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Ekel

Bas

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16.09.2018
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Ekel

An Schlaf ist nicht zu denken. Vielleicht kann man gegen das Fieber anschreiben. Einen Versuch ist es wert. Es ist dreiundzwanzig Uhr vierundzwanzig fünfundzwanzig, das Fieberthermometer zeigt vierzig Komma drei Grad, im Mund. Ich sollte schlafen, die Augen schließen, doch ich habe Angst, Angst davor, nicht wieder aufzuwachen – was, wenn das Fieber steigt?

Als ich siebzehn war, rauchte ich wochenlang Gras aus einer Plastikbong, ich wartete, bis meine Mutter ins Bett ging, wartete dann noch länger, um wirklich sicher sein zu können, dass sie schlief. Es war zwei, drei Uhr morgens, nirgendwo brannte mehr Licht, als ich endlich meinen Kopf aus dem Dachfenster reckte, das Plastik verzog sich beim Erhitzen, schmolz und verhärtete sich und mein Kopf wurde leer.
Als ich achtzehn war, schlief ich wochenlang neben schwarzem Schimmel, der sich am undichten Fensterrahmen gebildet hatte, manchmal wischte ich das Kondenswasser und den Schimmel mit Küchenpapier auf und stellte mir dann vor, wie die aufgewirbelten Sporen durch den Raum schwebten und sich auf meine Lunge legten, sich mit dem Teer vom Tabak und dem geschmolzenen Plastik zu einer klebrigen Masse vermengten und der Gedanke hatte etwas Schönes, Schimmelsporen wie Glühwürmchen, wie Sternschnuppen, wie Schnee.
Als ich neunzehn war, täuschte ich beim Arzt Schmerzen vor, bis er mir die Tabletten verschrieb, von denen ich im Internet gelesen hatte, ich schluckte eine, dann zwei, später in der Nacht war der Blister leer und ich spürte, wie mein Atem flacher wurde, ich dachte noch darüber nach, ob ich jetzt etwas schreiben müsste, etwas hinterlassen sollte, ob sich das so gehörte, aber ich hatte nichts zu sagen, ich war mir ja selbst so fremd, und so schlief ich ein und wachte lange nicht auf.

Ich erwache in einem anderen, einem geteilten Leben, und ekele mich vor mir selbst, wenn ich abends neben dir auf der Couch sitze. Die Hitze drückt gegen die Wände, ich ekele mich auch vor dir, doch dafür kannst du nichts, nur suche ich jetzt nach Gründen, dich zu hassen.
Ich rede mir ein, dass dein Lachen mich stört. Du lachst und ich schnaufe. Leise genug, um keine Nachfrage zu riskieren, für eine Aussprache bin ich zu feige, aber laut genug, dass du es hörst. Denn vielleicht gibt es doch einen Grund. Vielleicht ist dein Lachen das Lachen einer Schlange.

Ich ertrage mich nicht, es ist Mittag und ich verlasse die Wohnung und kurz denke ich, dass es so besser ist, dass ich mich so von mir selbst lösen kann, aber ich klebe an mir wie mein Schatten, klebe an mir wie mein Shirt, die Luft ist drückend, Glasfassaden, Industrie, ich sitze am Fluss und starre in die Wolken, die sich auf dem Wasser spiegeln, ich spüre mein Herz schlagen, spüre mich selbst und möchte mich loswerden.
Ein Mann geht vorbei. Mein Starren wird krankhaft. Er ist von der Sorte, die reden will, das weiß ich, mein Blick bohrt ein Loch in die Wasseroberfläche, reißt einen Strudel. Wenn er mich anspricht, muss ich antworten, muss meine eigene Stimme hören und ich weiß, dass ich sie nicht ertragen werde, ich halte mich sprungbereit.
Später sehe ich denselben Mann Beeren pflücken. Er trägt kein Shirt, hält einen Beutel in der Hand, nickt mir zu und lächelt. Daheim falle ich erschöpft ins Bett und wache lange nicht auf.

Es ist Mitternacht und pünktlich zum Glockenschlag schaffe ich es, ich weine. Ich habe nicht geweint, als mein Vater starb, ich habe oft darüber nachgedacht, was das über mich aussagt und manchmal denke ich immer noch darüber nach und komme doch zu keiner Lösung, doch als ich jetzt weine, ist es, als fließt der Ekel aus mir raus, ich muss nicht viel sagen, die Tränen sind Zeichen genug, aber sie sieht das anders, für sie ist es nicht nachvollziehbar, wie von einem auf den anderen Tag alles ins Wanken geraten kann, und später in der Nacht sagt sie: Man kann nie in einen Menschen hineinblicken, das weiß ich jetzt.

Und jetzt ist sie weg und das Fieber hat mich im Klammergriff: Vierzig Komma sieben, ich bin unausstehlich, wenn ich alleine bin und überschwänglich, wenn ich Gesellschaft habe, ich finde kein Maß, ich will alles und will nichts. Wenn ich mich nach Nähe sehne, schwanke ich zwischen tiefer Zu- und noch tieferer Abneigung, ich bin mutlos und will mich niemandem zumuten und fasse einen Entschluss, ich schlage den Kalender auf und suche ein passendes Datum, ich rede mir ein, dass es eine bedeutungsvolle, eine poetische Zahlenfolge sein muss, dass alles andere Verschwendung wäre, ich male mir aus, wie sich bestimmte Zahlen auf dem Stein ausmachen würden, ich schreibe verschiedenste Konstellationen auf ein kariertes Blatt Papier, ich sterbe gedanklich im Frühling, Sommer, Herbst und im Winter, zwischen den Jahren, wenn alles still ist, kurz vor einem Gewitter in der elektrisch aufgeladenen Luft und auf dem Blatt ist schon lange kein Platz mehr, ich schreibe auf den Tisch, an die Wände, bis sich ein ganz bestimmtes Datum herauskristallisiert, ich schneide es mir in meine entzündete Hirnhaut, um es nicht zu vergessen.

***
Es ist noch immer derselbe lange Sommer, als ich dich Huckepack durch die Mittelstraße trage. Vom Anfang bis zum Ende, bis zum Puff und wieder zurück schleppe ich dich durch die Rauchschwaden der Männer vor den Läden und unter meinen Füßen knacken die Schalen der Sonnenblumenkerne. Ich schwitze. Ich werde drei Tage später noch Muskelkater in den Oberschenkeln haben, obwohl du quasi nichts wiegst, ich trage dich die Treppen hoch in den zweiten Stock und durch den Flur, vorbei an den mit Zahlen verschmierten Wänden. Ich ziehe dich aus. Nehm dich wieder hoch, halte deinen Hintern in meinen Händen und ziehe dir die Backen auseinander, stelle mir vor, wie dir die schwüle Luft über den gespreizten Anus streicht.

Später liegen wir im nassgeschwitzten Bett und in unserem Kopf sprühen Farben und ich erzähle dir, was ich an dir mag: Dass du lachst wie ein Gauner, und du streichst über meinen Kopf und fährst mit den Fingerspitzen die Kerben in meiner entzündeten Hirnhaut nach und fragst, was das ist. Was dann ist, am soundsovielten, und ich sage: Nichts. Das war mal, aber ich kann mich kaum noch erinnern, will mich kaum noch erinnern, denn das kann man ja keinem erzählen, aber dann erzähle ich es dir doch, fühle mich sicher in der Dunkelheit. Erzähle dir von meinem Vater und meiner Ex und dem Ekel, von dem Schimmel und dem Gras und den Tabletten und meinen Ängsten. Davon, dass ich mich immer ein bisschen fürchte vor den Menschen.

Ich erzähle dir von einer Situation aus meiner Jugend: Es war Winter, ich war betrunken. Ich legte mich auf die Straße und schlug nach den Armen, die an mir zerrten, ich wollte in Ruhe gelassen werden, ich wollte überfahren werden, ich sagte es auch, aber sie ließen mich nicht, und für den Rest der Weihnachtsferien stelle ich mich tot, malte mir aus, dass sie einen Ekel gegen mich entwickelt hätten, dass der Platz neben mir leer sein würde, wenn die Schule wieder losging, doch es war alles wie immer. An den Wochenenden gingen wir trinken. Aber von da an passte ich auf. Keiner sollte wissen, was in mir los ist.

Ich erzähle dir von einer Situation aus meiner Kindheit: Es war Winter, ich war einsam und es schneite. Ich legte mich in den Schnee und wollte sterben.

Und ich denke immer noch beinahe jeden Tag, dass ich besser dran tot wäre, jetzt, zwanzig Jahre später, aber wer will das hören, ich denke ja selbst: Werd erwachsen. Und ich will nicht erzählen, was du mir bedeutest, weil ich nicht will, dass du den Druck spürst, denn mit Druck kenne ich mich aus, und irgendwo in der Mittelstraße schreit einer: Ich steche dich ab und irgendwo fetzen sich zwei Katzen und irgendwo in einem anderen Leben liegst du nicht hier bei mir und dort hätte dieses Datum noch immer eine Bedeutung.

***​

Ich habe Tabletten geschluckt, der Blister ist leer, das Fieber stagniert. Das grau werdende Haar klebt in feuchten Locken an meiner glänzenden Stirn, der Raum ist schwarz und doch sehe ich dich, Papa, wie du schemenhaft abwartend lauerst worauf? Das Fieber hat mich im Schwitzkasten und ich wähle den Notruf, am Ende der Leitung ist ein Känguru? und es humpelt/hüpft weinend/lachend durch den Raum, trägt meinen Vater im Beutel.

Das Fieber sinkt. Jetzt verstecke ich mich vor dem, was ich verraten habe, radiere alles wieder aus. Streiche durch. Glaub mir kein Wort. Dem Fiebernden, nimm mich nicht ernst. Mach deine Witze, ich lache dann mit.

 

Ich ertrage mich nicht, ich verlasse die Wohnung und denke kurz, dass es so besser ist, dass ich mich so von mir selbst lösen kann, aber ich klebe an mir wie mein Schatten.

Hallo Bas,

für mich schlägst du hier neue Wege ein, das ist ein wenig anders als andere Texte von dir, so zumindest meine Wahrnehmen, Rollenprosa und Realismus würde ich das nennen. Mir gefällt das sehr gut. Das ist natürlich abgründig und tiefste Depression, aber besonders gefallen haben mir auch die kleinen Anekdoten über seine Vergangenheit. Die wirkten alle sehr echt und lebendig. Auch allgemein sind die Gefühle des Prots für mich spürbar gewesen, weswegen ich den Text für sehr gut halte. Nicht ganz klar wurde mir, was es mit seiner Exfreundin auf sich hat, ob sie eine Prostituierte war? Ja, das Verstecken, das Verstellen, und gleichzeitig brodelt da etwas in einem, frisst einen von innen auf, das ist sehr realistisch dargestellt meiner Meinung nach, ich habe es gespürt. Zum Schluss klärst du das Fieber auf: die an der Grenze zum Tod stehende Temperatur ist mehr Metapher als tatsächliche Temperatur. Ist ein Kunstkniff, nicht negativ gemeint, nur feststellend. Ich fand das Fieber als Spannungselement gleich zu Anfang gut, und nach seiner Wandlung zur Metapher fand ich es auch noch gut. Ich würde das zum Ende sprachlich sogar noch ein klein wenig ausbauen und betonen, denn es gibt ja verschiedene Arten von Fieber und seines ist eines wie eine unbehandelte Malaria, die immer wieder kommen wird, die nie ganz verschwinden wird. Nur eine Idee.
Hat mich berührt, dein Text, das ist eine Vorhölle, die ich fühle, auch weil ich schon in ähnlichen Temperaturen unterwegs war, nicht ganz vor der Eiweißauflösung, aber irgendwo darunter. Da ergibt sich eine katarthische Wirkung beim Lesen, ein Gefühl des Sich-Verstanden-fühlens, denn solche depressive Empfindungen (nenne ich es an dieser Stelle, obwohl ich kein Anhänger dieses Begriffs und Framings bin) sind ein Tabu, auch wenn hin ind wieder ein VIP sich outet, zeigt er/sie uns doch nie, wie das im Detail und in der Situation aussieht, wie die Gedanken klingen. Depressive Empfindungen sind hässlich, eklig und verdammt schmerzhaft für den Betroffenen. Da finde ich es beinahe als eine Verleugnung oder Irreführung, wenn diesem Begriff teilweise irgendwie ein Sexappeal oder ein Schick in verschiedenen Kontexten in der öffentlichen Debatte oder Privatinszenierung gelegentlich anheftet. Also, die hässliche, reale Seite solcher Empfindungen sind nach wie vor ein Tabu, meiner Meinung nach, obwohl viele Menschen genau so etwas erleben. Wenn man dann einen „Gleichgesinnten“ trifft, und selbst dieser Begriff ist beinahe positives Framing, das ich nicht so meine - egal, dann hat das etwas Erlösendes, weil man merkt, man ist nicht alleine und besonders schlecht, weil man so fühlt, sondern diese Erfahrung ist etwas im Kern Menschliches. Meiner Meinung nach eine menschliche Reaktion auch auf die von uns gebaute und gelebte Zivilisation, wie sie heute dasteht, aber das ist eine andere Debatte. Schön, dass Literatur in ihrer Unmittelbarkeit eine solche Wirkung entfalten kann! Meine Meinung.

Beste Grüße
zigga

 

Hallo Bas!

Anspruchsvolle Literatur beginnt dort, wo bloßes Erzählen endet. Das ist ein Text, den ich in seiner Gesamtheit für derart gelungen halte, dass ich ihn meinerseits unberührt lassen möchte. Für mich stimmt hier alles. Jeder Satz ein Treffer.
Ich interpretiere deinen Prot als einen lebenslang verzweifelten Menschen, voll Selbsthass und Ekel. Krass dargestellt in seinen bildhaften Erinnerungen. Als jemand, der mit seinem Innenleben nicht fertig wird, sich nach Tod und vermeintlicher Erlösung sehnt. Darüber schwebend eine dominierende, verständnislose Vaterfigur. Ich wage nicht, meine diesbezügliche Vermutung bezüglich der Zerrissenheit des Prot zu äußern, auch wenn mich manch vage Andeutung in eine bestimmte Richtung lenkt. Warte vorerst auf weitere Kommentare und deren Interpretation.
M.A.n. ein durchaus empfehlenswerter Text! Mehr habe ich nicht zu sagen.

LG, Manuela :)

 

Ich sollte schlafen, die Augen schließen, doch ich habe Angst, Angst davor, nicht wieder aufzuwachen. Was, wenn das Fieber steigt?
Glaub mir kein Wort, dem Fiebernden, nimm mich nicht ernst. Mach deine Witze, ich lache dann mit.

Hallo,

das ist so ein wenig die mutlose Variante. Warum genau hat er Angst? Und dann am Ende relativiert der Erzähler im Grunde alles.

Als ich träumte, dass sie stirbt und dann enttäuscht war, sie am Morgen sanft atmend neben mir liegen zu sehen, hasste ich mich für meine Feigheit und weil ich es in meinem Kopf nicht mehr aushielt, wurde mir mein Körper bewusst – war mir neuerdings nicht ständig schwindlig? Bekam ich nicht schlechter Luft als früher?
Das schneide ich auch nicht mit. Warum wird ihm eigentlich sein Körper bewusst? Weil er enttäuscht ist, dass sie nicht wie in seinem Traum stirbt? Und für welche Feigheit? Diesbezüglich? Des Träumens oder dass sie nicht wirklich tot ist? Diese Bilder vereinigen sich einfach nicht zu einem kohärenten Ganzen. Man könnte sagen, klar, der hat Fieber, und vielleicht ist das auch intendiert, aber dann wäre (oder müsste) der Text wahnhafter sein, fragemtierter, in sich brüchiger.

Als ich neunzehn war, täuschte ich beim Arzt Schmerzen vor, bis er mir die Tabletten verschrieb, von denen ich im Internet gelesen hatte, ich schluckte eine, dann zwei, später in der Nacht war der Blister leer und ich spürte, wie mein Atem flacher wurde, ich dachte noch darüber nach, ob ich jetzt etwas schreiben müsste, etwas hinterlassen sollte, ob sich das so gehörte, aber ich hatte nichts zu sagen, ich war mir ja selbst so fremd, und so schlief ich ein und wachte lange nicht auf.
Nun, moderne Schmerztabletten, kann man sich mit denen umbringen? Kotzt man da nicht bei Überdosierung automatisch? Auch dass der Arzt ihm solche Hämmer nur auf reine Selbstauskunft verschreibt, klingt nicht so ganz logisch. Ich glaube aber, ich habe vielmehr ein Problem mit diesen Allgemeinplätzen: Ich habe nichts zu sagen. Ich bin mir ja selbst so fremd. Was bedeutet das? Was bedeutet es für deinen Erzähler, sich selbst fremd zu sein? Da beschleicht mich das Gefühl, als würde hier eine Tiefe einfach nur vorgetäuscht, so wie dieser moment oft diskutierte mid-cult, das klingt tief und wichtig, aber da ist nichts hinter.

Ich erwache in einem anderen, einem geteilten Leben, und ekele mich vor mir selbst, wenn ich abends neben dir auf der Couch sitze. Ich ekele mich auch vor dir, aber dafür kannst du nichts, nur suche ich jetzt nach Gründen, dich zu hassen. Ich rede mir ein, dass dein Lachen mich stört, du lachst und ich schnaufe.
Dann taucht wieder ein neuer (?) Gegenpol auf, von dem ich nicht weiß, wie der mit der subjektiven Körperempfindung zusammenhängt, ob das nicht nur eine Projektionsfläche ist.
Ich bin ekelhaft und wenn noch etwas von den Tabletten aus meinem anderen Leben übrig wäre, würde ich wieder darüber nachdenken.
Ekel. Wie äußert sich das? Warum ekelt er sich? Das müsste sich im Text manifestierten. Du müsstest nur den Titel lassen, aber das Wort "Ekel" nie wieder im Text selbst erwähnen. Er müsste für sich und aus sich sprechen.
Und jetzt ist sie weg und das Fieber hat mich im Klammergriff: Vierzig Komma sieben Grad, ich bin unausstehlich, wenn ich alleine bin und überschwänglich, wenn ich Gesellschaft habe, ich finde kein Maß, ich will alles und nichts. Wenn ich mich nach Nähe sehne, schwanke ich zwischen tiefer Zu- und noch tieferer Abneigung, ich will mich niemandem zumuten und fasse einen Entschluss, ich schlage den Kalender auf und suche ein passendes Datum, ich rede mir ein, dass es eine bedeutungsvolle, eine poetische Zahlenfolge sein muss, dass alles andere Verschwendung wäre, ich male mir aus, wie sich bestimmte Zahlen auf dem Grabstein ausmachen würden, ich schreibe verschiedenste Konstellationen auf ein kariertes Blatt DIN A4 Papier, ich sterbe gedanklich im Frühling, Sommer, Herbst und im Winter, zwischen den Jahren, wenn alles still ist, kurz vor einem Gewitter in der elektrisch aufgeladenen Luft und auf dem Blatt ist schon lange kein Platz mehr, ich schreibe auf den Tisch, an die Wände, bis sich ein ganz bestimmtes Datum herauskristallisiert, ich schneide es mir in die Haut auf der Innenseite meines linken Unterarms, um es nicht zu vergessen.

Ja, die Poesie des Suizids so ein wenig. Ich denke, falls es Menschen gibt, die soetwas tun, also vor ihrem geplanten Suizid, dann tun sie es nie wirklich, oder? Das ist ja nur ein Kokettieren. Mir ist das zu viel, zu schwül, zu romantisierend. Er schneidet sich ein Datum in den Arm, damit er es nicht vergisst ... nee, mir ist das einfach zu viel, sorry.

Nichts, das war mal was, aber ich kann mich kaum noch erinnern. Will mich kaum noch erinnern, denn das kann man ja keinem erzählen, aber dann erzähle ich es dir doch, fühle mich sicher in der Dunkelheit, erzähle dir von meinem Vater und von meiner Ex und von dem Ekel, von dem Dreck, der in mir brodelt, vom Schimmel und vom Gras und den Tabletten und meinen Ängsten: Davon, dass ich mich immer ein bisschen fürchte vor den Menschen.
Es wird nie konkret. Es muss auch nicht konkret werden, es darf ruhig vage bleiben, das Eigentliche kann im Hintergrund schwären, zwischen den Zeilen wabern, aber dann würde ich zumindest mehr Charakter brauchen, wirkliche Handlungsweisen, etwas Erlebbares, Erlebtes - in dem Text sind nur Fragmente dessen, im Grunde aber bleibt es an einer Oberfläche, es bleibt ein Raunen: Schimmel, Gras, der Vater, der Ekel. Und dann fürchtet er sich ein bisschen vor den Menschen. Da ist mir zu viel Illusion einer bedeutungschwangeren Tiefe, wo aber eigentlich nur eben diese ist; von dem Dreck, der da brodelt, erfahre ich nichts, er wird nie erwähnt, ich muss das so hinnehmen, ich muss den einfach kaufen, und auch alles andere in dem Text, die namenlosen Figuren, die ich nicht zuordnen kann, die immer nur ein Vakuum sind, in die der Erzähler seinen Weltschmerz erzählt, Stichwortgeber im Grunde. Für mich bleibt der Text nur eine Fassade leider.

Gruss, Jimmy

 

Hey @zigga,

vielen Dank für deine Rückmeldung.

Ich habe damit gerechnet, dass der Text mir ein bisschen mehr um die Ohren fliegen würde, als er es bisher tut, ich hätte auch Argumente wie das ist keine Kurzgeschichte! gelten lassen :shy: Er ist halt tatsächlich eine Fiebergeburt - ich habe noch nie so viel geschwitzt wie die letzten Tage.

Depressive Empfindungen sind hässlich, eklig und verdammt schmerzhaft für den Betroffenen.

Wenn ich irgendeine Intention bei diesem Text hatte, dann war es - neben der im ersten Absatz offengelegten - einen möglichst ungeschöntes Bild von diesem Gefühl zu vermitteln, ob man das jetzt Ekel nennt oder depressive Empfindung. Bei dir ist das geglückt, was mich sehr freut.

Da finde ich es beinahe als eine Verleugnung oder Irreführung, wenn diesem Begriff teilweise irgendwie ein Sexappeal oder ein Schick in verschiedenen Kontexten in der öffentlichen Debatte oder Privatinszenierung gelegentlich anheftet.

Da sprichst du was Gutes an, etwas, woran auch der Text hier möglicherweise stellenweise krankt, so eine gewisse Ästhetisierung dieses Gefühls. Ja, und ich weiß es selbst nicht genau, sexy oder schick ist daran ganz sicher nichts, aber ich finde auch, dass man nicht außer acht lassen darf, in welchem Kontext so etwas behandelt wird: In einem Fachartikel würden mich viele der hier im Text auftretenden Bilder vielleicht sogar wütend machen. In einem Song hingegen, der das Thema aufgreift, oder wie hier in ... was auch immer für ein Text das ist, möchte ich aber nicht einfach nur mit Tatsachen konfrontiert werden, sondern möchte auch eine gewisse Atmosphäre erfahren, möchte - vielleicht auch überzeichnete - Bilder gezeichnet bekommen, die mir das Gefühl greifbar machen. Das ist ein schwieriger Spagat, denke ich, und wenn ich schon bei dem Thema bin, kann ich auch gleich den Kommentar von dir, @jimmysalaryman, aufgreifen:

Ja, die Poesie des Suizids so ein wenig. Ich denke, falls es Menschen gibt, die soetwas tun, also vor ihrem geplanten Suizid, dann tun sie es nie wirklich, oder? Das ist ja nur ein Kokettieren. Mir ist das zu viel, zu schwül, zu romantisierend. Er schneidet sich ein Datum in den Arm, damit er es nicht vergisst ... nee, mir ist das einfach zu viel, sorry.

Hier zum Beispiel, da gehe ich ein Stück weit mit, das ist womöglich tatäschlich zu viel, da wird etwas poetisiert/romantisiert/ästhtetisiert, das nicht poetisiert/romantisiert/ästhetisiert sollte - zum einen aus ... hm, moralischen Gründen vielleicht, zum anderen aber auch ganz schlicht, weil es so im Schreibkontext an inhaltlicher Wucht verliert. Dessen bin ich mir bewusst. Aber auch, wenn es weit weg von perfekt ist, ist es mir hier noch das am geeignetsten erscheinende der mir zur Verfügung stehenden Mittel, um das zu transportieren, was ich sagen möchte. Der ganze Text ist ja weit weg von perfekt, ist mehr Annäherung an ein schwieriges (auf handwerklicher Ebene in diesem Fall) Thema für mich.

Zum Schluss klärst du das Fieber auf: die an der Grenze zum Tod stehende Temperatur ist mehr Metapher als tatsächliche Temperatur.

Hm, ich sehe diese Aufklärung gar nicht ganz so deutlich wie du, glaube ich. Also ich sehe den ganzen Text eher undeutlich, was auch an den Umständen liegt, unter denen er entstanden ist ... Aber ich gucke da noch mal drauf und entscheide dann, ob ich hier in die eine oder andere Richtung gehen möchte.

Wie schon gesagt: Vielen Dank für deine Rückmeldung zigga, bedeutet mir was, dass der Text dich erreichen und sogar berühren konnte.

Hey @Manuela K.,

auch dir vielen Dank für deinen Kommentar, der ja vor allem ein zustimmendes Abnicken ist. Damit komme ich sehr gut klar :)

Hey @jimmysalaryman,

das ist so ein wenig die mutlose Variante. Warum genau hat er Angst? Und dann am Ende relativiert der Erzähler im Grunde alles.

Ich verstehe die Frage hier nicht so ganz, da steht es doch: Er hat Angst, nicht mehr aufzuwachen, falls das Fieber steigt. Zielt die Frage darauf ab, dass das ja eigentlich genau das ist, was er herbeisehnt?

Dass er am Ende alles relativiert, könnte man wohl als mutlos interpretieren, ja. Im Grunde ist ja sein gesamtes Verhalten mutlos: Er sehnt den Tod herbei, schon sein Leben lang, ist suizidal, bringt sich aber nicht um. In dem bereits zitierten Kommentar von dir hast du gesagt:

Ich denke, falls es Menschen gibt, die soetwas tun, also vor ihrem geplanten Suizid, dann tun sie es nie wirklich, oder? Das ist ja nur ein Kokettieren.

Was ich persönlich für für schwierig halte, auch wenn ich verstehe, was du da sagen möchtest, ich erinnere mich da an (in der Pubertät steckende) Mädchen aus meiner Schulzeit, die sich übers Wochenende die Unterarme zerschnitten haben und am Montag als Quasi-Selbstmord-Märtyrer im Klassenzimmer saßen.

Wenn der Prota hier am Ende aber alles ins Lächerliche zieht und sich vom zuvor Gesagten distanziert, dann sehe ich darin eher ein drastisches Abwenden vom Schreck als ein Relativieren, er nimmt den (lebens-)bedrohlichen Gedanken die Substanz, indem er sie nicht mehr zulässt. Soll nicht heißen, dass deine Interpretation falsch ist, aber so lese ich das.

Warum wird ihm eigentlich sein Körper bewusst? Weil er enttäuscht ist, dass sie nicht wie in seinem Traum stirbt?

Der Körper wird ihm bewusst, weil er es im Kopf nicht aushält. Ist vielleicht einfach ein mir persönlich zu bekanntes Phänomen, vielleicht verstehe ich deshalb deine Nachfrage nicht so ganz, vielleicht wird es aus dem wenigen, was da steht, nicht so deutlich, wie ich das selbst empfinde, ich denke, da liegt das Problem. Ich habe es schon oft erlebt, dass mein Kopf so voll war, dass ich mich zu sehr auf Körperlichkeiten konzentriert habe, dass ich so gestresst war, dass ich plötzlich davon überzeugt war, dass dieses und jenes nicht richtig funktioniert.
Wenn mir eine Lösung einfällt, die weniger Fragen aufwirft, bügele ich den Absatz noch mal aus.

Nun, moderne Schmerztabletten, kann man sich mit denen umbringen? Kotzt man da nicht bei Überdosierung automatisch? Auch dass der Arzt ihm solche Hämmer nur auf reine Selbstauskunft verschreibt, klingt nicht so ganz logisch. Ich glaube aber, ich habe vielmehr ein Problem mit diesen Allgemeinplätzen: Ich habe nichts zu sagen. Ich bin mir ja selbst so fremd. Was bedeutet das? Was bedeutet es für deinen Erzähler, sich selbst fremd zu sein? Da beschleicht mich das Gefühl, als würde hier eine Tiefe einfach nur vorgetäuscht, so wie dieser moment oft diskutierte mid-cult, das klingt tief und wichtig, aber da ist nichts hinter.

Das wird aus dem Text nicht deutlich, my fault, aber ich hatte da gar nicht vor Augen, dass er sich mit den Tabletten umbringen will. Hier ist ja die Rede von flacher werdendem Atem und sowohl Opioide als auch Benzos können bei einer höheren Dosierung Atemdepressionen auslösen.
Das ist wohl eines der Probleme der fragmentarischen Verknappung hier, klar, wer will, kann hier lesen: Ich habe Schmerzen, bitte verschreib mir das Krasseste, was du auf Lager hast und der Arzt sagt: Gebongt!, aber es heißt ja, er täuscht Schmerzen vor, bis der Arzt ihm diese bestimmten Tabletten verschreibt, da steht ja nicht, wie lang dieser Prozess sich hinzieht.

Ja, und dass du diese Sätze als Allgemeinplätze liest, ist natürlich schade, verstehe ich auch ein Stück weit, gleichzeitig empfinde ich sie aber auch als sehr zutreffend. Trotzdem schaue ich da noch mal drauf, ob ich etwas ... angemesseneres finde.

Es wird nie konkret. Es muss auch nicht konkret werden, es darf ruhig vage bleiben, das Eigentliche kann im Hintergrund schwären, zwischen den Zeilen wabern, aber dann würde ich zumindest mehr Charakter brauchen, wirkliche Handlungsweisen, etwas Erlebbares, Erlebtes - in dem Text sind nur Fragmente dessen, im Grunde aber bleibt es an einer Oberfläche, es bleibt ein Raunen: Schimmel, Gras, der Vater, der Ekel. Und dann fürchtet er sich ein bisschen vor den Menschen. Da ist mir zu viel Illusion einer bedeutungschwangeren Tiefe, wo aber eigentlich nur eben diese ist; von dem Dreck, der da brodelt, erfahre ich nichts, er wird nie erwähnt, ich muss das so hinnehmen, ich muss den einfach kaufen, und auch alles andere in dem Text, die namenlosen Figuren, die ich nicht zuordnen kann, die immer nur ein Vakuum sind, in die der Erzähler seinen Weltschmerz erzählt, Stichwortgeber im Grunde. Für mich bleibt der Text nur eine Fassade leider.

Nur eine Fassade, das ist ein vernichtendes Urteil. Das sich wohl nur ändern ließe, wenn ich das, was den Text in der jetzigen Form für mich ausmacht, komplett über den Haufen werfe. Und ich verstehe auch, was du da sagst, wie schon erwähnt, hätte ich mir gut vorstellen können, dass der Text mir hier komplett um die Ohren fliegt, die positiven Stimmen haben mich fast überrascht, aber ich bin halt auch davon überzeugt, dass der Text gerade wegen der von dir aufgeführten Schwachpunkte überhaupt erst eine gewisse Kraft entwickeln kann, die dann vielleicht den ein oder anderen erreicht.

Danke jedenfalls für deine Rückmeldung, die mir viel Stoff zum Nachdenken gegeben hat, auch für die nächsten Tage noch :)

Bas

 

Hm,

lieber Bas,

hat nicht jeder bereits in jungen Jahren das Gefühl (und sei es nur durch ein widerspenstiges Muttertier bewirkt), „Schluss“ zu machen oder doch zumindest „abzuhauen“ – und i. d. R. weiß Gott wohin!, wenn niemand im Verwandten- oder umfassender Bekanntenkreis z. V. steht?

Bei mir war’s so um die Zeit des Jungpfadfinderei – also eine kurze Zeit nach dem Wölfling - und den Anfängen des Konfirmations“unterrichts“. Das Fahrtenmesser (unter dessen Lilie, nachdem die sich verabschiedet hatte [ich kann auch kratzbürstig!, statt ironisch] ein Hakenkreuz offenbarte, und das, wiewohl der BDP ["Bund deutscher Pfadfinder“] von der DDR finanziert wurde.

Autoritäre Syteme und besonders deren Soldateska sind wie nach einem Lied von Wolf Biermann „alle gleich“!) Ein früher, aber durchaus unwürdiger Abgang aus welchem Grund auch immer, ohne dass ich damals Rimbaud gekannt hätte, wohl aber Sch(m)eißfliegen

“A, noir corset velu des mouches éclatantes
Qui bombillent autor des puanteurs cruelles,
….” Rimbaud

und ich bin fast der Auffassung, dass diese Erfahrung jeder durchmacht – der eine früher und spätestens der Letzte. Bissken Flusen -lese muss sein, wie etwa hier

Es ist dreiundzwanzig Uhr achtundvierzig neunundvierzig, das Fieberthermometer zeigt vierzig Komma drei Grad, im Mund.
Mit der Frage: Warum das Komma? Wir haben doch eine feine Galerie an Strichen ...

Ich sollte schlafen, die Augen schließen, doch ich habe Angst, Angst davor, nicht wieder aufzuwachen. Was, wenn das Fieber steigt?
Und wieder leitet sich die Angst von den/der engsten Bedrängung ab, denn enger als ein Loch oder der Sarg ist nun mal die Urne ...

Minimalste Flusenlese ever!

..., doch als ich jetzt weine, ist es, als fließe der Ekel aus mir raus.
Nicht unbedingt falsch – aber der Konj. I unterstellt wie die indirekte Rede in Gerichts- und Polizeiprotokollen und anderen Niederschriften Wahrhaftigkeit, Konj. II als irrealis und potentialis die ganze Pallette der Wahrhaftigkeit und Wahrscheinlichkeitsrechnung von 0 (gibt’s nicht, ist unmöglich) bis 1 (gibt’s, ist real) mit der 0,5 als kann es geben, muss aber nicht.

..., ich sagte es auch, aber sie ließen mich nicht und für den Rest der Winterferien stelle ich mich tot, ich malte mir aus, dass sie einen Ekel gegen mich entwickelt hätten, dass der Platz neben mir leer sein würde, wenn die Schule wieder losging, aber …
symbolisiert der Gezeitenwechsel des „sich-tot-stellen“ den Wechsel in eine vorgestellte Welt (wie ja auch die Konjunktiefen hätten und würde?

Der Raum ist schwarz und doch sehe ich dich, Papa, wie du schemenhaft abwartend lauerst *wartest worauf?
* besser Komma oder ein verbindliches „und“

Du glaubst gar nicht, wie nah ich Dich bei meinen Anfängen hierorts wähne (wenn auch nicht eins zu eins).

Gern gelesen vom

Freatle,

der jetzt A Day in the Life hören wird ...

 

Nur eine Fassade, das ist ein vernichtendes Urteil.

Nee, vernichtend sollte das nicht sein. Ich denke einfach, hinter dieser Fassade versteckt sich eine, die eigentliche Geschichte. Ist natürlich auch alles dem Format geschuldet, da muss zwangsläufig komprimiert werden und verdichtet. Es ist halt die Frage, worauf man den Fokus legt. Ich empfinde es so, also auch bei eigenen Texten, dass Texte dieser Art oft diesen einen Effekt haben, der ein wenig manipulativ ist, man setzt dem Leser eine Brille auf, durch die er dann den Text sieht und liest. Dann kann man sagen, gut, ich will hier nichts erzählen, sondern eher eine Atmosphäre erschaffen, eine gewisse Emotion erwecken, das Nachempfinden eines Menschen in einer bestimmten Situation; das weiß ja der Leser nicht. Und, Leser nehmen das auch anders an. Hier steht natürlich jeder Text sofort und Kitsch oder Manipulationsverdacht, ich persönlich finde das gut, wenn man auf Sentimentalitäten achtet, weil mir das selbst oft durchgeht und ich dann pathetisch werde und mich dafür nachher schäme. Aber das bin eben ich, und wenn du sagst, nee, so soll der Text sein, ist das eben so. Das sind ja immer Einzelmeinungen. Wie dem auch sei.

Gruss, Jimmy

 

„Als ich zum ersten Male starb -
Ich weiß noch, wie es war.
Ich starb so ganz für mich und still.
Das war zu Hamburg im April,
Und ich war achtzehn Jahr.
...“

Mascha Kaléko,

„aus dem berühmten Gefühl …“ zitiert nach den „Versen für Zeitgenossen“ und nur,
dass niemand auf den Gedanken komme, es hätte was mit den 1933 ff. zu tun.
18 wurde sie 1925

 

Lieber @Bas ,

ich mache es kurz. Das Problem wie beim aktuellen Text von Henry K.: ich habe das vor ein paar Tagen gelesen und zitiert, die Zitate sind weg und der Leseeindruck ja auch nicht mehr ganz frisch. Dafür bekommst du einen etwas gereiften Leseeindruck, der ja auch nicht schlecht ist, vielleicht sogar im Gegenteilt noch mal etwas anderes mit in die Diskussion einbringt. Erst ein mal zeigst du in diesem Text wirklich großes sprachliches und stilistisches Geschick. Ich finde, du hast es wirklich drauf. Werde auch nicht müde, dir das zu sagen. Ein großer Ästhet für meine Begriffe. Ich denke auch, dass das endlos bzw. romangroß weiterfließen könnte. Ein bisschen Struktur und dann geht es los und du knüppelst so einen zärtlichen, neo-pop Text runter. Aber klar, dafür braucht man Zeit und jede Menge Koffein.
Nichtsdestotrotz sehe ich einige von Jimmys Punkten ähnlich, wenn ich sie vielleicht auch nicht ganz so kritisch sehe. Ich hatte beim Lesen auch etwas das Gefühl, von schöner Sprache eingelullt zu werden, und klar mögen da bei manch einem die Alarmglocken klingeln. Man wittert eben Manipulation. Das muss man sich, glaube ich, gefallen lassen. Tatsächlich folgen einige Texte, die ich bislang so geschrieben habe, auch diesem Rezept der sprachlichen, assoziativen Überwältigung (so nenne ich das jetzt mal). Ich glaube, dass man damit eben nicht alle erreicht, aber sicher viele. Die Verbindung zu dem, was als Mid-Cult von Jimmy angesprochen (kannte ich noch gar nicht) ja durch diesen Moritz Baßler in die Debatte gekommen ist, sehe ich eher kritisch. Für mich ist das eher ein Pop-Phänomen und auch so ein Ding, wo man über schlecht Gemachtes herzieht. Aber, ich denke über schlecht Gemachtes braucht man nicht streiten, das ist es nicht wert. Wenn es gut gemachter 'Neo-Pop' ist, wird diese Anklage niemand formulieren, schätze ich. Aber mit dem Gefühl 'getäuscht' zu werden, hat das natürlich viel zu tun. Vielleicht auch ein bisschen mit dem Unmut darüber, dass andere, scheinbar von Hause aus Gesegnete nur ihren Mood formulieren bräuchten und alle fräßen ihnen gleich aus der Hand. Ja, so etwas gibt es schon. Das Spiel mit der Identität, die effektische Überhöhung, die jedes Wort des perfekt ausgeleuchteten Instagrammers wie Gold erscheinen lässt. Nur eine zynische Zwischenbemerkung: Früher hat man dann eben auf den abgebrühten, dringlichen und moralschweren Realismus geschielt; unterstellt, die Leute hätten etwa vergessen, was Abstraktion ist, Symbolismus, Impressionismus, Expressionismus, Avantgarde. Warum darf jetzt jeder einfach dringlich und bierernst schreiben und die Leute klatschen Beifall.
Was ich sagen will: ich denke schon, das sind Trends. Und noch mal: über schlecht Gemachtes braucht man im Grunde keine Worte verlieren.

Zurück zu deiner Story: die ist alles andere als schlecht gemacht. Sehr kritisch würde ich anmerken: etwas weniger Mood und Poesie und etwas mehr Wirklichkeit. Um die Gegensätze auszubalancieren. Aber es ist natürlich auch ein zum Nörgeln und Analysieren schwieriges Thema. Das ist klar.

Das Fieber sinkt, jetzt verstecke ich mich vor dem, was ich verraten habe, jetzt radiere ich alles wieder aus, streiche durch. Glaub mir kein Wort, dem Fiebernden, nimm mich nicht ernst. Mach deine Witze, ich lache dann mit.

Das Ende fühlt sich für mich sehr nach Abkürzung an. Es funktioniert allerdings und ich sehe jetzt nicht unbedingt Handlungsbedarf. Aber auffällig ist es und auch ein bisschen logisch. Wo soll der Bogen denn herkommen? Insofern passt das schon. Es heißt aber auch, dass hier eigentlich der Umfang genausogut länger oder kürzer sein könnte, die Substanz ephemer.

Beste Grüße, guter Bas!
Carlito

 

Hallo @Henry K.,

reichlich verspätet antworte ich dann doch noch auf deinen Kommentar - bitte enschuldige, mir ist das Leben dazwischengekommen oder so :shy:

Insgesamt denke ich auch, dass eine Ausweitung die Form mehr in Einklang mit dem Inhalt bringen würde. Sowohl Fieberzustände wie auch Depressionen dehnen das Zeitgefühl aus. Es passiert unendlich viel im Inneren, aber äusserlich vergeht währenddessen nur wenig Zeit. Dieses Phänomen solltest du nutzen, es gibt dir viel mehr Raum, du kannst viel mehr anfügen, um auch dies erlebbar für den Leser zu machen. Stattdessen ist die Story nur ein kurzer Abriss mit sehr, sehr viel Inhalt.

Ich denke, das fasst den Kern deines Kommentars gut zusammen und ich halte deine Kritik hier für sehr berechtigt - also dass da sehr viel auf wenig Raum stattfindet und dass der Text dadurch die Tiefe vermissen lässt, die eine auserzähltere Variante erzeugen würde.

Und obwohl oder gerade weil ich deine Kritik beherzigt habe, habe ich mich bei der Überarbeitung sogar für die entgegengesetzte Richtung entschieden und stattdessen alles noch ein bisschen verknappt. Dadurch gibt es ein paar weniger lose Fäden, auch, weil ich die teils wirre Chronologie der Urversion jetzt ein bisschen geordneter abspule). Ich bilde mir ein, jetzt fühlt es sich "dringlicher" an, gleichzeitig gibt es aber noch genug Unauserzähltes, was meines Erachtens wichtig für die Wirkung ist, die ich mir von dem Text erhoffe. Im blödesten Fall sogt diese Wirkung für einen Leser, der aussteigt, weil er nicht durchsteigt, im besten Fall wird das, was ich mir unter dem Ekel vorstelle, so ein bisschen erlebbar gemacht.

Danke jedenfalls für deine Auseinandersetzung mit dem Text!

Hallo @Friedrichard,

und ich bin fast der Auffassung, dass diese Erfahrung jeder durchmacht – der eine früher und spätestens der Letzte

Ja, das befürchte ich doch auch, und dass du dich - in einer früher oder späteren Friedel-Version - darin wiederzuerkennen meinst, freut mich quasi. Weil es ja zeigt, dass man selbst in den Momenten, in denen man sich so alleine und abgenabelt von der Welt fühlt, vielleicht gar nicht so alleine ist.

Danke auch für die Flusenlese, wo es für meine zwei linken Hände und rechten Gehirnhälften umsetzbar war, habe ich das getan.

Hallo @jimmysalaryman,

Nee, vernichtend sollte das nicht sein. Ich denke einfach, hinter dieser Fassade versteckt sich eine, die eigentliche Geschichte. Ist natürlich auch alles dem Format geschuldet, da muss zwangsläufig komprimiert werden und verdichtet. Es ist halt die Frage, worauf man den Fokus legt. Ich empfinde es so, also auch bei eigenen Texten, dass Texte dieser Art oft diesen einen Effekt haben, der ein wenig manipulativ ist, man setzt dem Leser eine Brille auf, durch die er dann den Text sieht und liest. Dann kann man sagen, gut, ich will hier nichts erzählen, sondern eher eine Atmosphäre erschaffen, eine gewisse Emotion erwecken, das Nachempfinden eines Menschen in einer bestimmten Situation; das weiß ja der Leser nicht. Und, Leser nehmen das auch anders an. Hier steht natürlich jeder Text sofort und Kitsch oder Manipulationsverdacht, ich persönlich finde das gut, wenn man auf Sentimentalitäten achtet, weil mir das selbst oft durchgeht und ich dann pathetisch werde und mich dafür nachher schäme. Aber das bin eben ich, und wenn du sagst, nee, so soll der Text sein, ist das eben so. Das sind ja immer Einzelmeinungen. Wie dem auch sei.

Danke noch mal für die Richtigstellung bzw. Verdeutlichung dessen, was du meintest. Ich habe das in meiner Antwort an @Henry K. schon so ein bisschen angeteast, das Thema, auf Anhieb fällt mir da auch nicht viel mehr zu ein als noch mal zu sagen, dass ich gut nachvollziehen kann, was du da schreibst.
Ich habe in der Überarbeitung auch probiert, hier und da ein wenig zurückzufahren, denn auch ich hab es schon lieber, wenn Kitsch, Manipulation, Sentimentalitäten, all dieser Kram, wenn der in meinen Texten möglichst subtil bis quasi unsichtbar daherkommt. Und ich sehe auch, dass ein Text wie dieser hier da schon von Haus aus besonders gefährdet ist, mehr als einer, der eine klare Geschichte mit einer stringenten Handlung erzählt. Ich bin jedenfalls bestrebt, da in Zukunft die Waage zu halten, deshalb danke für den Hinweis.

Hallo @Carlo Zwei,

auch dein Kommentar schlägt ja in eine ähnliche Kerbe, dazu habe ich ja jetzt schon etwas gesagt, trotzdem habe ich natürlich sehr gerne gelesen, was du dazu zu sagen hast und würde mich dem Gesagten auch komplett anschließen.

Zurück zu deiner Story: die ist alles andere als schlecht gemacht. Sehr kritisch würde ich anmerken: etwas weniger Mood und Poesie und etwas mehr Wirklichkeit. Um die Gegensätze auszubalancieren. Aber es ist natürlich auch ein zum Nörgeln und Analysieren schwieriges Thema. Das ist klar.

Deine kritische Anmerkung habe ich versucht umzusetzen - um die Gegensätze auszubalancieren, wie du es so treffend formuliert hast. Und ja, es ist ein schwieriges Thema, das mich vermutlich beschäftigt, seit ich angefangen habe zu schreiben und deshalb auch noch lange weiterbeschäftigen wird und deshalb bin ich über jede wohlformulierte Meinung dazu dankbar, weil es mich in meinem eigenen Denken weiter voranbringt, mir einen neuen Blickwinkel ermöglicht. Will sagen: Gerne (immer) wieder und hoffentlich bis bald :)

Bas

 

Hallo Bas, bei diesem Titel fällt es schwer, während des Lesens Deiner Geschichte nicht an Sartre zu denken. Ich bin nicht sicher, ob das Deinem Text guttut, denn natürlich vergleicht man, sobald klar wird, dass hier sehr ähnliche Themen umkreist werden. Sartre hat in seinem Romanformat genügend Raum, um nachvollziehbar zu schildern, was im Protagonisten den Überdruss, die Melancholie und den Ekel auslöst. Diesen Raum hast Du in Deiner Kurzgeschichte nicht.

Und das löst bei mir Stirnrunzeln aus. Wenn man in den 80er/ 90er Jahren auf eine Dark Wave Party gegangen ist oder je nach Geschmack auch in einen Gothic-Club, dann hatte man genau das: Das Zelebrieren eines sehnsuchtsvollen Kultes. Alles war so fühlig, so düster, so depri - ach, herrlich. Dieses Schwelgen in Melancholie hat bei mir – obwohl ich die Musik von Anne Clark oder The Sisters of Mercy mochte – immer die Frage aufgeworfen, woran die Leute in der Szene alle so schrecklich leiden.

Da ich in Deinem Text wenig bis gar nichts darüber erfahre, was den Überdruss und die Depression des Protagonisten begründet, kann ich dessen Stimmungen nicht wie bei Sartre als Resultat einer philosophische Reflexion erkennen.

Vielleicht hat diese Person ein Trauma erlitten, vielleicht ist sie psychisch krank oder vielleicht lässt sich dieser Mensch einfach gehen. Wir wissen es nicht. Das aber wäre wichtig, um bei mir als Leser Emotionen auszulösen. Mein Mitgefühl ist nicht grenzenlos. Ich habe wenig übrig für Leute, die in Selbstmitleid versinken, weil ihnen das Leben zu anstrengend ist. Ob Dein Protagonist zu dieser Sorte gehört, weiß ich nicht. An einigen Ecken beschleicht mich das Gefühl, dass er es sich in seiner Verzweiflung recht behaglich eingerichtet hat.

Stilistisch gefällt mir Dein Text sehr gut. Ich sehe viele der Szenen die Du beschreibst deutlich vor mir. Das ist gut für eine Identifikation.

So bin ich ein bisschen hin und hergerissen. Vielleicht kann man es so sehen. Wenn ein Mensch über etwas so gewaltiges wie den (Frei-) Tod sinniert, sollte er gewichtige Gründe anführen. Jeder, der schon einmal erlebt hat, dass sich ein Freund oder ein Familienmitglied das Leben genommen hat, weiß, welche Wunden das in die Leben vieler Menschen schlägt. Das ist nicht allein Privatsache.

Dein Text hat mich auf jeden Fall nachdenklich gemacht. Vielen Dank dafür.

Gruß Achillus

 

Authentischer Text. Ließt sich klasse. Ich mag den Aufbau, den vibe - von Anfang bis Ende stimmig. 🤜🤛 juut

 

Ja, kurz. Dunkle Stunden kennt jeder, aber die Frage ist ja immer, ob der Autor eine Sprache hat, die jenseits des "normalen" Diskurses und "richtig" ist, damit steht und fällt ja alles. Moritz Baßler wurde hier ja schon zitiert, und auch wenn es nicht originell ist, ist es doch wahr, dass wir nicht (oder nicht vor allem) deshalb Literatur lesen, weil wir tolle Charakterstudien lesen wollen oder stringent und nachvollziehbar erzählte Geschichten, sondern etwas, was der Sprache, die wir alle lesen und benutzen, eine andere entgegensetzt. Ich finde, das ist in diesem Text, der für mich der beste von den paar ist, die ich zuletzt hier gelesen habe, sehr gut gelungen. Das merkt man ja sehr schnell, ob ein Autor Talent hat, wie man es in der Musik ja auch sehr schnell merkt.
Immer wieder frappierend ist aber auch, wie schnell ein Text plötzlich wegkippen kann. Für mich klingt es nach "Huckepack durch die Mittelstraße" auf einmal nicht mehr richtig, der Tiefpunkt ist dann dieses "ich schneide es mir in meine entzündete Hirnhaut, um es nicht zu vergessen". Dafür haut mich dann der Schluß "Glaub mir kein Wort. Dem Fiebernden, nimm mich nicht ernst. Mach deine Witze, ich lache dann mit" absolut um, so toll ist das.

 

Na ja, große Theorien habe ich hier ja nicht vom Stapel gelassen. Wollte nur sagen, was ich an Literatur wichtig finde und warum ich den Text gut finde. Wie auch immer.

 

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