konventionellerweise Zugriff auf Fremdpsychisches, Fremdzeitliches und Fremdörtliches. Ich vereinfache hier.
Ja, wobei ich - bissl OT, weil das grad nix mit meinem Text zu tun hat - ja ketzerisch denke, man könnte ähnlich über Icherzähler sprechen, auch, wenn das nicht LitWiss-Kanon wäre. Es gibt auch Icherzähler, die unreflektiert in einer Art SoC sprechen, und solche, die auktorial erscheinenden Abstand zu sich selbst und der Situation haben. Hier im Forum verorte ich die in zwei ganz unterschiedlichen, aber für sich wunderbaren Texten: Bas "Hundert Jahre Hundstage" und Jimmysalerymans "Für den Mann, der den Rauch erfand".
Du hast genau das auch selbst angerissen, ich denke, du gehst da vielleicht in eine ähnliche Richtung wie ich.

Ich meine übrigens, er-Erzähler könne man - anders als Icherzähler - nicht sagen, weil das nur die 3. Person festlegt, aber keine Perspektive der 3. Person. Hab ich so auch noch nicht gelesen.

hier in der Geschichte geht es um ein "Rufen" mittels Feuerschein, also um ein visuelles Signal, wie überhaupt in der wabernden Atmosphäre jenseits und diesseits von Alltagsrealität metaphorische bis parapsychologische Lesarten angesagt sind.
Ja und nein. Es ist eigentlich gedacht als ein eher metaphysisches + spekulatives Signal, eine Verbindung zwischen der Lok und Zagan - wie du auch sagst. Nicht als ein rein visuelles + spekulatives.

Ich hoffe mal, ich hab keinen Punkt ausgelassen, obwohl ich etwas gesprungen bin und Themen bissl zusammengerafft hab.

Das war ja extrem spannend, Willibald, wirklich noch mal ganz, ganz herzlichen Dank für all deine Ausführungen und Querverweise (ein neues Wort hab ich auch gelernt), echt krass, so einen Komm hab ich wohl noch nie bekommen! :shy:

Herzlichst,
Katla

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Willibald ,

danke schön für deine nochmalige, intensive Beschäftigung mit meiner Geschichte!
Selbstverständlich antworte ich dir gern darauf, obwohl ich ehrlich gesagt nicht sicher bin, ob es im Sinne diesen Forums ist, wenn ich mit der Interpretation / Erklärung zu meinem eigenen Text so extrem ins Detail gehe. Das kann den Eindruck erwecken, ich hätte die einzig gültige Leseweise, und das denke ich keinesfalls. Sobald man einen Text öffentlich macht, verliert man einen Teil - evt. Großteil - an Einfluß, wie der zu verstehen ist. Und das ist auch gut so, sonst wäre es Propaganda und nicht Prosa.

Dieser Komm von dir wirft auch ein paar Fragen bei mir auf, mehr, als dass ich ihn als direkte Textarbeit sehe. Ich gehe (zu recht oder unrecht) davon aus, dass Komms hier dazu dienen, den Text zu verbessern, sei es, weil was an Tempi, Fakten, Perspektiven, Fällen, Kommata etc. nicht stimmt oder weil etwas total unklar / inkonsistent geschrieben wurde, was offensichtlich nicht so gedacht war etc. Auch, wenn das härter klingt als ich es meine, gehe ich also davon aus, dass ein Komm etwas von einem Ersteller 'verlangt'.

Nach diesem Komm verliere ich ganz ehrlich gesagt den Faden, was du von diesem Text 'verlangst'. Dazu unten mehr.

Oft implizit oder explizit dem Ambivalenz-Dilemma ausgesetzt, dass in solchen Geschichten Überhöhungen, Ausschmückungen, Spekulationen dominieren , die dem gesunden Menschenverstand widersprechen und daher dem Verdikt "Illusion" oder "Lüge" ausgesetzt sind.
Beim Zitieren hab ich gesehen, dass du deinen Komm geändert hast - nämlich ersparst du mir eine ausufernde Antwort.
Diese Feststellung ist an sich nicht falsch, aber bitte bedenken, dass diese Anforderungen nicht oder nicht im gleichen Maß auf spekulative Geschichten zutreffen. Man muss als Schreiber oder Leser im RL nicht an Geister oder Zombies glauben, um eine Gespenster- oder Zombiegeschichte zu schreiben / lesen. Selbstverständlich hebeln spekulative Geschichten naturwissenschaftliche Fakten aus, aber die irrealen Aspekte darin werden nicht als 'Lüge' gesehen, sondern als ein notwendiger Bestandteil und sind textimmanent ebenso real wie Dinge / Fakten, die es auch außerhalb von Fiktion gibt.

Daher das Genre Spekulativer Realismus (auch: Magischer Realismus): Das Setting ist erkennbar unsere Realität (kein fremder Planet, keine Fantasywelt) und die spekulativen oder paranormalen Dinge werden darin erzählt, als wären auch sie real. Das ist eine Art Übereinkunft zwischen Autor und Leser.

Oder, häufig der Standardfall, Geschichten um Sachen und Personen, die dem gesunden Menschenverstand und der Alltagslogik ihre Grenzen aufzeigen wollen und zumindest für die Dauer der Rezeption eine "dispension of disbelief" (Coleridge) erzeugen .
Suspension of disbelief, aber ansonsten: Ja, eben genau das.
Kurzum: Legendenbildung braucht im Normalfall eine gewisse Zeit. Das geht dann in die Semantik des Lexems "Legende" ein. Wenn man daher Zagan hier temporal und bewusstseinsmäßig in der anfänglichen Ereigniskette verortet sieht, wird der Legendenbegriff fraglich oder doch hinterfragbar
Sehe ich das richtig, dass dein neuer Zusatz zu diesem Punkt diese Aussage relativiert?
Was du neu zugesetzt hast, wollte ich nämlich auch schreiben: Es gibt sowohl in der Historie wie auch der aktuellen Zeit Legendenbildungen, die nicht so viel Zeit benötigen wie du erst ausgeführt hattest.
Beispiele wären:
- Attilas Schwert, eine quasi 'selbstausgedachte' Instant-Legende zur Untermauerung des Machtanspruchs.
- Wer ukrainische und kritisch-russische Nachrichten verfolgt, wurde Zeuge einer Legendenbildung, die nur zwei Tage benötigte: The Ghost of Kyiv. Trägt klassische Züge, ähnlich wie der Once and Future King (Artus in seinem Hügel ...).

Auch die Sonderform Urbane Legenden benötigt wesentlich weniger Zeit sich zu verbreiten.

Was mich jetzt echt irritiert: Was du quasi von diesem Text (von mir) verlangst.
Im anderen Komm hast du dich Detlev angeschlossen und gesagt, das Register des auktorialen wie auch auktorial-personalen Erzählers sei nicht authentisch. Die 'Forderung' war also, das Register runterzusetzen. Der Grund (vereinfacht ausgedrückt): Eisenbahner damals redeten nicht so und der auktoriale Erzähler sollte sich als Teil dieser fiktionalen Welt dem anpassen, was ihr beide (nicht ich, aber es geht ja um die Rezeption, nicht mich) als eine mehr authentische Sprache anseht.

Jetzt argumentierst du aber beim Begriff der 'Legende', dass sich der auktoriale Erzähler der akademischen Definition aktueller Literaturwissenschaftler oder Ethnologen anschließen sollte. Meine Verwendung grad bei diesem Wort stützt sich aber doch u.a. auf die mündliche Tradition von 'Legende' sowie die Verwendung durch Grabinski genau zur Zeit und im Kontext meines Settings. Da komme ich - im Hinblick, was du von der Geschichte 'verlangst' - jetzt nicht mehr mit, sorry.

Soweit ich sehe, ist die Konjunktivumschreibung mit „würde“ inzwischen gar nicht mehr obsolet und wird linguistisch-dudenmäßig seit 10 Jahren akzeptiert, auch für die Schriftsprache. Warum diese Akzeptanz?
Weil es mit dem Sprachwandel genau so ist, wie mit der Entropie: Wenn du Milch in den Kaffee schüttest und dann umrührst, gibt es Milchkaffee. Egal aber, wie lange du dann weiterrührst, wird sich die Milch nie wieder vom Kaffee trennen. ;)
(Vergessen, wer das sagte, muss aber Stephen Hawking oder Lee Smolin sein.)
Will sagen: Ab einem gewissen Grad der Komplexität findet wieder eine Vereinfachung einer Sprache statt, die sich nicht mehr umkehren lassen wird.

Ich kenne die Verwendungsmöglichkeiten von 'würde' (klang das nicht so?). Hatte das aber aus den o.g. Gründen für die fragliche Textpassage abgelehnt.

Mir ist sehr plausibel, dass es erlebte Rede/Gedankenwiedergabe/stille Rede beim Er-Erzähler (heterodiegetischer E.) und beim Ich-Erzähler (homodiegetischer Erzähler) gibt.
Ja, okay, aber hier gibt es ja gar keinen Icherzähler. :confused:
Hier zwei Beispiel-Passagen Er-Erzähler und Ich-Erzähler, jeweils für interne Fokalisierung mit personengebundener Außenweltwahrnehmung und Übergang in die psychographische Fokalisierung, also in die aktoriale/personalel/interne/figurale Fokalisierung
Die Stimme eines Icherzählers lässt sich nicht 1:1 auf einen personalen 3.Person-Erzähler übertragen.
In den infiniten Verbphrasen ("vorsichtig lächeln"), dann in den Substantivpassagen und ihrem Impressionscharakter verschwindet der extradiegetische Erzähler fast vollständig, ist eben nur noch im unmittelbaren Text-Umfeld präsent und daher auch jetzt wohl nicht ganz verschollen.
Ich ahne, worauf du hinauswillst (dein Vorschlag unten bestätigt das): Das ist eine postmoderne Extremform eines rein personalen Erzählers: Deep Point of View. Eine extreme Sonderform der Rollenprosa, die dazu dient, jeden Eindruck eines übergeordneten (also eines auktorialen) Erzählers aus der Erzählstimme zu tilgen.

Das gibt es seit 15-25 Jahren und kommt aus den englischsprachigen Ländern, v.a. den USA. ImA macht diese Erzählstimme einen großen Teil aktueller Literatur schlichtweg unlesbar. Ich hab auch keinen blassen Schimmer, warum jemand einen Erzähler aus einer Erzählung rausschreiben wollte.

Ich könnte völlig unwissenschaftlich spekulieren, dass Leser durch Computerspiele, Soziale Medien und aktuellen Spielfilm, der unter der Prämisse oben erwähnter Repräsentation seiner Konsumenten steht, nur noch Erzählformen gewohnt sind / akzeptieren, die ihnen das Gefühl geben, sie wären direkt dabei (unreflekiert und unmeditiert im Kopf der Protagonisten). Ich hasse das wie die Pest. :D Und lese es - außerhalb von Textarbeit hier im Forum - auch nicht. Sorry.

Nehmen wir an, hier ist vor allem der Erzähler zu hören. Für mich ist dann nicht so recht klar, warum der Erzähler hier manifest mit „phantastische Theorien“ agieren soll. Schließlich ist er ja in der Eingangspassage offensichtlich phantastischerweise fähig, die Lokomotive von innen und von außen zu erfassen.
Fettes: Welcher Erzähler? Ein auktorialer, personaler oder auktorial-personaler?

Man könnte es auch so sehen: Nach dem Intro wechselt der Erzähler (ich meinte ja, ich sähe den Bruch härter als du oder gffs. alle Leser).
Dann geht der Wechsel auktorial-personal "Sicht Zugmaschine" auf auktorial und auktorial-personal "Sicht Zagan". Das Intro hab ich zuerst geschrieben und hätte es genauso gelassen, wenn ich - was ich da noch nicht entschieden hatte - einen Icherzähler gewählt hätte. Ich mag das, hab bei einem anderen Text sowas Ähnliches: Auktorial-personal aus Sicht eines Drachenschiffes als Intro und dann ein Wechsel in den Icherzähler einer menschlichen Protagonistin. So hab ich es hier auch gehandhabt. Und mit *** will ich das nicht absetzen, das sieht immer bissl albern aus.

Gut, es mag den Effekt geben, dass die Handlungsführung die Skepsis des Erzählers korrigiert. Aber das wirkt dann vielleicht überkonstruiert und es braucht mehr Hinweise auf den „unreliable narrator“.
Ich hab keinen 'unreliable narrator', weil es ein Erzähler im spekulativen Genre ist (wo es auch unzuverlässige Erzähler geben kann, aber das ist dann nicht auf die faktische Fiktionalität des Übernatürlichen bezogen).
Und die Eingangsphase ist bis zu einem gewissen Maße kontraproduktiv. Wäre schade, sie zu ändern oder gar zu streichen.
Interessant zu hören, aber es hängt vllt. auch davon ab, wie man den / die Erzähler liest und wie man das Intro einordnet. Mir fiele allerdings keine Lösung ein, die deine und meine Forderung an den Text gleichermassen 'befriedigen' könnte.
Kurz: Ich bin nicht von einem Änderungsbedarf überzeugt.
Dieser Erzähleffekt ist sicher spannend und narrativisch ergiebig. Aber hier gibt es in dann zwei Probleme: Die Figur ist durchaus überzeugt von dem, was sie tut. Insofern ist das Lexem „Phantasterei“ erzähltechnisch eine – sit venia verbo – heftige Stolperstelle. Und: Die Figur ist in ihren Vorstellungen versunken, sie hat plötzlich – Präsens! – die Fähigkeit und nutzt sie, zu reflektieren und sich der Phantasterei zu bezichtigen?
Dazu hab ich auch in meiner ersten Antwort geschrieben: Du liest den Erzähler hier offenbar rein personal, aber diese Stelle ist auktorial und ich meine, dafür gäbe es eindeutige Marker. Hier:
Er ist sicher, der Unglückszug rufe ihn – nur ihn, denn die Kollegen, die die Kollision selbst gesehen hatten, erwähnten keinen verdächtigen Feuerschein oben am Berg. Żagań flüstert zu sich selbst: „Sie alle eint dieses Unglück, nur ich, der nun zu ihrem Kreis gehört, habe es nicht gesehen … Dies ist nicht irgendeine Strecke, die bald aufgegeben, demontiert und verlassen sein wird, und die Stara Kopernia nicht irgendein Tal, das verödet daliegen wird, nur noch vom Wind und dem Regen besucht. Der Platz und der Zug sind eins, und sie wollen in den Köpfen der Menschen fortleben. Oder … sie suchen sich die alten Eisenbahner, mit denen sie endlich sterben können.“ Er ist so versunken in seinen phantastischen Theorien, dass er beinahe über einen Birkenast gestolpert wäre, der über den Schienen liegt.
Das Grüne kann auktorial, personal oder aus einem Mix aus beidem gelesen werden. Das Umfeld ist aber rein auktorial (blau). Genauer: eingeschränkt wissender auktorialer Erzähler, der nur in den Kopf des Protas schauen kann und berichtet, was da vor sich geht (im Kopf und außerhalb).
Ein personaler Erzähler würde direkt sagen, was er im Selbstgespräch laut sagt; 'flüstert zu sich selbst' ist die Ansage eines auktorialen Erzählers.
'Er ist sicher' ist ebenfalls die Einschätzung / das Statement des auktorialen Erzählers mit Einblick in Zagans Zustand / Gedankenwelt.
Daher kann Zagan versunken sein und stolpern, und der auktoriale Erzähler mag die Gedanken für 'phantastische Theorien' halten (ganz vor allem, wenn es ein anderer als der im Intro sein könnte), ohne, dass Zagan sich selbst diesen Gedankengängen bewusst sein muss. Zusätzlich wie gesagt: In der Gothic Tale urteilen auch personale oder Icherzähler wie von außen über sich und ihre Handlungen. (Das kann man mögen oder nicht, aber mAn hab ich hier keinen Fehler gemacht, sorry).

Das aber ginge gar nicht:

Vielleicht lässt sich das Problem mildern, wenn man den auktorialen extradiegetischen Bezug (Kommunikationswelt) wegdimmt und den figuralen Bezug intradiegetisch (in der Wahrnehmungswelt) stärkt und die kommentierende Phrase mildert. Ich probiere halt mal was halbwegs Diskutables: O Gott! Da wäre er doch beinahe über einen Birkenstamm gestolpert. Vor ihm, auf den Schienen. Phantastische Theorien! Sie machen unachtsam und unvorsichtig.
Was du vorschlägst, mildert das Problem nicht, sondern schriebe einen faktischen Fehler in den Text, nämlich ist das ein Bruch in der Erzählhaltung: Das ist rein personale Stimme im Deep POV. Diese Erzählhaltung existierte dann an absolut keiner anderen Stelle. Es ist zudem ein extremer stilistischer Bruch, weil das vollkommen aus der Stimme fällt (der des auktorialen wie auch auktorial-personalen Erzählers).
Und außerdem (sorry, ich weiß, das war nur ein spontaner Vorschlag zur Verdeutlichung) hacke ich mir lieber die Hand ab, als in so einem Tonfall zu schreiben. :lol:
Wie gesagt: Ich sehe absolut keine Veranlassung, einen Erzähler aus einer Erzählung zu schreiben. Es mag sein, dass ein 3.-Personerzähler (es gibt keinen er-Erzähler, weil das nix über die Perspektive aussagt) aus Gewohnheit oder Vorliebe grundsätzlich wie Deep POV gelesen und dann in die Richtung 'korrigiert' wird - aber das ist nicht meine Erzählhaltung und ich denke, dafür gäbe es eindeutige Marker im gesamten Text.

Ich hab mich jetzt etwas entgegen meiner eigenen Ansicht noch mal verstiegen, meinen eigenen Text im Detail zu kommentieren und das ist vermutlich gar nicht elegant. Und ich will dir keinesfalls deine Leseerwartung, Anmerkungen oder Vorschläge vom Tisch wischen - wie gesagt sind alle Anmerkungen für mich interessant, auch wenn ich vllt. nicht alles demgemäß ändern will.

Jeder Leser hat das Recht auf seine Sicht und Leseweise, und da hab ich als Schreiber auch nix reinzureden. Aber ich - da ich das nun mal geschrieben hab :shy: - hab natürlich auch meine Haltung zum Text und möchte keine Dinge ändern, die nicht in meinem Sinne sind.

Ganz liebe Grüße, herzlichen Dank noch mal,
Katla :gelb:

 

Hallo @Willibald ,

hehe - sehr schön, liebsten Dank, wenn du sagst:

Und ja, es ist oft randständig, wenn der Autor intensiver seine Geschichte interpretiert, dürfte hier aber doch sehr nützlich und erzähltechnisch aufschlussreich sein.

Ich will nur nicht den Eindruck erwecken, ich würde den Lesern vorschreiben, wie sie den Text zu lesen und zu verstehen hätten (auch, wenn ich das faktisch getan hab :lol::D).
Meine Meinung dazu ist nicht mehr und nicht weniger 'wert' als die der Leser. Du fasst das ja zum Glück auf, wie es gemeint ist.

Herzliche Grüße und dir schon mal ein schönes Wochenende,
Katla :kaffee:

 

Hallo Katla,

eine tolle Geschichte, die du da geschrieben hast. Die Beschreibungen rufen bei mir schöne und sehr detailverliebte Bilder hervor.
Grabinski kannte ich bisher nicht, weshalb es etwas neues für mich war, so viel technisches über die Eisenbahn in einer Kurzgeschichte zu erfahren und ich finde es beeindruckend, dass du mit so einer Begeisterung an die Arbeit gegangen bist (zumindest gehe ich davon aus, denn beim Lesen hat es sehr den Anschein gemacht).

Inhaltlich gibt es von meiner Seite aus nichts mehr anzumerken und wenn, dann wurde es in den anderen Kommentaren bereits erwähnt.

Der Schreibstil gefällt mir sehr. Beim ersten Lesen kamen mir manche Stellen ein wenig holprig vor, aber jetzt, nach nochmaligem Drüberlesen, drehte sich meine Meinung um 180°.

die Zeit, ein ungenutztes Nebengleis, das davor entlangführte, von Grasbewuchs und Rost zu befreien
Über diesen Satz bin ich dennoch erneut gestolpert. Aber das hatte ja schon jemand kommentiert.

Mehr gibt es von mir nicht zu sagen.

Liebe Grüße
19_Words

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @19_Words ,

ganz lieben Dank für deine Rückmeldung. Und, dass du den Text zweimal gelesen hast - vor allem, wenn es beim zweiten Durchgang sogar besser für dich funktionierte.

ich finde es beeindruckend, dass du mit so einer Begeisterung an die Arbeit gegangen bist (zumindest gehe ich davon aus, denn beim Lesen hat es sehr den Anschein gemacht).
Hehe, ja, das ist mein zweiter Ausflug in Grabinskis Welt, der erste war weniger an Plots / Inhalte von ihm angelehnt. Mir macht das tatsächlich irren Spaß, obwohl ich mich beim Thema Eisenbahn wissensmässig auf sehr dünnem Eis bewege. :schiel:

Falls du Lust auf Grabinski bekommen hast (gegen den ich nicht nur ein kleines Licht, sondern ein tiefschwarzer Schattenfleck bin): Die Sammlung Das graue Zimmer damals bei Volk & Welt mit einem wunderschönen Cover erschienen, antiquarisch für ein paar Euro zu beziehen. Insel / Suhrkamp haben seine Texte gekürzt und entstellend editiert, die Publikationen würde ich eher nicht empfehlen.

Über diesen Satz bin ich dennoch erneut gestolpert. Aber das hatte ja schon jemand kommentiert.
Ja, da bin ich drauf hingewiesen worden, dass ein Komma fehlt. Das hab ich längst nachgetragen, also muss dein Stolpern etwas anderem geschuldet sein.

Ganz herzliche Grüße, dank dir noch mal - wirklich klasse übrigens, dass du dich gleich mit Kommentaren engagierst! :thumbsup: Ein schönes Wochenende wünscht
Katla

 
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Hallo Katla,

sehr gerne!

Dann wünsche ich dir viel Spaß, falls du dich an weitere Eisenbahn-Geschichten machst und du dir deinen Wissensschatz diesbezüglich weiter ausbauen möchtest.

Wow, das hört sich ja nach einem beeindruckend Schriftsteller an. Vielleicht werde ich mich da mal ein wenig reinlesen und mir die Sammlung zulegen. Vielen Dank für die Empfehlung!

Okay, dann liegt das ja evtl. an meinem Verstand, dem da an der Textstelle eine Schranke vorgeschoben wird. Wie heißt es so schön: alle guten Dinge sind drei. Vielleicht klappt es ja bei einem weiteren Mal lesen ohne Stolpern.

Ich wünsche dir auch ein schönes Wochenende und nochmals sehr gerne. Ich finde es äußerst interessant, eure Texte zu lesen und zu kommentieren.

Viele Grüße
19_Words

 

Hallo @19_Words noch mal,

Vielleicht werde ich mich da mal ein wenig reinlesen und mir die Sammlung zulegen. Vielen Dank für die Empfehlung!
da bietet sich übrigens Booklooker.de an. ;) Ich wünsche viel Freude, falls du reinschaust.
Vielleicht klappt es ja bei einem weiteren Mal lesen ohne Stolpern.
Vielleicht ist es dir auch einfach zu einschübig.
Ich finde es äußerst interessant, eure Texte zu lesen und zu kommentieren.
:anstoss: Feine Sache!

Ganz herzliche Grüße aus der ersten helsinkier Frühlingssonne,
Katla

 

Hallo Katla,

danke für den Link, da schaue ich gleich mal rein.

Vielleicht ist es dir auch einfach zu einschübig.
Ja, so wird es wohl sein :)

Liebe Grüße zurück und genieße die Sonnenstrahlen!

19_Words

 

Hallo @Katla!

Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal eine Geschichte über Züge lesen würde, und dass die mir dann auch noch gefallen würde. Ich muss zugeben, am Anfang hatte ich noch meine Schwierigkeiten, rein zu kommen, was aber eher daran lag, dass ich zum einen Grabinski nicht kenne und zum anderen auch nicht wirklich etwas mit Zügen am Hut habe. Aber der erste Absatz hat mich durch die schönen Beschreibungen gelockt und natürlich auch, weil er aus der Perspektive der Lok beschrieben ist - ich kann Zügen zwar nicht viel abgewinnen, aber ich bin ein Fan davon, wenn man aus der Perspektive von Gegenständen etwas liest (das ist immer so schön gruselig-unheimlich).

Was mir aufgefallen ist - nicht unbedingt negativ, aber es ist mir aufgefallen - ist der Zeitwechsel zwischen den Abstäzen. Ich weiß nicht, ob das eine Stilrichtung ist oder ob das etwas Bestimmtes auslösen soll (vielleicht, dass ein paar Dinge weiter in der Vergangenheit liegen als andere) - mich hat es auf jeden Fall stutzig gemacht. Den Lesefluss an sich hat es nicht gestört. Ich hab mich einfach nur gefragt, ob da ein Sinn dahinter liegt. Ich hab die Anfänge der Absätze raus geholt, an denen es mir aufgefallen ist:

Nässe rinnt die Tunnelwände herab, tropft von der Decke auf rußgeschwärztes Eisen.

Als Janek Żagań ins Büro des Bahnhofsvorstehers gerufen wurde, schlug sein Herz vor Freude schneller:

Am Samstagmorgen rüstet sich Żagań mit Rucksack, Lampe und Fernglas aus, immer den Hügel im Blick, mögliche Spuren einer ehemaligen Strecke, die sich durch ihre menschgemachten Linien offenbaren müssten.
Dass der Absatz aus der Sicht der Lok in der Gegenwart ist, kann ich nachvollziehen. Das kam mir innerhalb der Kurzgeschichte wie ein kurzer "Prolog" vor, quasi eine Einführung und Vorbereitung auf das, was noch kommen wird. Dann kommt Janek Zagan und die Szenen mit ihm sind dann bis zum Samstagmorgen in der Vergangenheit geschrieben. Danach schreibst du in der Gegenwart weiter. Warum? Hat das mit dem Stil des Autors zu tun, an den du dich anlehnst? :)

Als die ersten diesigen Herbsttage anbrachen, Nebel ins Tal kroch, entfachte Żagań Feuer in einer ausgedienten Öltonne, setzte sich mit einem Starka oder Dunkelbier zu den alten Bahnwärtern, Lokführern und Heizern, lauschte ihren Heldentaten und Schauermärchen, nickte gelegentlich dabei ein und wurde so – ohne es zu merken – ein stummer Teil ihrer Legenden.
Diesen Satz fand ic hsehr schön - insbesondere den letzten Teilsatz: "(...) - ohne es zu merken - ein stummer Teil ihrer Legenden."

Hinter schlanken Baumstämmen und Wildgras klafft dunkel der Tunnel. Und schwarz vor dem Schwarz kann Żagań die Umrisse einer Zugmaschine erkennen.
Der Satz kam mir vom Stil her ein wenig anders vor, als der Rest. Fast schon poetisch. Also der erste Satz. Er gefiel mir recht gut, ließ mich aber auch kurz Innehalten, weil der Satzbau sich etwas unterscheidet vom Rest der Geschichte.

Insgesamt gefiel mir der Text gut. Ich mag die unheimliche Stimmung. Teilweise - grade am Anfang - mit der Versetzung - kam mir der Aufbau langsam vor. Da war ich zugegeben auch kurz ungeduldig, was aber sehr subjektiv ist - ich habe dir am Anfang ja schon gesagt, dass ich mit Zügen wenig am Hut habe und dass Żagań versetzt wird, hat mich auch recht wenig gekümmert. Interessant wurden dann aber die Geschichten, die erzählt wurden und auch das Licht, dass er sieht. Gesamt bin ich mir nicht sicher, wo ich den Text einordnen soll, was wirklich passiert ist - ob nicht vielleicht sogar das Licht von Żagańs Laterne schuld daran ist, dass es zum Feuer kommt - ob es überhaupt wirklich zum Feuer gekommen ist oder er nicht vielleicht noch Gas oder so was aus der Lok strömt, weil er ja irgendwo angestreift ist (da kenn ich mich auch zu wenig aus mit der Funktion von Loks). Also Gedanken habe ich mir auf jeden Fall gemacht.

LG Luzifermortus

 
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Hallo @Luzifermortus ,

ich hab mich sehr gefreut, dass du zu einem Gegenbesuch gekommen bist und selbstverständlich auch, dass dir die Geschichte gefallen konnte. :)
Entschuldige, dass ich ein paar Tage brauchte, es gab einen Notfall in der Familie, ich bin Donnerstag Abend überstürzt nach Deutschland gereist und hatte dann den Kopf nicht frei.

Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal eine Geschichte über Züge lesen würde, und dass die mir dann auch noch gefallen würde.
Hehe, mir ging es genauso. Die erste Zuggeschichte (ein Jahr zuvor) war eine Anfrage, aber dann hab ich bei der Recherche doch auch über Grabinski hinaus angefangen, mich für Dampfloks zu begeistern.
ich kann Zügen zwar nicht viel abgewinnen, aber ich bin ein Fan davon, wenn man aus der Perspektive von Gegenständen etwas liest
Klasse, ich glaube, es gibt (leider) nur wenige Leser, die das so sehen. Ich liebe das auch und freue mich riesig, dass es gefiel. Kurz hab ich überlegt, den ganzen Text aus Sicht der Lok zu schreiben (mag sein, dass ich das nochmal mache, mit anderem Plot), aber dann war kein Platz mehr im Buch für eine KG regulärer Länge.
Was mir aufgefallen ist - nicht unbedingt negativ, aber es ist mir aufgefallen - ist der Zeitwechsel zwischen den Abstäzen. Ich weiß nicht, ob das eine Stilrichtung ist oder ob das etwas Bestimmtes auslösen soll (vielleicht, dass ein paar Dinge weiter in der Vergangenheit liegen als andere) - mich hat es auf jeden Fall stutzig gemacht. Den Lesefluss an sich hat es nicht gestört.
Ja, das ist ein Bastard aus Einschub im Rückblick und dramatischem Präsens, wobei man von letzterem eigentlich die Finger lassen sollte. :D Ich wollte mal sehen, ob es funktionieren kann, wenn man das Präsens schon relativ früh beginnt, nicht wie üblich erst "wenn's spannend wird'. Es sieht ja aus, als hätte ich da grad noch die Kurve gekriegt. *flöt*
Dass der Absatz aus der Sicht der Lok in der Gegenwart ist, kann ich nachvollziehen. Das kam mir innerhalb der Kurzgeschichte wie ein kurzer "Prolog" vor, quasi eine Einführung und Vorbereitung auf das, was noch kommen wird. Dann kommt Janek Zagan und die Szenen mit ihm sind dann bis zum Samstagmorgen in der Vergangenheit geschrieben. Danach schreibst du in der Gegenwart weiter. Warum? Hat das mit dem Stil des Autors zu tun, an den du dich anlehnst?
Das Intro mit der Lok und der Anfang des Präsens-Teils von Zagans Geschichte finden zur selben Zeit statt, nur eben an verschiedenen Orten.
Der eingeschränkte auktoriale Erzähler kann nur im Intro in den 'Kopf' der Lok schauen, danach nur noch in den Zagans; und er ist quasi da bei dem letzten Eisenbahner-Schnack körperlos präsent, erzählt aber alles davor retrospektiv als Bericht, nicht szenisch. Durch den Rückblick kommt der Leser dann irgendwann an dem Punkt an, an dem sich die Geschichte - zusammen mit der Entwicklung für den Erzähler und den Prota - in die Zukunft weiterentwickelt.

Grabinski macht das soweit ich mich richtig erinnere nicht; ich hatte einfach Lust auf eine achronologische Geschichte, v.a. um sie kurz genug zu halten und dennoch ein paar Handlungsszenen zu haben. Wenn ich jetzt den Text mit mehr Abstand lese, muss ich mir sogar widersprechen: ich denke nicht mehr, dass es ein auktorialer Erzähler im Mix mit einem auktorial-personalen ist, sondern es ist wohl eher ein eingeschränkter, auktorialer Erzähler, der (nicht zur selben Zeit aber) in den Kopf von zwei Protas schauen kann, eben den der Lok und Zagans. Vermutlich lag Willibald richtiger als ich.

Der Satz kam mir vom Stil her ein wenig anders vor, als der Rest. Fast schon poetisch. Also der erste Satz. Er gefiel mir recht gut, ließ mich aber auch kurz Innehalten, weil der Satzbau sich etwas unterscheidet vom Rest der Geschichte.
Das ist interessant, ich erwartete nämlich, dass mir jemand das "schwarz vor dem Schwarz" um die Ohren haut, weil das eigentlich meine eigene Stimme ist, nicht die meines Erzählers. Dir fiel der Satz davor auf, das ist echt spannend.
dass Żagań versetzt wird, hat mich auch recht wenig gekümmert.
Ah, da hab ich dann bissl versagt, das ist so ein Dreh- und Angelpunkt bei Grabinski: Psychische und/oder emotionale Zustände, die an einem Punkt kippen und alles weitere beeinflussen. Muss ich unbedingt noch mal in einem Text mit mehr Raum dafür probieren.
Gesamt bin ich mir nicht sicher, wo ich den Text einordnen soll, was wirklich passiert ist - ob nicht vielleicht sogar das Licht von Żagańs Laterne schuld daran ist, dass es zum Feuer kommt - ob es überhaupt wirklich zum Feuer gekommen ist oder er nicht vielleicht noch Gas oder so was aus der Lok strömt, weil er ja irgendwo angestreift ist (da kenn ich mich auch zu wenig aus mit der Funktion von Loks).
Das ist sehr in meinem Sinne, ich wollte auch nicht festschreiben, ob es eine Halluzination oder etwas tatsächlich Paranormales ist (meine eigene Vorliebe ist letzteres). Auf natürlich-mechanische Weise könnte das nicht passieren, jedenfalls.
Ich mag es selbst beim Lesen von Phantastik, wenn diese Frage offen bleibt.

Hab ganz herzlichen Dank für deinen Kommentar, sonnige Grüße aus Norddeutschland,
Katla

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Katla,

als ich einen deiner Kommentare las, ist mir eingefallen, dass ich früher eigentlich alles von dir gelesen habe. Nun, jetzt bin ich auf den Zyklopen gestoßen.
Abgesehen von der Rußschwärze ist die Geschichte nicht so schwarz, wie ich erwartet habe. Stattdessen ist sie von einer ruhigen, getragenen, manchmal fast schon melancholischen Atmosphäre geprägt. Das ist angenehm zu lesen, besonders ansprechend war die Szene:

lauschte ihren Heldentaten und Schauermärchen, nickte gelegentlich dabei ein und wurde so – ohne es zu merken – ein stummer Teil ihrer Legenden.
Er wird von etwas vereinnahmt, das bedeutender ist als seine Person.

Er mochte sich schelten, dass die Legenden der Eisenbahner seine Phantasie beflügelten, wie Seemannsgarn die Schiffer ängstigen mag.
Ein passender Vergleich, die Vorbereitung auf ein unnatürliches Geschehen.


den regennasser Erde und etwas, das ihn an verzweigte Höhlensysteme erinnert: Mineralien und kalkiges Kondenswasser.
Die "Mineralien" haben mich ein wenig gestört, das klingt so analytisch, auch zu allgemein. Wenn es da kalkiges Wasser gibt, sieht er vielleicht die 'ersten schmutzig-weißen Kalkablagerungen'.

Inmitten von kalzinierten Briketts

Noch einmal Kalk als Stein des Anstoßes: Kann ein Bahnarbeiter etwas als "kalzinierte Briketts' erkennen? (Kalzinieren = chem. Prozess).

Er hängt die Laterne an ein abgebrochenes Scharnier und kniet sich vor die Öffnung:

Ich dachte zunächst: Genauso wenig, wie man eine Laterne an einen abgebrochenen Haken hängen kann, geht das bei einem abgebrochenen Scharnier. Wahrscheinlich ist das jetzt etwas zu pingelpiselig.

Wie gesagt, die Geschichte ist schön erzählt, da sie aber mit einem Mysterium endet, könnte sie nach meinem Geschmack noch ein wenig mehr psychologischen Inhalt aufweisen. Vielleicht ist der Prota vielschichtiger, als man einem Arbeiter allgemein zutraut.
Das Seltsame fand ich nicht so faszinierend, Maschine lehnt sich gegen Mensch auf ist nicht (mehr) so sehr ein Trigger für Verwunderung.

Ach ja: Die Erwähnung des 'Schienenstrangs' hat mich an 'Abenteuer des Schienenstranges' von J. London erinnert (auch wenn der Schienenstrang eigentlich keine Abenteuer erlebt). Eigentlich ein treffendes Wort, schon lange nicht mehr gehört.

Beste Grüße,

Woltochinon

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Wolto,

wie schön, dich unter einem meiner Texte zu finden, ich freue mich sehr. Vielen lieben Dank.

Abgesehen von der Rußschwärze ist die Geschichte nicht so schwarz, wie ich erwartet habe. Stattdessen ist sie von einer ruhigen, getragenen, manchmal fast schon melancholischen Atmosphäre geprägt.
Danke, das freut mich auch. Ich schreibe ganz gern 'character death' und viele oder zumindest einige mögen das nicht so.
Klasse, das ist bei Grabinski auch oft die Atmosphäre und es freut mich, sollte ich davon einen Hauch eingefangen haben.
als ich einen deiner Kommentare las, ist mir eingefallen, dass ich früher eigentlich alles von dir gelesen habe. Nun, jetzt bin ich auf den Zyklopen gestoßen.
Danke schön, das ist ein schönes Kompliment. Auch sehr schön, dass du wieder aktiv bist.
Ich hab inzw. auch für andere Texte hinter den Kulissen Hilfe bekommen und es stand einiges mehr hier, das ich aber löschen musste, eigentlich gilt das auch für diesen Text ... :schiel::Pfeif:

den regennasser Erde und etwas, das ihn an verzweigte Höhlensysteme erinnert: Mineralien und kalkiges Kondenswasser.
Die "Mineralien" haben mich ein wenig gestört, das klingt so analytisch, auch zu allgemein. Wenn es da kalkiges Wasser gibt, sieht er vielleicht die 'ersten schmutzig-weißen Kalkablagerungen'.
Aber schau mal das Fette - es ist eine Assoziation.
Noch einmal Kalk als Stein des Anstoßes: Kann ein Bahnarbeiter etwas als "kalzinierte Briketts' erkennen? (Kalzinieren = chem. Prozess).
Ich bin gar nicht so ein Fan von Wahrscheinlichkeitsrechnungen bei Fiktion. Wieviel % braucht jemand? 90%? Oder wären 70% noch okay? Wie kann man sowas entscheiden bzw. errechnen? Meine Frage bei sozialrealistischen Texten wäre: Ist es möglich?

Der Ansatz hier war ein anderer, weil der Text spekulativ und auch symbolisch ist: Ich behandle die Kohle wie Knochen. Passend zur skelettierten Lok. (Aber selbstverständlich sollte ich meinen Text nicht erklären und ich will dir auch nix einreden!)

Ich dachte zunächst: Genauso wenig, wie man eine Laterne an einen abgebrochenen Haken hängen kann, geht das bei einem abgebrochenen Scharnier. Wahrscheinlich ist das jetzt etwas zu pingelpiselig.
Ach so, den Haken / das Scharnier hab ich von einer verrosteten, quasi 'skelettierten' Dampfeisenbahnlok hier in Helsinki genommen (also dort gesehen, im Eisenbahnmuseum Pasila). Ist also möglich.
da sie aber mit einem Mysterium endet, könnte sie nach meinem Geschmack noch ein wenig mehr psychologischen Inhalt aufweisen. Vielleicht ist der Prota vielschichtiger, als man einem Arbeiter allgemein zutraut.
Oh mensch, ich stehe auf dem Schlauch, sorry! Verstehe ich es richtig, dass du in spekulativer und/oder paranormaler Fiktion eine grundsätzlich stärkere Betonung des Psychologischen wünscht? Und vielleicht vielschichtiger meint ... ist der Prota bei mir vielschichtiger als man einen Arbeiter erwartet (warum sollen die nicht vielschichtig sein können?) oder dir nicht vielschichtig genug? Was wäre denn bei der Figur und dem Plot etwas Vielschichtigeres? (Eine echte, keine freche Frage.)
Eigentlich hatte ich beides geplant, aber dann ist es mir bei dir ggfs. nicht gelungen, das zu vermitteln.
Das Seltsame fand ich nicht so faszinierend, Maschine lehnt sich gegen Mensch auf ist nicht (mehr) so sehr ein Trigger für Verwunderung.
Ah, das ist ja super spannend! Das Thema wollte ich gar nicht schreiben. Immer wieder so interessant, wie fremde Augen das sehen.
Ach ja: Die Erwähnung des 'Schienenstrangs' hat mich an 'Abenteuer des Schienenstranges' von J. London erinnert (auch wenn der Schienenstrang eigentlich keine Abenteuer erlebt). Eigentlich ein treffendes Wort, schon lange nicht mehr gehört.
Hehe, cool, das Wort mag ich auch - die Geschichte kenne ich nicht, mit Londons KGs hatte ich mal größere Probleme, aber das wär mal einen Blick wert. Danke sehr für den Tipp. :)

Dir ein schönes Wochenende, herzlichst,
Katla

 

Hallo @Katla,

ja, es ist schon eine Weile her, seit dem ich etwas von dir gelesen habe. Leider habe ich den Verdacht, deine Geschichte anders aufgefasst zu haben, als es deine Intension war.

Zu deiner Replik:

den regennasser Erde und etwas, das ihn an verzweigte Höhlensysteme erinnert: Mineralien und kalkiges Kondenswasser. Erweitern ... Die "Mineralien" haben mich ein wenig gestört, das klingt so analytisch, auch zu allgemein. Wenn es da kalkiges Wasser gibt, sieht er vielleicht die 'ersten schmutzig-weißen Kalkablagerungen'.
Aber schau mal das Fette - es ist eine Assoziation.
Sorry - mein Fehler: Ich hätte schreiben müssen 'assoziiert er' "vielleicht die 'ersten schmutzig-weißen Kalkablagerungen'". (Er sieht es schließlich nur vor seinem geistigen Auge). Ich will mich nicht an diesen "Mineralien" festbeißen, mag das auch nicht bei meinen Texten. Nur, damit besser klar wird, was ich mit meinem Einwand meinte: Mir erscheint dieser wissenschaftliche Begriff zwischen den Sinneseindrücken "Duft des Waldes", "Geruch öligen Rußes" etwas fremd. Ähnlich geht es mir bei der Kalzinierung.

Ich behandle die Kohle wie Knochen. Passend zur skelettierten Lok.
Ist auch wirklich passend. Nur warum schreibst du es nicht? Wahrscheinlich bringt mich mein Chemiehintergrund da auf Abwege – in so einem atmosphärischen Text plötzlich der Verweis auf eine Verfahrenstechnik.
Welche Assoziationen hast du denn mit dem Begriff, warum hast du ihn gewählt?

Ich bin gar nicht so ein Fan von Wahrscheinlichkeitsrechnungen bei Fiktion.
Das deckt sich gut mit meiner Auffassung, dass in den Geschichten fiktive Realität dargestellt wird, die man akzeptieren muss. Aber innerhalb des Textes kann man schon mit Plausibilität argumentieren.

(also dort gesehen, im Eisenbahnmuseum Pasila). Ist also möglich.

Ich meine etwas anderes: Wenn es abgebrochen ist, ist es nicht mehr da. Du hast im Museum garantiert kein abgebrochenes Scharnier an der Lok gesehen.
Ich hab es ja angedroht: Es ist "pingelpiselig"! :lol::D


Ah, das ist ja super spannend! Das Thema wollte ich gar nicht schreiben. Immer wieder so interessant, wie fremde Augen das sehen.
Der Lok wird viel Raum gewidmet. Sie war für mich der zentrale Zyklop. Da ich sehr früh vermutete, dass die Lok aktiv wird, war das Ganze nicht mehr so spannend. Also dachte ich, irgendetwas Außergewöhnliches muss in der Gefühls/erlebniswelt des Protagonisten passieren (ich bin bei dir auf alles gefaßt ... ). Was habe ich übersehen? Hilf einem :cool:.

dir nicht vielschichtig genug? Was wäre denn bei der Figur und dem Plot etwas Vielschichtigeres?

Ein Bezug zu seinem Leben, seinen tiefsten Ängsten? Eine überraschende Erkenntnis? Auch wenn diese Bezüge total unkonventionell, halt paranormal wären?

Spätestens hier muss ich jetzt meinen zweiten Kritik-Grundsatz anwenden: Ein Text gehört dem Autor, ich kann nur von meinen (vielleicht fehlgeleiteten/fehlerhaften) Erwartungen berichten.

Klasse, das ist bei Grabinski auch oft die Atmosphäre und es freut mich, sollte ich davon einen Hauch eingefangen haben.
Oh ja! Das hast du!

wie schön, dich unter einem meiner Texte zu finden, ich freue mich sehr. Vielen lieben Dank.
Danke, das ist sehr nett!

War wieder erfrischend von dir zu hören,
danke für deine Gedanken,

Woltochinon

 
Zuletzt bearbeitet:

Leider habe ich den Verdacht, deine Geschichte anders aufgefasst zu haben, als es deine Intension war.
Lieber Wolto,

vielen Dank für deine Rückmeldung! :gelb:
Das mag sein, aber so 'leider' finde ich das absolut nicht. Zum einen finde ich es wichtig, dass Leser auch ihre eigenen Geschichten in / aus Texten anderer lesen, zum anderen lehrt es auszutarieren, in der Zukunft vielleicht.

Mir erscheint dieser wissenschaftliche Begriff zwischen den Sinneseindrücken "Duft des Waldes", "Geruch öligen Rußes" etwas fremd. Ähnlich geht es mir bei der Kalzinierung.
Ah, verstehe. Dann haben wir da nur ein anderes Empfinden diese Worte / Stimmungen betreffend - bei mir im Kopf ist da kein Bruch / Diskrepanz.
Ist auch wirklich passend. Nur warum schreibst du es nicht?
Weil ... mensch, Wolto. :schiel: Weil es mir um das geht, was zwischen den Zeilen mitschwingt. (Oder bei manchen Lesern auch nicht, klar.) Ich würde aufhören zu schreiben, wenn man mich zwänge, alles auszubruchstabieren - das will ich nämlich selbst nicht lesen. Mich macht sowas sogar extrem aggressiv. Diese Vorgehensweise wäre imA die Antithese von Literatur. Das müssen andere schreiben, wenn sie mögen; damit kann ich nicht dienen.
Aber innerhalb des Textes kann man schon mit Plausibilität argumentieren.
Ja, aber Plausibilität = etwas ist grundsätzlich möglich. So hatte ich deinen Komm aber nicht aufgefasst.
Ich lerne immer durch Rückmeldungen, sie ändern allerdings nicht immer meine Sicht auf die Dinge.
Ich meine etwas anderes: Wenn es abgebrochen ist, ist es nicht mehr da.
Äh, nein, das meint es nicht. Wenn ich mich auf einen abgebrochenen Baumstamm setze, sitze ich auf dem Strunk, nicht auf dem Waldboden. Wenn ich etwas an einen abgebrochenen Ast hänge, ist noch ein Teil am Stamm. Wenn ich mir einen Zahn an einer gebrannten Mandel abbreche, kann eine große Ecke weg sein, aber der Zahn ist noch nutzbar. Ab heißt nicht immer und unbedingt: vollständig weg.
Der Lok wird viel Raum gewidmet. Sie war für mich der zentrale Zyklop. Da ich sehr früh vermutete, dass die Lok aktiv wird, war das Ganze nicht mehr so spannend. Also dachte ich, irgendetwas Außergewöhnliches muss in der Gefühls/erlebniswelt des Protagonisten passieren (ich bin bei dir auf alles gefaßt ... ). Was habe ich übersehen?
Ja, ich habe die Lok im Intro stark personalisiert bzw. wie etwas Lebendiges beschrieben und das war auch als Foreshadowing geplant. Soweit, so gut.

Ob du etwas übersehen hast, kann ich nicht sagen, weil ich nicht weiß, was Fremdleser oder jetzt du speziell als "Außergewöhnliches" bezeichnen, bzw. benötige ich nichts Außergewöhnliches, wenn ich anderes XY bekomme. Das läßt sich jetzt glaube ich nicht (er)klären und mir scheint eh, dass vieles / einiges, das ich meinte, dich nicht erreichte. Das ist auch nicht schlimm - wenn auch in diesem Fall sehr schade -, weil Leser zum Glück ja eigene Köpfe und nicht meinen haben. :-)

Ein Bezug zu seinem Leben, seinen tiefsten Ängsten? Eine überraschende Erkenntnis?
Das hat dich wohl null erreicht, verstehe. Natürlich schade.
Spätestens hier muss ich jetzt meinen zweiten Kritik-Grundsatz anwenden: Ein Text gehört dem Autor, ich kann nur von meinen (vielleicht fehlgeleiteten/fehlerhaften) Erwartungen berichten.
Ich widerspreche: Ein Text ist nicht mehr unter dem Einfluss des Autors, sobald er veröffentlicht wird. Jeder soll eine Fiktion so lesen, wie er möchte - gerade das finde ich an Literatur so spannend. Ich hab schon Romane im Laufe der Zeit mehrfach gelesen und sie vollkommen anders gesehen, und alles hat seine Berechtigung, kann im Text belegt werden.
Es ist enorm spannend, was verschiedene Leser sehen und lesen und assoziieren, auch wenn ich einiges davon nicht sagen wollte oder anders meinte.

Alles Liebe,
Katla

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Katla

Gefällt mir sehr gut, der Text. Sehr atmosphärisch geschrieben. Ich bin auch schon auf diesen Grabinski gestossen, habe sogar ein Buch von ihm, soweit ich weiss und da noch den Überblick habe (:D), aber bisher noch nichts von ihm gelesen. Deinen Prota Zagan (schon jetzt sorry für falsche Schreibweise!) sehe ich gut vor mir, er wird nur knapp umrissen, aber mir hat das ausgereicht, dass er für mich lebendig geworden ist. Ebenso die verunglückte Lok, die ich durch die gelungenen, optischen Beschreibungen und der Personifizierung ebenfalls als eine Art Protagonistin wahrnehme. Allgemein gefällt mir der Stil und die Erzählweise des Textes hier wirklich gut, sowas möchte ich auch mal können ;-)

Die anderen Komms habe ich nicht gelesen, nur deinen einleitenden direkt unter der Geschichte.

Nässe rinnt die Tunnelwände herab, tropft von der Decke auf rußgeschwärztes Eisen. Die Zugmaschine ist von öligen Verbrennungsrückständen überzogen wie von einem stacheligen Pelz, zwei Scheinwerfer ihres Dreilichtes sind zersplittert. Hinter ihr ragen Metallstreben der ausgebrannten Waggons wie zerborstene Rippen in die Dunkelheit. Ein Tunneleinsturz hat ihr das Rückgrat gebrochen und die hintersten Wagen zerschmettert unter Tonnen von Gestein begraben. Pt 47-65 steht direkt hinter dem Tunnelausgang, vor ihr überwuchern Gräser und Flechten die Gleise, neigt sich ein Birkenwäldchen im Wind. Die Lokomotive wartet. Im Dämmerlicht glimmt ihre rechte Lampe auf wie ein verirrter Glühkäfer.
Sehr atmosphärischer Einstieg, gefällt mir sehr gut. Ich bin sofort im Setting und in der Geschichte drin. Das hast Du echt drauf, finde ich.

Die andere – schwarz verrußt und vom Inferno gleichsam skelettiert – wurde in einem aufgegebenen Tunnel untergestellt.
Ah, das ist also die Lok vom Anfang. Schön, wie hier darauf referenziert wird.

Was, wenn die Vergangenheit ihn heimsuchte wie ein Gespenst?
Mmh, entweder habe ich das nicht mitgeschnitten oder verstehe etwas nicht, aber über Zagans Vergangenheit weiss ich ja eigentlich nichts [EDIT: Ok, er ist/war Eisenbahner, irgendwie habe ich wohl zu weit (oder zu wenig ;-)) überlegt], weshalb ich das nicht so recht zuordnen kann. Wieso erinnert ihn das Glühen, das Lohen in der Dämmerung an seine Vergangenheit? Mir fehlt da etwas Kontext, aber ich nehme an, das ist extra so, weil Du sehr genau arbeitest und das nur beabsichtigt sein kann, dass ich mir hier selbst was überlegen soll und es deshalb nur angedeutet wird. Wie gesagt: Vielleicht verstehe ich aber auch etwas nicht oder habe zu ungenau gelesen. Nur noch eine klitzekleine Nörgelei: Das Gespenst aus der Vergangenheit, ich weiss nicht, scheint mir als einzige Stelle im Text dann doch etwas verbraucht/abgegriffen, aber vielleicht bin das nur ich und ich kann mir gut vorstellen, dass es in die Zeit passt (Grabinski ist wohl in den 30ern verstorben und Du schreibst ja, der Text sei eine Pastiche).

Er mochte sich schelten, dass die Legenden der Eisenbahner seine Phantasie beflügelten, wie Seemannsgarn die Schiffer ängstigen mag.
Ich kenne mich mit Schiffern, Schiffen und Seemannsgarn nicht aus, aber sind sich die Schiffer das Seemannsgarn nicht gewöhnt und haben deshalb keine Angst (mehr) vor solchen Erzählungen? Tun es vielleicht mit einem Lächeln und Kopfschütteln ab? Aber wie gesagt, kann gut sein, dass ich da einfach zu wenig von verstehe.

Und schwarz vor dem Schwarz kann Żagań die Umrisse einer Zugmaschine erkennen.
Geschmackssache: 'schwarz vor dem Schwarz' gefällt mir als Formulierung nicht so wirklich. Ich finde, es fällt etwas ab zu deinen sonst sehr - ich nenne es mal - innovativen (und auch treffenden) Formulierungen. Mit 'innovativ' meine ich auch, dass die Bilder, die aus dem Text für mich erweckt werden, frisch sind, unverbraucht für mich.

hebt die Umrisse der Lok als Schattenriss
Sehr pingelig: Die Wiederholung von 'riss' finde ich nicht so prickelnd.

Der alte Eisenbahner sieht noch, wie eine Dampfwolke aus dem Schlot der Lok schießt, sich vor der Lohe in die Höhe schraubt, dann wirft er sich flach aufs Gleis, die Arme über den Kopf gelegt.
Wieso legt er sich aufs Gleis? Wird ja gleich überrollt, der Arme. Ich hätte ihn gar nicht so lebensmüde eingeschätzt. Aber vielleicht ist mir auch hier etwas entgangen?

Der Titel gefällt mir auch sehr gut:

zwei Scheinwerfer ihres Dreilichtes sind zersplittert
die rechte Lampe der Lokomotive glüht
Erst dachte ich, mmmh, wieso Zyklop, die Lok hat doch drei 'Augen', aber jo, ist klar, die anderen beiden sind ja zersplittert.

War jetzt nicht super konstruktiv, aber einfach ein Lob nimmst Du bestimmt auch gerne an :-) Freue mich auf weitere Texte.

Beste Grüsse,
d-m

 

Hallo @Katla

Der Text ist ja schon ein wenig älter, deshalb ist es umso schöner, dass er gerade wieder in den Threads hochgerutscht ist.

Ansonsten wäre mir vielleicht eine sehr kurzweilige, stark geschriebene Geschichte von dir entgangen.

Vorab: Leider kenne ich Grabiński nicht. Deshalb kann ich mich bezüglich deiner Hommage nicht äußern.

In der Schauerliteratur bin ich aber ansonsten gerne zuhause. Ich hoffe es stört dich nicht, dass ich deine Geschichte in dieser Richtung verorte, aber sie wirkte diesbezüglich sehr klassisch auf mich.

Meiner Meinung nach hast du hier eine schöne Mischung aus Lovecraft/Blackwood und ein bisschen Kafkaeskem geschrieben. Das allein ist schon sehr spektakulär. Hut ab, dass du die Stilistik so durchziehst. Daran erkennt man viel Schreiberfahrung!

Wie gesagt, Grabinski kenne ich nicht. Aber da er ja in der selben Epoche wie Lovecraft, Kafka und Blackwood lebte und arbeitete, sind stilistische Gemeinsamkeiten wohl kein Zufall.

Darüber hinaus hatten alle mehr oder weniger in den Büchern von Poe und Hoffmann. Vielleicht ja auch Grabinski?

Jetzt im Detail:

Der erste Absatz hat mich sofort richtig in die Welt und die Geschichte gezogen. Diese Beschreibung war sehr gelungen. Eine Lokomotive so zu beschreiben, dass von ihr etwas lebendiges und bedrohliches ausgeht, muss man erst mal schaffen! Klasse!

Dieses Dunkle, dass hier zwischen den Zeilen schwappt, hat mich dann auch an Lovecraft erinnert.

nickte gelegentlich dabei ein und wurde so – ohne es zu merken – ein stummer Teil ihrer Legenden.
„Nicht mehr lange“, pflegten sie zu sagen. „Nicht mehr lange und auch diese Station wird geschlossen, die Strecke dem Vergessen anheimfallen. Nur noch die dunklen Hänge der Schlucht werden über die verlassenen Gleise wachen.“
Auch sehr gut. Alle sind Teil einer sterbenden Welt. Sie selbst sind älter geworden. Aber vor allem werden sie vom rasanten Fortschritt der sie umgebenden Welt fortgespült.

Keine Zeit mehr für Dampflokomotiven, für Bahnwärter und märchenhafte Bahnhöfe.

der den Dunst rötlich färbte und den Wald als Silhouette hervortreten ließ. Als er ins Häuschen eilte, um sein Fernglas zu holen, erlosch das seltsame Licht.
Geschickt baust du hier die Bedrohung auf. Die Lokomotive scheint ihn zu rufen. Auch hier schleicht sich wieder diese Lovecraft Stimmung ein. Unnennbare Dinge, die niemand außer dem Prot sehen kann. Calls from Below und solche Sachen…

Was, wenn die Vergangenheit ihn heimsuchte wie ein Gespenst?
Hier wird es zu konkret für mich. Das ist vielleicht der einzige Satz, den ich streichen würde. Als Leser hatte ich diesen Gedanken ohnehin schon im Kopf.

Der Platz und der Zug sind eins, und sie wollen in den Köpfen der Menschen fortleben. Oder … sie suchen sich die alten Eisenbahner, mit denen sie endlich sterben können
Wieder der Kernpunkt. Die alten Zeiten sind vorbei. Der arme Żagań hat nichts als seinen (bald überflüssigen) Beruf und die nicht sehr tiefen Beziehungen zu seinen Kollegen.

Er ist genauso ausrangiert wie die Lokomotive. Kein Wunder, dass er ihren Ruf hört. Ja, sich sogar danach sehnt.

der Antrieb … sonderbar … violett … eine Kraft reißt alles mit sich …
Das Papier zerbröselt unter seinen Fingern und driftet zu Boden. Żagań befreit vorsichtig ein weiteres. Vaters Beerdigung …nd die Soldaten … so viel Blut … wie ein Kugelblitz durchschlä… Mehr ist nicht zu erkennen.
Hier kommt mir Lovecraft am stärksten durch. Die Briefe können natürlich auf viele Dinge verweisen. Mir gefällt aber der Gedanke am besten, dass hier quasi die Opfer der Katastrophe noch einmal sprechen dürfen. Und auch andere Tote (Deshalb das Wort Krieg). Die Lokomotive und das Gleis als Symbol für die Reise ins Totenreich. Das kann natürlich schnell billig wirken. Aber nicht wenn man so gut schreibt wie du.

Spätestens hier wird klar, dass etwas altes und unbegreifliches von Żagań aufgeweckt wurde.

Draußen erwartet ihn kein Tageslicht, sondern das Indigo der Abenddämmerung. Wind peitscht die Äste, trägt ein leises Heulen und Pfeifen aus dem Tunnel. Żagań stolpert, fällt auf die Knie.
Mir gefällt es sehr gut, wie du mit dem Licht arbeitest. Sehr stimmungsvoll.

Aus der Tiefe des Tunnels glüht oranger Feuerschein und hebt die Umrisse der Lok als Schattenriss hervor, das Fauchen und Tosen eines Infernos schluckt alle anderen Geräusche, eine Hitzewelle kräuselt das hohe Gras.
Und da haben wir es. Żagań sieht seinem Ende entgegen. Und doch ist es ein besserer Abgang für ihn. Anstatt einsam zu verblassen wird er von dem getötet, dass er am meisten liebte: Der Eisenbahn.

Nicht nur das erinnert mich auch stark an die grandiose Graphic Novel ,,Alois Nebel‘‘, die kongenial verfilmt wurde.

Im gleichen Stil könnte man auch deine Geschichte animieren. Sie würde sich da sehr gut machen.

Toll geschrieben und von mir gerne gelesen!

Liebe Grüße
Rainbow Runner

 

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