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Die Beichte

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05.05.2015
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Die Beichte

„Ich werde mich heute umbringen, Herr Pfarrer.“
Konsterniertes Schweigen, mehrere Sekunden lang. Es flutet den winzigen Raum des Beichtstuhl als wäre es flüssiges Glas. Ich warte. Es riecht nach altem Holz, nach Staub und nach dem Schweiß der unzähligen Menschen, die hier schon gekniet haben, wie ich jetzt. Ein ganz leichter Duft nach after shave. Benutzen Geistliche Rasierwasser?
„Sie haben sich also entschieden. Wollen Sie mir sagen, was Sie zu diesem Entschluss geführt hat?“
Wie? Kein 'Im Namen des Vaters' und so weiter, kein 'Wann war deine letzte Beichte, mein Sohn?' Es hat sich anscheinend einiges geändert, seit ich das letzte Mal gebeichtet habe. Wie lange ist das her? Dreißig, vierzig Jahre?
Die Stimme des Pfarrers ist angenehm. Freundlich. Interessiert. Die Ankündigung meines Selbstmordes hat ihn anscheinend kaum aus der Fassung gebracht. Kein gespieltes Entsetzen, keine Vorhaltungen, keine Gegenargument. Nur neutrale Sachlichkeit und die Bereitschaft zuzuhören.
„Das ist eine lange Geschichte. Wollen Sie sie wirklich hören, Herr Pfarrer?“
„Dafür sitze ich hier. Ich habe alle Zeit der Welt.“
Er meint es ernst. Ich muss zugeben, ich bin beeindruckt. Ein erfahrener Seelsorger. Versiert im Umgang mit reumütigen Schäfchen, denen er die Sorgen abnimmt. Reue, Buße, Vergebung. So einfach ist das.
Nicht, das ich gläubig bin. Bis Mitte Dreißig hat es gedauert, bis ich meine erzkatholische Erziehung verarbeitet hatte. Seitdem bin ich überzeugter Atheist. Was sonst kann man sein, wenn man sich ansieht, was in der Welt los ist. Welche Gräueltaten gerade im Namen von religiösen Überzeugungen begangen werden! Aber das braucht mich jetzt ja nicht mehr zu beunruhigen.
Ich bemerke, dass der Geistliche sich auf seinem Stuhl bewegt, als suche er eine bequemere Sitzhaltung. Sein Gesicht hinter dem engmaschigen Holzgitter ist nur schemenhaft auszumachen. Ich sehe nur die Konturen. Und weißes Haar. Gut. Er ist also schon älter. Es wäre mir schwer gefallen, mich einem gerade aus dem Priesterseminar entlassenen Jüngling anzuvertrauen.
Soll ich ihm wirklich alles erzählen? Warum nicht, immerhin unterliegt er ja dem Beichtgeheimnis.
Die Holzbank, auf der ich knie, ist unangenehm hart. Schon interessant, dass ich ausgerechnet hier gelandet bin. Nur weg! Das war mein einziger Gedanke, als ich aus der Praxis gestürmt bin, die verblüfften Blicke der Sprechstundenhilfen in meinem Rücken. Mit dem Auto durch die Straßen, ziellos. In der Fußgängerzone mit blinden Augen von einem Schaufenster zum nächsten. Dann: die offene Tür einer Kirche. Einladend. Und irgendwie tröstlich. Die Stille in dem hohen gotischen Kirchenraum. Wie früher. Das schimmernde Gold der Heiligenfiguren an den steinernen Säulen. Das sanfte Licht der Kerzen auf dem Altar und der Duft nach Blumen und Weihrauch. Die Realität schien plötzlich ganz weit weg zu sein, wie das ferne Rauschen des Straßenverkehrs draußen.
Ein Räuspern. Der Pfarrer wartet auf meine Antwort.
Einige Kinder und zwei alte Frauen haben in der Bankreihe vor dem Beichtstuhl gekniet und darauf gewartet, bis sie an der Reihe waren. Ich habe mich auf eine der Bänke gesetzt und zugesehen, wie einer nach dem anderen in den Beichtstuhl ging und nach überraschend kurzer Zeit wieder heraus kam. Was können sie auch schon zu beichten haben, diese Kinder und alten Leute!
„Also.“ Auch ich muss mich räuspern. „Um es gleich zu sagen: Ich bin ein Mörder.“
Will ich den Mann hinter dem Holzgitter schockieren? Will ich ihn aus seiner professionellen Ruhe bringen? Selbst in meinen Ohren klingt der Satz theatralisch. Aufgesetzt. Unglaubwürdig. Und doch: Es ist die Wahrheit.
„Erzählen Sie. Ich höre Ihnen zu.“ Souverän. Gelassen.
Also gut. Ich werde erzählen. Was ich noch nie jemanden erzählt habe. Plötzlich drängen die Worte aus mir heraus. Als hätten sie nur darauf gewartet, endlich ausgesprochen zu werden.
„Eigentlich ist es eine ganz einfache Geschichte. Es war vor mehr als dreißig Jahren. Ich war vierundzwanzig, das Mädchen war achtzehn. Wir hatten eine wilde Party gefeiert, es wurde viel getrunken und gekifft, und ich war sehr verliebt in Ulrike und ganz verrückt nach ihr. Auf dem Nachhauseweg sind wir durch den Park gegangen. Dort habe ich sie vergewaltigt. Ihre Gegenwehr habe ich, betrunken wie ich war, nicht ernst genommen. Anschließend weinte sie und schrie und drohte, sie würde zur Polizei gehen und mich anzeigen. Das wäre das Ende meiner beruflichen Laufbahn gewesen, ich stand damals kurz vor dem ersten Examen als Mediziner. Da habe ich sie am Hals gepackt und gewürgt, bis sie still war.“
Völlig außer Atem, als hätte ich zwischendurch vergessen Luft zu holen, halte ich inne. Mein Herz klopft laut und heftig gegen meine Rippen. Ich atme tief ein und aus. Jetzt habe ich es endlich ausgesprochen. Erstaunlich, wie erleichtert ich mich fühle.
„Das ist sicher noch nicht alles.“ Die ruhige Stimme des Geistlichen hat etwas aufreizend Geduldiges. Wie kann der Mann nur so gefasst bleiben. Ich habe ihm doch gerade einen Mord gestanden!
„Erzählen Sie weiter.“
„Ich bin zwar damals in Verdacht geraten, wie die anderen Teilnehmer der Party auch, aber ich habe strikt geleugnet, das Mädchen nach dem Ende der Party noch gesehen zu haben. Die Polizei konnte mir nichts nachweisen. Der Fall wurde schließlich zu den Akten gelegt. Ich habe die ganze Sache verdrängt und versucht alles zu vergessen.“
„Sie haben also weitergelebt, als wäre nichts geschehen.“
„Ja, so ist es. Ich habe mein Examen gemacht, später meinen Facharzt, habe einen Kredit aufgenommen und in der Kreisstadt eine Praxis eröffnet. Ich habe geheiratet und zwei wunderbare Kinder bekommen.“
Ich kann nicht weitersprechen. Der Gedanke an Heike, meine Frau, und an meine Tochter Jennifer, die in meine Fußstapfen treten und Ärztin werden will, und an Max, der ein Computergenie ist, verursacht mir einen steinharten Kloß in der Kehle.
Die sonore Stimme des Pfarrers reißt mich aus meinen Gedanken.
„Wenn Ihnen jetzt die Tränen kommen, ist es nur aus Selbstmitleid bei dem Gedanken daran, was Sie alles verlieren könnten.“
Selbstmitleid? Empört versuche ich das Gesicht hinter dem Gitter zu erkennen. Wie kann der Mann nur von Selbstmitleid sprechen, wo ich doch bereit bin, mit meinem Leben zu bezahlen? Seine Stimme erscheint mir nicht mehr ganz so sympathisch wie vorher. Mit unverminderter Sachlichkeit fährt er fort:
„Es ist doch alles gut gelaufen bisher. Wie kommt es, dass Sie jetzt hier sind und sagen, Sie wollen sich umbringen?“
„Wissen Sie, ich habe oft an das Mädchen gedacht und meine Tat bedauert. Irgendwie habe ich auch versucht, durch ein rechtschaffenes Leben die Tat wieder gut zu machen. Als Arzt habe ich vielen Menschen helfen können. Ich habe eine Familie gegründet und zwei Kinder groß gezogen. Ich habe mir seither nie wieder etwas zuschulden kommenlassen. Ich bin in vielen gemeinnützigen Vereinen und spende regelmäßig große Beträge für verschiedene Organisationen.“
„Sie haben also ein gutes Leben geführt in den letzten dreißig Jahren. Das Mädchen, das Sie ermordet haben, hatte diese Chance nicht.“
Es klingt wie eine simple Feststellung. Aber es ist eine Anklage.
„Sie haben völlig Recht, Herr Pfarrer, ich habe mich schuldig gemacht. Und diese Schuld ist durch nichts wieder gut zu machen. Es sei denn, durch meinen Tod.“
Eine kleine Pause entsteht. Na klar, jetzt ist selbst dieser unerschütterliche Mann berührt.
„Wieso kommen Sie jetzt, nachdem so viele Jahre vergangen sind, auf diese Idee?“
Täusche ich mich, oder ist in der ruhigen Stimme des Pfarrers ein Anflug von Sarkasmus zu hören?
„Heute Morgen waren zwei Kriminalbeamte in meinem Büro. Völlig überraschend und ohne Vorankündigung. Sie sagten, die Polizei habe nun neue Untersuchungsmethoden, um die archivierten Spuren ungelöster Mordfälle besser auszuwerten. DNA-Spuren zum Beispiel. Deshalb haben sie mich um eine Speichelprobe gebeten. Man hat nämlich damals auf der Kleidung des Mädchens Spermaspuren gefunden. Und nun werden sie diese Spuren mit meiner DNA vergleichen und feststellen, dass ich der Täter bin.“
Wie höflich sie gewesen sind, die Kriminalbeamten! Höflich, aber bestimmt! Unerbittlich. Haben mit dem langen Wattestäbchen in meiner Mundhöhle herumgefuchtelt. Widerlich! Dass damit mein Leben von einer Minute auf die andere zerstört ist, hat sie nicht eine Minute lang interessiert. Wie soll ich meiner Frau, meinen Kindern je wieder in die Augen sehen, wenn sie von meiner Untat erfahren? Was werden meine Freunde, meine Patienten, die Bewohner der Kleinstadt, in der mich so gut wie jeder kennt, von mir halten? Nein, es gibt nur einen Ausweg.
„Und jetzt wollen Sie Ihrem Leben also ein Ende setzen.“
Es ist, als habe der alte Pfarrer meine Gedanken gelesen.
„Ja“, sage ich, „es ist der einzige Ausweg.“
„Es ist der Ausweg eines Feiglings!“ Plötzlich ist die Stimme des Geistlichen nicht mehr ruhig und verständnisvoll. Sie ist streng und unerbittlich.
„Eines Feiglings?“ Ich bin zutiefst verletzt. „Wo ich doch bereit bin, mit meinem Leben zu bezahlen?“
„Sie wollen den einfachsten Weg gehen. Dabei denken Sie nur an sich selbst und nicht etwa daran, was ihr Selbstmord für ihre Familie bedeutetn wird, zusätzlich zu allem anderen. Sie wollen sich heimlich davonstehlen, um nicht die Konsequenzen Ihrer abscheulichen Tat tragen zu müssen. Das nenne ich feige.“
Ich spüre, wie mir das Blut in den Kopf steigt. Mein Gesicht brennt, in meinen Ohren braust es. Wie kann dieser alte Pfaffe nur so mit mir reden! Ich stürzte aus dem Beichtstuhl. Dieses ganze Gerede von Reue, Buße und Vergebung! Nichts als christliches Geschwafel. Ich ein Feigling! Wie kann er so etwas sagen. Als wäre es leicht zu sterben. Und damit auf alles zu verzichten, was das Leben noch zu bieten hat. Ich bin schließlich erst 54 Jahre alt!
Mit schnellen Schritten verlasse ich die Kirche. Die schwere Holztür mit den schönen alten Schnitzereien fällt mit einem dumpfen Knall hinter mir zu.

 

Hallo Konstantina!

Da du noch keinen Kommentar bekommen hast, schreibe wieder ich einen.

Ja, du hast Spannung aufgebaut. Aber die Spannung baut sich dadurch auf, dass etwas angedeutet wird und dein Ich-Erzähler dann nicht damit herauswill, zu erzählen, was passiert ist. Die Spannung wird also nicht durch das Geschehen aufgebaut; der Text ist reiner Dialog.

Und die Geschichte wird am Ende nicht aufgelöst. Man weiß nicht, was dein Ich-Erzähler nun tun wird. Sich umbringen, wie er es angekündigt hat? Das bezweifle ich, denn das traue ich deinem Charakter, so, wie du ihn aufgebaut hast, nicht zu. Es kann also alles nur Mögliche passieren. Das ist mir zu "offen", falls du als Gegenargument das berühmte "offene Ende" einer Kurzgeschichte anbringen möchtest.

So, thematisch liegt mir die Geschichte nicht (das Kirchenzeugs ...), beurteilen, ob es bei einer Beichte wirklich so abläuft, kann ich auch nicht. Das war's also schon.

Grüße,
Chris

 

Hallo Chris!

Danke fürs Lesen und Kommentieren.
Meine Geschichte hat dich also zum Nachdenken gebracht darüber, was der Prot. nun wohl tun wird. Gut. Es ist ja nicht "alles Mögliche", sondern er hat genau zwei Möglichkeiten: Sich den Konsequenzen seiner Tat zu stellen oder sich durch Selbstmord der Bestrafung zu entziehen. Über diese Dinge: Schuld, Sühne, Wiedergutmachung, Strafe, Vergebung usw. wollte ich den Leser einladen nachzudenken. Kann es sein, dass mir das auch bei dir gelungen ist? :)

Gruß, Konstantina

 

Hallo Konstantina!

"Über diese Dinge: Schuld, Sühne, Wiedergutmachung, Strafe, Vergebung usw. wollte ich den Leser einladen nachzudenken. Kann es sein, dass mir das auch bei dir gelungen ist?"
=> Nein. Aber das hat nichts mit dir und deiner Geschichte zu tun. Das liegt daran, wie und warum ich Geschichten lese. Je eher Autoren mich dazu bringen wollen, über irgendetwas nachzudenken, desto weniger mag ich es und desto weniger tue ich es.
(Ich habe auch schon hunderte Krimis gelesen, und irgendwie geht es ja fast immer auch um diese Themen, da kann dein Text nichts bei mir aufrütteln.)

Noch hierzu:
"er hat genau zwei Möglichkeiten: Sich den Konsequenzen seiner Tat zu stellen oder sich durch Selbstmord der Bestrafung zu entziehen."
=> Ich sehe da weitere Möglichkeiten. Am Wahrscheinlichsten finde ich, dass er sich der Bestrafung zu entziehen versucht, aber nicht durch Selbstmord (wie schon gesagt, das traue ich ihm nicht zu), sondern durch Flucht. (Geld zusammenraffen und ab in den Süden, irgendwohin, bevor die Polizei wiederkommt. Vermutlich wird er sich dann einreden, seine Familie durch seine Flucht "geschont" zu haben.)
(Gerade fällt mir noch der erweiterte Selbstmord ein, also schnell Frau und Kinder umbringen, um sie zu "schonen"; kommt immer wieder vor.)
Ebenso möglich wäre es, dass er die Situation aussitzt. Sie haben seine DNA gefunden, okay, aber das bedeutet nur, dass er mit dem Mädchen Sex hatte (nichtmal das, da die DNA-Spuren auf der Kleidung gefunden worden sind, nicht im Mädchen). Er kann behaupten, dass der Sex einvernehmlich war, und dass der Mord später von jemandem anderen begangen wurde. Wie sollte man ihm das Gegenteil beweisen? (Manche Leute werden ihm glauben, andere nicht, aber sein Leben kann weitergehen.)
Noch eine Möglichkeit, die mir in den Sinn kommt: Die Geschichte, die er dem Pfarrer erzählt hat, stimmt gar nicht. Erstunken und erlogen. Auch das ist möglich.

Ja, wie gesagt, ich bin sehr Krimi-erfahren. Mit mir als Leser hat man es nicht leicht, sorry.

Grüße,
Chris

 

Hallo Konstantina,

Über diese Dinge: Schuld, Sühne, Wiedergutmachung, Strafe, Vergebung usw. wollte ich den Leser einladen nachzudenken.

Ein Nachdenken des Lesers erreicht man aber nicht, indem man das Ende weglässt und wichtige Fragen nicht klärt. Das eine hat für mich nichts mit dem anderen zu tun.

Kennst du Schuld und Sühne von Fjodor Dostojewski? Eine großartige Geschichte, auch nach 150 Jahren noch fesselnd. Der Roman hat mich lange beschäftigt, ich habe viel nachgedacht, und zwar genau über diese Themen: Schuld, Sühne, Wiedergutmachung, Strafe, Vergebung. Er ist intensiv, weil der Protagonist durch die Hölle geht, ein Auf-und-Ab der Gefühle durchlebt, eine innere Entwicklung vollzieht, und ich daran teilhaben darf. Am Ende findet er seine Erlösung durch Akzeptanz seiner Schuld und Annahme der Strafe. Nur so wird es ihm möglich, sich selbst zu vergeben und aus seiner inneren Hölle zu befreien.

Leider muss ich sagen, dass deine Geschichte für mich mit diesen Fragen wenig zu tun hat. Da gibt es keine Zerrissenheit, keine innere Entwicklung, keine Reflexion. Es geht für mich hier weder um Schuld, noch um Sühne, noch um Wiedergutmachung, noch um Strafe, noch um Vergebung. Wirklich nichts von alledem. Es ist eine Geschichte über Egoismus und Feigheit, und die wird einem in einem einigen, schlichten Gang serviert. Der Protagonist ist gänzlich einseitig in seiner eitlen Selbstgerechtigkeit, während der Pfarrer als Personifikation der Moral den Zeigefinger erhebt und recht geschwollen Allgemeinplätze von sich gibt.
Mir ist das zu dünn, mich regt das auch nicht zum Grübeln über Sinnfragen an, und dabei lese ich gar keine Krimis.

Die Äußerlichkeiten:
Ich würde den Text gründlich entschlacken, was Füllwörter, Adjektive und blumige Formulierungen betrifft. Du kannst gut formulieren, könntest den Text aber verbessern, indem du ihn „eindampfst“ und alles Unnötige streichst; dafür könntest du an anderer Stelle mehr erzählen.

Die Dialoge solltest du dir selbst laut vorlesen und darauf prüfen, ob sie realistischer gesprochener Rede entsprechen. Ich werde das nicht einzeln herausschreiben.

Es flutet den winzigen Raum des Beichtstuhl, als wäre es flüssiges Glas.

Besser einfach: wie flüssiges Glas. Ich finde das Bild aber nicht passend. Flüssiges Glas flutet ja nichts.

Es riecht nach altem Holz, nach Staub und nach dem Schweiß der unzähligen Menschen
Das zweite und dritte „nach“ würde ich weglassen.

Ein ganz leichter Duft nach after shave.
Aftershave.

Kein gespieltes Entsetzen, keine Vorhaltungen, keine Gegenargument.
Wieso gespielt?
Kein Gegenargument oder keine Gegenargumente

Nur neutrale Sachlichkeit und die Bereitschaft, zuzuhören.

Nicht, das ich gläubig bin.
Nicht, dass ich gläubig wäre.

Bis Mitte Dreißig hat es gedauert, bis ich meine erzkatholische Erziehung verarbeitet hatte.
Mitte dreißig. Den Satz finde ich aber unschön formuliert.

Was sonst kann man sein, wenn man sich ansieht, was in der Welt los ist.
Fragezeichen

Nur weg! Das war mein einziger Gedanke, als ich aus der Praxis gestürmt bin, die verblüfften Blicke der Sprechstundenhilfen in meinem Rücken. Mit dem Auto durch die Straßen, ziellos. In der Fußgängerzone mit blinden Augen von einem Schaufenster zum nächsten. Dann: die offene Tür einer Kirche. Einladend. Und irgendwie tröstlich. Die Stille in dem hohen gotischen Kirchenraum. Wie früher. Das schimmernde Gold der Heiligenfiguren an den steinernen Säulen. Das sanfte Licht der Kerzen auf dem Altar und der Duft nach Blumen und Weihrauch. Die Realität schien plötzlich ganz weit weg zu sein, wie das ferne Rauschen des Straßenverkehrs draußen.
Der Absatz gefällt mir, nur die Füllwörter wie „irgendwie“, „plötzlich“, „draußen“ usw. sowie etliche Adektive würde ich streichen.

Einige Kinder und zwei alte Frauen haben in der Bankreihe vor dem Beichtstuhl gekniet und darauf gewartet, bis sie an der Reihe waren. Ich habe mich auf eine der Bänke gesetzt und zugesehen, wie einer nach dem anderen in den Beichtstuhl ging und nach überraschend kurzer Zeit wieder heraus kam.

Ich würde hier nicht im Perfekt schreiben, das klingt holprig.

Was können sie auch schon zu beichten haben, diese Kinder und alten Leute!
Besser „auch“ streichen. Ans Ende muss ein Fragezeichen.

Ich werde erzählen. Was ich noch nie jemanden erzählt habe.
Besser in einem Satz, der zweite Teil kann nicht für sich allein stehen.

Wie kann der Mann nur so gefasst bleiben.
Fragezeichen

„Ich bin zwar damals in Verdacht geraten, wie die anderen Teilnehmer der Party auch, aber ich habe strikt geleugnet, das Mädchen nach dem Ende der Party noch gesehen zu haben. Die Polizei konnte mir nichts nachweisen. Der Fall wurde schließlich zu den Akten gelegt. Ich habe die ganze Sache verdrängt und versucht, alles zu vergessen.“
Ein Beispiel für das, was ich am Anfang geschrieben habe: Mit dem den Schachtelsatz und so, das ist nicht organisch. Das ist geschriebenes Wort, kein gesprochenes. Wenn du es laut liest, merkst du sicher, was ich meine.
Beim Pfarrer finde ich das noch extremer.

Und diese Schuld ist durch nichts wieder gut zu machen.

wiedergutzumachen

Wie höflich sie gewesen sind, die Kriminalbeamten! Höflich, aber bestimmt!

Punkte, keine Ausrufezeichen.

Haben mit dem langen Wattestäbchen in meiner Mundhöhle herumgefuchtelt.

Ich kenne mich mit sowas nicht wirklich aus, aber ich bezweifle, dass Kriminalbeamte ohne Vorankündigung auf der Arbeitsstelle erscheinen und einen Mundschleimhautabstrich machen. Ich vermute sehr, dass man schriftlich vorgeladen wird und der Abstrich dort (wo?) von medizinischem Personal vorgenommen wird. So ein Abstrich darf auch nur auf richterliche Anweisung erfolgen. Ich würde das an deiner Stelle recherchieren.

„Und jetzt wollen Sie Ihrem Leben also ein Ende setzen.“
Es ist, als habe der alte Pfarrer meine Gedanken gelesen.

Telepatische Fähigkeiten sind hier sicher nicht nötig, der Protagonist hat das ja schon zuvor deutlich gesagt.

was ihr Selbstmord für ihre Familie bedeutetn wird,

Tippfehler

Ich stürzte aus dem Beichtstuhl.
stürze

Als wäre es leicht, zu sterben. Und damit auf alles zu verzichten, was das Leben noch zu bieten hat.
Würde einen Satz daraus machen.

Liebe Grüße
raven

 

Hallo raven!

Vielen Dank für deine ausführliche Auseinandersetzung mit meinem Text.

Natürlich würde ich meine kleine Kurzgeschichte nie mit Dostojewskis "Schuld und Sühne" vergleichen wollen, das ist doch klar. Dennoch ist der Umgang mit Schuld schon auch Thema in meinem Text. Nur lässt sich mein Protagonist in seiner "eitlen Selbstgerechtigkeit" gar nicht erst auf eine Reflexion ein. Was ja auch ein Verhalten ist, über das man als Leser nachdenken kann, oder?

Deine Anregungen zur Sprache greife ich gerne auf. Danke fürs Lektorieren!

Gruß, Hyazinthe

 

Hallo Hyazinthe, ich habe deine Geschichte gelesen, sie ist großartig! Eine richtige Kurzgeschichte mit allen ihren Merkmalen.


Der Einstieg ist kurz, die Handlung beginnt zügig. Die Kirche, der Pfarrer, der Protagonist werden lebendig. Sehr gut beobachtet! Ich saß mit dabei, in diesem Beichtstuhl.

Der Protagonist, ein Verdränger. Nachvollziehbar. Es sind viele Jahre vergangen, die Tat nie vergessen, doch verdrängt. Und plötzlich die Angst. Die Angst, alles zu verlieren und die Blamage noch obendrauf.

Die Kirchentür steht offen, was liegt näher als der Weg zum Beichtstuhl.
Der Pfarrer verhält sich wie erwartet und selbst erlebt. Ich bin katholisch. Doch bitte, was soll er machen? Der Pfarrer hat doch keine Ahnung vom realen Leben da draußen. Und auch nicht von der Angst, die dieses verlorene Schäflein zu ihm in den Beichtstuhl treibt.

Der Mörder wird wütend. Verständlich. Sein Verhalten nachvollziehbar.

Das Ende ist offen, so wie es sich für eine Kurzgeschichte gehört. "Merkmale einer Kurzgeschichte"

In diesem Forum, hier, ist das allerdings nicht nötig. Ich meine die Sache mit dem offenen Schluss.

Ich lese die letzten Zeilen der Geschichte:

"Mit schnellen Schritten verlasse ich die Kirche. Die schwere Holztür mit den schönen alten Schnitzereien fällt mit einem dumpfen Knall hinter mir zu."

und denke mir, bei der nächsten Brücke stürzt er sich in den Fluss.

Eine rundum gelungene Geschichte!

Liebe Grüße!
Amelie

 

Natürlich würde ich meine kleine Kurzgeschichte nie mit Dostojewskis "Schuld und Sühne" vergleichen wollen, das ist doch klar.
Ich habe das nur als Beispiel für eine gelungene Auseinandersetzung mit diesen Themen erwähnt, die mich wirklich zum Nachdenken gebracht hat. Es war als Gegenargument zu deiner Aussage gemeint, lückenhafte Texte mit fehlendem Schluss würden zum Nachdenken anregen, den das habe ich jetzt schon öfter gelesen, und ich sehe es anders.

Dennoch ist der Umgang mit Schuld schon auch Thema in meinem Text. Nur lässt sich mein Protagonist in seiner "eitlen Selbstgerechtigkeit" gar nicht erst auf eine Reflexion ein. Was ja auch ein Verhalten ist, über das man als Leser nachdenken kann, oder?
Der Umgang mit Schuld ist in deiner Geschichte aber sehr einseitig dargestellt. Er weicht allen wichtigen Fragen und Gefühlen aus, mehr ist da nicht. Für mich gab es da eigentlich nicht viel zu reflektieren.

Das heißt ja nicht, dass die Geschichte schlecht ist und sie mir überhaupt nicht gefallen hat. Ich hätte mir halt ein wenig mehr Subtilität gewünscht. Dass zum Beispiel an einer Stelle ganz leise durchscheint, dass der Protagonist im tiefsten Inneren doch an seinem vereinfachten Weltbild zweifelt.

Danke fürs Lektorieren!

Immer gern! :)

 

Hallo Konstantina,

Du kannst gut formulieren. Auch fand ich das Gespräch im Beichtstuhl interessant.
Beim Lesen habe ich mich gefragt, weshalb geht ein überzeugter Atheist zur Beichte? Und wieso ist er erleichtert, als er die Tat gebeichtet hat? Er braucht ja keine Vergebung, da es für ihn weder Gott noch ein Leben nach dem Tod gibt.
Es würde mich interessieren, wie der Protagonist das sieht.

Alles Gute wünscht Dir
Marai

 

Hallo Marai!

Ich stelle mir Folgendes vor: Mein Protagonist ist in seiner Jugend sehr streng katholisch erzogen worden, so dass immer noch tief verinnerlichte Gefühle, die mit kirchlichen Ritualen verbunden sind, in ihm stecken.
Die offene Kirchentür erinnert ihn an das kühle, stille, wohltuende Innere eines sakralen Raumes, deshalb folgt er dem Impuls hineinzugehen.
Zufällig findet eine Beichte statt. Als alle Beichtwilligen gegangen sind, geht er in den Beichtstuhl, wahrscheinlich auch einem spontanen Impuls folgend. Vielleicht hat er sich an das Gefühl der Erleichterung erinnert, das er hatte, wenn er als Kind nach der Beichte die Absolution vom Pfarrer erhalten hatte?
Vielleicht erhofft er sich ein tröstliches Gespräch mit dem Pfarrer? Vielleicht will er auch (vor dem geplanten Selbstmord) seiner Psyche Luft verschaffen, sozusagen reinen Tisch machen, sein Problem mit einem anderen Menschen teilen? Deshalb auch die Erleichterung, die er empfindet.
Vielleicht sucht er auch einfach menschlichen Zuspruch, hofft vielleicht sogar auf einen leichteren Ausweg aus seiner Misere?
Jedenfalls hat er nicht mehr der Strenge des Priesters gerechnet, der ihm seine Lebenslüge und seine Feigheit klar vor Augen führt. Deshalb seine Wut am Ende, die wohl auch aus der Enttäuschung resultiert, hier nicht gefunden zu haben, was er erhofft hat.

Ich hoffe, meine Ausführungen haben dir geholfen, die Handlungsweise meines Protagonisten besser zu verstehen.

Gruß, Konstantina

 

Liebe Konstantina,

ich wollte hier nur anmerken, dass ich die Gründe für seinen Kirchenbesuch mit Beichte genau so verstanden habe, wie du es eben erklärt hast. Dabei hab ich mit dem Katholizismus noch nie wirklich viel zu tun gehabt. Aber für mich war das schon nachvollziehbar, da er ja auch erwähnt, dass er das alles von früher kennt.

 

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