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Hinter der Stadt

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Hinter der Stadt

Stalingrad, 22.Dez.1942

Geliebter Alexej,
hinter der Stadt, gar nicht so fern, liege ich wach und denke an dich, wie versprochen. Wahrscheinlich trinkst du gerade heiße Schokolade, wie ich mir vorstellen kann, vielleicht auch mit einem Schuss Rum, weil du so rumzappelst, dass Großvater und Mutter fast wahnsinnig werden. Frag Großvater doch mal, wie es war, als er fort war und ich zu Hause blieb. Sei aber unbesorgt, es ist nicht so schlimm, wie du denkst. Setz dich vor den brennenden Kamin, auf der roten Eckbank und sieh den dicken Schneeflocken draußen zu. Wie sie sinken und dabei tanzen. Bau einen Schneemann für mich, draußen im Hof. Erzähl Opa und Mutter von deinem Lager im Wald und reib ihnen kräftig Schnee in die Gesichter, bis sie glühen, damit sie wissen, was sie an dir haben. Du kannst ja schon mal ein Schneeballlager anlegen und wenn ich dann wieder komme, feuerst du Salut.

Ich denke viel an dich, hier, hinter der Stadt. Du wirst wohl auch an mich denken, nehme ich an und jede Nacht werden wir von einander träumen. Wenn wir uns im Traum begegnen, ist das, als wären wir gar nicht getrennt. Wir laufen durch den Wald und stapfen durch hohe Schneewehen zu deinem Lager hin. Ich habe mein Gewehr und du deines. Deines ist aus Holz, aber das macht nichts. Ich gebe dir Patronen und wir schießen dicke Schneehühner. Die braten wir am Lagerfeuer. Wir erzählen uns gegenseitig Geschichten. Vielleicht kommen ein paar Feinde vom Nachbarhof, aber die kriegen dann was zu spüren.

Ich bin woanders, aber nur einen Katzensprung von dir entfernt. Hier bist du und ich bin da, dort wo du manchmal einen Blitz siehst. Das sind die lustigen Feuerwerke, von denen ich dir erzählt habe. Natürlich wärst du jetzt auch gerne hier, hinter der Stadt, aber einer muss daheim bleiben und Großvater und Mutter beruhigen. Und das bist du mit deinem Gewehr. Denn wenn einer kommt, durch den Wald vom Berg herab, oder aus dem Tal die Straße hinauf, dann bin es zwar wahrscheinlich ich, aber wenn ich es nicht bin, der da kommt, dann braucht es einen wie dich, einen, der weiß, was man machen muss und wie man schießt.

Jetzt kam gerade jemand ins Lager und hat mich aufgescheucht. Morgen soll ich rausziehen und das Feld säubern. Mit ein paar anderen. Das wird was. Das Feld säubern heißt, dass wir uns dick anziehen müssen. Es ist kalt draußen. Und dir rat ich, schau nicht nach den Blitzen über der Stadt. Jedenfalls nicht, wenn dein Großvater und deine Mutter davon mitbekommen. Sie sorgen sich nur immerzu.

Und wenn dann das Feld gesäubert und alles wieder im Lot ist, komm ich heim. Wir treffen uns auf der großen Schneewiese hinter dem Haus. Wenn wir Großvaters Schlitten kriegen, sausen wir damit den Hang hinunter. Wenn wir ihn nicht haben können, weil er Holz holen ist, dann nehmen wir eben heimlich Mutters Bratpfannen. Die kann ja auch gut einmal darauf verzichten. Wir laufen weit den Berg hinauf, wir zwei, und sehen auf das Tal runter. Unser Haus in der Mitte der Rodelbahn wird ganz klein sein, zwischen den Waldsäumen, mit dünnem Rauch der aufsteigt, weil der Kamin vom Großvater mit Holz gespeist wird. Unten siehst du den gefrorenen Fluss neben der Straße. Vielleicht kehren darauf ja ein paar andere heim, so wie ich, und wir sehen ihnen dabei zu, wie sie auf ihre Höfe ziehen. Vielleicht kriegen wir sogar mit, wie sie heißen, wenn wir mit dem Schlitten ganz runter bis zur Straße fahren und fragen.

Aber erst einmal muss ich gehen. Jemand hat gesagt, ich muss morgen raus, aufräumen. Da kann ich nicht gut mit dir Rodeln gehen. Aber danach. Du kannst ja schon mal die Bahn festfahren und das Loch im Heustober prüfen. Damit wir weich landen, wenn wir zu schnell sind. Und denk dran, ich bin gar nicht so weit fort, nur dort drüben, hinter der Stadt, da wo der Himmel so rot ist.

Dein dich liebender Vater,
Nikolaj

 

Hallo Karlsson

Doch, hat mir ganz gut gefallen. Vor allem sprachlich eine solide Sache, ohne Fehler (zumindest hab ich jetzt keine gesehen) und einer guten Umsetzung des Briefstils, welcher mir sprachlich zeitgemäß erscheint und vor allem nicht zu distanziert vom Prot daherkommt (passiert bei Geschiechten, die als Briefe angelegt sind ja schnell.)

Inhaltlich finde ich die Idee prinzipiell schon mal gut. Gegen Ende schleppte sich die Sache dann ein bisschen, weil einfach keine neuen Gedanken kamen, sondern sich irgendwie in verschiedenen Variationen immer wiederholten. Natürlich ist das in dem Zusammenhang absolut plausibel, schließlich schreibt er ja seinem (wohl nicht sehr alten) Sohn und klammert sich auch selbst an den Gedanken ihn wiederzusehen, ich hätte mir aber trotzdem noch ein paar andere Aspekte gewünscht. Ist aber auch kein dramatischer Punkt, da die Geschichte ja kurz und somit noch nicht überstrapaziert ist.

Nachdem ich die Geschichte gelesen hatte dachte ich: Jetzt wäre es interessant eine Gegenüberstellung mit dem Brief eines deutschen Soldaten, an seinen Sohn zu haben. Könnte man natürlich nicht einfach so hintereinander packen, aber in eine Geschichte eingebaut könnte man so, den Krieg gut ad absurdum führen. Nur so als Anregung. ;)

Gruß, Skalde.

 

Hallo Karlsson,

ich bin mir etwas unschlüssig, was ich zu deiner Geschichte sagen soll.

Und letztlich bin ich zu dem Schluss gekommen, dass ich kein Problem mit deiner Geschichte sondern eher eines mit der Wahl der Rubrik habe.

Nikolajs Brief an seinen Sohn halte ich für gelungen. Du bringst einige sehr schöne Gedanken mit ein, z. B. die Sache mit den Träumen.
Den zärtlichen Unterton des Briefes fängst du sehr gut ein und vor meinem inneren Auge entstand ein sehr gutes Bild von Vater und Sohn. Ich konnte mir gut vorstellen, dass die beiden zusammen sehr oft Blödsinn machen und Mutter und Großvater dazu bringen, den Kopf zu schütteln.

Mir persönlich kam allerdings der historische Aspekt zu kurz. Ehrlich gesagt deutet kaum etwas - außer der Überschrift - auf Stalingrad hin. Natürlich wird es kaum möglich sein, dem Leser in einer Kurzgeschichte ein umfassendes Bild über die Grauen Stalingrads zu vermitteln ... Aber den einen oder anderen Punkt hätte man sicherlich unterbringen können. Allerdings wäre dann wiederum die Briefform ungeeignet ...

Aus diesem Grund bin ich der Meinung, dass deine Geschichte vielleicht in der Rubrik Alltag besser aufgehoben wäre.

Gruß, Fleur

 

Hi Basti!

Danke für dein Statement. Hat mich gefreut, dass es dir scheinbar gefallen hat. Was die Satzkonstrukte angeht bin ich prinzipiell nicht abgeneigt ein paar Entwirrungen vorzunehmen. Daher wäre ich dir sehr dankbar, wenn du mir ein paar konkrete Beispiele liefern könntest. Du weißt schon - als Autor sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht. Wahrscheinlich könntest du mir also einen großen Gefallen tun :)

Grüße
Karlsson

 

Hey Skalde,
die gleiche Idee mit der Gegenüberstellung des Briefes eines Deutschen hatte ich auch. Ist wirklich nicht schlecht. Vielleicht mach ich das sogar. Ich hab mich dabei nur gefragt, ob die deutschen Briefe überhaupt ihren Weg in die Heimat gefunden haben. Wobei das natürlich kein Grund ist, keinen zu schreiben...

Ja, gegen Ende könnte vielleicht noch ein weiterer Gedanke rein. So etwa ab der Stelle mit dem Traum vielleicht. Oder aber ich kürze einen Absatz raus, das wäre auch eine Möglichkeit. Hast du vielleicht eine Idee, was dem Text noch eine neue Wendung geben könnte? Ich war zum Glück nicht dabei damals - und Vater bin ich auch nicht :)

Gruß Karlsson

 

Hi Fleur,

danke auch dir für deine Kritik. Ich verstehe, was du meinst. Ja, der historische Aspekt der Geschichte ist wirklich nicht sehr beherrschend. Soll er aber auch nicht, denn wie du selbst schon erkanntest, der Vater wird seinen Sohn nicht über das Gemetzel unterrichten, dass er jeden Tag erlebt.

Ich sehe die Geschichte allerdings nicht als eine Alltagsgeschichte, zum Glück. Wäre ja furchtbar. Aber ich könnte sie mir auch in der Kinderrubrik vorstellen. Allerdings finde ich sie auch in der historischen Ecke nicht völlig unpassend, weswegen ich es wohl dabei belassen werde.

Ich hoffe, du nimmst mir das nicht übel ;-)

Gruß
Karlsson

 

@Karlsson

Kriegsbriefe unterlagen sowieso einer Zensur, d. h. es wäre ihm sowieso nicht möglich gewesen, offen über das Gemetzel zu schreiben. Eventuell wäre eine verschlüsselte Version durch die Kriegszensur gekommen.

Mit der Alltagsrubrik hast du recht, aber vielleicht wäre deine Geschichte in "Sonstiges" gut platziert? Hier passt sie natürlich auch irgendwie, obwohl ich persönlich hier eher stark historisch angehauchte Geschichten erwarte.

 

Tja, ich lass sie lieber hier drin. Ich denk, das geht schon in Ordnung, denn wenn sie auch nicht sooooo historisch ist, ist sie doch auch nicht sonstig. Find ich :)

Gruß Karlsson

 

Hallo Karlsson,

es ist nicht ganz einfach, eine Kurzgeschichte in Form eines Briefes zu schreiben. Wenn sie dann noch einen historischen Hintergrund hat, umso schwerer. Da, wie Fleur schon erwähnt hat, die Briefe einer Zensur unterlagen, können die eigentlichen historischen Begebenheiten auch nicht direkt beim Namen genannt werden.

Mein erster Eindruck war, als ich den Text las, er sei von einem Jungen geschrieben, der seinem kleinen Bruder zu Hause seine Gedanken in einem Brief mitteilt. Ich war ein bisschen erstaunt, als ich am Ende "dein dich liebender Vater" las. Für dass, dass es von einem Erwachsenen geschrieben ist, hätte ich mir ein wenig mehr "Ordnung" im Schreiben erhofft. Aber vielleicht kann man das ja auch mit der Situation entschuldigen, dass ein Soldat im Krieg seine Gedanken nicht gerade dazu benutzt, einen Form vollendeten Brief nach Hause zu schreiben.
Und was mich auch ein wenig gestört hat, dass sich die Gedanken wiederholt haben und nichts neues kam gegen Ende.

Hatte doch ein bisschen Schwierigkeiten, den Brief zu lesen. Lag wohl an den kindlichen Formulierungen, was durchaus von dir beabsichtigt war und nicht als negativ für deinen Schreibstil zu sehen ist.

Viele Grüße
bambu

 

Hallo Karlsson,

ich glaube, ich habe bisher noch keine Geschichte aus dieser Rubrik gelesen - ich weiß daher nicht so richtig, ob deine Geschichte hierher gehört oder nicht, allerdings ist mir das auch ziemlich egal. Wichtig ist mir allein, dass mich dein liebevoller Brief des Nikolaj an seinen kleinen Sohn Alexej sehr berührt hat.
Nikolaj schreibt um sein Leben, das ist mein Eindruck. In seinen Zeilen beschwört er die Normalität seiner Heimat, seiner Familie, seines Zuhauses, von der er sich Lichtjahre entfernt in der Hölle des Krieges befindet.
Das hast du sehr gut getroffen. Ich empfand Nikolajs Formulierungen als durchaus stimmig und echt.

Ein paar Kleinigkeiten sind mir aufgefallen:

Zwei- oder dreimal schreibst du "rauf" statt "herauf" und "runter" statt "herunter", was ich als zu umgangssprachlich im Vergleich zu deinem restlichen Text empfand.

Außerdem:

weil du so rumzappelst, das Großvater und Mutter fast wahnsinnig werden.
rumzappelst, dass
Setz dich vor den brennenden Kamin, auf der roten Eckbank
Setz dich auf der roten Eckbank? Nein, sicher nicht, es muss heißen:
Setz dich .... Kamin, auf die rote Eckbank
Wie sie sich senken und dabei tanzen
Scheeflocken senken sich? Das Bild empfinde ich als irgend wie schief, was hältst du von
"Wie sie taumeln und tanzen."?
Wenn man sich im Traum begegnet, ist das, wie wenn man gar nicht getrennt ist.
"wie wenn" ist sehr umgangssprachlich und passt nicht zu deinem restlichen Stil, ich würde schreiben:
ist das, als ob man ...
Ansonsten gefällt mir dieser Satz gut - Begegnungen im Traum sind, als ob man nicht getrennt ist - sehr tröstlich :)
Voneinander träumen ist wie wenn man gar nicht getrennt ist, denk dran.
Dito!
aber wenn es nicht ich bin, der da kommt,
Klingt ein wenig gestelzt - vielleicht:
aber wenn nicht ich es bin, der da kommt, ...
Heustober
das kenne ich nicht - heißt das nicht Heuschober?

Fazit: Sehr, sehr gern gelesen!

Lieben Gruß
al-dente

 

Danke al-dente,

bei Gelegenheit werde ich deine Änderungsvorschläge umsetzen. Aber hattest du auch das Gefühl, dass ich die Gedankengänge des Vaters am Ende störend wiederkäue? Ich möchte es nicht unbedingt gleich ändern, sofern ich nicht sicher bin.

Gruß Karlsson

 

Hallo Karlsson,

nein - ich hatte nicht das Gefühle, dass du

die Gedankengänge des Vaters am Ende störend
wiederkäust. Ich fand seinen Brief stimmig - er wird ja wohl kaum viel anderes denken, als an seine Familie und sein Zuhause - wahrscheinlich noch an Grauen und Tod, aber das will er seinem Sohn ja auf keinen Fall schreiben ...

Lieben gruß
al-dente

 

Hallo!
Ich muss Fleur zustimmen, ich habe nicht erkannt dass die Geschichte in Stalingrad spielt, es hätte auch sein können dass es sich um einen Vater handelt, der das Vieh vor Wölfen bewachen muss fand ich (ok die Feuerwerke). Gelesen hat sich deine Geschichte für mich aber gut. Ich finde auch dass dir die Briefform ganz gut gelungen ist! Ein wenig mehr historische Aspekte einbringen oder auf die Heimat hinweisen, dann passt sie besser in die Rubrik und bekommt mehr Tiefsinn!

 

Hi,

Also, das klingt vernünftig. Ich werd mal sehen, was mir da einfällt. Danke!

Gruß Karlsson

 

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