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Serie Die neun Tode des Raffaele Bonatti [Epilog]

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Seniors
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10.02.2000
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Anmerkungen zum Text

In allen Teilen gibt es Hinweise auf einen Epos, den sicher viele kennen - zumindest dem Namen nach. Los geht es mit der Zahl "9". Der Tod ist ein ständiger Begleiter. Es gibt:
Vorhölle / Lust / Völlerei / Gier / Zorn / Häresie / Gewalt / Betrug / Verrat.
Dann gibt es auch Namen, die Hinweise geben oder wie im letzten Kreis, das Eis. In einem Teil gehen sie durch ein Tor (Tretet ein, und lasst alle Hoffnung fahren).

Es geht also um Dantes Inferno, als einem Teil der Göttlichen Komödie. Bonatti durchquert alle 9 Kreise. Allerdings nicht als Beobachter und zu Beginn errettet, dann geführt von Virgil, sondern Bonatti bringt alle 9 Kreise durch seine Taten hinter sich, um dann endgültig zu sterben. Seine Träume bieten einen Ausgang, denn sie zeigen, was passiert. Aber Läuterung ist nicht in Sicht.

Ob das alles so passt, überlasse ich der geneigten Leserschaft. Für mich war es mal was anderes und es hat Spaß gemacht. Jetzt ist aber auch gut.

Die neun Tode des Raffaele Bonatti [Epilog]

»Tot zu sein, ist gar nicht mal so schlecht«, bricht es aus Bonatti heraus. Er lacht und klopft dem alten Mann neben ihm auf die Schulter.
»Ich habe eine durchaus befreiende Wirkung auf die Menschen«, bestätigt der ihm.
Plötzlich endet Bonattis Heiterkeit.
»Ich finde, du bist mir ein paar Antworten schuldig, Alterchen.«
»Was ist heute für ein Tag?«, fragt der ihn.
Bonatti seufzt. »Du antwortest immer in Rätseln.«
»Nein. Du verstehst nur die Antworten nicht«, erwidert der Tod und steht auf. »Es ist achtzehn Uhr. Wir gehen.«
»Es ist achtzehn Uhr«, äfft Bonatti nach, »… das interessiert doch niemanden mehr. Wohin gehen wir denn? Hier ist doch nichts. Nur das Meer.«
»Und es weicht nicht entsetzt zurück vor den Menschen und ihren Taten«, ergänzt der Alte.
Bonatti packt die Schulter des Alten und dreht ihn zu sich.
»Du redest von meinen Taten. Ist es so?«
Da ist wieder das Schwarz in den Augen.
»Natürlich, Raffaele Bonatti. Wir steigen seit vielen Jahren zusammen hinab, Stufe für Stufe, Ring für Ring, bis auf den letztendlichen Verrat. Du bist den Weg bis zum Ende gegangen. Immer an meiner Hand. Kein Traum war imstande dich zu läutern.«
Mit einem Ruck lässt Bonatti die Schulter des alten Mannes los, setzt sich auf einen Stein und beginnt Figuren in den Sand zu zeichnen.
»Was ist heute für ein Tag?«, will der Alte erneut wissen.
Bonattis Zeigefinger malt Kreise, Vierecke, schreibt „Angelo“ in den Sand.
»Das weiß doch jeder. Es ist der Karsonntagmorgen. Ostern«, beantwortet er die Frage.
Beide schweigen.
»Ich habe mir das Leben verdient«, sagt Bonatti nach einer Weile.
»Aber Bonatti«, flüstert der Alte, »… das Leben wird dir geschenkt. Den Tod muss man sich verdienen.«

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Bitte Infoteil beachten oben rechts // Der Epilog funktioniert nicht ohne alle 9 Teile gelesen zu haben.

 

Nabend @Rob F,
etwas Positives hätte ja auch die "schiefe Bahn": Sitzt man hinter schwedischen Gardinen, hat man genug Zeit, um zu schreiben. Mich würde interessieren, ob du den Infoteil gelesen hast. Und wie meine Erklärung dort jetzt auf dich wirkt? Also zu weit weg vom Hintergrund, zu wenig Hinweise ... da hab ich immer hin und her überlegt, wie viel es geben sollte, müsste. Wobei es auch Leser gibt, die von dem Epos noch nichts gehört haben.
Meinen Dank fürs Dabeibleiben und eine schöne Woche.
Griasle
Morphin

 

Sali @Morphin!

Obwohl ich eine Leseratte bin, habe ich mich (noch) nicht an Dantes Inferno gewagt. Daher kann ich leider nichts dazu sagen.

»Ich habe mir das Leben verdient«, sagt Bonatti nach einer Weile.
»Aber Bonatti«, flüstert der Alte, »… das Leben wird dir geschenkt. Den Tod muss man sich verdienen.«
Das finde ich aber eine Interessante Sichtweise! Ich frage mich nur, ob Bonatti meint, er hat sich das Leben verdient, so wie er es gelebt hat? Oder ist es eher rhetorisch gemeint und redet er vom Leben als Nomen?
Mit sich den Tot verdienen, meint der Alte da, die Art und Weise wie man sterbt? Also, man verdient sich einen leichten, schmerzlosen Tot, oder das Gegenteil.
Die Alpträume wären für die meisten Menschen schon die Hölle.

Herzlichst,
Schwerhörig

 

Hi @Schwerhörig,

ja, es ist die Art des Abgangs. Würdevoll, würdelos, klammere ich am Leben, das ich total vergeigt habe. Gehe ich mit Schuld oder ohne, hinterlasse ich Fußspuren und welche?

An das Inferno solltest du dich unbedingt wagen. Für die Zeit der Entstehung ein wahrlich modernes Werk und es teilt auch opulente Seitenhiebe an Zeitgenossen aus.

Ich danke dir fürs Lesen und wünsche einen angenehmen Restmontag.

Griasle
Morphin

 

Hi @Morphin

Habe die 9 Teile & Epilog gelesen, hier nun meine Gedanken dazu.
Dabei zäum ich das Pferd von hinten auf: Dantes Inferno also. Ui, dem Namen nach schon mal gehört, aber ich ungebildeter Handwerker/Ingenieur hab das weder schulisch aufgezwungen, noch aus eigenem Antrieb gelesen.
Somit auch die 9 Kreise der Hölle – ich spick da grad ein bisschen bei Wikipedia – nicht geläufig waren.

So hatte ich nach dem ersten Teil, spätestens aber nach dem zweiten Teil
"Wie ein goldenroter Apfel an einem prächtigen Baum. So reif und fest."
erstmal eine vage Vermutung: Adam und Eva, Sündenfall, Vertreibung aus dem Paradies. Also irgendwas göttliches und die neun Tode sind so eine Art Bussweg, bis man entgültig abnippeln darf. Dazu fielen mir dann noch die zehn Gebote ein, (sind aber nur neun Episoden, dot, gecheckt?) z.B. Du sollst nicht begehren deines nächsten Haus/Weib, du sollst nicht stehlen, nicht ehebrechen, ...
Na ja, das passt irgendwie auch nicht so richtig ins Bild, denn du zeigst uns Bonatti auch nicht als Busse oder Reue empfindenden Menschen, sondern sein beschissenes und egoistisches Dasein eingebettet in Erinnerungen und Gegenwartsszenen mit seinem Sohn und dessen Mutter, Bonattis verstorbener (Ehe-)Frau, der Bonatti im hintersten Hirnkästchen ein sehnsüchtiges Plätzchen eingeräumt hat. Sich keinem Unrecht bewusst, das ihm von Leuten des tödlichen Abholservices eigentlich deutlich vor Augen geführt wird.

Jedenfalls war ich mit jedem weiteren Teil gespannt, welchen Tod Bonatti diesmal ereilt. Spannend sind dabei auch die wiederkehrenden Elemente, wie das ominöse alles überstrahlende Weiss, dass ja oft in Nahtoderfahrungen beschrieben wird, das aber im Fall von Bonatti zuletzt zum tiefgründigen Schwarz mutiert.
Oder die wiederkehrenden Träume, in denen Bonatti bereits zahlreiche Tode gestorben ist. Auch den Perspektivenwechsel jeweils am Episodenende, die den Leser wieder erdet und die Geschichte einen ganz alltäglichen Rahmen einbettet. Jo, gefällt mir richtig gut.

Interessant sind auch die Figuren, die Bonatti abholen kommen

  1. hier hat der Weg gerade begonnen, so ebnet Angelo ebnet den Weg für​
  2. - das Mandelmädchen​
  3. - den kräftigen Mann​
  4. - den Jungen​
  5. - die alte Frau​
  6. - den alten Mann​
  7. - ein alle vorherigen Figuren vereinendes Mädchen​
  8. - wieder eine junge Frau​
  9. - ein weiterer alter Mann​
ich dachte zuerst, du folgst einer bestimmte Struktur, doch möglicherweise sind die "Einsammler:innen" rein zufällig gewählt.

Am spannendsten und eindrücklichsten fand ich den ersten Teil, da ist für mich die ganze Familientragik enthalten, geht es um mehr als nur Bonattis Ego. Möglicherweise, weil wir uns da noch ganz am Anfang seines langen Todes befinden und er halbwegs noch mit dem hier und jetzt interagieren kann. Dieses Vermischen von Realität und Jenseits fand ich eindrücklich. Dieser Teil wird mit Episode 8 weitergeführt und hat sogar ein tragisches weltliches Finale, weshalb ich mir das auch gut als Auskopplung aus deinem Dantes-Inferno-Rahmen vorstellen könnte. Dies war zugleich für mich der raffinierteste Teil, mit Angelo als überraschender Vollstrecker. (Was er wohl in Teil 1 noch mit "isses nicht wert" abgetan hätte)

Fazit: (Nach Lesen der Übersicht zu den neun Kreisen der Hölle bei Wikipedia, hüstel hüstel)
Jeder wird nach seinen Schlechtigkeiten im Vorleben bewertet und landet in einem der neun Kreise, die zu seiner Sünde passt. Somit vereint Bonatti alles schlechte dieser Welt, muss er doch gemäss allen Beipackzetteln der neun Kreise den Löffel abgeben.
Ich fand es spannend, wie du nach und nach ein Bild des Egomanen Bonatti zeichnest, der mir zunehmend unsympathisch wird und ich mich am Ende ertappe bei einem herzhaften "recht geschehen."

Bisschen Texmex noch:
Bonatti 7

Also lehnt sich Bonatti zurück und trinkt einen Schuck vom frisch gepressten Orangensaft.
Schluck

Sie werden ihn wohl gerade auf [die] Seite schaffen.

Bonatti 8
steckt das Prospekt in seine Hosentasche.
den Prospekt

Danke fürs Unterhalten und zum Nachdenken anregen.
Liebe Grüsse
dot

 

Salut @dotslash,

da haste jetzt ein paar Seiten hinter dir. Ja, das mit der Göttlichen Komödie, dem Inferno-Teil, fand ich schon immer spannend. Wie er vor 700 Jahren einfach mal ne Rundumkeule raushaut. Wobei viel mit seiner Heimatstadt zu tun hatte. Auch dieser literarische Kniff, einen Dichter mitzunehmen, der ihm alles erklärt, das finde ich schon enorm. Das war die Geburt der italienischen Schriftsprache. Ein Genie.

Insgesamt war es wirklich mal ein persönliches Experiment. Sogar für die Disziplin. :D

Die drei Sachen habe ich verbessert. Meinen besten Dank fürs durchhaltende Lesen und Kommentieren.

Beste Grüße und gesund bleiben!
Morphin

 

»...
Ey / was hastu fur Gedancken / Wan da so viel Leichen stehn?
Wan da liegen so viel Krancken / Die den Todt für Augen sehn?
Wan die Götter dieser Erden / Selber auch begraben werden?
...« aus einem „christlichen Sterblied“
der Sibylla Schwartz (1621 - 1638)
»… das Leben wird dir geschenkt. Den Tod muss man sich verdienen.«

Ist es nicht Bürger „Normalverbraucher“, der davon redet, den Tod hätte sich diese oder jener „(redlich) verdient“, obwohl wir alle sterblich sind und der Tod uns ohne Verdienst (manche meinen sogar, „unverdient“ ereilt zu werden) ansieht (es sei, die Truthenne oder ein anderes Väterchen wie etwa Süleiman der Prächtige, selbst das einst vergötterte Ehegespinst wollte etwas nachhelfen)? Dabei droht dem relativ unsterblichen* „Prothesengott“ (treffender Begriff, geschaffen von Rene König, Begründer der Kölner Schule in der Soziologie) das Dramolett droht des Alten- und vor allem Pflegeheims – und käme es geschwollen als Seniorenzentrum daher.

Hier hab ich dann zuvor bei Gevatter*in einfach nur den „Kunden“ zu bemängeln – selbst wenn er aus der Kunigunde als der „Kunde“ entstanden ist (schau ich noch mal nach).

Super-Serie! Hab ich im Ikarus die Weltliteratur zusammenzufassen versucht (wie's Weiße Album in der Musik der Blues-Nachfolge), so hastu dich auf einen einzigen Gründungsvater und das Abendland beschränkt, den ich - wenn schon nicht nächste Woche (die ersten vollständigen Steuerunterlagen sind für diesen oder jenen da, denen ich unter die Arme greif - bedingungslose Freundschaft ist unbezahlbar!

Jetzt überleg ich, welche Konsequenzen bei einrm Beitrag stellvertretend für neun herauskommt …

Hier ist noch trocken aber es bläst schon kräftig und da muss ich …will ja nicht von acht Beinen von meinen gerissen werden oder gar schlittern. Die Marineparka (wie lang halten die Dinger eigentlich - unkaputtbar) freut sich auf frische Luft ...

Bis bald

Freatle

* zur „Unsterblichkeit“ vgl. hierorts

Arbeit, Konsum und Freiheit – Schiller, Marcuse, Lanier: „Der eindimensionale Mensch“

 

Nabend @Friedrichard,

der "Kunde" is schon weg. Eliminiert. Ist schon sehr lange her, dass ich den Dante gelesen habe, in meinen Zwanzigern. Vor einigen Wochen habe ich den ersten Teil von Bonatti geträumt und morgens dann gedacht, da müsste ich was draus machen. Der Titel war im Halbschlaf vor meinem geistigen Auge, warum der Name? Keine Ahnung, der war auch da. Dann Frühstück. Gegrübelt. Die 9 ... da war doch was ... dann auf ... äh, Klo, und die 9 Kreise, das Purgatorium, den Himmel lasse ich weg. So hat das angefangen.

Aber am Ende gibt Dantes Steilvorlage so viel Stoff her, dass man endlos drüber schreiben könnte. Das ganze ist so allumfassend, dass ich tiefe Ehrfurcht empfinde und gleichzeitig muss ich sagen, was Menschen erreichen können mit ihrem Hirn, ist schon unglaublich. Wahnsinn.

Dir meinen allerbesten Dank.
Glück auf.
Morphin

 

Hallo Morphin,
Ein starkes Stück und ein passender letzter Satz. Ich habe jetzt alle Teile gelesen und auch den Infoteil - War Bonatti im ersten Teil noch sympathisch, dann Neutral, so sank er immer tiefer und ich gönne ihm das gar nicht

»Tot zu sein, ist gar nicht mal so schlecht«, bricht es aus Bonatti heraus. Er lacht und klopft dem alten Mann neben ihm auf die Schulter.

Es scheint ihm noch immer zu gut zu gehen.

LG
Bernhard
PS: Alle 9 Teile gerne gelesen

 

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