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Grüne Bohnen

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18.02.2002
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Grüne Bohnen

Die Sonne scheint von einem strahlend blauen Himmel und taucht den Park mit seinen alten Eichen in ein gleißendes Licht. Die Kinder in dem Heim mitten im Park schauen sehnsüchtig nach draußen. Wie gern würden sie die Sonnenstrahlen fangen und die Wärme der Sommers auf ihrer bleichen Haut spüren. Doch die Sonne ist für sie strengstens verboten. Die Kinder haben Tuberkulose. Elf Jahre nach dem 2. Weltkrieg gelten für sie noch uralte, strenge Regeln: keine Sonne, kein Sport, viel Ruhe und immer alles restlos aufessen.

Meta steht an ihrem gewohnten Platz am Fenster im Gemeinschaftsraum und blickt träumerisch in den Park. Ihre Augen suchen ihre Freunde, die Eichhörnchen, doch in dem dichten Blätterwerk kann sie die kleinen Kobolde nicht entdecken. Ihre Blicke durchstreifen den Park, bis sie an dem Beet hängen bleiben, in dem die Schwestern Gemüse ziehen. Jetzt sind drei von ihnen damit beschäftigt, zu ernten. „Oh nein“, denkt Meta schaudernd, „nicht schon wieder. Bitte, bitte lieber Gott, mach, dass es heute keine grünen Bohnen gibt.“

„Hast du das gesehen? Die Schwestern pflücken Bohnen.“ Peter ist neben Meta getreten und starrt auf das Gemüsefeld. „Kannst du nicht ganz schnell krank werden und Fieber bekommen? Dann stecken dich die Schwestern ins Bett und du brauchst kein Mittag zu essen.“

Peter ist Metas einziger Freund in der Lungenheilanstalt. Mit seinen fünf Jahren ist er nur wenig älter als sie und kaum größer.
„Wie mache ich Fieber?“, fragt Meta hoffnungsvoll. Ihr Magen verkrampft sich bei dem Gedanken an grüne Bohnen.
„Keine Ahnung, wäre aber gut.“ Peter weiß, was Meta nach dem Essen erwartet. Sie tut ihm Leid.

Meta spürt das Mitgefühl, Tränen laufen ihr über die Wangen. „Warum muss es Bohnen geben? Ich hasse sie!“ Sie schaudert. Der Schlauch... Nicht daran denken, nur nicht daran denken.

Die Angst vor dem Mittagessen hält Meta den ganzen Morgen gefangen. Sie mag nicht mit den anderen spielen, sitzt nur in einer Ecke und denkt an den Schlauch. Peter kommt ab und zu und versucht, sie zum Spielen zu überreden, aber Meta schüttelt nur still den Kopf.

Unaufhaltsam rücken die Zeiger der Uhr weiter. Meta weiß, wenn sie ganz oben aufeinander liegen, wird die Glocke zum Mittagessen rufen. Sie betet, dass die Uhr stehen bleibt, aber unbeeindruckt streichen die Zeiger im Rhythmus des steten Tick-Tack über das Zifferblatt.

Jetzt läutet die Glocke. Mit einem schrillen Singsang ruft sie die Kinder in den Speisesaal. Meta bleibt in ihrer Ecke sitzen und rührt sich nicht. „Nun komm schon“, fordert Peter sie auf, „du machst es nur schlimmer, wenn du nicht zum Essen kommst. Vielleicht gibt es ja auch keine Bohnen“, fügt er hoffnungsvoll hinzu.

Die Hoffnung wird betrogen. Auf den dampfenden Tellern häufen sich Kartoffelbrei, eine Frikadelle und eine große Portion grüne Bohnen. Meta setzt sich auf ihren Platz und starrt auf den grünen Berg. Sie weiß, dass es keinen Zweck hat, die Schwestern um ein anderes Gemüse zu bitten. „Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt, und zwar alles. Du willst doch wieder gesund werden.“ Wie oft hat sie das schon gehört. Man sieht es den Kindern am Tisch an, dass alles aufgegessen werden muss. Sie sind viel zu dick für ihr Alter. Doch das ist gewollt. „Hochkalorische Diät“, hat Meta einmal aufgeschnappt. Sie weiß nicht, was das genau heißt, aber es hat wohl etwas mit dem vielen Essen zu tun.

Meta versucht, die Bohnen zu übersehen und macht sich über den Kartoffelbrei und die Frikadelle her. Es ist still im Speisesaal, man hört nur das Klappern des Bestecks und das Kauen der Kinder. Sprechen ist beim Essen verboten.

Eine halbe Stunde haben die Kinder Zeit, die riesige Portion zu vertilgen. Dann beginnt die Inspektion. Die Schwestern gehen von Tisch zu Tisch und schauen, ob noch Reste auf den Tellern sind. Bei Meta bleibt Schwester Gertrud stehen. „Du hast deine Bohnen nicht gegessen.“ Meta wird puterrot und beginnt vor Angst zu schwitzen. „Ich mag keine Bohnen.“
„Du weißt, dass mich das überhaupt nicht interessiert. Strafe muss ein. Komm mit.“
Schwester Gertrud packt Metas Hand und zieht das Mädchen vom Stuhl und hinter sich her durch den Speisesaal. Den anderen Kindern stockt der Atem. „Meta muss zum Schlauch schlucken“, hört man sie verschreckt wispern, „arme Meta.“

Meta weint und versucht mit aller Kraft, sich aus Schwester Gertruds Hand zu winden, doch die umklammert sie mit eisernem Griff. Gnadenlos zieht sie das Kind durch den Flur, bis sie vor einer weißen Tür stehen bleibt. Sie klopft an und nach einem kaum hörbaren „herein“ stehen sie vor Doktor Wegner. „Ja, wen haben wir denn heute? Das ist ja unsere Meta. Gab es wieder grüne Bohnen?“ Doktor Wegner ist klein und runzelig. Meta mag ihn nicht, keines der Kinder mag ihn. Peter hat ihn „Doktor Schrecklich“ genannt, doch das dürfen die Schwestern und der Arzt nicht hören.

„Du weißt doch, dass hier gegessen wird, was auf den Tisch kommt. Wer nicht hören will, muss fühlen.“ Freudig lächelnd wendet er sich an Schwester Gertrud. „Dann setzen Sie sich mal hin und nehmen die Kleine auf den Schoß. Sie kennen das ja.“

Schwester Gertrud setzt sich auf einen harten Stuhl mit gerader Lehne und zerrt die sich wild wehrende Meta auf ihren Schoß. Ein Arm legt sich wie einen Schraubstock über Metas Bauch und presst dabei die Arme des Kindes an den Körper, so dass es sich nicht mehr bewegen kann. Mit der zweiten Hand reißt sie Metas Mund auf. Doktor Wegner schiebt blitzschnell ein Distanzstück zwischen die Zähne. Meta kann ihren Mund nicht mehr schließen und weint bitterlich.

„Wenn du die Bohnen nicht schlucken willst, musst du eben den Schlauch schlucken. Selbst schuld.“ Doktor Wegner zieht aus einem weißen Kasten einen langen Schlauch, den er liebevoll betrachtet. „Dann wollen wir mal.“ Mit schlafwandlerischer Sicherheit stößt er Meta den Schlauch in den Mund. Als er ihre Kehle erreicht, muss sie würgen, ihr Magen rebelliert, Tränen rinnen die Wange runter. „Schlucken, meine Liebe, schlucken.“ Sie kann nicht anders. Sie schluckt, und Zentimeter für Zentimeter verschwindet der Schlauch in Metas Mund, rutscht die Speiseröhre hinunter, erreicht den Magen. Meta würgt, der Hals schmerzt, ihr ist übel. „Na, ist das schön? Dann lassen wir den Schlauch noch ein bisschen drin.“ Doktor Wegner zieht ein wenig am Schlauch, lässt ihn hoch und runter gleiten. Schweiß steht auf Metas Stirn, sie müsste sich übergeben, aber es geht nicht.

„Es reicht.“ Schwester Gertrud sieht Doktor Wegner beschwörend an. Er seufzt, spielt noch einmal mit dem Schlauch, zieht ihn dann langsam und genüsslich aus Metas Hals.
„Ich werde dafür sorgen, dass es bald wieder grüne Bohnen gibt. Entweder du isst endlich das Gemüse, oder wir sehen uns bald wieder. Hast du verstanden?“ Meta nickt, ihr Hals ist geschwollen, sie kann nicht sprechen. Aber so sehr sie sich bemüht, auch beim nächsten Mal bekommt sie die grünen Bohnen einfach nicht hinunter…

 

Hallo nati01,
das ist ja ein Alptraum, den du da schilderst. (Und mir ist ehrlich gesagt ein bisschen schlecht geworden. Und das ist auch noch gut für deine Geschichte, denn das heisst, sie ist sehr realistisch dargestellt) Eigentlich wollte ich dir vorschlagen, nicht mit einer Landschaftsbeschreibung anzufangen, sondern sie an passender Stelle einzufügen, aber jetzt verstehe ich, warum du das so gemacht hast. Eine sehr gut geschreibene Geschichte. Und spannend bis zum Schluss. Auch wenn ich einige Dinge nicht verstanden habe:
1. Es ist nicht von bedeutung, dass es eine Lungenheilanstalt ist, oder?
2. Warum isst Meta die Bohnen nicht? Nur, weil sie ihr nicht schmecken oder hab ich da was nicht ganz mitbekommen. Bei solchen Strafen würd ich Steine essen... Aber OK sie ist 4 Jahre (oder 3 ... Peter ist ja 4)
Was ist das überhaupt für ein Personal???
Etwas Klischeehaft ist die Kg schon aufgemacht, aber das spielt für mich keine Rolle.

3. Was ist der Schlauch eigentlich? Wird er einfach nur hineingesteckt und wieder herausgeholt oder werden durch ihn die Bohnen eingeführt. Ich stell mir beides eifach nur wiederlich vor; nicht zuletzt, weil du es so realistisch beschrieben hast.

Also noch mal großes Lob von mir :huldig:
ich freu mich, mehr von dir zu lesen.

gruß
gara

 

Liebe Gara,

dein :huldig: hat mich ein wenig Stolz gemacht. Danke dir.

Vielleicht hätte ich noch schreiben sollen, dass die Geschichte Mitte der 50er Jahre spielt und aus dem wirklichen Leben gegriffen ist. Damals war Essen eines der ganz wenigen Heilmittel bei Lungenkrankheiten. Und damals hat sich das Personal wirklich nicht für die Seelen der Kinder interessiert. Also nicht Klischee, sondern Realität. Ich hoffe sehr, dass sich hier doch einiges geändert hat.

Der Schlauch ist mit dem Endoskop vergleichabr, das heute bei Magenspiegelungen eingesetzt wird und diente nicht dem Füttern, sondern ausschließlich der Strafe. Habe ich damit deine Unklarheiten ein wenig ausräumen können? Ändern möchte ich die Geschichte allerdings nur ungern.

Liebe Grüße
nati01

 

Perfekt ist nur die Unvolkommenheit, aber ich wollte gar nicht, das du deine Kg änderst. Sie ist gut, so wie sie ist.

dein :huldig: hat mich ein wenig Stolz gemacht.
Zurecht. Man huldigt ja nicht jedem :D Verdient ist verdient

aus dem wirklichen Leben gegriffen
*würg* hab ich mir fast gedacht.

Damals war Essen eines der ganz wenigen Heilmittel bei Lungenkrankheiten
darum bin ich so gesund :D Das scheint auch bei anderen Krankheiten zu wirken ...

cu
gara

 

Hi nati01!

Ja, wahrlich eine alptraumhafte Szenerie. Ich wollte eigentlich schon fragen, was du dem Leser damit sagen willst, bis ich deine Erklärungen gelesen habe und erfahren musste, dass es tatsächlich mal so etwas gegeben hat.
Um deine Intention verstehen zu können, sollte der Leser schon wissen, vor welchem realen Hintergrund sich die Handlung abspielt. Wo du diese Information einbaust, ist, glaube ich, relativ egal. Sie sollte nur da sein.
Vielleicht machst du die Kinder ja ein bisschen älter und lässt sie irgendwo das Jahr ablesen. Für vier Jahre ist ihr Sprachniveau ohnehin ein bisschen hoch.

Noch ein paar Fragen zum Hintergrund:
1. Ist das irgendwo leicht nachzulesen, wie es in diesen Anstalten zugegangen ist?

2. Falls nicht: Weißt du, woher sie damals die Vermutung genommen haben, dass Essen gegen Lungenkrankheiten hilft? Oder hilft das tatsächlich? :D

3. Außerdem: Warum sollten die Kinder nicht in die Sonne?

Ciao, Megabjörnie

 

Hallo Megabjörnie,

ich werde der Geschichte wohl einen Untertitel geben. Aber darüber muss ich noch nachdenken.

Nun zu deinen Fragen.
1. Ich habe noch nie einen Bericht darüber gefunden, in dem man nachlesen kann, wie es damals in den Anstalten zuging. Ich kann nur meine eigenen Erfahrungen mit einem ganz bestimmten Heim einbringen.

2./3. Viel Essen, viel frische Luft, keine sportliche Betätigung, keine Sonne, keine Kälte - dies waren uralte Grundsätze bei der Behandlung der Schwindsucht, heute Tuberkulose. Damit sollte die ständige Gefahr vermieden werden, das eine verkapselte Tb wieder aufbricht.

Weitere Fragen?

Liebe Grüße
nati01

 

Fragen? Hmmmmm... :hmm:
Nein, ich glaube nicht.

Aber mir ist gerade der Gedanke gekommen, dass die Geschichte gut in die Historik-Rubrik passen würde - eigentlich gehört sie eindeutig dahin, weil du ein reales Ereignis nacherzählst.

 

Hallo Megabjörnie,

danke für deinen Hinweis auf die Historik-Rubrik. Allerdings weiß ich nicht, wie ich die Geschichte dorthin verschieben soll. Bei weiteren Geschichten dieser Art werde ich deinen Tipp berücksichtigen.

Gruß
nati01

 
Zuletzt bearbeitet:

Du garnicht :D Das machen die Mods für dich. Also:
PN an Mod.
Und ich stimme Megabjörnie zu: Die Kg passt viel besser in Historik

gruß
Gara

 

Friedvolle Grüße

Und Willkommen in Historik.

Stimmt schon, das Geschichten über historische Geschehnisse hierher gehören. Doch sollte aus der Geschichte heraus zu erkennen sein, wann sie spielt, und nicht erst durch einen Kommentar später erklärt werden müssen. So könntest Du die Erklärung für die Notwendigkeit des Aufessens, sowie die Zeit, in der es spielt, mit wenigen Worten in der Geschichte unterbringen.

Die Geschichte selber finde ich absolut gelungen. Man fühlt mit dem Mädchen, spürt ihre Angst und ihre Hilflosigkeit. Besonders die Folterszene (ich möchte es mal so nennen) zum Schluß ist sehr stark beschrieben. Da hat man keine Probleme, sich in die kleine Protagonistin hinein zu versetzen. Sehr bedrückend - da wird der Körper auf Kosten der Seele geheilt.

Kane

 

Hallo Kane,

danke für fie friedvollen Grüße, das herzliche Willkommen in der Abteilung "Historik", für dein Lob und deine konstruktive Kritik. Ich werde mich morgen noch einmal an die Geschichte setzen und versuchen, die Zeit des Ggeschehens einzubauen. Seufz.... Das wird gar nicht so einfach.

Schönes Wochenende
nati

 

Ihr lieben Kritiker,

ich habe jetzt den 1. Absatz geändert. Ich weiß nicht, ob die Geschichte dadurch besser geworden ist, aber ich hoffe verständlicher.

Schönen restlichen Sonntag
nati01

 

Hallo nati01,
ich habe deine Geschichte erst gelesen, nachdem du den ersten Abschnitt abgeändert hast, deshalb kann ich jetzt nicht beurteilen, ob die Geschichte besser geworden ist. Ich kann allerdings sagen, dass sie mir insgesamt gut gefallen hat, obwohl der Inhalt einem natürlich nahe geht.
Ich würde glaube ich den Zusatz, den du im Titel eingefügt hast, wieder herausnehmen. Du erwähnst doch im ersten Abschnitt eine Zeitangabe und zwar "elf Jahre nach dem zweiten Weltkrieg", da kann man sich ja ausrechnen, dass die Geschichte in den Fünfzigern spielt.
Ich würde auch, wie Megabjörn schon erwähnte, die Kinder etwas älter machen, für drei, bezw. vier Jahre, finde ich auch, dass ihr Sprachniveau zu hoch ist.

Ansonsten gerne gelesen!
LG
Blanca :)

 

Liebe Bianca,

danke für deine Hinweise. Ich werde die Kinder schweren Herzens ein Jahr älter machen und die Überschrift ändern. Du hast damit natürlich Recht.

Lieben Gruß
Renate

 

Hi nati!

Um die Authentizität abzurunden, könntest du das Heim doch beim Namen nennen ( und gleichzeitig eine kleine Abrechnung aus der Geschichte machen ).
Ich jedenfalls würde es so machen.

Ciao, Megabjörnie

 

Hallo Megabjörnie,

ich bin mir bei deinem Vorschlag nicht so ganz sicher. Meinst du wirklich???

Gruß
nati

 

Nein, nein, stilistisch würde ich die Geschichte nicht umschreiben, nur die Nennung des Heims einfügen. Wenn die Ereignisse von damals Gesicht und Namen kriegen, wirkt der Text noch bewegender auf den Leser, weil er seinen fiktionalen Charakter endgültig verliert.
Außerdem hat dieses Heim ja sicher eine Nachfolgeinstitution, die sich mit den dunklen Kapiteln der Vergangenheit bisher bestimmt nicht auseinandergesetzt hat. Vielleicht kann nati so etwas wie eine Aufarbeitung der Geschichte auch über diese Institution hinaus anregen ( falls ihr Martyrium kein Einzelfall gewesen ist ), gerade weil ihre Erzählstimme nicht die eines Anklägers, sondern eines Chronisten ist.
Und da die "Täter" von damals wohl schon eh alle tot oder im hohen Greisenalter sind, ist Rache als Motiv ausgeschlossen.
Klar, dass alle Beteiligten nicht mehr sagen können als "Ja, so waren die Sitten damals, aber das haben wir ja Gott sei Dank überwunden".
Andererseits verschwinden dann auch falsche Beschönigungen aus den Chroniken dieser Einrichtungen, und das ist ja auch schon etwas wert.
Ich finde auch, dass die Gesellschaft unabhängig davon von solchen Diskussionen profitiert, weil sie ihrer Selbstgewissheit einen Dämpfer geben. Wenn wir mit derartigen Themen konfrontiert sind, machen wir uns schon mal eher Gedanken darüber, wie solche despotischen Verhältnisse zustandekommen - und ob wir wirklich für alle Zeit dagegen gefeit sind, dass es wieder geschieht.
Schaden kann es auf jeden Fall nicht, den Namen des Heims anzugeben - um damit eine Reaktion zu provozieren, müsste der Text schon da veröffentlicht werden, wo ihn die richtigen Leute beachten.

 
Zuletzt bearbeitet:

Also ich bezog mich eigentlich nur auf die despotischen Verhältnisse in diesem Heim, auch mit der Aufarbeitung habe ich nur das gemeint. So wie ich es verstanden habe, war der Schlauch zur Bestrafung von Kindern da, die die Anweisungen des Arztes nicht befolgten ( wie z. B. "Essen, was auf den Tisch kommt" ). Wenn der Arzt wirklich gesagt hat: "Ich sorge dafür, dass es bald wieder grüne Bohnen gibt", dann steckten sadistische Gefühle dahinter, die aber vom autoritären Wertesystem der Nachkriegsgesellschaft gebilligt wurden.
Wenn es gesellschaftlich "geboten" war, aufmüpfiges Verhalten zu brechen, muss die Hemmschwelle zu sadistischen Gefühlen besonders niedrig gewesen sein.

Die "gut gemeinte" Brutalität ist eine besonders tückische Form der Gewalt. Die Täter glauben, nur zum Besten ihrer Schutzbefohlenen zu handeln und fühlen sich vielleicht sogar gut dabei, in Wahrheit zerstören sie deren Seelen und geben diesen auch noch die Schuld dafür.

Das autoritäre Wertesystem haben wir wohl überwunden, das Wesen der Macht aber ist dasselbe geblieben. Wir müssen ständig sensibel sein für die Frage, wie eine Position der Macht über andere ( z. B. des Arztes über seine Patienten ) verantwortungsbewusst ausgefüllt werden muss.

Deshalb dachte ich, es wäre gut, wenn in der Geschichte echte Namen verwendet werden, um eine Debatte darüber anzustoßen, wie es in diesen Heimen damals wirklich zugegangen ist. Es könnte ja sein, dass der Arzt seine Macht auch nach damaligen Regeln missbraucht hat und nati einen Ausnahmefall schildert. Die Leiter dieser Kliniken werden das so hinstellen. Wahrscheinlicher ist aber, dass er nur "seiner Pflicht nachgekommen ist", zumindest tendiere ich zu dieser Sicht, nachdem ich die Geschichte gelesen habe.
Möglich ist natürlich auch, dass die Klinik heute überhaupt nicht leugnet, dass in den Fünfziger Jahren in ihren Räumen Kinder gefoltert wurden, weil sie nicht ordentlich gegessen hatten - obwohl ich das bezweifle.

 

Na ja, ich hatte beim Schreiben dieser Antwort einen alten "Spiegel"-Text im Hinterkopf: Es ging da um einen Film, der sich um das Leben von Mädchen drehte, die vorehelichen Sex gehabt haben und dafür in ein Frauenkloster eingesperrt wurden - in Irland, glaube ich. Eine Frau, die die Verhältnisse in dem Kloster tatsächlich miterlebt hatte, sagte zu dem Film, in Wahrheit sei es noch viel schlimmer gewesen.
Das hat mit natis Geschichte nur insofern was zu tun, als hier der gleiche Autoritarismus zum Vorschein kommt.
Ich bin bei diesem Thema also eher Theoretiker. :D
Allerdings glaube ich nicht, dass das erzieherische Konzept der Willensbrechung heute noch eine große Akzeptanz erfährt. Diskussionen darüber haben immer einen Unterton von moralischer Empörung - sofern ich das als "Spiegel"-Leser beurteilen kann. ;)

Aber da wir uns langsam ein bisschen vom Thema entfernen, wäre es wohl wirklich gut, wenn nati mal was dazu sagen würde. *Einladendegesteannatimach* :)

 

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