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Der Schaukelthron

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22.12.2002
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Der Schaukelthron

Bestimmt hast du dir schon einmal gewünscht, ein König oder eine Königin zu sein. Du denkst sicher, Könige seien immer glücklich, weil sie alles besitzen, was man sich nur wünschen kann, und weil alle Leute tun müssen, was sie sagen.
Nun, ganz so einfach ist die Sache nicht. Heute erzähle ich dir die Geschichte von einem König, der unglücklich war.
Dieser König regierte sein Reich schon seit vielen Jahren. Tagein, tagaus saß er auf seinem großen, hölzernen Thron. Der Thron stand am Ende eines langen, prachtvollen Saales. Dort empfing der König von morgens bis abends Leute, die etwas mit ihm besprechen wollten.
Manche baten den König um Hilfe, weil sie arm waren und die Miete für ihre Wohnung nicht bezahlen konnten. Denen ließ der König, der ein guter Mensch war, Geld aus seiner Schatzkammer geben.
Andere Leute beschwerten sich über die Steuern, die sie zahlen sollten. Der König versprach, daß die Steuern weniger werden würden.
Die Berater des Königs klagten, daß nicht mehr genug Geld in der Schatzkammer sei. Sie schlugen auch ständig neue Gesetze vor, die der König erlassen sollte. Und immer gab es irgend etwas, um das sich der König kümmern mußte.
Manchmal hatte er das Gefühl, daß niemand in seinem ganzen Reich etwas ohne ihn tun könne. Aber er beschwerte sich nicht darüber, denn er war ja der König, und alle diese Dinge gehören zu den Aufgaben eines Königs.
Nein, beschweren tat er sich nicht. Aber unglücklich war er. Wie gerne hätte er einmal etwas getan, das Spaß machte! Leider blieb ihm dazu überhaupt keine Zeit.
So ging es sehr lange weiter. Die Berater des Königs merkten natürlich, wie unglücklich er war. Doch sie kannten nicht den Grund dafür. Und sie wagten nicht, danach zu fragen.
Sie begannen, das Land nach Menschen abzusuchen, die glücklich waren.
Der glücklichste Mensch, den sie fanden, war ein kleiner Junge namens Florian. Also brachten sie Florian – oder Floh, wie alle seine Freunde ihn nannten – zum König.
„Majestät“, sagte einer der Berater zum König, „dieser Junge ist der glücklichste Mensch in Ihrem Reich. Das sagen alle, die ihn kennen. Den ganzen Tag über lacht er und ist fröhlich.“
Tatsächlich lächelte Floh den König so fröhlich an, daß diesem ganz warm ums Herz wurde.
Der Berater wandte sich an Floh: „Verrate dem König, was dich glücklich macht!“
Floh dachte darüber nach. Schließlich sagte er: „Keine Ahnung. Ich tu’ einfach immer, wozu ich gerade Lust hab’.“
„Tja“, seufzte der König laut, „als König kann man das leider nicht. Erzähl’ uns trotzdem, was das so für Sachen sind, die du tust.“
„Also, meistens spiele ich natürlich draußen. Mit meinen Freunden. Aber ich kann mich auch alleine beschäftigen! Zum Beispiel mit meiner Eisenbahn. Oder ich hör’ mir Kinderlieder an. Oder guck’ Bücher an.“
Traurig schüttelte der König den Kopf.
„Alles das kann ich nicht tun“, erklärte er. „Ich muß ja ständig auf dem Thron sitzen und mit irgendwelchen Leuten reden.“
Da hatte Floh plötzlich eine Idee. Seine Augen leuchteten richtig, und er grinste beinahe von einem Ohr bis zum anderen.
Flink hüpfte er die drei Stufen hinauf, die zum Thron emporführten.
Er sagte: „Was ich eigentlich am liebsten mache, ist...“
Doch er beugte sich etwas heran und flüsterte dem König ins Ohr.
Dem König schien die Idee zu gefallen. Er nickte. Dann grinste er ebenfalls. Und schließlich klatschte er vor Vergnügen sogar in die Hände.
Bald darauf wunderten sich die Menschen im Palast gewaltig. Denn der König ließ einen Handwerker kommen. Der mußte unter dem Thron hölzerne Kufen anbringen. Der Thron sah jetzt aus wie ein riesiger Schaukelstuhl – und eigentlich war er das auch.
Floh hatte dem König nämlich erzählt, wie gerne er auf seinem Schaukelpferd ritt, wenn er alleine war. Und der König hatte eingesehen, daß er das auch tun konnte. Es würde ihn nicht von seinen Aufgaben als König abhalten.
Aber es würde sehr, sehr viel Spaß machen.
Von diesem Tag an war der König wieder glücklich. Die Menschen sagten, er sei der beste König, der je dieses Reich regiert habe. Wenn er auch etwas wunderlich sei.
Denn den ganzen Tag über, während er Leute empfing und mit ihnen sprach und Gesetze erließ, schaukelte er.
Manchmal schaukelte er langsam und nachdenklich.
Manchmal, wenn er sich ärgerte, schaukelte er etwas heftiger.
Aber meistens schaukelte er wild und vergnügt. Er schaukelte so wild, daß seine Berater fürchteten, der Thron würde umkippen. Doch der König amüsierte sich dabei prächtig.
Zum Dank für seinen großartigen Einfall durfte Floh den König besuchen, wann immer er wollte. Gelegentlich sah er ihm beim Regieren zu.
Der König ließ für Floh auch ein eigenes Spielzimmer im Palast einrichten. Dort konnte Floh mit den herrlichsten Spielsachen spielen. Oft brachte er seine Freunde mit.
Und manchmal – ganz selten nur -, wenn der König etwas weniger zu tun hatte, besuchte er Floh und seine Freunde im Spielzimmer. Die Arbeit ließ er dann einfach für eine halbe Stunde liegen. Er hatte nämlich herausgefunden, daß Spaß noch viel wichtiger ist, als er gedacht hatte.
Selbst für einen König.

 

Hallo Roy!
Deine Geschichte hat ein Lächeln auf mein Gesicht gezaubert. Und zwar wikich gezaubert.
Mir hat deine Geschichte sher gut gefallen, denn sie erzählt, mMn, in schlichten, lockeren Sätzen eine Geschichte darüber, dass es wichtigere Dinge gibt, als die Arbeit.
Gut finde ich auch, dass es ein kleiner Junge ist, der die zündende Idee mit dem Schaukelthron hat. Ich denke so bekommen die Kinder das Gefühl, dass auch sie den Erwachsenen helfen können und einiges sogar besser wissen.
Und ich finde, deine Geschichte ist auch eine für die Eltern. Denn so wird ihnen vielleicht bewusst, dass es wirklich wichtigeres gibt als Arbeit, und sie sich vielleicht wieder mehr mit den Kindern beschäftigen. Mit ihnen etwas unternehmen, zum Beispiel.

Eine Stelle liest sich etwas schlecht:

Erzähl’ uns trotzdem, was das so für Sachen sind, die du tust.“
Dieses 'was' liest sich schlecht. Vielleicht so: Erzähl uns trotzdem von den Sachen, die du tust.

„Majestät“, sagte einer der Berater zum König, „dieser Junge ist der glücklichste Mensch in Ihrem Reich.
Es muss 'Eurem' heißen

Mehr ist mir nicht aufgefallen. Eine wirklich gelungende Geschichte für Kinder und Erwachsene gleichermaßen.

bye und tschö

 

Hallo moonshadow,

danke für das Lob.

Es muss 'Eurem' heißen
Ich würde denken, daß Könige heutzutage gesietzt werden; die Anrede mit "Ihr" ist meiner Meinung nach nur noch im Französischen üblich ("vous"), das war ja früher an Königshöfen auch die gebräuchliche Sprache. Aber da ich so selten in Königshäusern verkehre, lasse ich mich gerne belehren ;-)

Ich freu' mich auf unser Treffen bei der Lesung!
Roy

 

Hallo Roy!
Ich bin davon ausgegangen, dass die Geschichte nicht heute spielt. Sondern eben früher, und da hat man die Könige doch so angeredet.
Ich bin ja auch nicht so oft in Königshäusern :D, aber ich denke auch, die werden heutzutage gesiezt.
Gibt es hier vielleicht jemanden aus einem Königshaus??

Ich freu mich auch schon. Ich fang schon an die Tage zu zählen.

bye und tschö

 

Hallo Roy!
Auch mir hat Deine Geschichte gut gefallen. Sprachlich wie immer sehr schön erzählt, mit einer Botschaft, die gerade acuh für Erwachsene wichtig ist. Neben allem Stress nicht die einfachen Sachen vergessen, die das Leben schöner machen können. Gut!

„Dort konnnte Floh mit den herrlichsten Spielsachen spielen“ – konnte

„war ein kleiner Jnge namens Florian“ –Junge

liebe Grüße, Anne

 
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Hallo Roy,

nicht erschrecken, weil meine Kritik etwas länger geworden ist.

Als ich die Geschichte vor einigen Tagen zum ersten Mal las, war ich von der zu Grunde liegenden Idee sofort begeistert. Das verstehst Du sicher (ich sage nur "Wunderkugel"...) Der wild schaukelnde König brachte mich zum Lachen und ich wäre auch so gerne wie Floh und würde nur das machen, wozu ich Lust habe.
Trotzdem hatte ich nicht so viel Freude, beim Lesen der Geschichte, wie ich es von Deinen anderen Geschichten gewohnt war. Ich beschloß, Deine Geschichte noch einmal mit mehr Muße zu lesen, um herauszufinden, woran das lag.

Und das habe ich soeben getan. Ich habe mir die Geschichte laut vorgelesen und alle Stellen markiert, an denen ich stockte oder ein "komisches Gefühl" hatte.

Diese Stellen habe ich nun im Folgenden aufgelistet:

"Der König versprach, daß die Steuern weniger werden würden." Das las sich etwas holperig. Mir würde besser gefallen: Der König versprach, die Steuern zu senken.

"Nein, beschweren tat er sich nicht. Aber unglücklich war er. Wie gerne hätte er einmal etwas getan, das Spaß machte!" Die Wiederholung des Verbes "tun" (tat, getan)ist etwas hölzern, vielleicht: Nein, er beschwerte sich nicht, aber er war unglücklich.

"So ging es sehr lange weiter. Die Berater des Königs merkten natürlich, wie unglücklich er war." Warum genau ich beim laut Lesen über diese Sätze stolperte, kann ich Dir nicht sagen, aber mir würde etwas in der Art von "Die Zeit verging und die Berater des Königs merkten natürlich, wie unglücklich ihr Herrscher war." besser gefallen.

"Doch sie kannten nicht den Grund dafür. Und sie wagten nicht, danach zu fragen. " Auch hier finde ich dass die Worte dafür und danach so unbeholfen klingen. Wie wäre es mit: Doch sie kannten den Grund für sein Unglück nicht und wagten auch nicht, ihn zu fragen."

"Also brachten sie Florian – oder Floh, wie alle seine Freunde ihn nannten – zum König.
„Majestät“, sagte einer der Berater zum König, „ das zweite "zum König" würde ich weglassen, wegen der Wiederholung...

"Floh dachte darüber nach" Ich glaube, das Wort "darüber" ist überflüssig: "Floh dachte nach".

"Aber ich kann mich auch alleine beschäftigen!" Das klingt so erwachsen. Würde ein Kind nicht eher sagen: "Ich spiel' auch gern mal alleine." Oder: "Ich bin auch gerne mal alleine." ?

"Er sagte: „Was ich eigentlich am liebsten mache, ist...“
Doch er beugte sich etwas heran und flüsterte dem König ins Ohr." Über das Wort "doch" bin ich gestolpert. Würde nicht vielleicht "und dann beugte.." besser klingen?

"Der König ließ für Floh auch ein eigenes Spielzimmer im Palast einrichten." Das Wort "auch" würde ich weglassen, es enthält eigentlich keine wesentliche Information, oder?

Kann es sein, dass Du diesmal ganz besonders einfache Sätze schreiben wolltest, weil Du vielleicht an ganz besonders kleine Kinder gedacht hast? Bei meinen Söhnen habe ich früher beim Vorlesen immer wieder gemerkt, dass die Sätze nicht zu simpel sein durften, wichtiger war immer, dass die Sprache gut klang - weil das Vorlesen ja dann auch mir mehr Spaß machte.....

Das alles sind nur Überlegungen von mir. :) Ich finde die Idee zu dieser Geschichte so schön, dass ich glaube, es lohnt sich wirklich, sie noch einmal auf die Formulierungen hin zu überarbeiten.

Viele Grüße
Barbara

 

Hallo Anne,

schön, daß es Dir wieder gefallen hat. Die beiden Flüchtigkeitsfehler (vielen Dank für die Hinweise) habe ich behoben. Man kann seine Geschichten anscheinend gar nicht oft genug korrekturlesen!

Hallo Barbara,

erst einmal vielen Dank für Deine ausführliche Kritik. Ich werde mir die einzelnen Punkte zunächst eine Weile durch den Kopf gehen lassen. Zumindest mit manchem hast Du sicher recht.

Ich finde die thematische Verwandschaft zu Deinem Theaterstück übrigens auch erstaunlich!

Auf jeden Fall glaube ich, der Hauptgrund für die etwas andere Wirkung dieser Geschichte ist, daß ich einfach stilistisch mal etwas experimentieren wollte. Da geht es mir wohl wie vielen anderen Leuten auch: Ich will meine Leser nicht enttäuschen, aber auch nicht eintönig werden.

Schöne Grüße
Roy

 

Hallo Roy,

die Geschichte gefällt mir sehr gut. Ich finde, dass sie - neben der Hauptaussage, dass Arbeit nicht das Wichtigste sein sollte - auch zeigt, dass die Lösung für ein Problem mitunter ganz einfach sein kann. Schließlich scheint das Thron-zum-Schaukelthron-umbauen weder besonders schwierig, noch allzu zeitaufwendig zu sein. Man muss "bloß" auf die Idee kommen.
Ein paar holpernde Stellen sind mir auch aufgefallen, Barbara hat aber schon alle genannt. Ansonsten ist die Geschichte auch sprachlich gelungen.

Lieben Gruß,
Juliane

 

Hallo Juliane,

dankeschön! Ich werde versuchen, zukünftig wieder weniger holperig zu schreiben. Ist aber ganz schön schwierig :-)

Schöne Grüße
Roy

 

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