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Der Fluch

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04.10.2006
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Der Fluch

Katzen folgen ihrer Natur. Meine Katze folgt ihrer Natur. Meist allerdings nur bis zu jenem Punkt, an dem die Beute erlegt ist. Das Verspeisen der Beute überlässt sie dann mir. Ich verspeise die Beute in der Regel nicht.
Meine Katze jagt Mäuse. Manchmal bringt sie sie mit nach Hause, heult herum, will Anerkennung, will eine Belohnung. Und was soll ich die Katze maßregeln, dass man nicht einfach so Mäuse umbringt. Wer bin ich, der ich ein Mensch bin, einer Katze Vorhaltungen über sinnloses Töten zu machen. Ich belohne die Katze aus der Dose, und dann nehme ich die Maus und hülle sie in ein Leichengewand aus Küchenkrepp. Manchmal lasse ich sie in der offenen Handfläche liegen und spüre die schwindende Körperwärme durch die Zellulose. Die Maus ist tot, aber noch glüht in ihr das Leben.
Einmal hat die Katze ein junges Eichhörnchen mitgebracht. Es war größer als die winzigen Mäuse, und es war nicht tot. Ich habe es der Katze abgenommen, ich habe geschimpft und nicht belohnt. Und ich habe es in eine Dose gelegt, in Küchenkrepp, und die Wunden mit feuchten Tüchern abgetupft. Ich war mit dem Hörnchen beim Arzt, habe Milchpulver bekommen und gute Ratschläge. Am nächsten Tag ist das Hörnchen gestorben. Am schlimmsten waren die Schreie. Ich habe es beerdigt, ich weiß heute noch wo, obwohl ich das Grab nicht markiert habe, wegen der Nachbarn. Ich wohne dort nicht mehr.
Im Spätsommer hat die Katze einen Schmetterling erlegt. Die Flügel der Schmetterlinge sind empfindlich, man darf sie nicht berühren. Die Katze wusste das nicht, es interessierte sie nicht. Insekten sind zäh, sie sterben nicht so schnell wie Mäuse. Aber sie erkennen auch nicht, wann das Ende nah ist. Der Schmetterling versuchte mit seinen zerrissenen Flügeln zu starten, mechanisch, wie ein Automat. Ich habe die Katze verscheucht, habe den Schmetterling aufgenommen und auf die Brüstung meines Balkons gesetzt. Ich konnte ihn nicht zertreten, auch wenn das vielleicht gnädiger gewesen wäre. Er war so schön, auch als zerfetzte Farce dessen, was er gewesen war.
Man muss nicht an Gott glauben, um die Schönheit der Natur anzuerkennen. Gerade, wenn man Gott nicht als Schöpfer bemüht, sind die Dinge in der Natur wunderbar. Dass sie so geworden sind, ohne einen lenkenden Willen, muss man das nicht ein Wunder nennen? Sie folgen einfach ihrer Natur, sie sind Geschöpfe des Jetzt, sie leben jetzt und sie leben fort, bis sie damit aufhören. Schmetterlinge, Mäuse, Eichhörnchen, Katzen. Sie leben.
Wir sind verflucht, weil wir sterben.

 

Hallo bruder vom weber,

Also zunächst mal: ziemlich gut geschrieben!
Ich persönlich mag auch Geschichten aus kurzen, z.T. lakonischen Sätzen; insofern kommt mir dieses Exemplar entgegen. Fehler konnte ich keinen einzigen entdecken, in jeder Hinsicht.

Eher selten entspricht eine Geschichte hier in dieser Rubrik auch einmal so genau den gesetzten Anforderungen an diese: Im Rahmen einer erzählten Handlung kommt ein Erzähler am Ende zu einer philosophischen Erkenntnis. Viele schaffen allein diese Hürde entweder gleich gar nicht oder nur wenig überzeugend - noch ganz abgesehen davon, ob dann auch noch eine gute Geschichte dabei herauskommt.

Zur Interpretation: Menschen unterscheiden sich von Tieren durch ihre Vernunft. Nur der Mensch weiß von seinem künftigen Tod, dem er nicht entrinnen kann. Sein Fluch besteht darin, sich seiner selbst bewusst zu sein - und infolgedessen das unvermeidliche Schicksal des Todes anderer Menschen auch zu seinem eigenen Schicksal zu machen. Ja, noch mehr: Dieses Bewusstsein über den persönlichen Tod erstreckt sich über die Zeit in Richtung Zukunft und kann deshalb als ein andauerndes Sterben in Form des unausweichlichen Älterwerdens verstanden werden.
Tiere hingegen haben ein Bewusstsein, jedoch kein Selbstbewusstsein. Sie leben daher im Augenblick. Und sie reflektieren nicht über den Tod eines anderen Lebewesens auf ihren eigenen künftigen Tod. Daher können Tiere auch über keinerlei Moral verfügen, denn eine solche geistige Kategorie setzt Bewusstsein über sich selbst voraus.

(Gut, mir fallen selbst spontan gleich ein paar Einwände gegen diese Thesen ein, aber ich lass das jetzt mal so stehen)

 

Hallo, philosophische Ratte.

Vielen herzlichen Dank für die wohlwollende Kritik. Ich hatte selbst Sorgen, dass der philosophische Anteil vielleicht ein wenig zu dünn ausfallen könnte. Was ja offenbar nicht der Fall ist, wenn Du es für ein Musterexemplar dessen hältst, was in die Rubrik Philosophisches gehört. :) Deine Interpretation trifft den Nagel auf den Kopf.

Was Deine Einwände gegen die These angeht, dass der Mensch stirbt, weil er immer um seine Endlichkeit weiß, hast Du zweifellos recht. Ausgerechnet diesen Aspekt des Daseins verdrängen wir im Alltag ja professionell. Da sind wir ja vielfach auch nur Wesen des Jetzt. Diese "verfluchte" Wahrnehmung kommt bei mir meist nur dann hoch, wenn ich mich wieder als Verwalter des Todes gerieren muss und die Opfer meiner Katze entsorge. Dieses Glühen einer frischverstorbenen Maus ist wirklich unglaublich intensiv.

Gruß&Dank
bvw

 

Hallo brudervomweber,

ich finde ebenfalls, dass deine Geschichte philosophisch ist und es ist eine Aussage, mit der ich mich seit nun schon drei Jahren intensiv beschäftige, nämlich dem Leben im Augenblick. Es klingt so einfach und ist unendlich schwer. Schwer für den Menschen, nicht für das Tier und darum frage ich mich oft: Wer steht in der Evolution eigentlich über wem?
Wir haben keine mäusejagende Katze, sondern zwei Kaninchen, aber eines von beiden hat mir auch mal auf eindringliche Weise gezeigt, was es heißt im Hier und Jetzt zu leben.

Der langen Rede kurzer Sinn: hat mir sehr gefallen.

LG
Katinka

 

Hi, Katinka.

Kurzer Rede kurzer Sinn: Vielen Dank für die Blumen.

Ich denke im übrigen nicht, das das Lebenkönnen im Jetzt die Tiere evolutionär höherstellt als den Menschen. Das Vorausschauen-Können birgt definitive evolutionäre Vorteile. Ob uns das im Streben nach Glück allerdings voranbringt, steht auf einem anderen Blatt. Nur haben uns da die Tiere auch nichts voraus, weil sie das Glück ebensowenig kennen wie den Tod. Mensch-Sein hat also vermutlich nicht nur Nachteile. :)

Gruß
bvw

 

Hallo brudervomweber,
ich fand die Handlung nicht unbedingt als Geschichte. Eine Reihenfolge von Aufgliederungen war es mMn, die aus der Sicht von Tieren gezeigt wurde. Trotzdem weiß man nie mit Bestimmtheit,was Tiere denken. Sie spüren mehr, das mag sein.

Der letzte Abschnitt zeigte allerdings, dass das Leben für uns alle gleich ist, egal ob wir fühlen oder weiterhin denken. Sterben ist uns allen gewiss.

Sie folgen einfach ihrer Natur, sie sind Geschöpfe des Jetzt, sie leben jetzt und sie leben fort, bis sie damit aufhören. Schmetterlinge, Mäuse, Eichhörnchen, Katzen. Sie leben.
Wir sind verflucht, weil wir sterben.

Ich weiß nicht ... klingt für mich nicht überzeugend philosophisch.
LG KaLima

 

Hi, KaLima.

Was denn nun Philosophie sei, ist eine Frage, die wir hier sicherlich nicht klären können. Letztlich kann man als kleinsten gemeinsamen Nenner vielleicht das Nachdenken über "X" als Philosophie definieren. Dass ich hier nicht nur nachdenke, sondern Teile des Nachdenkens in den Leser auslagere, mag man mir vielleicht vorwerfen, aber immerhin steht es noch 2:1 für die Philosophie-Befürworter. ;)

Wie man Philosophie und Geschichtenerzählen zueinander bringt, ist meines Erachtens auch keine allzu leichte Übung, wenn man nicht Parabeln im Dutzend produzieren will. Sicherlich ist diese "Geschichte" nicht nach einem normalen Handlungsmuster gestrickt, aber ich hatte das Gefühl, dass sich genug Handlung darin befindet, um sie als Geschichte durchgehen zu lassen. Anderfalls hätte ich sie nicht eingestellt.

Ich kann mich im übrigen nicht Deiner Wahrnehmung anschließen, dass hier irgendetwas aus der Sicht von Tieren gezeigt wird. Alles wird aus Sicht des Erzählers gezeigt, der annimmt, dass Tiere dieses oder jenes Empfinden besitzen, der anthropomorphiert, der Intentionen in die Tiere hineininterpretiert. Es geht immer um das, was der Mensch denkt. Und wenn es nur ist, was der Mensch denkt, dass das Tier denkt.

Und letztlich stelle ich nicht die Frage nach dem, was uns allen blüht, sondern nach der menschlichen Wahrnehmung dessen, was auch uns blüht. Wir nehmen uns ja gerne mal aus dem biologischen gefüge heraus, krone der Schöpfung, die wir sind. Dass aber alle sterben müssen, ist in der Tat keine philosophische Erkenntnis, sondern eine biologische Notwendigkeit. Dass es jedoch durchaus kognitive Unterschiede in der Auseinandersetzung mit dem Leben (und implizit mit dem Ende dieses Lebens, i. e. dem Tod) gibt, die aus einer gewissen Perspektive die Lebensqualität des Menschen durchaus eintrüben, würde ich aber schon als eine solche Erkenntnis durchgehen lassen.

Danke für's Lesen jedenfalls.

Gruß
bvw

 
Zuletzt bearbeitet:

Ja, in der Beziehung hast Du Recht.Die Sicht des Menschen ist hier aufgezeigt. Seine Sicht, wie Tiere es sehen und fühlen könnten, instinktiv wahrscheinlich.

Im ersten Absatz sträuben sich mir aber schon die Haare, denn da wirkt es auf mich doch sehr verwirrend, dass Du (der Erzähler) die Beute der Katze offensichtlich aufessen solltest? ... brrr ... sag ich da nur.

Katzen folgen ihrer Natur. Meine Katze folgt ihrer Natur. Meist allerdings nur bis zu jenem Punkt, an dem die Beute erlegt ist. Das Verspeisen der Beute überlässt sie dann mir. Ich verspeise die Beute in der Regel nicht.Meine Katze jagt Mäuse. Manchmal bringt sie sie mit nach Hause, heult herum, will Anerkennung, will eine Belohnung.

Das Herumphilosophieren ist immer eine unendliche Geschichte, da man meist zu keinem Schluss kommt. Sichtweisen des Einzelnen werden aufgezeigt. Dennoch bleibe ich bei meiner Behauptung, dass es keine wirkliche Geschichte ist, sondern eine Beschreibung, wie ein Mensch Tiere beobachtet und dies auf sich selbst bezieht; dabei zur Erkenntnis kommt, dass wir alle doch irgendwann hopps gehen - auf deutsch gesagt.

Ich fände schon, dass da die Tiere etwas mehr mit dem Erzähler gemeinsam unternehmen sollten - eben eine Handlung, eine Geschichte. Ich bin zwar ein Paradebeispiel dafür, dass ich keine schlüssigen Geschichten auf die Beine stellen kann, aber ich stelle diesbezüglich Vergleiche an wie andere es machen.

Dass eine Katze heult, kenne ich auch nicht ...

Der untere Satz ist meiner Meinung nach kein schlüssiges Argument. Es zeigt nur, dass meine Ansicht doch die Wahre ist. Wir sterben alle - egal wer das denkt und sieht und fühlt. Aus und vorbei.

Und letztlich stelle ich nicht die Frage nach dem, was uns allen blüht, sondern nach der menschlichen Wahrnehmung dessen, was auch uns blüht.

Das wäre auch unmöglich:

Und was soll ich die Katze maßregeln, dass man nicht einfach so Mäuse umbringt.

Drohst Du ihr vielleicht Haue an und sie lässt dann das Jagen?

Die Maus ist tot, aber noch glüht in ihr das Leben.

Wenn ein Individuum tot ist, dann kann es nicht mehr glühen vor Leben - oder sehe ich da was falsch?

Naja - ich finde schon, dass es aufgezeigte persönliche Sichtweisen sind und keine richtige Handlung. Trotzdem.

Obwohl ohne Frage gut geschrieben.

Bitteschön für's Lesen. :)
KaLima

 

Hallo, KaLima.

Das Verspeisen der Beute erwähne ich in diesem Fall, um die Differenz zwischen Mensch und Tier aufzurufen, um die es mir ja u. a. geht. Was gemessen an Deinem "brrr" ja offenbar ganz gut geklappt hat. ;)

Es ging mir in der Tat nicht darum, eine Handlung zu erzählen, sondern anhand eines Geschehens einen Gedanken zu entwickeln. Es ist darum keine Fabel, sondern eine Beschreibung verschiedener miteinander in Zusammenhang stehender Situationen, die den Ich-Erzähler zu Gedanken über Leben und Tod, Tier und Mensch veranlassen. Es ist wie gesagt sicherlich nur eine Miniatur, aber es ist eben auch nicht nur reine Kontemplation. Es geschieht etwas, weshalb ich es durchaus als geschichte verstehe. Da mögen wir vielleicht keinen gemeinsamen Nenner finden, für mich ist das Kriterium der Geschichte hier aber erfüllt.

Dass eine Katze heult, kenne ich auch nicht ...

Dafür kenne ich das umso mehr. Wenn unser Kater eine Maus mit heimbringt, dann wird immer erst irgendeine Arie geschmettert, bevor man die beute übergeben bekommt. Katzen heulen, kreischen, brummen, gurren und was weiß ich noch alles. Miauen tun sie auch. manchmal.

Wir sterben alle - egal wer das denkt und sieht und fühlt. Aus und vorbei.
Ich habe nie etwas anderes behauptet. Die Frage, mit der ich mich aber im text befasse, ist, dass Tier und Mensch dieses Ende grundsätzlich anders perspektivieren. Oder um die Philosophische Ratte zu zitieren, die da den nagel auf den Kopf getroffen hat: Das menschliche "Bewusstsein über den persönlichen Tod erstreckt sich über die Zeit in Richtung Zukunft und kann deshalb als ein andauerndes Sterben in Form des unausweichlichen Älterwerdens verstanden werden. Tiere hingegen haben ein Bewusstsein, jedoch kein Selbstbewusstsein. Sie leben daher im Augenblick." Dieser Unterschied ist es, den ich im Auge habe. Nicht die Tatsache, dass alles sterblich ist, sondern die, dass der Mensch das weiß und das Tier nicht, ist hier der Dreh- und Angelpunkt des "Fluchs".

Und was soll ich die Katze maßregeln, dass man nicht einfach so Mäuse umbringt.
Drohst Du ihr vielleicht Haue an und sie lässt dann das Jagen?
Hierzu gehört noch der nächste Satz. Warum soll ich, der ich Mensch bin und über Moral verfüge, einer Katze, der ich diese Moral nicht zuspreche, vorschreiben, wie sie mit ihrer natürlichen Beute zu verfahren hat, zumal wenn die Gattung Mensch trotz ihrer Fähigkeit zur Moral weit schrecklichere Taten vollbracht hat. Katzen zu maßregeln hat in der Tat überhaupt keinen Zweck. Ich weiß das aus Erfahrung.

Wenn ein Individuum tot ist, dann kann es nicht mehr glühen vor Leben - oder sehe ich da was falsch?

Ja, definitiv siehst Du da etwas falsch. Es geht ja nicht darum, dass die Maus noch lebt, sondern dass sie eine Restwärme besitzt. Ich persönlich darf zu meinem eigenen Mißfallen so gut zwei bis drei Mäuse im Monat "entsorgen", und ich lege sie wie hier beschrieben in Küchenkrepp. Manchmal schaue ich sie mir noch an. Und wenn die Tiere, die zweifellos tot sind, in meiner Handfläche liegen, dann sind sie noch warm, dann "glühen" sie. Was an der höheren Empfindlichkeit der Handinnenfläche liegen mag, aber diese Wahrnehmung ist eine erlebte Wahrnehmung.

Nichts für ungut, aber ich habe so das Gefühl, dass wir bei dieser Geschichte wohl nicht so recht zusammenkommen werden. Ich fürchte, wir senden auf leicht unterschiedlichen Frequenzen.

Lieben Gruß
bvw

 

Hallo bvw,
das hast Du nun alles sehr ausführlich beschrieben. Ich habe dazu keine Fragen mehr. Jeder hat seine Sicht der Dinge erklärt und das war's dann.

Viele Grüße
KaLima

 

Hej brudervomweber,

sehr schön be- und geschrieben. Gefällt mir gut, trotz oder gerade weil sich sofort Widerspruch in mir regt und zig Fragen.

Der Schmetterling versuchte mit seinen zerrissenen Flügeln zu starten, mechanisch, wie ein Automat.

Ich habe den Eindruck, dass du mit dieser Formulierung verdeutlichen willst, was oder wie etwas - der Drang zu leben? - bei Tieren scheinbar reibungsloser, eher wie von selbst abläuft, weil der bewusste Tod nicht, wie bei uns Menschen, Sand ins Getriebe streut.
Ebenso würde wohl ein Mensch handeln, wenn er sich in einer lebensbedrohlichen Situation befände. Würde man das auch "mechanisch" nennen?

Dass sie so geworden sind, ohne einen lenkenden Willen, muss man das nicht ein Wunder nennen?

Welche Rolle spielt es, ob es einen lenkenden Willen gab oder nicht, wenn ihr Wunder doch in ihrem Dasein liegt, nicht in ihrem Gewordensein?

Wir sind verflucht, weil wir sterben.

Spontaner Gedanke dazu: erzähl das mal den Hühnern in einer Legebatterie. Ich meine damit: Wenn Tiere auch leiden können, und das würde ich mal stark annehmen, ist es nicht ein viel größerer Fluch, nicht zu wissen, dass dieses Leid endlich ist?

*ichschreibdasjetztmaleinfachobwohlicheshassedieseformulierungzugebrauchen*: Gerne gelesen.

Viele Grüße
Ane

 

Hallo, Ane.

Der Schmetterling versuchte mit seinen zerrissenen Flügeln zu starten, mechanisch, wie ein Automat.

Es ging mir an der Stelle weniger um einen Drang zum Überleben, als um die nackte Tatsache des Weiterlebens wie bisher. Der beschädigte Schmetterling ist sich ja in der Tat nicht bewußt, dass er nur noch ein Wrack ist. Bei einer Maus mit vergleichbaren Verletzungen würde die Sache natürlich schon anders aussehen, da könnte man dann schon eher davon sprechen, dass eine Art Überlebensdrang die Regie übernimmt. Und das - da hast Du vollkommen recht - wird sicherlich auch bei einem Menschen, der in einer (lebens)bedrohlichen Situation steckt, möglicherweise passieren. Das sind dann glaube ich solche Situationen, von denen man dann nachher sagt, man habe "aufgehört zu denken, und nur noch gehandelt". Das kann man dann glaube ich schon "mechanisch" nennen. Das läuft dann nach einem sehr unmittelbaren Reiz-Reaktions-Schema ab.

Welche Rolle spielt es, ob es einen lenkenden Willen gab oder nicht, wenn ihr Wunder doch in ihrem Dasein liegt, nicht in ihrem Gewordensein?

Das kommt drauf an. Wenn wir von Schöpfung sprechen, dann geht es ums das Dasein, weil Gott ja alles schon perfekt erschaffen hat. Nehmen wir einen evolutionären Blickwinkel ein, der auf teleologische Ausrichtung verzichtet, ist das Daseiende ja Zufallsprodukt der Evolution. Dass es so geworden ist, ist dann für meine Begriffe ebenso wunderbar, als wenn es eine höhere Wesenheit geschaffen hätte. Daher gehören für mich Sein und Werden (und mithin das Gewordensein) in ein und dieselbe Wundertüte.

Spontaner Gedanke dazu: erzähl das mal den Hühnern in einer Legebatterie. Ich meine damit: Wenn Tiere auch leiden können, und das würde ich mal stark annehmen, ist es nicht ein viel größerer Fluch, nicht zu wissen, dass dieses Leid endlich ist?

Ganz ehrlich: Weiß ich nicht. Ich weiß nicht, wie Tiere leiden. Ich weiß nicht, ob sie sich an erlebtes Leid erinnern, oder ob sie immer nur jetzt, im Augenblick leiden. Ich kann das nicht von der Hand weisen. Ich habe meinen Text aus Gedanken gebaut, die mir in den Sinn kommen, wenn ich z. B. diese toten Mäuse wegschaffe. Mich betrübt das, weil ich dann merke, dass ich zwar kognitiv, aber nicht organisch über diesen Tieren stehe. Und mir das in dem Moment eigentlich gar nichts bringt, eher im Gegenteil: Der Tod des Tieres bringt mir zu Bewußtsein, dass auch ich sterblich bin. Für einen Menschen unter der Folter ist es vielleicht ein Trost, dass diese ein Ende haben wird. Für einen Menschen, der nicht gefoltert wird, ist es aber eher eine Folter zu wissen, dass er ein Ende haben wird. Und bei Hühnern ist das vielleicht auch so, oder vielleicht auch anders.

Ich danke Dir für die Lektüre und das freundliche Feedback. Gerne genommen.

Gruß
bvw

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo brudervomweber,

ich kann KaLimas Einwand der fehlenden Geschichte nachvollziehen, empfinde das aber hier in dieser Rubrik nicht sooo relevant, ähnlich wie in Experimente, da der Ansatz ein anderer ist.

Katzen folgen ihrer Natur. Meine Katze folgt ihrer Natur.
Für die Betrachtung der grundsätzlichen Frage Todesbewußtsein bei Tieren hast du nun gerade ein Exot ausgewählt:
Dieses Tier tötet mehr, als es zum Hungerstillen benötigt.

Aber: Die Katze tötet nicht bewußt, nein, sie geht nur ihrem Spieltrieb nach mit all den tollen Tierchen, die so in ihrer Umgebung rumflattern, - hüpfen und -flitzen.
Kennst du sonst ein Tier, dass aus Spaß am Spiel andere Tiere tötet? Ich nicht. Aber ich kenne Menschen, die aus Spaß am Spiel andere Menschen töten. Wenn auch (meist) nur vor dem PC. Insofern haben wir ja viel mit Katzen gemeinsam :hmm:

Deine Geschichte hat dadurch nicht nur die Aussage, dass Tiere nur im Augenblick leben, sondern auch diese, dass wir in der in der Evolution einen Riesenrückschritt gemacht haben: Wir verlieren unser Selbstbewußtsein!


Gerade, wenn man Gott nicht als Schöpfer bemüht, sind die Dinge in der Natur wunderbar. Dass sie so geworden sind, ohne einen lenkenden Willen, muss man das nicht ein Wunder nennen?
Wieso sollen denn die Dinge nicht wunderbar sein, wenn Gott als Schöpfer bemüht wird? Da drehst du dich meines Erachtens im Kreis, denn Gott kann ja auch als Wunder gesehen werden. Einfach nur als Wunder, ohne Gedöns drumrum.

(Im Übrigen müsstest du deine Katze einfach nur mal ein-zwei Tage nicht mehr füttern, dann frißt sie auch die Mäuse fein säuberlich auf. Das erspart dir das Entsorgen des Kadavers und entlastet das Portemonnaie ;). )

Lieber Gruß
bernadette

 

Hallo, bernadette.

Ja, natürlich hast Du recht, wenn Du sagt, natürlich wäre, wenn sie die Maus fressen würde. Das sage ich unserem Kater auch immer, aber es schert ihn nicht. ;) Insekten verspeist er sogar des öfteren.

Aber ich kenne Menschen, die aus Spaß am Spiel andere Menschen töten. Wenn auch (meist) nur vor dem PC.

An diese Menschen dachte ich im Hinblick auf Maßregelung. Und da brauchen wir gar nicht den PC zu bemühen, ohne PC wird es richtig schlimm, weil es dann ja echte Gewalt ist. Die Genozide werden ja nicht seltener ...

Deine Geschichte hat dadurch nicht nur die Aussage, dass Tiere nur im Augenblick leben, sondern auch diese, dass wir in der in der Evolution einen Riesenrückschritt gemacht haben: Wir verlieren unser Selbstbewußtsein!

I agree. Instinktiv ist der Mensch ja absolut verkümmert, durch seinen Verstand domestiziert. Selbstbewußtsein im Sinne von Körperbewußtsein geht dem modernen Menschen in der Tat ab.

Wieso sollen denn die Dinge nicht wunderbar sein, wenn Gott als Schöpfer bemüht wird? Da drehst du dich meines Erachtens im Kreis, denn Gott kann ja auch als Wunder gesehen werden. Einfach nur als Wunder, ohne Gedöns drumrum.

Sind sie doch. Standard-Wunder. Wenn Gott mitmischt, ist doch immer Wunder angesagt. Gott allerdings ist kein Wunder, sondern erste Ursache, Urheber von Wundern, aber nicht selbst eines. Mir ging es darum, dass auch ohne den Mann mit der Lizenz zum Wunder es die Bezeichnung "Wunder" verdient, wenn ein Ergebnis als Zufallsprodukt der Evolution herauskommt.

(Im Übrigen müsstest du deine Katze einfach nur mal ein-zwei Tage nicht mehr füttern, dann frißt sie auch die Mäuse fein säuberlich auf. Das erspart dir das Entsorgen des Kadavers und entlastet das Portemonnaie . )

Aber die ganzen Arztbesuche. Meine armen Nerven. Nein, dann spiel ich lieber den Dosenöffner. :)

Danke für's Lesen.

Gruß
bvw

 

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