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Jim und Joe

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02.01.2011
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Jim und Joe

Am Silvesterabend, nachdem Jim und Joe ein paar Biere in Joes Küche geleert hatten, beschlossen sie, zum Fluss zu gehen und in das eiskalte Wasser der Regnitz zu steigen.
Jim und Joe waren Freunde, seitdem sie neun Jahre alt waren. Jims Vater war Maschinenführer bei BOSCH und zog Jim alleine auf, nachdem seine Frau 1998 an Bauchdeckenkrebs erkrankt und wenige Wochen später verstorben war. Jims Vater war zu diesem Zeitpunkt einundvierzig Jahre alt; er hatte eine ältere Schwester und eine siebzigjährige Mutter – Jims Tante und Großmutter –, die mehrere Male die Woche für Jim kochten und mit Jim nach der Schule zu Mittag aßen, wenn Jims Vater auf zweite oder dritte Schicht arbeiten musste. Jim sei so ruhig, sagte seine ältere Schwester nach einigen Wochen zu Jims Vater; sie wisse nicht, was er den ganzen Tag in seinem Zimmer tue, aber es sei schlecht, wenn ein Junge so still wäre und alles in sich hineinfräße. Als sie ein paar Tage darauf die Tür zu Jims Zimmer öffnete und ihn dastehen und seinen Schwanz masturbieren sah, besuchte sie – ohne Jims Vater oder Jim selbst einen Grund zu nennen – Jim nicht mehr, und Jims Großmutter war fortan die Person, die putzte, abspülte, die Wäsche wusch und mehrere Male in der Woche mit Jim zusammen zu Mittag aß.
Joes Vater war ein rundlicher Belgier mit breitem Kreuz, der seine Frau – Joes Mutter – Ende der achtziger Jahre auf einer Fortbildung des Zentralverbandes für Deutsches Bäckerhandwerk kennenlernte. Joes Vater war Konditor und schlief bis spät in den Nachmittag, weil er in den Nächten in der Backstube im Erdgeschoss Teige und französische Süßgebäcke vorbereitete. Als Joe mit Jim die weiterführende Schule besuchte, wurde bei Joes Vater die Zuckerkrankheit diagnostiziert; seitdem sah Joe seinen Vater immer mit dem kleinen Täschchen, in dem sich die Insulinpumpe befand, um die Hüfte gebunden durch das Haus gehen oder unten im Laden herumwerkeln.

Am Silvester-Abend, als Jim und Joe sechsundzwanzig Jahre alt waren, liefen sie von Joes Wohnung über die Brücke und durch die Altstadt in das kleine Hain-Gebiet, durch das der Fluss trieb.
Jim sagte: »Das machst du nie!«
Joe lachte, trank aus seiner Bierflasche, knöpfte seine Jacke auf und hängte sie über eine Parkbank. Keine Laterne schien im Hain-Gebiet; bloß der Kiesweg, das weiße Mondlicht, die hohen Bäume, der leise rauschende Fluss und der dicht über dem Wasser hängende Nebel umgab sie.
Jim sah Joe sich ausziehen; die beiden lachten und tranken noch einen tiefen Schluck von ihren Bieren. Sie waren ein wenig betrunken, aber nicht so betrunken, dass sie nicht gewusst hätten, was sie taten. Joes Haut kam Jim weiß und leuchtend vor inmitten all der Dunkelheit. Jim war einen knappen Kopf größer als Joe, fast einsvierundneunzig; aber Joe war kräftiger, drahtiger: Er hatte dunkles Haar, das er gegelt und an den Seiten abrasiert trug. Jims Haare waren dunkelblond und so außer Form, dass sie seit einigen Monaten einen Haarschnitt benötigt hätten. Jim wusste, dass er für seine Größe zu wenig wog. Essen war schon immer ein Problem für ihn gewesen. Seit einiger Zeit trank er Sekt; nach der Arbeit kaufte er sich beim Kiosk am Busbahnhof eine kleine Flasche, die er auf der zwanzigminütigen Busfahrt auf dem Nachhauseweg austrank. Manchmal kaufte er sich eine zweite kleine Flasche Sekt, die er trank, wenn er anschließend mit Jacky in der Küche zu Abend aß.

Joe war immer derjenige der beiden gewesen, der erfolgreicher bei den Frauen war. Joe hatte etwas natürlich Schönes an sich. Jim wusste, dass Joe ein solches Gesicht hatte, in das sich Kinder verliebten. Joe hatte vor seinem zwanzigsten Lebensjahr eine stattliche Anzahl an Mädchen geküsst und sieben oder acht von ihnen bei sich zu Hause gefickt. Er fickte sie immer in seinem Kinderzimmer im zweiten Stock über der Bäckerei. Jim wusste, dass Joe das Gefühl von Kondomen über seinem Schwanz hasste. Jim wusste, dass Joe immer auf die Mädchen einredete, bis sie es »in Natur« mit sich machen ließen. Joe schlich sich, nachdem er seine Mädchen gefickt hatte, immer das Treppenhaus hinunter, in die Backstube, und fingerte zwei warme Brötchen oder Quarktaschen von den Blechen, um sie oben nackt und mit seinem Mädchen auf dem verschwitzten Laken liegend zu verspeisen.
Jim hatte keinen Sex gehabt, bis er fünfundzwanzig Jahre alt gewesen war. Jim war hoch gewachsen und hager. Jim redete nicht gerne. Aber sein Kopf war voller Gedanken, Bilder, Erinnerungen und Tagträumereien. Wenn er in der Schule von einem Lehrer aufgerufen wurde, fiel es ihm schwer, seine Gedanken zu Wort zu bringen. Ihm fielen die richtigen Worte nicht ein, und er spürte, wie er errötete. Er versuchte, zu viele seiner Gedanken auf einmal zu sagen. Einige der Lehrkräfte hielten ihn für dumm. Lesen und Schreiben strengte ihn an, und es fiel ihm schwer, sich längere Zeit auf einen Text zu konzentrieren. Joe hielt ihn nie für dumm. Joe hatte gesehen, wie Jim mit sechzehn Jahren den defekten Kühlschrank seines Vaters auseinander- und mit neuen Dichtungen wieder zusammengebaut hatte.
Joe redete normal mit den Mädchen, aber vor allem sah er so gut aus. So erklärte sich Jim seinen Erfolg bei den Frauen. Jim wusste, dass er selbst zu dünn war. Er wusste, dass es Leute gab, die sich vor seinem Gesicht, seiner Größe oder seinem blanken Oberkörper ekelten. Aber wenn er in den Spiegel blickte, wusste er, dass es da noch etwas anderes gab. Er fand keine Worte für das, was er meinte. Er dachte, dass es seine Augen sein könnten. Sein Blick. Das Zusammenspiel seiner Klamotten, seines dürren Körpers, seines langen Halses, seines eckigen Schädels und dieser Augen. Aber genau wusste er es nicht.

Sie standen ein paar Minuten oberkörperfrei in der Dunkelheit. Sie hörten das Wasser rauschen und tranken aus ihren Bierflaschen. Dicht stand der Nebel über dem im Mondlicht schimmernden Wasser. Jim hatte sich schon Schuhe und Socken ausgezogen und saß auf der Bank. Der Boden glitzerte gefroren.
»Wollen wir’s echt machen?«, sagte er zu Joe. Er spürte die eisige Luft auf seinem nackten Oberkörper und trank von seiner Bierflasche.
»Wenn wir’s jetzt nicht machen«, sagte Joe. Er lachte und auch Jim lachte. Jim sah Joe mit seinem kräftigen Oberkörper dort im Mondlicht stehen. Wieso wollten sie ins Wasser steigen? Wie betrunken waren sie? Jim sah das Badetuch, das Joe aus seiner Wohnung mitgenommen hatte, neben sich auf der Parkbank liegen. Jim sah, wie Joe sich den Hosenlatz aufzog, seine Hose von den Beinen streifte und schließlich nackt und fröstelnd die Treppenstufen hinunter zum Fluss stieg. Auch Jim zog sich jetzt den Reißverschluss und die Hose aus. Mit einem Mal begann er sich zu schämen. Er sah zu Joe, der mit den Füßen schon im Wasser stand. Keine Menschenseele ging den Kiesweg auf oder ab. Es war stockdunkel, bloß das Mondlicht schimmerte auf dem dunklen und gläsernen Wasser. Joes Haut schimmerte weiß im Mondlicht. Jim fröstelte und ging auch die vier, fünf Treppenstufen hinunter zum Fluss.
»Scheiße!«, sagte er und schlotterte.
Joe watete vor ihm ins Wasser. Er sah Joes Rücken. Er sah, wie Joe erst bis zur Hüfte ins Wasser ging, dann schnell und schnappartig atmete und sich schließlich kopfüber ins Wasser tunkte.
»Ah!«, schrie Joe.
Joe stürmte aus dem Wasser, und nun watete Jim hinein. Das eisige Wasser biss ihm in die Beine. Er tunkte sich ein-, zweimal kopfüber ins Wasser, dann stürmte auch er hinaus. Als er die Treppenstufen hochrannte, sah er Joe dort oben mit dem Badetuch in der Hand stehen und lachen. Zu Jims Entsetzen sah er plötzlich Joes Schwanz. Er sah den dunklen, kräftigen Schatten von Joes Schamhaar und seinen weißen Schwanz.
Joe lachte und schrie: »Ist das kalt!«
Sie standen da und zitterten. Joe lachte wieder und Jim schrie lachend mit ihm. Joe reichte Jim das Badetuch, und Jim rubbelte sich den Kopf trocken. »Scheiße!«, schrie er.

Als Jim am nächsten Morgen neben seiner Verlobten aufwachte, dachte er daran, wie er und Joe in den eisigen Fluss gestiegen waren, und wie er Joes behaarten Schwanz danach in der Dunkelheit gesehen hatte. Ihm fiel auf, dass er noch nie den Schwanz einer seiner Kumpels gesehen hatte. Nicht aus dieser Nähe. Etwas schockierte Jim an der Tatsache, dass er Joes Penis gesehen hatte. Vielleicht schockierte ihn auch, dass er nackt mit Joe in den Fluss gestiegen war. Er schämte sich, über diese ganze Sache nachzudenken. Aber er wusste nicht, wieso.
Jims Verlobte hieß Jacky und sie war gerade zweiundzwanzig geworden. Sie hatte rot getöntes, schulterlanges Haar und war im fünften Monat schwanger; wenn sie stand, sah man die Beule deutlich aus ihrer Bauchdecke hervorstehen. Jacky lag noch neben Jim im Bett, als dieser aufwachte. Sie trug ein Lonsdale T-Shirt und pinke Unterhosen. Sie hielt sich die eine Hand auf den Bauch, aber ihr Blick war bei Jim, als er aufwachte.
»Hi, mein Schatz«, sagte sie. »Wie war die Party?«, sagte sie.
Jim dachte an die Biere, die er mit Joe in dessen Küche geleert hatte. Er dachte auch daran, wie sie zum Fluss gelaufen waren und wie sie sich ausgezogen hatten und in den Fluss gestiegen waren. Aber auf irgendeine Art wollte er nicht davon erzählen, nicht von dem Fluss.
»Gut«, sagte Jim und fuhr sich über das Gesicht. »Mit Joe«, sagte er.

Jacky war seit dreizehn Monaten Jims Freundin. Er hatte sie das erste Mal gesehen, als sie ihren Ford Ka zu ihm und seinen Kollegen in die Service-Werkstatt brachte. Er hatte sie gleich wiedererkannt. Der komplette Unterboden ihres Wagens war durchgerostet. Überall Löcher, die geklebt werden mussten. Jim erkannte sie an ihrem Gesicht und ihrem Gang, die sich kaum verändert hatten; die spitz zulaufenden Kieferknochen, die schmale Nase und die breiten Augenbrauen – ihr untersetzter Körper, mit der Tragetasche um die Schulter; ihr Gang hatte etwas Tapsiges, als ob sie sich vor jedem Schritt in die Welt fürchten würde. Als ob sie jedem trauen würde, der ihr über den Weg lief, aber gleichzeitig auch, als ob sie sich vor dem Grundsätzlichem im Leben fürchten würde. Andererseits konnte sich Jim gut vorstellen, wie Jacky bis zur Weißglut zornig wäre und das Kräftige ihres Körpers etwas Gefährliches annehmen würde. Ihm gefiel diese Vorstellung.
Als Jacky mit den Papieren in der Hand aus dem Büro der Service-Werkstatt kam und hinaus in Richtung Parkplatz ging, war Jim zu ihr gelaufen. Sie hatte ihn nicht wiedererkannt. Sie standen im Tor der Werkstatt, und sie hielt mit der einen Hand die Papiere, mit der anderen den Träger ihrer Tasche. Ihre Augen weit aufgerissen und so, dass Jim sie nicht lesen konnte: erschrocken, ängstlich; aber auch wach, wütend, neugierig.
Jim hatte: »Joe« gesagt, und Jacky hatte genickt und: »Ah« gesagt. Jim spürte, wie sie die markanten Stellen seines Gesichtes musterte. Jim trug einen Blaumann und hielt eine halb gerauchte Zigarette zwischen Daumen und Zeigefinger. Jacky hatte etwas Pummeliges an sich, aber das störte Jim nicht. Als Jacky ihren Ford Ka einige Tage später abholte, gingen Jim und sie über den Parkplatz und das braune Stück Wiese hinüber zu McDonald’s und bestellten Cheese Burger, Pommes Frites und Milkshakes.

Jacky drehte sich zur Seite. So wie sie sich bewegte, sah Jim, dass sie wieder Schmerzen hatte. Sie lag leicht verkrümmt auf der Matratze, mit den Beinen angezogen, und atmete. Sie hielt mit der rechten Hand ihren Babybauch. »Es sticht wieder«, sagte sie.
Jim dachte an das Ultraschallbild von Jackys Gebärmutter, auf dem der Frauenarzt ihnen den weißen, leuchtenden Punkt gezeigt hatte.

Sie saßen am kleinen Tisch in der Küche und aßen Toastbrot. Jacky schmierte sich Ketchup auf ihr Toastbrot. Sie tippte auf ihr Smartphone und leckte sich den Daumen. Sie tippte auf die Art, dass Jim wusste, dass Jacky mit ihrer Cousine telefonieren würde, sobald sie fertig gefrühstückt hätten. Die Küche war ein enger, langer Schlauch mit einem Fenster am Ende, von dem aus man auf die Straße blicken konnte.
Jim zog sich Jeans, Stiefel und T-Shirt über, knöpfte sein Hemd zu. Vom Schlafzimmer aus hörte er Jacky, die mit ihrer Cousine telefonierte. Als er zur Haustür lief, sah er Jacky, wie sie in der Küche auf dem Fenstersims gelehnt stand, das Handy am Ohr. Sie sprach schnell und leise, dann hörte sie einen Moment ins Telefon.

Jim schloss die Haustür hinter sich. Durch die Tür hörte er Jackys Stimme; als hätte er Wasser in den Ohren. Als stünde er noch immer in dem Fluss, und hätte Wasser in den Ohren.
Er ging die Stufen des Treppenhauses hinunter, so wie er am Vortag die Stufen in den Fluss hinunter gegangen war. Er hörte den Ton von Jackys Stimme, leise, ihr Reden. Die Art, wie sie Worte formte. Im Treppenhaus blieb er für einen Augenblick am großen Fenster stehen – hinter ihm, die Stufen aufwärts, die Wohnungstür. Jim sah durch das Fenster hinunter in den Hof: schwarze Mülltonnen; ein VW Polo fest für den Winter unter einer grauen Abdeckplane. Dann drehte Jim sich um, stieg die Treppenstufen zur Wohnungstür hinauf, griff in seine Jackentasche und steckte den Schlüssel in das Schloss; drehte ihn so lange nach links, bis die Mechanik stoppte. Zog ihn heraus und hielt ihn in der Handfläche; seine langen, knochigen Finger. All die Klamotten, die an ihm hingen. Wieso war er so dünn? Jackys Stimme, dumpf und undeutlich, nur ein paar Meter entfernt.

Joe stand in seiner Garage, neben dem glühenden Heizstrahler, den gestapelten Winterreifen und dem aufgebockten Minibus. Joe trug eine schwarze Wollmütze und hielt seine Zigarette zwischen Mittel- und Zeigefinger. Die andere Hand hatte er tief in der Seitentasche seiner grauen Arbeitshose verstaut. Er stand ganz ruhig da und grinste zu Jim. Jim nickte und lief über den Vorplatz zu Joe. Die Pflastersteine dort glänzten vor Frost. Der Himmel über Jim eisblau, als ob nichts zwischen ihm und dem Unendlichen stünde.
Jim dachte an Joes weiße, leuchtende Haut, gestern Nacht im Mondlicht. Jim dachte an Bauchschmerzen. Er fühlte mit der linken Hand nach seinem Schlüsselbund. Ihm war etwas schlecht, so wie ihm immer etwas schlecht war, wenn er zu wenig gegessen hatte. Jim dachte an eintausend kleine Papierschnipsel und an einen weißen, leuchtenden Punkt.
Joes Augen waren schwarz wie Motoröl. Sein Gesicht war so spitz zulaufend und wach und gerissen wie das eines Fuchses. Joe hatte den VW T5 gekauft, um über Belgien, Frankreich, Portugal und Spanien bis nach Marokko zu fahren. Die Keilriemen, Teile der Elektronik, die Reifen und der Schwimmer waren hinüber. Als sie den Minibus zum ersten Mal aufgebockt hatten, sahen sie, dass der komplette Unterboden durchgerostet war. Überall Löcher, so groß wie eine Faust oder so dick wie ein Schwanz. Keine dreizehn Jahre alt war der Minibus. Jetzt stand er aufgebockt in Joes Garage. Ohne Vorderreifen oder Motorhaube. Die Innenausstattung – Bänke, Sitze, Schaltung und Lenkrad – hatten sie herausgeschraubt und zum Sperrmüll getragen. Die kleinen Löcher im Unterboden klebten sie, auf die großen schweißten sie punktuell kleine Blechplatten.
Joe würde damit bis nach Marokko fahren. Er würde über Belgien, Frankreich, Portugal und Spanien bis auf ein Schiff in Gibraltar fahren.
Aber Jim dachte bloß an unendlich viele, kleine Papierschnipsel. An ein weißes, leuchtendes, größer werdendes Loch, auf das all die umherwirbelnden Papierschnipsel zusteuerten. Er hatte solche Bauchschmerzen. Wie viel hatten sie gestern getrunken? Er atmete ein und aus, spürte kalten Schweiß sich auf sein Gesicht legen. Er hielt sich am Tor vor Joes Garage fest und stand gebückt da.
Er spuckte und rülpste, dann hörte er die Flüssigkeit vor sich auf die Pflastersteine klatschen; all das Wasser, das aus ihm brach. All der Frost, der ihn umgab. All die Dinge, die er nicht reparieren konnte. All die Löcher, die keine waren. All die Löcher, die immer wieder auftauchten. So dick wie ein Schwanz. Mein Bauch tut so weh.
»Kotzte mir jetzt vor die Garage oder was?«, sagte Joe und lachte. Er hatte eine Flasche Puschkin-Vodka vor sich auf der Werkbank stehen.

Und Joe sagte noch etwas, das Jim nicht mehr hörte. Denn alles, an das Jim dachte, waren unendlich viele, kleine Papierschnipsel; und ein weißes, leuchtendes, größer werdendes Loch – wie das helle Auge einer fremden Sonne oder das Licht eines Baustrahlers, der in Dunkelheit auf ihn gerichtet war – und auf das er und all die umherwirbelnden Papierschnipsel unweigerlich zusteuerten.

 

Hi @zigga,

dass dein Text ungewöhnlich ist, brauche ich dir nicht zu sagen, aber ich find ihn jedenfalls gut. Besonders auf der Stilebene und in der Detailzeichnung finde ich ihn nicht nur gut, sondern mehr als das, ich drück halt nur nicht so gern auf die Tube mit hymnischen Adjektiven, sonst würd ich dir jetzt ein paar rauskramen.
In der Komposition gefällt mir gerade auch diese Seltsamkeit gut: Am Anfang steht ein Ereignis und dann kommt haarklein und ohne erkennbare Nähe zur Situation die Vorgeschichte (oder Teile davon) der beiden, so dass man sich ganz leicht auch denken könnte: Was soll das da jetzt alles?, während man sich aber gleich schon einfangen lässt und die Frage vergisst.

Nicht ganz sicher bin ich mir, ob ich es nicht schlüssiger fände, wenn die Gegenwartshandlung nur dort am Fluss spielen würde. Der Weg in Jims Bett, Joes Garage usw. ist irgendwo auch ein Umweg für mich (das könnte ja alles auch Erinnerung sein - eigentlich wirklichb alles bis auf den Schluss). In nicht zwingend wertendem Vokabular könnte man sagen, die Geschichte würde dann in der Komposition kompakter, dichter, stringenter usw. Das sind häufig Begriffe, die am Ende zu einer positiven Wertung beitragen, aber das muss ja nicht sein. Es gibt Texte, die viel verieren würden, wenn die kompakt, stringent usw. wären. Nun gut, also: Der Text könnte dann irgendwo was gewinnen und auf der anderen Seite auch was verlieren (ist ja fast immer so, aber ich wollt's halt trotzdem mal gesagt haben).

Am Anfang gibt es einen Satz, da kommt der Fluss und sein Name kurz hintereinander:

beschlossen sie, zum Fluss zu gehen und in das eiskalte Wasser der Regnitz zu steigen.
-- könnte man verschlanken: ... beschlossen sie, zur Regnitz zu gehen und in ihr eiskaltes Wasser zu steigen.
So etwas in der Art würde ich in der Tendenz favorisieren. Nun kann der Fluss als solcher eine mythische Konnotation haben, die der alltägliche nicht hat. Kann sich also lohnen, den Fluss (als Fluss) extra zu benennen. Umgekehrt kann man in diesem Sinn dann darüber nachdenken, welche Wirkung es hätte, wenn du den Namen ganz wegließest, und der Fluss durchgehend nur der Fluss wäre.

Es gehört zu dem Text, dass er viele Erklärungen enthält -- im Sinne von: Man merkt, dass das so gehört. Hier aber --

hatte eine ältere Schwester und eine siebzigjährige Mutter – Jims Tante und Großmutter
-- find ich's fast ein bisschen irritierend, die Verwandtschaftsbeziehungen noch mal in Bezug auf Jim zu erklären. Das ergibt sich eigentlich dann doch von selbst. Und ich würd's letztlich vor allem deshalb rausnehmen, weil die Bezeichnung "Tante" im Anschluss keine Verwendung findet. Beispiel :

sagte seine ältere Schwester

Hier --
die weiterführende Schule besuchte
-- find ich "weiterführende Schule" eine Spur zu unkonkret. Passt zwar eventuell besser zum Sound insgesamt als z.B. "Gymnasium", aber das ließe sich sicher irgendwie lösen.

Hier --

Joe war immer derjenige der beiden gewesen,
-- muss aus meiner Sicht das Präsens hin, es ist ja vermutlich immer noch so (die zwei sind ja nicht 80, sondern in einem Alter, wo das noch eine Rolle spielt).

Hier --

dass er Joes Penis gesehen hatte
-- würd ich beim bisher gebrauchten Wort bleiben. "Schwanz" kommt häufig vor, aber ich akzeptiere es als das Wort, das die Protagonisten benutzen. Angst vor Wortwiederholung hätte ich da nicht, im Gegenteil wirkt es leicht befemdlich, wenn ein einziges Mal ein - sagen wir mal - wissenschaftlicheres Wort eingesetzt wird. (Außer es wäre eine ganz andere Situation: Joe kriegt in sachlichem Kontext gezeigt, wie man ein Kondom aufzieht oder so (nur ein Beipspiel, dass das in die Geschichte nicht passt, ist ja klar.))

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 

Hey @erdbeerschorsch,

lange nicht gelesen! Vielen Dank für dein Feedback!

dass dein Text ungewöhnlich ist, brauche ich dir nicht zu sagen
Ja, irgendwo ist es das schrägste, was ich bis dato geschrieben habe. Aber irgendwie mag ich den Text auch, gerade, weil er so weird ist

aber ich find ihn jedenfalls gut. Besonders auf der Stilebene und in der Detailzeichnung finde ich ihn nicht nur gut, sondern mehr als das, ich drück halt nur nicht so gern auf die Tube mit hymnischen Adjektiven, sonst würd ich dir jetzt ein paar rauskramen.
In der Komposition gefällt mir gerade auch diese Seltsamkeit gut: Am Anfang steht ein Ereignis und dann kommt haarklein und ohne erkennbare Nähe zur Situation die Vorgeschichte (oder Teile davon) der beiden, so dass man sich ganz leicht auch denken könnte: Was soll das da jetzt alles?, während man sich aber gleich schon einfangen lässt und die Frage vergisst.
Danke dir! Freut mich natürlich

Nicht ganz sicher bin ich mir, ob ich es nicht schlüssiger fände, wenn die Gegenwartshandlung nur dort am Fluss spielen würde. Der Weg in Jims Bett, Joes Garage usw. ist irgendwo auch ein Umweg für mich (das könnte ja alles auch Erinnerung sein - eigentlich wirklichb alles bis auf den Schluss). In nicht zwingend wertendem Vokabular könnte man sagen, die Geschichte würde dann in der Komposition kompakter, dichter, stringenter usw. Das sind häufig Begriffe, die am Ende zu einer positiven Wertung beitragen, aber das muss ja nicht sein. Es gibt Texte, die viel verieren würden, wenn die kompakt, stringent usw. wären. Nun gut, also: Der Text könnte dann irgendwo was gewinnen und auf der anderen Seite auch was verlieren (ist ja fast immer so, aber ich wollt's halt trotzdem mal gesagt haben).
Ist ein Punkt! Es ist natürlich schwer, da jetzt grundlegend rauszuschmeißen, aber einen Versuch wert. Ich probier es mal für mich.

Am Anfang gibt es einen Satz, da kommt der Fluss und sein Name kurz hintereinander:

beschlossen sie, zum Fluss zu gehen und in das eiskalte Wasser der Regnitz zu steigen.
-- könnte man verschlanken: ... beschlossen sie, zur Regnitz zu gehen und in ihr eiskaltes Wasser zu steigen.
So etwas in der Art würde ich in der Tendenz favorisieren. Nun kann der Fluss als solcher eine mythische Konnotation haben, die der alltägliche nicht hat. Kann sich also lohnen, den Fluss (als Fluss) extra zu benennen. Umgekehrt kann man in diesem Sinn dann darüber nachdenken, welche Wirkung es hätte, wenn du den Namen ganz wegließest, und der Fluss durchgehend nur der Fluss wäre.,
Starke Idee ... ich probiere es

hatte eine ältere Schwester und eine siebzigjährige Mutter – Jims Tante und Großmutter
-- find ich's fast ein bisschen irritierend, die Verwandtschaftsbeziehungen noch mal in Bezug auf Jim zu erklären. Das ergibt sich eigentlich dann doch von selbst. Und ich würd's letztlich vor allem deshalb rausnehmen, weil die Bezeichnung "Tante" im Anschluss keine Verwendung findet.
Stimmt!

die weiterführende Schule besuchte
-- find ich "weiterführende Schule" eine Spur zu unkonkret. Passt zwar eventuell besser zum Sound insgesamt als z.B. "Gymnasium", aber das ließe sich sicher irgendwie lösen.
Auch hier

Joe war immer derjenige der beiden gewesen,
-- muss aus meiner Sicht das Präsens hin, es ist ja vermutlich immer noch so (die zwei sind ja nicht 80, sondern in einem Alter, wo das noch eine Rolle spielt).
Stimmt!

dass er Joes Penis gesehen hatte
-- würd ich beim bisher gebrauchten Wort bleiben. "Schwanz" kommt häufig vor, aber ich akzeptiere es als das Wort, das die Protagonisten benutzen. Angst vor Wortwiederholung hätte ich da nicht, im Gegenteil wirkt es leicht befemdlich, wenn ein einziges Mal ein - sagen wir mal - wissenschaftlicheres Wort eingesetzt wird. (Außer es wäre eine ganz andere Situation: Joe kriegt in sachlichem Kontext gezeigt, wie man ein Kondom aufzieht oder so (nur ein Beipspiel, dass das in die Geschichte nicht passt, ist ja klar.))
Auch eine gute Idee

Erdbeerschorsch, ich danke dir noch mal fürs Lesen und Kommentieren! Bin auch gespannt auf deine nächste Story.

Beste Grüße
zigga

 

Abend @zigga,

leider holt mich deine Geschichte nicht ab.
Das liegt gar nicht am Thema, das finde ich gut, und auch den Schluss finde ich ziemlich gelungen, aber bis dorthin war es eine holprige Fahrt.
Hier mal alles, was mich gestört hat:

Jim und Joe
Es fängt gleich mit den Namen an: Wieso Englisch, und wieso so ähnlich? Die Handlung spielt augenscheinlich in Deutschland und du versuchst, deiner Geschichte einen bodenständigen Anstrich zu geben, aber bei "Jim und Joe" erwarte ich ein komödiantisches Paar, wie Bill & Ted oder Lolek und Bolek. Passt für mich überhaupt nicht zum restlichen Ton.
Die ersten Passagen sind auch sehr tellig. Ich bin da kein Dogmatiker, und an manchen Stellen ist das super, um einen Überblick zu geben. Nur manches war mir zu viel, wie etwa:
nachdem seine Frau 1998 an Bauchdeckenkrebs erkrankt und wenige Wochen später verstorben war
Das Jahr ist irrelevant und einfach nur "Krebs" liest sich leichter. Wo der Tumor sitzt, ändert ja nix an der Handlung.
Oder das z.B.:
die mehrere Male die Woche für Jim kochten und mit Jim nach der Schule zu Mittag aßen, wenn Jims Vater auf zweite oder dritte Schicht arbeiten musste
Würde ich auch weglassen.
Hier fand ich Tell eigentlich ganz angebracht, aber war mir am Ende dann doch etwas viel:
Joes Vater war ein rundlicher Belgier mit breitem Kreuz, der seine Frau – Joes Mutter – Ende der achtziger Jahre auf einer Fortbildung des Zentralverbandes für Deutsches Bäckerhandwerk kennenlernte. Joes Vater war Konditor und schlief bis spät in den Nachmittag, weil er in den Nächten in der Backstube im Erdgeschoss Teige und französische Süßgebäcke vorbereitete. Als Joe mit Jim die weiterführende Schule besuchte, wurde bei Joes Vater die Zuckerkrankheit diagnostiziert; seitdem sah Joe seinen Vater immer mit dem kleinen Täschchen, in dem sich die Insulin-Pumpe befand, um die Hüfte gebunden durch das Haus gehen oder unten im Laden herumwerkeln.
Würde diese Passage also auch etwas straffen.

Rechtschreibfehler habe ich nicht viele entdeckt, außer, wenn es um zusammengesetzte Wörter geht. Die schreibt man im Deutschen zusammen, nicht mit Bindestrich:

Silvester-Abend
Insulin-Pumpe
Hain-Gebiet
Service-Werkstatt
Ultraschall-Bild

Wenn du hier eine der Beschreibungen des realen Flusses weglassen würdest, würde der Lesefluss m.E. erleichtert werden:
bloß der Kiesweg, das weiße Mondlicht, die hohen Bäume, der leise rauschende Fluss und der dicht über dem Wasser hängende Nebel umgab sie

Dann wieder ein englischer Name mit J:
Stört mich hier nicht so arg, jede Jacqueline in Deutschland wird glaub auch Jacky genannt, aber hat halt wieder was unpassend Komödienhaftes.

Jim wusste, dass Joe ein solches Gesicht hatte, in das sich Kinder verliebten
:susp:
Ich weiß, wie du das meinst. Aber die Formulierung finde ich... zweideutig...

Lesen und Schreiben strengte ihn an
"strengten"

Mit einem Mal begann er sich zu schämen. Er sah zu Joe, der mit den Füßen schon im Wasser stand. Keine Menschenseele ging den Kiesweg auf oder ab.
Der Satz nimmt den Fokus wieder vom Fluss, wo sich das Geschehen abspielt. Das lenkt ab, finde ich. Dann lieber so was wie "Sie waren mutterseelen allein".

Es war stockdunkel, bloß das Mondlicht schimmerte auf dem dunklen und gläsernen Wasser.
Überflüssig und unpassend. Wäre das ein See bei Windstille würde es Sinn ergeben, aber ein Fluss ist ja für gewöhnlich turbulenter. Oder ist das ein breiter, gemächlicher Fluss? So oder so, ohne das Wort wird der Satz runder.

Als Jim am nächsten Morgen neben seiner Verlobten aufwachte, dachte er daran, wie er und Joe in den eisigen Fluss gestiegen waren, und wie er Joes behaarten Schwanz danach in der Dunkelheit gesehen hatte. Ihm fiel auf, dass er noch nie den Schwanz einer seiner Kumpels gesehen hatte. Nicht aus dieser Nähe. Etwas schockierte Jim an der Tatsache, dass er Joes Penis gesehen hatte.
Ist m.E. redundant. Lieber in etwa "Die Erinnerung/der Gedanke schockierte ihn".

Jims Verlobte hieß Jacky
Jacky wurde vorher schon erwähnt. Erst hier erfährt man zwar, dass sie seine Verlobte ist, aber du formulierst das, als würde sie ein zweites Mal vorgestellt werden.

Sie hatte rot getöntes, schulterlanges Haar und war im fünften Monat schwanger; wenn sie stand, sah man die Beule deutlich aus ihrer Bauchdecke hervorstehen
Hinter "schwanger" würde ich den Satz mit einem Punkt enden lassen und den Rest mit einem neuen Satz beginnen.

Dann kommt eine Passage, in der eine Wortwiederholung die nächste jagt:

Jacky lag noch neben Jim im Bett, als dieser aufwachte. Sie trug ein Lonsdale T-Shirt und pinke Unterhosen. Sie hielt sich die eine Hand auf den Bauch, aber ihr Blick war bei Jim, als er aufwachte.
»Hi, mein Schatz«, sagte sie. »Wie war die Party?«, sagte sie.
Außerdem erwähnst du bereits vorher, dass er aufgewacht ist. Hier weckst du ihn zum zweiten Mal.

Nächste Wiederholungen:

»Hi, mein Schatz«, sagte sie. »Wie war die Party?«, sagte sie.
Jim dachte an die Biere, die er mit Joe in dessen Küche geleert hatte. Er dachte auch daran, wie sie zum Fluss gelaufen waren und wie sie sich ausgezogen hatten und in den Fluss gestiegen waren. Aber auf irgendeine Art wollte er nicht davon erzählen, nicht von dem Fluss.

Hier antwortet Jim komisch:
»Gut«, sagte Jim und fuhr sich über das Gesicht. »Mit Joe«, sagte er.
Sie hat doch nach dem "Wie" gefragt, nicht nach "Mit-wem".

Jacky war seit dreizehn Monaten Jims Freundin.
Das ging schnell... Es gibt zwar Leute, die da nix anbrennen lassen, aber wie viele sind das schon? Wirkt unrealistisch.

Den Part, wo du die Kennlernphase von Jim und Jacky beschreibst, finde ich an vielen Stellen umständlich und unklar geschrieben:

Er hatte sie das erste Mal gesehen, als sie ihren Ford Ka zu ihm und seinen Kollegen in die Service-Werkstatt brachte. Er hatte sie gleich wiedererkannt.
Woher kennt er sie denn?

Jim erkannte sie an ihrem Gesicht und ihrem Gang, die sich kaum verändert hatten
Wieso sollte sich das auch verändern? Das klingt, als würde er sie nach 60 Jahren zum ersten Mal wiedersehen...

als ob sie sich vor jedem Schritt in die Welt fürchten würde. Als ob sie jedem trauen würde, der ihr über den Weg lief, aber gleichzeitig auch, als ob sie sich vor dem Grundsätzlichem im Leben fürchten würde
Diese Stelle musste ich zweimal lesen, um sie richtig zu kapieren. Auch hier verstehe ich, was du sagen willst, aber der zweite Satz klingt erstmal wie das genaue Gegenteil von der vorherigen Aussage (und von der danach auch). Würde ich nochmal komplett neu formulieren. Und nicht ständig "als ob" schreiben.

Andererseits konnte sich Jim gut vorstellen, wie Jacky bis zur Weißglut zornig wäre und das Kräftige ihres Körpers etwas Gefährliches annehmen würde
Lieber "zornig werden würde" statt "wäre". Ich meine sogar, das "wäre" ist hier grammatikalisch fehl am Platz. Die andere Stelle finde ich - sorry - sehr stümperhaft zusammengeschustert. Da fällt mir spontan "die Wucht ihres Körpers" ein, die sich "bedrohlich aufbaut" oder etwas in die Richtung.

Sie standen im Tor der Werkstatt, und sie hielt mit der einen Hand die Papiere, mit der anderen den Träger ihrer Tasche. Ihre Augen weit aufgerissen und so, dass Jim sie nicht lesen konnte: erschrocken, ängstlich; aber auch wach, wütend, neugierig.
:confused: Wieso reagiert sie so? Was ist passiert? Oder ist sie dermaßen von Jims Hässlichkeit entsetzt?? Dann wäre es umso unglaubwürdiger, dass sie nur ein paar Monate später seinen Nachwuchs in sich trägt.

Jim hatte: »Joe« gesagt, und Jacky hatte genickt und: »Ah« gesagt.
Nochmal: Wo haben sie sich schon mal getroffen? Auf einer Party von Joe? Oder ist Jacky eine Ex von Joe? Das ist mir zu undurchsichtig.

Jacky hatte etwas Pummeliges an sich
Man ist entweder pummelig oder eben nicht. Wieso also nicht "Jacky war pummelig"?

Sie saßen am kleinen Tisch in der Küche und aßen Toastbrot. Jacky schmierte sich Ketchup auf ihr Toastbrot. Sie tippte auf ihr Smartphone und leckte sich den Daumen.
Noch eine Wiederholung. Und "Sie tippte auf ihrem Smartphone".

Sie tippte auf die Art, dass Jim wusste, dass Jacky mit ihrer Cousine telefonieren würde, sobald sie fertig gefrühstückt hätten. Die Küche war ein enger, langer Schlauch mit einem Fenster am Ende, von dem aus man auf die Straße blicken konnte.
Jim zog sich Jeans, Stiefel und T-Shirt über, knöpfte sein Hemd zu. Vom Schlafzimmer aus hörte er Jacky, die mit ihrer Cousine telefonierte.
Durch die Tür hörte er Jackys Stimme; als hätte er Wasser in den Ohren. Als stünde er noch immer in dem Fluss, und hätte Wasser in den Ohren.
Er ging die Stufen des Treppenhauses hinunter, so wie er am Vortag die Stufen in den Fluss hinunter gegangen war. Er hörte den Ton von Jackys Stimme, leise, ihr Reden.
Wiederholungen, Wiederholungen, Wiederholungen.

Dann drehte Jim sich um, stieg die Treppenstufen zur Wohnungstür hinauf, griff in seine Jackentasche und steckte den Schlüssel in das Schloss; drehte ihn so lange nach links, bis die Mechanik stoppte
Verstehe nicht, warum und auch was genau er da macht. Schließt er sie ein, damit sie nicht davonlaufen kann?

Sein Gesicht war so spitz zulaufend und wach und gerissen wie das eines Fuchses
3 Eigenschaften hintereinander find ich wieder ein wenig viel, mit 2 liest es sich runder. Würde "gerissen" weglassen, da man das i.d.R. ohnehin mit einem Fuchs assoziiert.

»Kotzte mir jetzt vor die Garage oder was?«, sagte Joe und lachte
Selbst für einen angetrunkenen Draufgänger nimmt er es erstaunlich locker, dass sein Eigentum vollgereihert wird...

Den Schluss finde ich allerdings passend und schön geschrieben.
Bis auf:

und ein weißes, leuchtendes, größer werdendes Loch – wie das helle Auge einer fremden Sonne oder das Licht eines Baustrahlers, der in Dunkelheit auf ihn gerichtet war
Der Baustrahler passt m.E. überhaupt nicht zu so etwas Erhabenem wie einer Sonne und hat mich wieder aus dem Flow rausgerissen.

So viel zu meiner Kritik. Ich hoffe, du nimmst sie mir nicht zu übel :shy:
Das meiste sind ja Oberflächlichkeiten, die die Sicht auf eine interessante Handlung verstellen. Das Innenleben von Jim und seine Beziehung zu Jacky (die zu Joe eigentlich weniger aus meiner Sicht) hat das Zeug für ein schönes Drama im Reihenhaus. Hat für mich ein bisschen was von "Brokeback Mountain Light", wenn du verstehst. Dann würden die cowboymäßigen Namen von Jim und Joe sogar ein Stück weit passen ;) War das vielleicht sogar deine Absicht??

Aber jetzt lass ich dich erstmal in Ruhe :schiel:

VG
MD

 
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Hallo @zigga , das war ein Leseereignis der etwas anderen Art; obwohl das scheinbar ein Widerspruch ist: Ich hatte Probleme beim Lesen/Verstehen deiner Geschichte und ich wurde gut hineingezogen und drin festgehalten, stets interessiert am Fortgang. Es war dann so, dass ich im Text oft hin und her gesprungen bin, oft vorige Abschnitte noch mal las, dann wieder zurück, manche Sätze musste ich sofort 2-3 mal lesen, um das irgendwie geordnet zu bekommen.

Dazu trug auch bei, dass dieses Jim und Joe, der Wechsel und das Hin und Her, mich anfangs konfus machte -- klingen ja ähnlich, die Namen -- wer ist wer jetzt? und wem ist was? -- und dann kommt noch Jacky -- J - J - J --; irgendwann kam ich damit besser zurecht, als ich in den Rhythmus gefunden hatte. Dass du den Effekt gewollt hast, kann ich mir auch vorstellen, warum sonst diese ähnlich klingenden US-Daktari-Namen?

Zum Stil, das ist sehr gut geschrieben, und ich hab da nichts gefunden, was mir gar nicht gefiel. 1 Anmerkung zu deiner Art und Weise, den Konjunktiv zu verwenden:

ihr Gang hatte etwas Tapsiges, als ob sie sich vor jedem Schritt in die Welt fürchten würde. Als ob sie jedem trauen würde, der ihr über den Weg lief, aber gleichzeitig auch, als ob sie sich vor dem Grundsätzlichem im Leben fürchten würde.
Dieses 'würde' lese ich stets als etwas in der Zukunft Potentielles. Etwas, das möglicherweise so kommt. Ich denke du meinst aber, dass es die Vermutung zu etwas ist, das bereits ist.
In dem Fall finde ich, sollte die Konjunktivform so aussehen:

(...) ihr Gang hatte etwas Tapsiges, als ob sie sich vor jedem Schritt in die Welt fürchte. Als ob sie jedem traue(n würde), der ihr über den Weg lief, aber gleichzeitig auch, als ob sie sich vor dem Grundsätzlichem im Leben fürchte.

Wie sehen das andere?

Nur manches war mir zu viel, wie etwa:
nachdem seine Frau 1998 an Bauchdeckenkrebs erkrankt und wenige Wochen später verstorben war
Das Jahr ist irrelevant und einfach nur "Krebs" liest sich leichter. Wo der Tumor sitzt, ändert ja nix an der Handlung.
Hier bin ich btw anderer Meinung als MorningDew. Ich meine, gerade weil das Jahr genannt wird, gerade weil die Krebsart beiläufig genannt ist und nicht einfach nur 'Krebs' dasteht, klingt das authentisch. Es wird ja nicht weiter ausgeführt, das wär dann irrelevant. Aber so lapidar kann das stehen bleiben.


Insgesamt hat es mir Spaß gemacht, in das Ding einzutauchen, aber leicht zu lesen ist das nicht, da braucht's schon einiges an Fokus ;)

Gruß von Flac

 
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Hallo @zigga

Deine Geschichte hat mich durchaus angesprochen. Ich finde den Text an und für sich gut gelungen, hatte jedoch zu Anfang etwas Mühe, in die Story hineinzufinden. Das lag vor allem an zwei 'Problemen', die eng miteinander verbunden sind und die ich nachfolgend aufliste. Was ich sehr interessant an dem Text finde: Ich habe die Geschichte zweimal gelesen und für mich haben sich daraus zwei verschiedene Lesarten ergeben. Beim ersten Durchgang habe ich eher schnell gelesen und beim zweiten Mal langsamer und konzentrierter. Weiter unten habe ich aufgeschrieben, wie ich die Story jeweils interpretiert habe. Hinweis: Die anderen Kommentare habe ich noch nicht gelesen und hoffe, es doppelt sich nicht allzu viel.

Zuerst also was mich auf den ersten Blick etwas gestört hat:

1.) Die Häufigkeit der Namen. Jim und Joe. Die kommen mir einfach zu oft vor, was den Text für mich in erster Linie sehr monoton werden lässt. Allein im ersten Absatz hast Du bspw. 18x Jim drin. Das ist mir zu viel und teilweise verwendest Du Namen auch, wo es eigentlich klar ist, wer oder wessen Vater, Mutter oder Tante gemeint ist. Da könntest Du einiges aussortieren.

2.) Was die Monotonie für mich zusätzlich verstärkte, sind die oft gleichen Satzanfänge. Ich hatte das Gefühl, jeder zweite Satz beginne mit 'Joe' oder 'Jim'. Ich habe jetzt nochmal nachgesehen und da sind wirklich viele solcher Sätze drin. Das würde ich unbedingt variieren, um mehr Lebendigkeit in den Text zu bekommen. Ein Beispiel am zweiten Absatz: Das sind 13 Sätze, 7 davon beginnen mit 'Joe' oder 'Jim', also über die Hälfte davon. Das ist mir eindeutig zu viel und hat sich sehr schnell abgenutzt, weil das auf mich dann wie eine Aufzählung wirkt.

* * *

Etwas Mühe hatte ich auch mit der Ähnlichkeit der beiden Namen. Am Anfang konnte ich Jim und Joe noch gut auseinanderhalten, weil sie nacheinander eingeführt werden, aber irgendwann verschwamm für mich die Grenze zwischen den beiden und ich wusste beim Lesen plötzlich nicht mehr, wer jetzt Jim ist und wer Joe. Selbst wenn das mit den Namen so akribisch weitergeführt wird, wie am Anfang, aber es verwirrte mich zunehmend, gerade auch, weil die Namen eben so oft genannt werden und der Erzähler zwischen den beiden hin- und herspringt ... Letztendlich erachte ich das aber auch als eine Stärke des Textes, siehe Interpretation weiter unten.

Ich finde den Text nicht unbedingt schräg oder seltsam, eher verwirrend (aber auf die gute Art). Es kann aber auch sein, dass ich das so wahrnehme, weil ich mir in letzter Zeit (zu?) viel extrem weirdes Zeug reingezogen habe, wer weiss :D Da steckt schon einiges drin, wo ich anknüpfen konnte. Jim wird für mich gut greifbar und auch Joe passt mit seiner Gegensätzlichkeit super in die Story. Was die Handlung anbetrifft, bin ich mir nicht ganz sicher, wie ich sie deuten soll: Ich habe den Text wie gesagt zweimal auf verschiedene Art und Weise gelesen. Unten schreibe ich noch bisschen was zu meiner Interpretation des Textes, aber erst mal ein wenig

Kleinkram

ihn dastehen und seinen Schwanz masturbieren sah
Das Wort 'masturbieren' passt für mich nicht in den Kontext, der Erzähler gebraucht auch Wörter wie 'ficken' oder 'Schwanz', da würde er hier vielleicht eher von 'wichsen' oder 'an seinem Schwanz rumspielen' reden.

fiel es ihm schwer, seine Gedanken zu Wort zu bringen
[...] fiel es ihm schwer, seine Gedanken in Worte zu fassen. Das andere klingt seltsam, kann aber vielleicht am Regiolekt liegen? Auch wenn ich da jetzt sonst nicht viel Regionales rauslesen kann.

ihr Gang hatte etwas Tapsiges, als ob sie sich vor jedem Schritt in die Welt fürchten würde. Als ob sie jedem trauen würde, der ihr über den Weg lief, aber gleichzeitig auch, als ob sie sich vor dem Grundsätzlichem[n] im Leben fürchten würde.
Falscher Fall. Vor dem Grundsätzlichen. Hier finde ich die Charakterisierung von Jacky nicht ganz rund. Das liegt daran, dass der Erzähler zuerst sagt, sie hat einen Gang, als fürchte sie sich vor jedem Schritt in die Welt. Im nächsten Satz wird aber gesagt, dass sei, als ob sie jedem (ver-)trauen würde, der ihr über den Weg läuft. Das beisst sich für mich. Wenn sich jemand vor jedem Schritt in die Welt fürchtet, dann schliesst das für mich Vertrauen in andere erst mal aus. Zumindest ist es für mich jemand, der längere Zeit braucht, bis er oder sie Vertrauen zu anderen fassen, aufbauen kann. Hier passiert das aber sehr direkt, weil der Erzähler den Eindruck hat, sie vertraue gleich jedem, den sie nur flüchtig kennt, der ihr auch nur über den Weg läuft. Oder lese ich die Stelle falsch?

hinüber zu McDonald’s und bestellten Cheese Burger, Pommes Frites und Milkshakes
Hast Du eine Vorliebe für McDonalds? :D Ich glaube, das taucht immer wieder in deinen Texten auf (bei Stagehands aber auch bei älteren Werken, die ich von Dir gelesen habe). Ist natürlich eine neutrale Anmerkung, vollkommen wertfrei. Es passt wohl gut in die Millieus, von denen Du erzählst. Auch andere Fast-Food-Ketten kommen öfters vor, habe ich bemerkt. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass Du das extra bringst, um für mich als Leser gleich Assoziationen zu wecken. Denn jede/r war schon mal bei Mäcces (und verbindet damit eigene Erinnerungen, bestimmte Gefühle etc.) :p

Sie tippte auf die Art, dass Jim wusste, dass Jacky mit ihrer Cousine telefonieren würde, sobald sie fertig gefrühstückt hätten.
Da bin ich etwas über das Satzende mit 'hätten' gestolpert. Es liest sich für mich so, als würden sie nicht zu Ende frühstücken ... Bin aber vielleicht nur ich. Würde es jedenfalls mit 'hatten' ersetzen.

Sie sprach schnell und leise, dann hörte sie einen Moment ins Telefon.
Sie hörte einen Moment ins Telefon: Vielleicht wäre besser 'sie horchte einen Moment'? Aber es geht sicherlich beides.

Durch die Tür hörte er Jackys Stimme; als hätte er Wasser in den Ohren. Als stünde er noch immer in dem Fluss, und hätte Wasser in den Ohren.
Das erste 'Wasser in den Ohren' streichen. Mein Vorschlag für den zweiten Satz: Sie klang, als stünde er noch immer im Fluss und hätte Wasser in den Ohren.

Im Treppenhaus blieb er für einen Augenblick am großen Fenster stehen – hinter ihm[,] die Stufen aufwärts, die Wohnungstür.
Liest sich für mich nicht wirklich rund. Der Erzähler sagt, Jim bleibt am grossen Fenster stehen, ich gehe also davon aus, dass Jim aus diesem Fenster sieht. Das kommt ja danach auch, aber erst mal wird erzählt, was hinter Jim liegt. Das fand ich von der Reihenfolge nicht passend. Dann würde ich auch das Komma wegmachen, damit der zweite Satzteil weniger abgehackt klingt.

Die Pflastersteine dort glänzten vor Frost.
Wieso 'dort'? Das ist doch irrelevant. Der Satz ist viel schöner ohne.

Jim dachte an eintausend kleine Papierschnipsel und an einen weißen, leuchtenden Punkt.
Ich weiss nicht, dieses Bild mit den Papierschnipseln, die auf ein leuchtendes Zentrum zuwirbeln, kommt für mich irgendwo zu spät im Text (an sich gefällt es mir aber gut!). Darauf läuft die Geschichte ja hinaus. Für mich kam es an der Stelle zu plötzlich. Vielleicht müsste es zu Anfang schon irgendwie aufgegriffen werden, damit das einen runderen Bogen zum Schluss ergibt. Also dass dieser Wirbel, dieser Sog, schon von Beginn weg spürbarer ist, dass die Geschichte mehr Zug auf dieses Zentrum hin hat, das hätte ich stark (oder besser: stärker) gefunden. Vielleicht geht das aber nur mir so. Das an der Stelle nur als kurzer Hinweis, ich schreibe weiter unten noch etwas dazu.

spürte kalten Schweiß sich auf sein Gesicht legen
spürte kalten Schweiß auf dem Gesicht oder sowas in die Richtung. Ich erwische mich auch oftmals dabei, aber ich würde das Wörtchen 'sich' so gut es geht vermeiden. Macht für mich Sätze nur umständlicher, so wie auch in diesem Fall.

Ich habe oben geschrieben, dass ich Mühe hatte, Jim und Joe auseinanderzuhalten. Das war aber nur beim ersten, schnelleren Lesen der Fall. Beim zweiten Mal wurde für mich deutlich(er), dass die Geschichte aus Jims Sicht erzählt wird bzw. der Erzähler Jims Sicht einnimmt. Beim ersten Lesen hat's mich aber wie gesagt etwas verwirrt und Jim und Joe verschwammen ineinander. Deshalb war meine erste Interpretation auch so, dass Jim und Joe eigentlich die gleiche Person sind, also das Jim auf eine Art schizophren ist und Joe ein alter Ego von ihm (seine Vorstellung davon, wer er gerne sein würde). Das würde auf den ersten Blick auch zum Ende passen: Jacky ist schwanger und ihn zerreisst es innerlich, ein Teil von ihm will versuchen, diese Verantwortung zu übernehmen, mit dem alten Leben irgendwo abschliessen, auch wenn er sich in die Hosen scheisst, aber der andere Teil fürchtet sich so sehr vor diesen Konsequenzen, oder will sich halt mit aller Macht davor drücken, dass er abhauen muss, mit dem VW davonfahren, weit weg nach Marokko. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das die Intention war (trotz ein paar Hinweisen, die ich dazu gefunden habe). Nichtsdestotrotz hätte es mir (noch) besser gefallen, wenn der Text verstärkt diese Schiene gefahren wäre, Jim und Joe noch mehr ineinander verwischt worden wären ... Würde auch gut zu diesem Sog, hin zu dem wirbelnden Zentrum, passen. Und am Ende legen sich Jim und Joe übereinander, werden eins sozusagen ... Aber das wäre dann wohl eine andere Geschichte geworden (?). An dieser Stelle lese ich es u. a. so, dass

Jim hatte: »Joe« gesagt, und Jacky hatte genickt und: »Ah« gesagt.
sich Jim mit seinem Namen vorstellt und er sagt Joe. Für mich ein Hinweis, das Jim und Joe dieselbe Person sind. Es gibt noch mehr solcher 'Überschneidungen' (siehe unten), fand ich echt spannend. Hätte mir aber gerne noch ein paar mehr Hinweise dazu gewünscht ... Oder vielleicht sehe ich hier wirklich etwas, was eigentlich gar nicht da ist? Auf jeden Fall machte das die Geschichte für mich umso interessanter.

Bei meinem zweiten Durchgang las ich es so, dass Jim Angst vor dem Weggehen Joes und vor seiner eigenen Zukunft hat. Auf die Trennung der beiden steuert die Geschichte zu. Jim kann nicht mit ihm mitgehen und so wie ich es lese, hat Jim auch nicht unbedingt andere Freunde. Ihm wird also durch den Roadtrip Joes (und auch durch die Schwangerschaft Jackies) der bekannte Teil seines Lebens entrissen. Was ihm bleibt, ist Jacky und sein Kind, aber das ist dagegen unbekanntes Territorium. Joe kennt er seit der Kindheit und es macht ihm deshalb Angst, weil er zurückgelassen wird, weil er sich ohne Joe allein fühlt. Jim hat ja immer zu Joe aufgesehen, weil der gut mit Frauen konnte, weil der gut aussah, weil der keine Scham hatte (z.B. seinen Schwanz zu zeigen vor ihm). Das leuchtende Zentrum, auf das alles zusteuert, ist dieser Zeitpunkt, wenn Joe aufbricht. Die Papierschnipsel sind die gemeinsamen Erlebnisse und Erinnerungen, die von diesem leuchtenden Wirbel aufgesogen werden. Mit Joes Aufbruch droht das alles in diesem Loch zu verschwinden und im Nichts zu verpuffen. Davor hat Jim Angst, deshalb wird ihm schlecht und er kotzt vor die Garage (oder kotzt er wegen des Vodkas und Jim und Joe sind tatsächlich ein und dieselbe Person? *kopfkratz* ;)). Es könnte sein, dass Joe deshalb weggeht, weil er weiss, dass Jim bald ein anderes Leben wird führen müssen als bisher und er Angst hat, dass ihm früher oder später nichts mehr bleibt. Deshalb flüchtet er lieber, lässt Jim zurück, bevor dieser ihn zurücklassen kann.

Frag mich nicht wieso genau, doch die Namen Jim und Joe haben mich irgendwie an Max und Moritz erinnert. Ja, das würde für mich gut passen (auch wenn die beiden jetzt nicht unbedingt als Lausbuben charakterisiert werden und deine Story alles andere als eine Kindergeschichte ist). Gut gelungen finde ich die Gegensätzlichkeit von Jim und Joe. Jim der Probleme mit seinem Äusseren hat, unsicher ist, er findet sich zu dünn, hat Angst davor, dass andere, insbesondere wohl die Frauen, sich davor ekeln könnten. Das zeigt auch die Szene am Fluss, wo er Joes Schwanz sieht, er selbst hat Hemmungen, sich vor anderen nackt zu zeigen. Dagegen Joe, der diese Hemmungen nicht zu kennen scheint, der sich nicht dafür schämt, wie er aussieht, den Jim auch als besser gebaut wahrnimmt. Diese Gegenüberstellung fand ich spannend zu lesen. Eigentlich möchte Jim ja mehr so sein wie Joe. Ich denke, insgeheim will er mit Joe auf diesen Trip nach Marokko aufbrechen und vor der Verantwortung flüchten. Ich lese nicht raus, dass die Schwangerschaft gewollt ist. Dafür freut sich Jim viel zu wenig, oder ja, eigentlich gar nicht. Auch spannend, dass es Jim ist, der Vater wird, obwohl Joe derjenige ist, der öfters was mit Frauen am laufen hat. Auch hier war für mich so ein Punkt: Joe vögelt mit den Mädchen/Frauen ohne Kondom, das bleibt folgenlos, aber Jim wird dann Vater. Sind die beiden ein und dieselbe Person? :hmm:

Du siehst, mich hat die Geschichte einigermassen verwirrt, aber in einem durchaus positiven Sinne. Also die Handlung hat mir sehr gut gefallen, die ich ja sogar auf zwei verschiedene Arten lesen konnte, aber dazu steht leider mein Problem mit der anfangs angesprochenen Monotonie, die mich etwas gestört hat, bei beiden Lesedurchgängen. Beim zweiten lesen war's schon besser, trotzdem würde ich da noch an diversen Sätzen feilen, um den Text lebendiger zu gestalten und mehr Variation reinzubringen. Schon allein das würde für mich aus einem guten Text einen sehr guten machen, denke ich, weil für mich Stil einfach enorm wichtig ist (lese manchmal auch Bücher oder Texte, die mich im ersten Moment inhaltlich gar nicht unbedingt ansprechen, wo mich aber der geile Stil sofort dranbleiben lässt und es dann insgesamt trotzdem zu einem sehr guten Leseerlebnis führt).

Am geilsten hätte ich aber gefunden, wenn der Text gegen Ende hin immer 'surrealer' geworden wäre (gipfelnd im Auge der fremden Sonne und den wirbelnden Papierschnipseln, das fand ich top!) und sich irgendwann rausgestellt hätte, dass Jim und Joe dieselbe Person sind. Oder das zumindest etwas stärker angedeutet worden wäre und für mich die Frage, ob Joe tatsächlich existiert, mehr in der Schwebe gehalten würde. Da sind schon sehr gute Ansätze vorhanden, denke ich, und mit ein paar Schnittstellen mehr könnte das weiter 'verdichtet' werden, bis die beiden am Ende komplett ineinander verschwimmen. Aber ja, ist natürlich nur eine Idee. So wie der Text momentan da steht, finde ich ihn gut. Hat mir gefallen. Ich finde, es gibt aber durchaus Potential, das noch ausgeschöpft werden könnte. Vielleicht siehst Du es aber ganz anders, schlussendlich ist es natürlich dein Text und ich will da nicht zu stark reinreden.

Soweit von meiner Seite das Feedback. Entschuldige den Roman! :lol: Wünsche einen schönen Sonntag und verbleibe (in der Hoffnung, dass das jetzt nicht alles Quatsch war) mit

Besten Grüssen,
d-m

 
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Moin,

zigga,

nicht erschrecken, ich mag es nicht, wenn Literaten oder ihre Figuren in grammatische Fallen treten, die ihren Status in sprachlichen Angelegenheiten in Frage stellen können,

Muss ich mir Sorgen machen

Joe lachte, trank aus seiner Bierflasche, knöpfte seine Jacke auf und hing sie über eine Parkbank.
Hm, kann natürlich sein, dass der Sprachwandel der Vereinfachung mich heimlich überrollt hat, aber hier würd ich „und hängte sie über eine Parkbank“ empfehlen, über der die Jacke dann hing.

Aber auch der

... Silvester-Abend, nachdem Jim und Joe ein paar Biere in Joes Küche geleert hatten, …
sollte eher barrierefrei gestaltet werden (wurde bereits drauf hingewiesen).

Hier

–, die mehrere Male die Woche für Jim kochten und mit Jim nach der Schule zu Mittag aßen, wenn Jims Vater auf zweite oder dritte Schicht arbeiten musste.
klingt vom (gramm.) Fall her zumindest denkwürdig (besser "auf der zweiten oder dritten …"), oder "auf zweiter oder dritter ..."

Dann die Konjunktiefen

Jim sei so ruhig, sagte seine ältere Schwester nach einigen Wochen zu Jims Vater; sie wisse nicht, was er den ganzen Tag in seinem Zimmer tue, aber es sei schlecht, wenn ein Junge so still wäre und alles in sich hineinfräße.
lassen mich erstaunt nach dem Wechsel zwischen I (indirekter Rede) und II, Konjunktiv irrealis & potentialis, durch den in unserem Falle hier Zweifel an der Aussage mitschwingen - weniger von der Schwester als von uns teilnehmenden Beobachtern gegenüber dem Protokollierenden

Als Joe mit Jim die weiterführende Schule besuchte, wurde bei Joes Vater die Zuckerkrankheit diagnostiziert; …
nix falsch, aber m. E. hat sich Diabetes (mellitus) selbst unter nichtmedizinischem Personal durchgesetzt ...

... durch die Altstadt in das kleine Hain-Gebiet, durch das der Fluss trieb.
Warum nicht einfach „der kleine Hain“? -
Sofern nicht ein kleiner Hein dazwischen kommt ...

meint der

Friedel

 

Moin @MorningDew,

danke für dein ehrliche Einschätzung & vielen Dank fürs Lesen vorab!

leider holt mich deine Geschichte nicht ab.
Das liegt gar nicht am Thema, das finde ich gut, und auch den Schluss finde ich ziemlich gelungen, aber bis dorthin war es eine holprige Fahrt.
Verstehe ich!

Jim und Joe
Es fängt gleich mit den Namen an: Wieso Englisch, und wieso so ähnlich? Die Handlung spielt augenscheinlich in Deutschland und du versuchst, deiner Geschichte einen bodenständigen Anstrich zu geben, aber bei "Jim und Joe" erwarte ich ein komödiantisches Paar, wie Bill & Ted oder Lolek und Bolek. Passt für mich überhaupt nicht zum restlichen Ton.
Habe ich mir tatsächlich auch gedacht, ob ich das ins Deutsche packen sollte.
Ich mag die beiden Namen und das Problem ist, ich finde kein deutsche Äquivalent
Komödiantischer Ton: Interessant, hatte ich so nicht auf dem Schirm!

Die ersten Passagen sind auch sehr tellig. Ich bin da kein Dogmatiker, und an manchen Stellen ist das super, um einen Überblick zu geben. Nur manches war mir zu viel, wie etwa:

nachdem seine Frau 1998 an Bauchdeckenkrebs erkrankt und wenige Wochen später verstorben war
Das Jahr ist irrelevant und einfach nur "Krebs" liest sich leichter. Wo der Tumor sitzt, ändert ja nix an der Handlung.
Danke für den Hinweis. @FlicFlac meinte das glaube ich, er findet die Spezifizierung gut, weil sie es authentischer macht. Ich hatte noch ein paar crazy Gedanken hierzuaber ich möchte den Text natürlich nicht selbst deuten

Rechtschreibfehler habe ich nicht viele entdeckt, außer, wenn es um zusammengesetzte Wörter geht. Die schreibt man im Deutschen zusammen, nicht mit Bindestrich:

Silvester-Abend

Insulin-Pumpe

Hain-Gebiet

Service-Werkstatt

Ultraschall-Bild
Ah danke, wird geändert. Ich kann das immer gar nicht glauben, dass das wirklich die Regel ist, ich finde sie oft unleserlich

Dann wieder ein englischer Name mit J:

Stört mich hier nicht so arg, jede Jacqueline in Deutschland wird glaub auch Jacky genannt, aber hat halt wieder was unpassend Komödienhaftes.
Genau, das ist des Spitzname des Jaquelines. Komödienhaftes - krass, das hatte ich gar nicht auf dem Schirm, aber interessant, dass du es so siehst, kann man natürlich

Jim wusste, dass Joe ein solches Gesicht hatte, in das sich Kinder verliebten
:susp:
Ich weiß, wie du das meinst. Aber die Formulierung finde ich... zweideutig...
Naja! :D Sagt man das nicht so? Anders herum würde ich es für fragwürdiger halten, aber so versteht man es doch eig. wie es gemeint ist, oder?

Lesen und Schreiben strengte ihn an
"strengten"
richtig!

Es war stockdunkel, bloß das Mondlicht schimmerte auf dem dunklen und gläsernen Wasser.
Überflüssig und unpassend. Wäre das ein See bei Windstille würde es Sinn ergeben, aber ein Fluss ist ja für gewöhnlich turbulenter. Oder ist das ein breiter, gemächlicher Fluss? So oder so, ohne das Wort wird der Satz runder.
übernommen

Jacky war seit dreizehn Monaten Jims Freundin.
Das ging schnell... Es gibt zwar Leute, die da nix anbrennen lassen, aber wie viele sind das schon? Wirkt unrealistisch.
Das halte ich aber ein wenig an den Haaren herbeigezogen. Leute werden doch zu jedem Zeitpunkt schwanger, ob gewollt oder ungewollt

So viel zu meiner Kritik. Ich hoffe, du nimmst sie mir nicht zu übel :shy:
Nene :D Ja, Wiederholungen und inhaltlich ist nicht alles auserklärt, aber ich habe mir natürlich was dabei gedacht - mir ist klar, dass die Art von Text nicht für jedermann ist, das kann man natürlich kritisieren. Vielen Dank für dein Feedback, ich werde einige deiner Korrekturvorschläge übernehmen!

Hat für mich ein bisschen was von "Brokeback Mountain Light", wenn du verstehst. Dann würden die cowboymäßigen Namen von Jim und Joe sogar ein Stück weit passen ;) War das vielleicht sogar deine Absicht??
Ja, ist eine Art, wie man den Text lesen kann.

Danke fürs Feedbacken!


Hallo @FlicFlac,

vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren.

das war ein Leseereignis der etwas anderen Art; obwohl das scheinbar ein Widerspruch ist: Ich hatte Probleme beim Lesen/Verstehen deiner Geschichte und ich wurde gut hineingezogen und drin festgehalten, stets interessiert am Fortgang.
Schön! :D Ich hatte Bock, mal etwas in die Richtung zu machen. Skurril, undurchsichtig, raw, aber mit ein paar Deutungsmöglichkeiten

Dazu trug auch bei, dass dieses Jim und Joe, der Wechsel und das Hin und Her, mich anfangs konfus machte -- klingen ja ähnlich, die Namen -- wer ist wer jetzt? und wem ist was? -- und dann kommt noch Jacky -- J - J - J --; irgendwann kam ich damit besser zurecht, als ich in den Rhythmus gefunden hatte. Dass du den Effekt gewollt hast, kann ich mir auch vorstellen, warum sonst diese ähnlich klingenden US-Daktari-Namen?
Ja, hab ich mir selbst gedacht, mit den Namen, ist ein Kritikpunkt. Mich persönlich stört es vieleicht weniger, aber ich schließe auch nicht aus, dass ich die Namen ändere. Ich bräuchte etwas vom ähnlichen Sound und der Ähnlichkeit womöglich. Es ist für mich auch nicht ausgeschlossen, dass das deren Spitznamen sind bspw.

Zum Stil, das ist sehr gut geschrieben, und ich hab da nichts gefunden, was mir gar nicht gefiel. 1 Anmerkung zu deiner Art und Weise, den Konjunktiv zu verwenden:

ihr Gang hatte etwas Tapsiges, als ob sie sich vor jedem Schritt in die Welt fürchten würde. Als ob sie jedem trauen würde, der ihr über den Weg lief, aber gleichzeitig auch, als ob sie sich vor dem Grundsätzlichem im Leben fürchten würde.
Dieses 'würde' lese ich stets als etwas in der Zukunft Potentielles. Etwas, das möglicherweise so kommt. Ich denke du meinst aber, dass es die Vermutung zu etwas ist, das bereits ist.
In dem Fall finde ich, sollte die Konjunktivform so aussehen:

(...) ihr Gang hatte etwas Tapsiges, als ob sie sich vor jedem Schritt in die Welt fürchte. Als ob sie jedem traue(n würde), der ihr über den Weg lief, aber gleichzeitig auch, als ob sie sich vor dem Grundsätzlichem im Leben fürchte.

Guter Vorschlag! Übernehme ich vllt. Nachteil wäre, dass es ein wenig gehobener im Duktus klingen würde

Nur manches war mir zu viel, wie etwa:
nachdem seine Frau 1998 an Bauchdeckenkrebs erkrankt und wenige Wochen später verstorben war
Das Jahr ist irrelevant und einfach nur "Krebs" liest sich leichter. Wo der Tumor sitzt, ändert ja nix an der Handlung.
Hier bin ich btw anderer Meinung als MorningDew. Ich meine, gerade weil das Jahr genannt wird, gerade weil die Krebsart beiläufig genannt ist und nicht einfach nur 'Krebs' dasteht, klingt das authentisch. Es wird ja nicht weiter ausgeführt, das wär dann irrelevant. Aber so lapidar kann das stehen bleiben.
Danke für deine Meinung

Insgesamt hat es mir Spaß gemacht, in das Ding einzutauchen, aber leicht zu lesen ist das nicht, da braucht's schon einiges an Fokus ;)
Ja, haha, das stimmt wohl. Ist jetzt auch nicht untendiert. Ich mag es manchmal selbst solche Romane zu lesen, die das gängige Muster sprengen, ein bisschen wie ein Psilocibintrip, aber etwas aus den Motiven ergibt dann doch etwas, das anders nicht erklärbar gewesen wäre (soweit meine Hoffnung)


Guten Morgen @deserted-monkey

Aye, das ist ein Kommentar! :D Vielen herzlichen Dank dafür. Ich hab gar nichts gegen lange Kommentare. Im Gegenteil. Wenn das voller Mehrwert und Ideen steckt und nicht nur der Länge wegen geschrieben wurde, finde ich das mehr als interessant. Schön, dass du dir so viele gute Gedanken über die Story machen konntest und sie dir - entnehme ich dem Subtext - etwas geben konnte.

Deine Geschichte hat mich durchaus angesprochen. Ich finde den Text an und für sich gut gelungen, hatte jedoch zu Anfang etwas Mühe, in die Story hineinzufinden.
Verstehe ich!

Realtalk: Ich hätte hier mit viel mehr Gegenwind gerechnet. Deswegen freut es mich, dass das durchaus einige gerne gelesen haben und sich nicht von der Form und dem Inhalt abschrecken ließen.

Was ich sehr interessant an dem Text finde: Ich habe die Geschichte zweimal gelesen und für mich haben sich daraus zwei verschiedene Lesarten ergeben. Beim ersten Durchgang habe ich eher schnell gelesen und beim zweiten Mal langsamer und konzentrierter.
Super

1.) Die Häufigkeit der Namen. Jim und Joe. Die kommen mir einfach zu oft vor, was den Text für mich in erster Linie sehr monoton werden lässt. Allein im ersten Absatz hast Du bspw. 18x Jim drin. Das ist mir zu viel und teilweise verwendest Du Namen auch, wo es eigentlich klar ist, wer oder wessen Vater, Mutter oder Tante gemeint ist. Da könntest Du einiges aussortieren.
Ja, das ist eine monotone Art und ein wenig dem Duktus der Story geschuldet. Ich will mich da gar nicht rausreden.

2.) Was die Monotonie für mich zusätzlich verstärkte, sind die oft gleichen Satzanfänge. Ich hatte das Gefühl, jeder zweite Satz beginne mit 'Joe' oder 'Jim'. Ich habe jetzt nochmal nachgesehen und da sind wirklich viele solcher Sätze drin. Das würde ich unbedingt variieren, um mehr Lebendigkeit in den Text zu bekommen. Ein Beispiel am zweiten Absatz: Das sind 13 Sätze, 7 davon beginnen mit 'Joe' oder 'Jim', also über die Hälfte davon. Das ist mir eindeutig zu viel und hat sich sehr schnell abgenutzt, weil das auf mich dann wie eine Aufzählung wirkt.
same

Ich finde den Text nicht unbedingt schräg oder seltsam, eher verwirrend (aber auf die gute Art). Es kann aber auch sein, dass ich das so wahrnehme, weil ich mir in letzter Zeit (zu?) viel extrem weirdes Zeug reingezogen habe, wer weiss :D
haha, ich auch (auch wenn ich weiß, das gibt es noch mehr)

ihn dastehen und seinen Schwanz masturbieren sah
Das Wort 'masturbieren' passt für mich nicht in den Kontext, der Erzähler gebraucht auch Wörter wie 'ficken' oder 'Schwanz', da würde er hier vielleicht eher von 'wichsen' oder 'an seinem Schwanz rumspielen' reden.
Ja, könnte man machen

fiel es ihm schwer, seine Gedanken zu Wort zu bringen
[...] fiel es ihm schwer, seine Gedanken in Worte zu fassen. Das andere klingt seltsam, kann aber vielleicht am Regiolekt liegen? Auch wenn ich da jetzt sonst nicht viel Regionales rauslesen kann.
krass, was alles Regional ist! Ich kenne das Wortbild

ihr Gang hatte etwas Tapsiges, als ob sie sich vor jedem Schritt in die Welt fürchten würde. Als ob sie jedem trauen würde, der ihr über den Weg lief, aber gleichzeitig auch, als ob sie sich vor dem Grundsätzlichem[n] im Leben fürchten würde.
Falscher Fall. Vor dem Grundsätzlichen. Hier finde ich die Charakterisierung von Jacky nicht ganz rund. Das liegt daran, dass der Erzähler zuerst sagt, sie hat einen Gang, als fürchte sie sich vor jedem Schritt in die Welt. Im nächsten Satz wird aber gesagt, dass sei, als ob sie jedem (ver-)trauen würde, der ihr über den Weg läuft. Das beisst sich für mich. Wenn sich jemand vor jedem Schritt in die Welt fürchtet, dann schliesst das für mich Vertrauen in andere erst mal aus. Zumindest ist es für mich jemand, der längere Zeit braucht, bis er oder sie Vertrauen zu anderen fassen, aufbauen kann. Hier passiert das aber sehr direkt, weil der Erzähler den Eindruck hat, sie vertraue gleich jedem, den sie nur flüchtig kennt, der ihr auch nur über den Weg läuft. Oder lese ich die Stelle falsch?
Ja, stimmt schon, ich dachte mir, aber manchmal haben Menschen so eine Gegensätzlichkeit, die sie auch ausstrahlen, manche Menschen wirken völlig naiv, aber gleichzeitig misstrauisch, vllt müsste ich das anders rüberbringen

hinüber zu McDonald’s und bestellten Cheese Burger, Pommes Frites und Milkshakes
Hast Du eine Vorliebe für McDonalds? :D Ich glaube, das taucht immer wieder in deinen Texten auf (bei Stagehands aber auch bei älteren Werken, die ich von Dir gelesen habe). Ist natürlich eine neutrale Anmerkung, vollkommen wertfrei. Es passt wohl gut in die Millieus, von denen Du erzählst. Auch andere Fast-Food-Ketten kommen öfters vor, habe ich bemerkt. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass Du das extra bringst, um für mich als Leser gleich Assoziationen zu wecken. Denn jede/r war schon mal bei Mäcces (und verbindet damit eigene Erinnerungen, bestimmte Gefühle etc.) :p
Ja, ich liebe McDonalds
Ich mag den Laden auch einfach aufgrund des Symbols. Also bei Getränken könnte da vllt Coca Cola mitmischen, aber das ist wesentlich weniger Emotionsaufgeladen. Es gibt kaum ein Produkt oder sogar einen Platz, der dermaßen zum Symbol für eine gewisse Zeit, Gesellschaftsidee steht. Dazu kommt, dass jeder persönliche, intime Emotionen gegenüber McDonalds besitzt, oft aus der Kindheit, zumindest in meiner Kaste, haha. Also, das steckt alles drin, Freude, Ausbeutung, US-Imperialismus, eigentlich die Kernwerte und genauso Kernirrtümer und Hässlichkeiten des Westens im 20./21. Jh.

Sie tippte auf die Art, dass Jim wusste, dass Jacky mit ihrer Cousine telefonieren würde, sobald sie fertig gefrühstückt hätten.
Da bin ich etwas über das Satzende mit 'hätten' gestolpert. Es liest sich für mich so, als würden sie nicht zu Ende frühstücken ... Bin aber vielleicht nur ich. Würde es jedenfalls mit 'hatten' ersetzen.
gekauft

Sie sprach schnell und leise, dann hörte sie einen Moment ins Telefon.
Sie hörte einen Moment ins Telefon: Vielleicht wäre besser 'sie horchte einen Moment'? Aber es geht sicherlich beides.
ebenso

Durch die Tür hörte er Jackys Stimme; als hätte er Wasser in den Ohren. Als stünde er noch immer in dem Fluss, und hätte Wasser in den Ohren.
Das erste 'Wasser in den Ohren' streichen. Mein Vorschlag für den zweiten Satz: Sie klang, als stünde er noch immer im Fluss und hätte Wasser in den Ohren.
Gut!

Jim dachte an eintausend kleine Papierschnipsel und an einen weißen, leuchtenden Punkt.
Ich weiss nicht, dieses Bild mit den Papierschnipseln, die auf ein leuchtendes Zentrum zuwirbeln, kommt für mich irgendwo zu spät im Text (an sich gefällt es mir aber gut!). Darauf läuft die Geschichte ja hinaus. Für mich kam es an der Stelle zu plötzlich. Vielleicht müsste es zu Anfang schon irgendwie aufgegriffen werden, damit das einen runderen Bogen zum Schluss ergibt. Also dass dieser Wirbel, dieser Sog, schon von Beginn weg spürbarer ist, dass die Geschichte mehr Zug auf dieses Zentrum hin hat, das hätte ich stark (oder besser: stärker) gefunden. Vielleicht geht das aber nur mir so. Das an der Stelle nur als kurzer Hinweis, ich schreibe weiter unten noch etwas dazu.
Ein guter Gedanke. Vielleicht schwer umsetzbar, leider

spürte kalten Schweiß sich auf sein Gesicht legen
spürte kalten Schweiß auf dem Gesicht oder sowas in die Richtung. Ich erwische mich auch oftmals dabei, aber ich würde das Wörtchen 'sich' so gut es geht vermeiden. Macht für mich Sätze nur umständlicher, so wie auch in diesem Fall.
Du hast Recht!

Ich habe oben geschrieben, dass ich Mühe hatte, Jim und Joe auseinanderzuhalten. Das war aber nur beim ersten, schnelleren Lesen der Fall. Beim zweiten Mal wurde für mich deutlich(er), dass die Geschichte aus Jims Sicht erzählt wird bzw. der Erzähler Jims Sicht einnimmt. Beim ersten Lesen hat's mich aber wie gesagt etwas verwirrt und Jim und Joe verschwammen ineinander. Deshalb war meine erste Interpretation auch so, dass Jim und Joe eigentlich die gleiche Person sind, also das Jim auf eine Art schizophren ist und Joe ein alter Ego von ihm (seine Vorstellung davon, wer er gerne sein würde). Das würde auf den ersten Blick auch zum Ende passen: Jacky ist schwanger und ihn zerreisst es innerlich, ein Teil von ihm will versuchen, diese Verantwortung zu übernehmen, mit dem alten Leben irgendwo abschliessen, auch wenn er sich in die Hosen scheisst, aber der andere Teil fürchtet sich so sehr vor diesen Konsequenzen, oder will sich halt mit aller Macht davor drücken, dass er abhauen muss, mit dem VW davonfahren, weit weg nach Marokko. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das die Intention war (trotz ein paar Hinweisen, die ich dazu gefunden habe). Nichtsdestotrotz hätte es mir (noch) besser gefallen, wenn der Text verstärkt diese Schiene gefahren wäre, Jim und Joe noch mehr ineinander verwischt worden wären ... Würde auch gut zu diesem Sog, hin zu dem wirbelnden Zentrum, passen. Und am Ende legen sich Jim und Joe übereinander, werden eins sozusagen ...
Ach, freut mich voll, dass du es so gelesen hast! :D Ich werde keine Deutung von mir sagen, aber deine ist durchaus legitim. Ich meine, der Text muss aus sich heraus funktionieren, und nicht mit mir als Erklärer daneben. Nee, ist eine schöne lesart, die mich freut

Bei meinem zweiten Durchgang las ich es so, dass Jim Angst vor dem Weggehen Joes und vor seiner eigenen Zukunft hat. Auf die Trennung der beiden steuert die Geschichte zu. Jim kann nicht mit ihm mitgehen und so wie ich es lese, hat Jim auch nicht unbedingt andere Freunde. Ihm wird also durch den Roadtrip Joes (und auch durch die Schwangerschaft Jackies) der bekannte Teil seines Lebens entrissen. Was ihm bleibt, ist Jacky und sein Kind, aber das ist dagegen unbekanntes Territorium. Joe kennt er seit der Kindheit und es macht ihm deshalb Angst, weil er zurückgelassen wird, weil er sich ohne Joe allein fühlt. Jim hat ja immer zu Joe aufgesehen, weil der gut mit Frauen konnte, weil der gut aussah, weil der keine Scham hatte (z.B. seinen Schwanz zu zeigen vor ihm). Das leuchtende Zentrum, auf das alles zusteuert, ist dieser Zeitpunkt, wenn Joe aufbricht. Die Papierschnipsel sind die gemeinsamen Erlebnisse und Erinnerungen, die von diesem leuchtenden Wirbel aufgesogen werden. Mit Joes Aufbruch droht das alles in diesem Loch zu verschwinden und im Nichts zu verpuffen. Davor hat Jim Angst, deshalb wird ihm schlecht und er kotzt vor die Garage (oder kotzt er wegen des Vodkas und Jim und Joe sind tatsächlich ein und dieselbe Person? *kopfkratz* ;)). Es könnte sein, dass Joe deshalb weggeht, weil er weiss, dass Jim bald ein anderes Leben wird führen müssen als bisher und er Angst hat, dass ihm früher oder später nichts mehr bleibt. Deshalb flüchtet er lieber, lässt Jim zurück, bevor dieser ihn zurücklassen kann.
Ach die Deutung ist sehr schön. Vielen Dank fürs Teilen, ist für mich auch sehr interessant, wie andere den Text lesen

Gut gelungen finde ich die Gegensätzlichkeit von Jim und Joe. Jim der Probleme mit seinem Äusseren hat, unsicher ist, er findet sich zu dünn, hat Angst davor, dass andere, insbesondere wohl die Frauen, sich davor ekeln könnten. Das zeigt auch die Szene am Fluss, wo er Joes Schwanz sieht, er selbst hat Hemmungen, sich vor anderen nackt zu zeigen. Dagegen Joe, der diese Hemmungen nicht zu kennen scheint, der sich nicht dafür schämt, wie er aussieht, den Jim auch als besser gebaut wahrnimmt. Diese Gegenüberstellung fand ich spannend zu lesen. Eigentlich möchte Jim ja mehr so sein wie Joe. Ich denke, insgeheim will er mit Joe auf diesen Trip nach Marokko aufbrechen und vor der Verantwortung flüchten. Ich lese nicht raus, dass die Schwangerschaft gewollt ist. Dafür freut sich Jim viel zu wenig, oder ja, eigentlich gar nicht. Auch spannend, dass es Jim ist, der Vater wird, obwohl Joe derjenige ist, der öfters was mit Frauen am laufen hat. Auch hier war für mich so ein Punkt: Joe vögelt mit den Mädchen/Frauen ohne Kondom, das bleibt folgenlos, aber Jim wird dann Vater. Sind die beiden ein und dieselbe Person? :hmm:
:lol:

Du siehst, mich hat die Geschichte einigermassen verwirrt, aber in einem durchaus positiven Sinne. Also die Handlung hat mir sehr gut gefallen, die ich ja sogar auf zwei verschiedene Arten lesen konnte, aber dazu steht leider mein Problem mit der anfangs angesprochenen Monotonie, die mich etwas gestört hat, bei beiden Lesedurchgängen. Beim zweiten lesen war's schon besser, trotzdem würde ich da noch an diversen Sätzen feilen, um den Text lebendiger zu gestalten und mehr Variation reinzubringen. Schon allein das würde für mich aus einem guten Text einen sehr guten machen, denke ich, weil für mich Stil einfach enorm wichtig ist (lese manchmal auch Bücher oder Texte, die mich im ersten Moment inhaltlich gar nicht unbedingt ansprechen, wo mich aber der geile Stil sofort dranbleiben lässt und es dann insgesamt trotzdem zu einem sehr guten Leseerlebnis führt).
Super, danke!

Am geilsten hätte ich aber gefunden, wenn der Text gegen Ende hin immer 'surrealer' geworden wäre (gipfelnd im Auge der fremden Sonne und den wirbelnden Papierschnipseln, das fand ich top!) und sich irgendwann rausgestellt hätte, dass Jim und Joe dieselbe Person sind.
Ja, schwierig. Ich fand die Dosis an Surrealität ganz gut, weil sie noch uneindeutig ist, weil man sich - wie vllt auch Jim - noch fragen muss: Ist das die Realität? Oder schon surreal? Du wünscht dir mehr Eindeutigkeit, was ich verstehe - ich denke mir nur, dass man mit Eindeutigkeit und Klarheit vorsichtig umgehen muss, also es kommt natürlich drauf an, welche Art von Text man schreiben möchte, bei Realismus oder so ist das natürlich super, bei anderen Geschichten kann das oft auch übererklärend oder störend wirken - meine Meinung

Viele Grüße
zigga

 

Hi @zigga !

Danke für den Hinweis. @FlicFlac meinte das glaube ich, er findet die Spezifizierung gut, weil sie es authentischer macht. Ich hatte noch ein paar crazy Gedanken hierzuaber ich möchte den Text natürlich nicht selbst deuten
Joa, das mit der Jahreszahl ist für mich auch eher ne Kleinigkeit, da bin ich in anderen Passagen heftiger gestolpert.

Naja! :D Sagt man das nicht so? Anders herum würde ich es für fragwürdiger halten, aber so versteht man es doch eig. wie es gemeint ist, oder?
Ich kenne diese Redewendung nicht. Vielleicht wieder Lokalkolorit?
Verstanden hab ich es schon. Fands halt nur seltsam formuliert.

Das halte ich aber ein wenig an den Haaren herbeigezogen. Leute werden doch zu jedem Zeitpunkt schwanger, ob gewollt oder ungewollt
Ich hatte da iwie reininterpretiert, dass alles geplant war mit Ehe und Schwangerschaft etc. Aber stimmt, hast du gar nicht geschrieben.

Habe jetzt auch verstanden, dass der Text eine Art Experiment von dir sein soll. Dass du auch anders kannst, habe ich erst heute gesehen, als ich zufällig "Stagehands" von dir gelesen habe :D (Hab da nur nicht kommentiert, weil alles Wichtige schon gesagt wurde und weil ich nix groß hinzuzufügen hätte, aber meinen Applaus hast du :bounce:)
Ich verstehe bei dem Schreibstil von "Jim und Joe" nur nicht, woraufhin du abzielst. Soll die "anfängerhafte" Schreibe den Geisteszustand des Prots widerspiegeln? Das war für mich dann aber nicht ersichtlich. Oder ist das wie bei Picasso, der als Meister wieder lernen wollte, wie ein Kind zu malen? (Ist nicht abwertend gemeint, ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass das schwerer ist als es klingt.)

Cheers,
MD

 

Moin @MorningDew

Ja, es ist ein experimentaler Text, ich bin mir auch klar, dass man damit gar nichts anfangen können kann. Habe außerhalb von WK auch schon Verrisse kassiert, haha. Also es kann gerne jeder kommen und seinen Eindruck dalassen, ist ja interessant für mich. Leider kann ich den Text nicht totdeuten, das würde ja ehrliche Feedbacks unmöglich machen, und der Text soll für sich stehen, keine Anleitung brauchen. Wenn man da nichts sieht und das für schlecht hält, kein Ding, ist ja ein Lernwert für mich. Hatte mal Bock auf so ein Teil, weil ich normal eher was wie Stagehands schreibe, aber ab Literatur auch gern mal was Experimentelles lese. Aber vor zehn Jahren konnte ich auch damit Null anfangen. Deswegen kann ich deinen Kommentar verstehen, haha.

Danke für die erneute Rückmeldung,
zigga

 

Als sie ein paar Tage darauf die Tür zu Jims Zimmer öffnete und ihn dastehen und seinen Schwanz masturbieren sah, besuchte sie – ohne Jims Vater oder Jim selbst einen Grund zu nennen – Jim nicht mehr, und Jims Großmutter war fortan die Person, die putzte, abspülte, die Wäsche wusch und mehrere Male in der Woche mit Jim zusammen zu Mittag aß.

Moin Zigga,

klingt für mich irgendwie sehr nach Donald Ray Pollock, der Sound. Finde ich gut. Das hier glaube ich aber nicht: Nur weil sie ihn einmal beim Wichsen erwischt hat? Wenn die jetzt katholisch wäre oder so ... aber finde ich übertrieben.

Seit einiger Zeit trank er Champagner; nach der Arbeit kaufte er sich beim Kiosk am Busbahnhof eine kleine Flasche, die er auf der zwanzigminütigen Busfahrt auf dem Nachhauseweg austrank. Manchmal kaufte er sich eine zweite kleine Flasche Champagner, die er trank, wenn er anschließend mit Jacky in der Küche zu Abend aß.
Champagner, Alter? Die kleine Flasche kostete doch locker 15 Euro. Ich frage mich sofort: Woher hat er die ganze Kohle. Ich meine, er trinkt sie jeden Tag! Und wäre es nicht besser, da so ein süßes Zeug zu nehmen mit noch mehr leeren Kalorien? Gösser Radler, fieses Zeug. Oder noch besser: Hefegebäck.

Ihm fiel auf, dass er noch nie den Schwanz einer seiner Kumpels gesehen hatte. Nicht aus dieser Nähe.
Mir kam dass eher so vor, als wäre Joe sein einziger Freund. Der wirkt nicht so supersozial, als hätte er viele Freunde.

Überall Löcher, so groß wie eine Faust oder so dick wie ein Schwanz.
Brauchst du gar nicht, hast du nicht nötig hier so obszön zu kommen. Lieber runterfahren.
Joe würde damit bis nach Marokko fahren. Er würde über Belgien, Frankreich, Portugal und Spanien bis auf ein Schiff in Gibraltar fahren.
Das ist der beste Satz, denn: Joe fährt. Joe ist derjenige, der die Abenteuer erlebt. Jim bleibt zuhause. Ist seine Freundin überhaupt schwanger von ihm? Man weiß es nicht. Das ist der Kern, wie ich finde.

Ist vieles, der Text. Da kommt vieles zusammen. Der Stil ist knüppelhart. Du erzählst alles aus. Das erinnert mich an Pollock, der das auch oft macht; das ist weniger Carver, da gibt es kaum Luft, kein Atemholen. Das ist dick und dicht wie ein satt belegtes Wurstbrot. Das ist halt eine Ansichtssache: manche Texte brauchen das, manche nicht. Hier ist es gut, sehr gut sogar. Manches könnte raus, wo du zu sehr erklärst, es wirkt sonst arg wie eine Charakterzeichnung und weniger wie eine in sich zusammenhängende Erzählung. Dann der Fokus: der Penis. Das kann man als homoerotische Komponente lesen - Jim idealisiert Joe, er ist, was Jim gerne wäre: attraktiv, locker, ein Macher ... da spielt oft eine erotische Komponente mit, gerade bei so maskulinen Dingen, Männlichkeitsriten, unterschwellig immer auch etwas Sexuelles dabei. Ich würde das aber nicht so aufladen, denn viel intensiver als Symbol erscheint mir der T5. Da bauen sie beide dran, aber Joe fährt in die weite Welt, wo Jim bei seiner schwangeren Verlobten bleibt; er kann diese Welt nicht verlassen, Joe schon. Joe ist von der Natur begünstigt, er ist wie er ist, und das Leben ist nicht fair. Jim muss nehmen, was er kriegen kann und ansonsten hat er wenig zu melden. Das mit dem Penis ist mir schon fast zu frontal, zu direkt, das muss nicht raus, aber es darf nicht dieses Gewicht bekommen, finde ich. Das wirkt so drängend: Hier, guck, Penis! Hast du, wie gesagt, nicht nötig.

Also, ich las irgendwo: experimenteller Text. Finde ich null. Das ist ein sehr amerikanischer Text, finde ich, sehr direkt und ehrlich, unverblümt und unverstellt. Georges Perec ist vielleicht experimentell, also DAS verstehe ich eher darunter. Das hier ist ein erzählender, geradeliniger Text, den ich sehr gerne gelesen habe, der auch leise ist, was mir besser gefällt als irgendetwas mit Gewalt oder Knarren oder Drogen (was ja auch geil ist, aber nicht immer! :D

Ist spannend zu lesen, was du so im Repertoire hast.

Gruss, Jimmy

 

Moin, @zigga ,

ich mache erst mal den ersten Absatz. Da bin ich vom Rest der Geschichte unbeeinflusst und habe einen ersten Leseeindruck in der Hand. Den Rest liefere ich nach.

Jim und Joe

Wenn man weiß, dass du oft solche Ami-Anleihen in Texten hast, vermittelt sich das. Ansonsten fällt es aber eigenartig raus. Eben weil das wirklich solche typisch fast klischeehaft amerikanischen Namen sind. Wenn sich später noch erweist, dass sie amerikanische Auswanderer sind, will ich nix gesagt haben, aber das vermute ich, um ehrlich zu sein nicht, so wie ich dich kenne :D

Jims Vater war Maschinenführer bei BOSCH und zog Jim alleine auf, nachdem seine Frau 1998 an Bauchdeckenkrebs erkrankt und wenige Wochen später verstorben war

Du hast hier einen für meinen Geschmack etwas eigentümlichen Wechsel von Detailwissen und eher unspezifischem Wissen beim Erzähler. Ich fürchte, dass das Darlings sind, die der Text, finde ich, nicht braucht. Das beißt sich geradezu. Denn die Details, genau wie das unspezifische Wissen wirken auf mich überbetont und darin zu literarisiert und den Erzählfluss störend. Vielleicht ist das aber für deine Zielgruppe irrelevant. Das musst du natürlich selbst entscheiden. Hier könntest du auch einfach 'schwer erkrankt' schreiben und den Fokus aufs Nachfolgende verlagern.

Jims Vater war zu diesem Zeitpunkt einundvierzig Jahre alt; er hatte eine ältere Schwester und eine siebzigjährige Mutter – Jims Tante und Großmutter –, die mehrere Male die Woche für Jim kochten
Joes Vater war ein rundlicher Belgier mit breitem Kreuz, der seine Frau – Joes Mutter – Ende der achtziger Jahre auf einer Fortbildung des Zentralverbandes für Deutsches Bäckerhandwerk kennenlernte. Joes Vater war Konditor und schlief bis spät in den Nachmittag, weil er in den Nächten in der Backstube im Erdgeschoss Teige und französische Süßgebäcke vorbereitete.

Hier baust du eine Parallele zwischen Jims und Joes Vater. Aber, um ehrlich zu sein, glaube ich nicht, dass das mit den Vätern in dem Ausmaß relevant ist. Im Fall der Einführung von Jims Vater überfrachtet es für mich auch die Figurenexposition der Einleitung. Das sind schöne Details, aber, ich glaube, es sind vor allem Darlings, die es nicht wirklich braucht, die der Schlankheit des Textes im Weg stehen.

es sei schlecht, wenn ein Junge so still wäre
und alles in sich hineinfräße

In beiden Fällen Konjunktiv I statt II. Entsprechend 'sei' und 'hineinfresse'.

die Zuckerkrankheit

Hier dann plötzlich ganz unspezifisch. Warum? Klar, weil es 'poetischer' klingt. Aber das entlarvt sich selbst und steht deshalb, das ist meine Argumentation, der eigentlichen Erzählung im Weg. Ich würde die Krankheitsschilderungen im Vagen lassen. Nie aussprechen, höchstens in Handlungen zeigen. Vielleicht spritzt sich einer ganz nebenbei was in den Bauch. So auf diese Weise. Dann kann ich als Leser selbst überlegen: 'Was hat er wohl. Ist das vielleicht Diabetes?'

Insulin-Pumpe

Und dann plötzlich wieder ganz konkret.

Bis hierhin erst mal die feinere Analyse des ersten Absatzes. Noch keine Wertung gegenüber dem (nachfolgenden) Text, auf den ich nach wie vor sehr gespannt bin.

Beste Grüße
Carlo

 

Joe lachte, trank aus seiner Bierflasche, knöpfte seine Jacke auf und hing sie über eine Parkbank.

Nicht erschrecken - aber hängt die Jacke immer noch da?


Friedel

 

Hey servus,

entschuldigt die lange Antwortzeit, habe eure Kommentare natürlich live verfolgt, aber ja, das Leben! :D

Hallo @Friedrichard,

vielen Dank dir fürs beständige Lesen und Kommentieren!

Joe lachte, trank aus seiner Bierflasche, knöpfte seine Jacke auf und hing sie über eine Parkbank.
Hm, kann natürlich sein, dass der Sprachwandel der Vereinfachung mich heimlich überrollt hat, aber hier würd ich „und hängte sie über eine Parkbank“ empfehlen, über der die Jacke dann hing.
gekauft!

... Silvester-Abend, nachdem Jim und Joe ein paar Biere in Joes Küche geleert hatten, …
sollte eher barrierefrei gestaltet werden (wurde bereits drauf hingewiesen).
ebenso

–, die mehrere Male die Woche für Jim kochten und mit Jim nach der Schule zu Mittag aßen, wenn Jims Vater auf zweite oder dritte Schicht arbeiten musste.
klingt vom (gramm.) Fall her zumindest denkwürdig (besser "auf der zweiten oder dritten …"), oder "auf zweiter oder dritter ..."
Das ist Mundart hier, "auf zweite Schicht gehen", deswegen werde ich es drin lassen

... durch die Altstadt in das kleine Hain-Gebiet, durch das der Fluss trieb.
Warum nicht einfach „der kleine Hain“? -
Sofern nicht ein kleiner Hein dazwischen kommt ...
Der Park hier heißt "Hain"!

Friedel, gracias!

Servus @jimmysalaryman

danke sehr fürs Lesen und Kommentieren.

klingt für mich irgendwie sehr nach Donald Ray Pollock, der Sound. Finde ich gut.
stark, freut mich! Pollock mag ich sehr.

Das hier glaube ich aber nicht: Nur weil sie ihn einmal beim Wichsen erwischt hat? Wenn die jetzt katholisch wäre oder so ... aber finde ich übertrieben.
Ist ein Punkt! Ich denke mal drüber nach

Seit einiger Zeit trank er Champagner; nach der Arbeit kaufte er sich beim Kiosk am Busbahnhof eine kleine Flasche, die er auf der zwanzigminütigen Busfahrt auf dem Nachhauseweg austrank. Manchmal kaufte er sich eine zweite kleine Flasche Champagner, die er trank, wenn er anschließend mit Jacky in der Küche zu Abend aß.
Champagner, Alter? Die kleine Flasche kostete doch locker 15 Euro. Ich frage mich sofort: Woher hat er die ganze Kohle. Ich meine, er trinkt sie jeden Tag! Und wäre es nicht besser, da so ein süßes Zeug zu nehmen mit noch mehr leeren Kalorien? Gösser Radler, fieses Zeug. Oder noch besser: Hefegebäck.
Haha, da haste mich erwischt :D Ich meinte Sekt, der ist ja günstiger, diese kleinen Sektflaschen. Du siehst, ich betrinke mich hauptsächlich mit Bier.

Überall Löcher, so groß wie eine Faust oder so dick wie ein Schwanz.
Brauchst du gar nicht, hast du nicht nötig hier so obszön zu kommen. Lieber runterfahren.
Stark, danke für die Anmerkung, ich habe es notiert und lasse mal Gras drüber wachsen und schaue es mir dann an ... ist aber ein guter Punkt

Joe würde damit bis nach Marokko fahren. Er würde über Belgien, Frankreich, Portugal und Spanien bis auf ein Schiff in Gibraltar fahren.
Das ist der beste Satz, denn: Joe fährt. Joe ist derjenige, der die Abenteuer erlebt. Jim bleibt zuhause. Ist seine Freundin überhaupt schwanger von ihm? Man weiß es nicht. Das ist der Kern, wie ich finde.
Super, schön dass du es so gelesen hast

Der Stil ist knüppelhart. Du erzählst alles aus. Das erinnert mich an Pollock, der das auch oft macht; das ist weniger Carver, da gibt es kaum Luft, kein Atemholen. Das ist dick und dicht wie ein satt belegtes Wurstbrot.
Das ist halt eine Ansichtssache: manche Texte brauchen das, manche nicht. Hier ist es gut, sehr gut sogar. Manches könnte raus, wo du zu sehr erklärst, es wirkt sonst arg wie eine Charakterzeichnung und weniger wie eine in sich zusammenhängende Erzählung.
Super, danke dir. Ja, hast recht, da könnte ich noch runterfahren

Dann der Fokus: der Penis. Das kann man als homoerotische Komponente lesen - Jim idealisiert Joe, er ist, was Jim gerne wäre: attraktiv, locker, ein Macher ... da spielt oft eine erotische Komponente mit, gerade bei so maskulinen Dingen, Männlichkeitsriten, unterschwellig immer auch etwas Sexuelles dabei. Ich würde das aber nicht so aufladen
Ist ein Punkt! Ja, Schwanz, das ist schon effekthascherisch, es hat auch etwas Billiges an sich, dieser Effekt, aber irgendwie dreht sich doch alles um den Penis, im Leben jetzt! :D Ganz freudianisch gesprochen. Aber ist ein wertvolles Feedback an der Stelle, das ich mir bei der Überarbeitung noch mal anschaue

denn viel intensiver als Symbol erscheint mir der T5. Da bauen sie beide dran, aber Joe fährt in die weite Welt, wo Jim bei seiner schwangeren Verlobten bleibt; er kann diese Welt nicht verlassen, Joe schon. Joe ist von der Natur begünstigt, er ist wie er ist, und das Leben ist nicht fair. Jim muss nehmen, was er kriegen kann und ansonsten hat er wenig zu melden. Das mit dem Penis ist mir schon fast zu frontal, zu direkt, das muss nicht raus, aber es darf nicht dieses Gewicht bekommen, finde ich. Das wirkt so drängend: Hier, guck, Penis! Hast du, wie gesagt, nicht nötig.
Schön, dass du es so liest, die Ungerechtigkeit der Anlagen, des Schicksals. Zur Schwanzthematik, ja, ich kann das nachvollziehen, ich denke mal drüber nach

Also, ich las irgendwo: experimenteller Text. Finde ich null. Das ist ein sehr amerikanischer Text, finde ich, sehr direkt und ehrlich, unverblümt und unverstellt. Georges Perec ist vielleicht experimentell, also DAS verstehe ich eher darunter. Das hier ist ein erzählender, geradeliniger Text, den ich sehr gerne gelesen habe, der auch leise ist, was mir besser gefällt als irgendetwas mit Gewalt oder Knarren oder Drogen (was ja auch geil ist, aber nicht immer! :D
Ja, experimentell ist jetzt Auslegungssache, natürlich nicht in der gesamten Makrostruktur wird hier probiert, das Rad neu zu erfinden, in meinen bescheidenen Versuchen, was Plot und Kurzprosa angeht war das - für mich! - "experimentell", ohne Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Ich schreibe ja sonst noch geradliniger im Realismus verhaftet, sage ich mal, hier habe ich versucht, mit ein bisschen anderen Mitteln etwas zu kommunizieren. Sonst ist glaube ich in meinen Stories sehr klar, um was es geht, was kommuniziert werden soll an Prämisse, Feeling, hier ist das für meine Verhältnisse etwas weirder, nebulöser gestaltet. Also, für mich ein wenig experimentell, für die Literaturwissenschaft natürlich nicht! :D

@Carlo Zwei

Vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren des Anfangs! Ich antworte, sobald dein Komm fertig ist :-)

@Friedrichard

Joe lachte, trank aus seiner Bierflasche, knöpfte seine Jacke auf und hing sie über eine Parkbank.

Nicht erschrecken - aber hängt die Jacke immer noch da?
Haha, danke für den Arschtritt. Jetzt hängt sie nicht mehr da. War einfach letzte Woche zu low energy, um hieran zu arbeiten, mea culpa.


Beste Grüße
zigga

 

Hi Zigga,

ich habe deine Geschichte gerne gelesen, immer gedacht, da passiert am Ende etwas Schreckliches, was ja nicht eintraf, worauf mich wohl die vielen Wiederholungen des Inhaltes in anderen Worten gelenkt haben. (Übrigens haben mich persönlich die vielen Wiederholungen der Namen ein wenig genervt. Viele könntest du streichen.)

Jim und Joe waren Freunde, seitdem sie neun Jahre alt waren.
Jim und Joe und Deutschland, hm.
Warum nicht Jens und Jepe?

nachdem seine Frau 1998 an Bauchdeckenkrebs erkrankt und wenige Wochen später verstorben war.
Jims Vater war zu diesem Zeitpunkt einundvierzig Jahre alt;
er hatte eine ältere Schwester und eine siebzigjährige Mutter
Als ich das gelesen hatte, fragte ich mich: Wie alt war nochmal der Vater? :-)
Ich denke jedesmal, wofür sind die Zahlen wichtig, wofür muss ich sie kennen?

sagte seine ältere Schwester
Hat er denn auch eine jüngere Schwester oder warum wird das erwähnt?

Als sie ein paar Tage darauf die Tür zu Jims Zimmer öffnete und ihn dastehen und seinen Schwanz masturbieren sah, besuchte sie – ohne Jims Vater oder Jim selbst einen Grund zu nennen – Jim nicht mehr, und Jims Großmutter war fortan die Person, die putzte, abspülte, die Wäsche wusch und mehrere Male in der Woche mit Jim zusammen zu Mittag aß.
Ein bisschen viel Jim. Soll das ein Stilmittel sein?

ohne Jims Vater oder Jim selbst einen Grund zu nennen – Jim nicht mehr, und Jims Großmutter
--> ohne seinen Vater oder ihm selbst ... Jim nicht mehr, und (die) Großmutter

zu Mittag aß.
Joes Vater war ein
Vielleicht einen Absatz einfügen, da sich die Perspektive ändert.

Am Silvester-Abend, als Jim und Joe sechsundzwanzig Jahre alt waren,
Wurde ihr Alter nicht schon mal genannt?

Seit einiger Zeit trank er Champagner; nach der Arbeit kaufte er sich beim Kiosk am Busbahnhof eine kleine Flasche,
Wohl eher (billigere) Piccolo-Fläschen, oder?

wenn er anschließend mit Jacky in der Küche zu Abend aß.
Ich kenne die ganze Familiengeschichte, das Alter, teilweise das Jahr, ihre Lebensläufe, und dann wirfst du einfach nur "Jacky" hinein? :-) Wer ist das denn nun?

Jim wusste, dass Joe ein solches Gesicht hatte, in das sich Kinder verliebten.
Wie? Kinder?

»Wenn wir’s jetzt nicht machen«, sagte Joe.
Da fehlt etwas. Entweder ein Fragezeichen oder Auslassungspunkte.

Zu Jims Entsetzen sah er plötzlich Joes Schwanz.
Was ist daran ein Entsetzen, frage ich mich. Merkwürdig. Oder ist genau dieser Schwanz etwas Besonderes?

Jims Verlobte hieß Jacky und sie war gerade zweiundzwanzig geworden.
Da führst du sie etwas verspätet ein.

Er stand ganz ruhig da und grinste zu Jim.
Kann man zu jemanden grinsen? Ist das Dialekt?

Denn alles, an das Jim dachte, waren unendlich viele, kleine Papierschnipsel; und ein weißes, leuchtendes, größer werdendes Loch
Da ist wieder das weiße, immer größer Werdende. Gefällt mir.
Sind die unendlich vielen Papierschnipsel sein Sperma? Das hätte was.

Wie gesagt hatte ich gedacht/gehofft, dass da am Fluss etwas Schlimmes passiert. Einer von den beiden ertrinkt o. ä.
Aber so gefällt es mir auch.

Schönen Abend und liebe Grüße,
GoMusic

 

Moin @GoMusic,

vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren.

ich habe deine Geschichte gerne gelesen, immer gedacht, da passiert am Ende etwas Schreckliches, was ja nicht eintraf,
Ja interessant, kann man erwarten! :D

(Übrigens haben mich persönlich die vielen Wiederholungen der Namen ein wenig genervt. Viele könntest du streichen.)
Ist ein Punkt

Jim und Joe waren Freunde, seitdem sie neun Jahre alt waren.
Jim und Joe und Deutschland, hm.
Warum nicht Jens und Jepe?
Auch ein Punkt! Ich fand keine deutschen Namen mit dem Sound, dem Hintergrund. Mein Onkel heißt mit Spitznamen Joe, ich hatte in die Richtung gedacht

nachdem seine Frau 1998 an Bauchdeckenkrebs erkrankt und wenige Wochen später verstorben war.

Jims Vater war zu diesem Zeitpunkt einundvierzig Jahre alt;

er hatte eine ältere Schwester und eine siebzigjährige Mutter
Als ich das gelesen hatte, fragte ich mich: Wie alt war nochmal der Vater? :-)
Ich denke jedesmal, wofür sind die Zahlen wichtig, wofür muss ich sie kennen?
Ja, ist ein Punkt, aber manchmal gibt es spezifische Infos in Texten, die einfach ein wenig Authentizität aufbauen, falsche Fährten legen. Aber ja, wenn es für dich nicht stimmig war, ist es notiert

Als sie ein paar Tage darauf die Tür zu Jims Zimmer öffnete und ihn dastehen und seinen Schwanz masturbieren sah, besuchte sie – ohne Jims Vater oder Jim selbst einen Grund zu nennen – Jim nicht mehr, und Jims Großmutter war fortan die Person, die putzte, abspülte, die Wäsche wusch und mehrere Male in der Woche mit Jim zusammen zu Mittag aß.
Ein bisschen viel Jim. Soll das ein Stilmittel sein?

ohne Jims Vater oder Jim selbst einen Grund zu nennen – Jim nicht mehr, und Jims Großmutter
--> ohne seinen Vater oder ihm selbst ... Jim nicht mehr, und (die) Großmutter

Ja, ist natürlich ein wenig Duktus und Stilmittel, mal sehen, evtl fahre ich das herunter

zu Mittag aß.
Joes Vater war ein
Vielleicht einen Absatz einfügen, da sich die Perspektive ändert.
gute Idee


Seit einiger Zeit trank er Champagner; nach der Arbeit kaufte er sich beim Kiosk am Busbahnhof eine kleine Flasche,
Wohl eher (billigere) Piccolo-Fläschen, oder?
richtig! geändert

Am Silvester-Abend, als Jim und Joe sechsundzwanzig Jahre alt waren,
Wurde ihr Alter nicht schon mal genannt?
Ja, ist ein wenig eine gewollte Wiederholung

Jim wusste, dass Joe ein solches Gesicht hatte, in das sich Kinder verliebten.
Wie? Kinder?
Naja, sagt man doch so. Es gibt einfach so gewisse Schläge von Menschen, die sind halt sehr beliebt bei Kindern

»Wenn wir’s jetzt nicht machen«, sagte Joe.
Da fehlt etwas. Entweder ein Fragezeichen oder Auslassungspunkte.
Ist gewollt so, Joe sagt das mit der Intonation eines Aussagesatzes, obwohl es eigentlich eine Frage ist

Er stand ganz ruhig da und grinste zu Jim.
Kann man zu jemanden grinsen? Ist das Dialekt?
ist eine gute Frage! Schlag ich nach

Denn alles, an das Jim dachte, waren unendlich viele, kleine Papierschnipsel; und ein weißes, leuchtendes, größer werdendes Loch
Da ist wieder das weiße, immer größer Werdende. Gefällt mir.
Sind die unendlich vielen Papierschnipsel sein Sperma? Das hätte was.
:D Ja könnte, man so lesen, ich halte mich aber absichtlich mit einer Deutung zurück

Wie gesagt hatte ich gedacht/gehofft, dass da am Fluss etwas Schlimmes passiert. Einer von den beiden ertrinkt o. ä.
Aber so gefällt es mir auch.
Schön, vielen Dank fürs Feedbacken

Beste Grüße
zigga

 

So jetzat. Sorry für spät.

Jim war einen knappen Kopf größer als Joe, fast einsvierundneunzig

würde man das nicht früher erwähnen?

Jim wusste, dass er für seine Größe zu wenig wog. Essen war schon immer ein Problem für ihn gewesen.

Das schreit für mich nach noch einem Satz in Rückblende.

Joe war immer
Joe hatte
Jim wusste

ganz schön repetitiv, auch wenn es zum (für mich) 'märchenhaften', 'naiven' Duktus der Story gehört.

»in Natur«

warum schweizer Anführungszeichen?

zwei warme Brötchen oder Quarktaschen von den Blechen, um sie oben nackt und mit seinem Mädchen auf dem verschwitzten Laken liegend zu verspeisen.

fand ich top

Wenn er in der Schule von einem Lehrer aufgerufen wurde, fiel es ihm schwer, seine Gedanken zu Wort zu bringen

Das fällt vom Tempus aus dem Absatz raus. Da würde ich Plusquamperfekt (aufgerufen worden war) nehmen. Abgesehen davon, frage ich mich auch, ob das sinnvoll ist, an der Stelle wieder in den Zeiten zu springen, obwohl du gerade von der Vergangenheit ins Präsens des Erzählten gekommen bist. Würde das ggf. streichen.

Joe hielt ihn nie für dumm. Joe hatte gesehen

auch hier PQP (hatte ihn nie für dumm gehalten). Zumal du ja auch im Folgesatz diese Zeitform wählst.

Er wusste, dass es Leute gab, die sich vor seinem Gesicht, seiner Größe oder seinem blanken Oberkörper ekelten

Fand ich spannend, weil es nicht gleich nachvollziehbar ist bzw. ich mir vorstellen muss, wie das aussehen könnte, damit ich mich davor ekeln würde.

»Wenn wir’s jetzt nicht machen«, sagte Joe. Er lachte und auch Jim lachte. Jim sah Joe mit seinem kräftigen Oberkörper dort im Mondlicht stehen. Wieso wollten sie ins Wasser steigen? Wie betrunken waren sie? Jim sah das Badetuch, das Joe aus seiner Wohnung mitgenommen hatte, neben sich auf der Parkbank liegen. Jim sah, wie Joe sich den Hosenlatz aufzog, seine Hose von den Beinen streifte und schließlich nackt und fröstelnd die Treppenstufen hinunter zum Fluss stieg. Auch Jim zog sich jetzt den Reißverschluss und die Hose aus. Mit einem Mal begann er sich zu schämen.

Fand ich top die Stelle.

»Ah!«, schrie Joe.

Das hat etwas unfreiwillig Komisches, weil es so tautologisch ist. "Ah" ist ungefähr das Geräusch, das man bei einem Schrei produziert. Das bräuchte man also eigentlich nicht aufschreiben.

Etwas schockierte Jim an der Tatsache, dass er Joes Penis gesehen hatte.

Das hätte ich als Motiv gut gefunden. Weiter oben, wenn ich das richtig erinnere, wurde ja Jim beim Masturbieren erwischt, was wiederum seine Tante schockiert hat. Wenn es aber Joes Penis wäre, der wiederkehrend für Irritationen sorgt, wäre das ein denkwürdiges, interessantes Motiv, finde ich :D

Jim erkannte sie an ihrem Gesicht und ihrem Gang, die sich kaum verändert hatten; die spitz zulaufenden Kieferknochen, die schmale Nase und die breiten Augenbrauen – ihr untersetzter Körper, mit der Tragetasche um die Schulter; ihr Gang hatte etwas Tapsiges, als ob sie sich vor jedem Schritt in die Welt fürchten würde. Als ob sie jedem trauen würde, der ihr über den Weg lief, aber gleichzeitig auch, als ob sie sich vor dem Grundsätzlichem im Leben fürchten würde.

Mochte diese Beschreibung.

Durch die Tür hörte er Jackys Stimme; als hätte er Wasser in den Ohren

Auch das

Und Joe sagte noch etwas, das Jim nicht mehr hörte. Denn alles, an das Jim dachte, waren unendlich viele, kleine Papierschnipsel; und ein weißes, leuchtendes, größer werdendes Loch – wie das helle Auge einer fremden Sonne oder das Licht eines Baustrahlers, der in Dunkelheit auf ihn gerichtet war – und auf das er und all die umherwirbelnden Papierschnipsel unweigerlich zusteuerten.

Ein bisschen viel der Bilder, fand ich. Hätte mir etwas Zurückhaltenderes gewünscht, um die Gesamtwirkung des Textes ungefärbter beurteilen zu können und nicht am Ende noch mal mit viel Tam Tam verwirrt zu werden.


Fand das insgesamt dennoch einen sehr guten Text. Die Beobachtungen sind gut geschrieben und die Sprache begünstigt wirklich den Lesefluss. Jim und Joe kriege ich bis zum Ende nicht ganz auseinander auch wenn du sie immer wieder beschreibst. Allein die Alliteration ihrer Namen. Ich nehme sie wie eine Person wahr. Auch kriege ich das Milieu nicht zu fassen. Da sind zu viele Paradoxe, die ich nicht aufgelöst bekomme. Sachen, die ich eher mit Bildungsbürgertum in Verbindung bringe (französische Süßwaren, mit VW Bus nach Marokko) und andere die für mich nach depriviert und Prekariat klingen (dieses unreflektierte Machogebaren, dieser Habitus vom fehlenden Selbstzugang, die Frauenfigur und einige explizite Milieu-Marker, die ich zu lesen gemeint habe).

Für mich eine treibend erzählte, märchenhafte, paradox anmutende Milieustudie, die nicht ganz klar wird in ihrem Kern. Falls es anders klingt, noch mal explizit: habe ich gerne gelesen.

Beste Grüße
Carlito

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey @zigga

Bist du ein Schlingel?

Jim trug einen Blaumann und hielt eine halb gerauchte Zigarette zwischen Daumen und Zeigefinger.
Joe trug eine schwarze Wollmütze und hielt seine Zigarette zwischen Mittel- und Zeigefinger.
Beide rauchen, aber sie tun es auf leicht verschiedene Weise. Fast identisch, aber nicht ganz.
Er hatte sie das erste Mal gesehen, als sie ihren Ford Ka zu ihm und seinen Kollegen in die Service-Werkstatt brachte. Er hatte sie gleich wiedererkannt.
Etwas mehr Konzentration, lieber zigga, habe ich mir gedacht. Dann aber:
Sie hatte ihn nicht wiedererkannt. Sie standen im Tor der Werkstatt, und sie hielt mit der einen Hand die Papiere, mit der anderen den Träger ihrer Tasche. Ihre Augen weit aufgerissen und so, dass Jim sie nicht lesen konnte: erschrocken, ängstlich; aber auch wach, wütend, neugierig.
Jim hatte: »Joe« gesagt, und Jacky hatte genickt und: »Ah« gesagt.
Natürlich kannte Jim sie bereits, bevor er sie das erste Mal gesehen hat. Er hat nämlich bereits mit ihr geschlafen. Als Tyler Durden Joe. Stimmt's?

Nachdem ich diesen Gedanken hatte, bin ich in die Kommentare und habe gesehen, dass deserted-monkey dieselbe Hypothese formuliert hat. Ich lese auch, dass du dich diesbezüglich nicht erklärt hast, was ich sehr gut verstehe. Allerdings macht es das schwierig, die Geschichte, im Detail zu kommentieren. Denn diese Lesart erklärt so einiges, was ich ansonsten vielleicht kritisch anmerken würde. Die häufige Verwendung der Vornamen: Jim muss selbst schauen, dass er das sauber auseinanderhält. Es erklärt auch, weshalb die beiden Namen so ähnlich klingen. Es erklärt auch, weshalb Jim und Joe genau gleich alt sind, zur selben Schule gegangen sind und am selben Ort arbeiten. Es erklärt auch, weshalb da am Anfang so viel Exposition gemacht wird. Zuerst werden Jims Familienverhältnisse erzählt, danach denkt sich Jim eine Alternative aus: Joes Familie. Das macht auch stilistisch Sinn, das liest sich ja wirklich so, als würde sich da jemand eine Figur ausdenken. Auch, dass er sich am Ende übergibt, obwohl gesagt wurde, dass sie nicht so viel getrunken haben. Weil Jim musste ja für zwei, haha.

Ich lese also: Jim schwängert Jacky als Joe. Jim als Jim wird sich nun um das Kind kümmern, während sich Joe aus dem Staub machen und ihn alleine lassen will. Das führt letztendlich zu Jims Zusammenbruch.
Unter dieser Prämisse - Jim und Joe stecken im selben Körper - werden die scheinbaren stiistischen Mängel auf einmal zu einem geschickt eingesetztem Instumentarium.
Ich werde mich in den Detailkommentaren auf diese Lesart festlegen und daher nicht anmerken, dass es widersprüchlich ist, wenn Jim Jacky wiedererkennt, wenn er sie doch das erste Mal sieht. (So wie ich David Fincher nicht sagen würde, hey, wenn der Erzähler und Tyler Durden in den Bus steigen, müssen sie aber zwei Tickets kaufen). Ich werde auch nicht auf stilistischen "Mängeln" herumreiten, die in meinen Augen Sinn machen - im Rahmen dieser Lesart.

Zunächst mal aber eine Reaktion auf der Basis dieser Lesart: Hat mir sehr gefallen, guter Text!

Was an dieser Interperatation halt ein wenig problematisch ist: Jim wäre sich dieser Spaltung bewusst. Es gäbe also Phasen, wo er Joe als eigenständig handelnde Person erlebt, es gäbe aber auch Momente, wo er ganz klar weiss, dass er auch Joe ist. Ansonsten könnte er sich nicht mit diesem Namen vorstellen. Ich weiss nicht, ob das insgesamt stimmig ist. Im ersten Augenblick hat mich das nicht gestört, jetzt aber denke ich mir: Hm, das ist ja noch mal eine Stufe krasser.
Nachtrag: Ein weiteres Problem ist mir noch in den Sinn gekommen. Am nächsten Morgen fragt Jacky, wie der Abend gewesen ist und er sagt, er sei mit Joe zusammengewesen. Unter welchem Namen kennt sie ihn nun, als Jim oder als Joe? Eigentlich als Joe, oder? Hm, ich weiß ehrlich gesagt gerade nicht, ob der Text insgesamt konsistent ist. Denn wenn ich die Interpretation fallen lasse, werden wiederum die anderen Stellen unstimmig.

Details:

Am Silvesterabend, nachdem Jim und Joe ein paar Biere in Joes Küche geleert hatten, beschlossen sie, zum Fluss zu gehen und in das eiskalte Wasser der Regnitz zu steigen.
Wurde glaub schon angemerkt. Mir erscheint das unnötig umständlich und redundant.
Jim und Joe waren Freunde, seitdem sie neun Jahre alt waren.
seit
– Jims Tante und Großmutter –
Das fand ich nun trotz aller Präzision bei der Klärung der Verhältnisse überflüssig.
aber es sei schlecht, wenn ein Junge so still wäre und alles in sich hineinfräße.
sei, fresse. Er tut es ja tatsächlich und darüber wird in indirekter Rede berichtet.
Joes Vater war Konditor und schlief bis spät in den Nachmittag, weil er in den Nächten in der Backstube im Erdgeschoss Teige und französische Süßgebäcke vorbereitete.
Teig vorbereiten, okay. Aber um das Süssgebäck zu machen, brauche ich ja auch einen Teig. vielleicht also "Brotteige"?
seitdem sah Joe seinen Vater immer mit dem kleinen Täschchen, in dem sich die Insulinpumpe befand, um die Hüfte gebunden durch das Haus gehen oder unten im Laden herumwerkeln.
Er sieht ihn ja schon vorher durch das Haus gehen. Neu ist das umgebundene Täschchen, aber das wird bei diesem Satz nicht deutlich genug, in meinen Augen.
Joe lachte, trank aus seiner Bierflasche, knöpfte seine Jacke auf
Ich plädiere für "die"
bloß der Kiesweg, das weiße Mondlicht, die hohen Bäume, der leise rauschende Fluss und der dicht über dem Wasser hängende Nebel umgab sie.
Das klingt wie ein Kategorienfehler. "Zähle drei Dinge auf, die in diesem Raum sind!" - "Tisch, Stuhl, Licht." Aber das bin wohl nur ich, der das seltsam findet.
Am Silvester-Abend, als Jim und Joe sechsundzwanzig Jahre alt waren
Das klingt, als wären sie nur an diesem einen Tag sechsundzwanzig.
Jims Haare waren dunkelblond und so außer Form, dass sie seit einigen Monaten einen Haarschnitt benötigt hätten.
Jim braucht einen Haarschnitt, seine Haare nur einen Schnitt, würde ich sagen.
Manchmal kaufte er sich eine zweite kleine Flasche Sekt, die er trank, wenn er anschließend mit Jacky in der Küche zu Abend aß.
Beides ist klar.
Jim wusste, dass Joe das Gefühl von Kondomen über seinem Schwanz hasste. Jim wusste, dass Joe immer auf die Mädchen einredete, bis sie es »in Natur« mit sich machen ließen.
Woher, habe ich mich zunächst gefragt, aber in meiner Lesart ist das überhaupt kein Problem. :)
Joe schlich sich, nachdem er seine Mädchen gefickt hatte, immer das Treppenhaus hinunter, in die Backstube, und fingerte zwei warme Brötchen oder Quarktaschen von den Blechen, um sie oben nackt und mit seinem Mädchen auf dem verschwitzten Laken liegend zu verspeisen.
Das bedeutet, dass er stets frühmorgens Sex mit seinen Zufallsbekanntschaften hat?
Joe redete normal mit den Mädchen, aber vor allem sah er so gut aus. So erklärte sich Jim seinen Erfolg bei den Frauen.
Dass er gut aussieht, hast du oben schon gesagt. Hier würde ich also zusammenziehen: Jim erklärte sich Joes Erfolge bei den Frauen mit dessen Schönheit (oder so ähnlich).
Jim sah, wie Joe sich den Hosenlatz aufzog, seine Hose von den Beinen streifte und schließlich nackt und fröstelnd die Treppenstufen hinunter zum Fluss stieg.
Ich würde das frösteln nur auf Jim beziehen und Joe in seiner Stärke unangetastet lassen.
Es war stockdunkel, bloß das Mondlicht schimmerte auf dem dunklen und gläsernen Wasser.
Widersprüchlich. Zudem hast du das Mondlicht oben schon erwähnt, und auch noch im nächsten Satz.
Jims Verlobte hieß Jacky
Das wissen wir bereits.
Sie lag leicht verkrümmt auf der Matratze, mit den Beinen angezogen,
"die Beine angezogen" oder "mit angezogenen Beinen"

Sehr cooles Ding! Chapeau!

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Hey @Carlo Zwei

danke vielmals fürs Lesen & Rückmelden :) Sorry für meine späte Antwort ...

Jim und Joe

Wenn man weiß, dass du oft solche Ami-Anleihen in Texten hast, vermittelt sich das. Ansonsten fällt es aber eigenartig raus. Eben weil das wirklich solche typisch fast klischeehaft amerikanischen Namen sind. Wenn sich später noch erweist, dass sie amerikanische Auswanderer sind, will ich nix gesagt haben, aber das vermute ich, um ehrlich zu sein nicht, so wie ich dich kenne :D
Ja, du hast Recht ... ich muss darüber nachdenken :D

Jims Vater war Maschinenführer bei BOSCH und zog Jim alleine auf, nachdem seine Frau 1998 an Bauchdeckenkrebs erkrankt und wenige Wochen später verstorben war

Du hast hier einen für meinen Geschmack etwas eigentümlichen Wechsel von Detailwissen und eher unspezifischem Wissen beim Erzähler. Ich fürchte, dass das Darlings sind, die der Text, finde ich, nicht braucht. Das beißt sich geradezu. Denn die Details, genau wie das unspezifische Wissen wirken auf mich überbetont und darin zu literarisiert und den Erzählfluss störend. Vielleicht ist das aber für deine Zielgruppe irrelevant. Das musst du natürlich selbst entscheiden. Hier könntest du auch einfach 'schwer erkrankt' schreiben und den Fokus aufs Nachfolgende verlagern.
Ok!

Jims Vater war zu diesem Zeitpunkt einundvierzig Jahre alt; er hatte eine ältere Schwester und eine siebzigjährige Mutter – Jims Tante und Großmutter –, die mehrere Male die Woche für Jim kochten

Joes Vater war ein rundlicher Belgier mit breitem Kreuz, der seine Frau – Joes Mutter – Ende der achtziger Jahre auf einer Fortbildung des Zentralverbandes für Deutsches Bäckerhandwerk kennenlernte. Joes Vater war Konditor und schlief bis spät in den Nachmittag, weil er in den Nächten in der Backstube im Erdgeschoss Teige und französische Süßgebäcke vorbereitete.

Hier baust du eine Parallele zwischen Jims und Joes Vater. Aber, um ehrlich zu sein, glaube ich nicht, dass das mit den Vätern in dem Ausmaß relevant ist. Im Fall der Einführung von Jims Vater überfrachtet es für mich auch die Figurenexposition der Einleitung. Das sind schöne Details, aber, ich glaube, es sind vor allem Darlings, die es nicht wirklich braucht, die der Schlankheit des Textes im Weg stehen.
Ja, verstehe!

es sei schlecht, wenn ein Junge so still wäre

und alles in sich hineinfräße

In beiden Fällen Konjunktiv I statt II. Entsprechend 'sei' und 'hineinfresse'.
gekauft

Jim war einen knappen Kopf größer als Joe, fast einsvierundneunzig

würde man das nicht früher erwähnen?
Ist ein Punkt!

Jim wusste, dass er für seine Größe zu wenig wog. Essen war schon immer ein Problem für ihn gewesen.

Das schreit für mich nach noch einem Satz in Rückblende.
ebenso

»in Natur«

warum schweizer Anführungszeichen?
gekickt

Wenn er in der Schule von einem Lehrer aufgerufen wurde, fiel es ihm schwer, seine Gedanken zu Wort zu bringen

Das fällt vom Tempus aus dem Absatz raus. Da würde ich Plusquamperfekt (aufgerufen worden war) nehmen. Abgesehen davon, frage ich mich auch, ob das sinnvoll ist, an der Stelle wieder in den Zeiten zu springen, obwohl du gerade von der Vergangenheit ins Präsens des Erzählten gekommen bist. Würde das ggf. streichen.

Joe hielt ihn nie für dumm. Joe hatte gesehen

auch hier PQP (hatte ihn nie für dumm gehalten). Zumal du ja auch im Folgesatz diese Zeitform wählst.
gekauft

Etwas schockierte Jim an der Tatsache, dass er Joes Penis gesehen hatte.

Das hätte ich als Motiv gut gefunden. Weiter oben, wenn ich das richtig erinnere, wurde ja Jim beim Masturbieren erwischt, was wiederum seine Tante schockiert hat. Wenn es aber Joes Penis wäre, der wiederkehrend für Irritationen sorgt, wäre das ein denkwürdiges, interessantes Motiv, finde ich :D
Haha, ja.

Und Joe sagte noch etwas, das Jim nicht mehr hörte. Denn alles, an das Jim dachte, waren unendlich viele, kleine Papierschnipsel; und ein weißes, leuchtendes, größer werdendes Loch – wie das helle Auge einer fremden Sonne oder das Licht eines Baustrahlers, der in Dunkelheit auf ihn gerichtet war – und auf das er und all die umherwirbelnden Papierschnipsel unweigerlich zusteuerten.

Ein bisschen viel der Bilder, fand ich. Hätte mir etwas Zurückhaltenderes gewünscht, um die Gesamtwirkung des Textes ungefärbter beurteilen zu können und nicht am Ende noch mal mit viel Tam Tam verwirrt zu werden.
Interessant!

Fand das insgesamt dennoch einen sehr guten Text. Die Beobachtungen sind gut geschrieben und die Sprache begünstigt wirklich den Lesefluss. Jim und Joe kriege ich bis zum Ende nicht ganz auseinander auch wenn du sie immer wieder beschreibst. Allein die Alliteration ihrer Namen. Ich nehme sie wie eine Person wahr. Auch kriege ich das Milieu nicht zu fassen. Da sind zu viele Paradoxe, die ich nicht aufgelöst bekomme. Sachen, die ich eher mit Bildungsbürgertum in Verbindung bringe (französische Süßwaren, mit VW Bus nach Marokko) und andere die für mich nach depriviert und Prekariat klingen (dieses unreflektierte Machogebaren, dieser Habitus vom fehlenden Selbstzugang, die Frauenfigur und einige explizite Milieu-Marker, die ich zu lesen gemeint habe).


Für mich eine treibend erzählte, märchenhafte, paradox anmutende Milieustudie, die nicht ganz klar wird in ihrem Kern. Falls es anders klingt, noch mal explizit: habe ich gerne gelesen.

Danke für das Feedback, Carlo! Viele gute Gedanken dabei. Ich hab lange überlegt, ob ich das Teil poste, weil ich es auf der einen Seite scheiße finde/fand, auf der anderen Seite aber irgendwie hat es mir gefallen und gefällt mir nach wie vor, gerade wegen den Eigentümlichkeiten. Also ist sehr interessant, wie das andere lesen und was sie dazu denken, vielen Dank hierfür. Für mich irgendwie ein schräger Text, weil ich mit meinem Realismus irgendwo ja breche, zumindest teilweise, das beginnt bei den Namen Jim und Joe, die ja hier in Deutschland nicht vorkommen, höchstens als Spitznamen (der Spitzname meines Onkels ist tatsächlich Joe). Auch ein Text, der sehr intuitiv geschrieben wurde, vielleicht intuitiver als die meisten anderen, und das gefällt mir auch daran. Aber ja, man kann ihm was vorwerfen, dem Text, man kann Schwachstellen sehen und empfinden, geht mir genauso. Danke dir jedenfalls für dein Feedback!


Hallo @Peeperkorn

vielen Dank dir fürs Lesen und Kommentieren! Ebenso Entschuldigung für die etwas längere Wartezeit, der Grund ist ziemlich dumm, ich dachte nämlich tatsächlich, ich hätte schon geantwortet ... :aua:

Bist du ein Schlingel?
Auf jeden Fall - auch abseits des Textes :D

Er hat nämlich bereits mit ihr geschlafen. Als Tyler Durden Joe. Stimmt's?
:lol:

Nachdem ich diesen Gedanken hatte, bin ich in die Kommentare und habe gesehen, dass deserted-monkey dieselbe Hypothese formuliert hat.
Ja freut mich jedenfalls, dass du diesen Text in die Richtung gelesen hast.

Ich lese auch, dass du dich diesbezüglich nicht erklärt hast, was ich sehr gut verstehe.
Ja, ich belasse es dabei und lasse das offen, wie es gemeint ist. Denn: Der Text muss für sich funktionieren, bei potentiellen Lesern außerhalb des Forums kann ich ja auch nicht daneben stehen und eine Anleitung liefern. Entweder, der Text hat eine Wirkung, oder er funktioniert nicht

Zuerst werden Jims Familienverhältnisse erzählt, danach denkt sich Jim eine Alternative aus: Joes Familie. Das macht auch stilistisch Sinn, das liest sich ja wirklich so, als würde sich da jemand eine Figur ausdenken.
Ja interessant, wie du das liest. Freut mich auch. Es erinnert mich an eine Interpretation von David Lynchs Lost Highway, nach der dort der Prot sich ebenfalls ein Alter Ego herbeifantasiert, das - im Gegensatz zu ihm selbst - sexuell potent usw. ist.

Ich lese also: Jim schwängert Jacky als Joe. Jim als Jim wird sich nun um das Kind kümmern, während sich Joe aus dem Staub machen und ihn alleine lassen will. Das führt letztendlich zu Jims Zusammenbruch.
Cool!

Unter dieser Prämisse - Jim und Joe stecken im selben Körper - werden die scheinbaren stiistischen Mängel auf einmal zu einem geschickt eingesetztem Instumentarium.
Ja freut mich. Ich frage mich halt, ob das reicht, ob der Text, wenn man das jetzt nicht so liest, auch funktionieren würde, oder ob man ihn dann für schlecht halten würde :D Aber interessante Lesart!

Zunächst mal aber eine Reaktion auf der Basis dieser Lesart: Hat mir sehr gefallen, guter Text!
Danke - auch wenn das ja heißt, unter anderer Lesart wärst du unzufrieden gewesen! :D Ist ja auch in Ordnung.

Was an dieser Interperatation halt ein wenig problematisch ist: Jim wäre sich dieser Spaltung bewusst. Es gäbe also Phasen, wo er Joe als eigenständig handelnde Person erlebt, es gäbe aber auch Momente, wo er ganz klar weiss, dass er auch Joe ist. Ansonsten könnte er sich nicht mit diesem Namen vorstellen. Ich weiss nicht, ob das insgesamt stimmig ist. Im ersten Augenblick hat mich das nicht gestört, jetzt aber denke ich mir: Hm, das ist ja noch mal eine Stufe krasser.
Nachtrag: Ein weiteres Problem ist mir noch in den Sinn gekommen. Am nächsten Morgen fragt Jacky, wie der Abend gewesen ist und er sagt, er sei mit Joe zusammengewesen. Unter welchem Namen kennt sie ihn nun, als Jim oder als Joe? Eigentlich als Joe, oder? Hm, ich weiß ehrlich gesagt gerade nicht, ob der Text insgesamt konsistent ist. Denn wenn ich die Interpretation fallen lasse, werden wiederum die anderen Stellen unstimmig.
Sind legitime Einwände!

Jim wusste, dass Joe das Gefühl von Kondomen über seinem Schwanz hasste. Jim wusste, dass Joe immer auf die Mädchen einredete, bis sie es »in Natur« mit sich machen ließen.
Woher, habe ich mich zunächst gefragt, aber in meiner Lesart ist das überhaupt kein Problem.
Ich finde aber, selbst wenn sie zwei Freunde sind, wäre das denkbar: Man erzählt sich sowas ja, zumindest, wenn man jung ist :D

Joe schlich sich, nachdem er seine Mädchen gefickt hatte, immer das Treppenhaus hinunter, in die Backstube, und fingerte zwei warme Brötchen oder Quarktaschen von den Blechen, um sie oben nackt und mit seinem Mädchen auf dem verschwitzten Laken liegend zu verspeisen.
Das bedeutet, dass er stets frühmorgens Sex mit seinen Zufallsbekanntschaften hat?
Oder am Morgen nach einer Nacht! :D

Danke auch für die Detailanmerkungen - werde dort einiges übernehmen!

Peeperkorn, vielen Dank für deine sehr wertvolle Rückmeldung. Was meine Ursprungsintention war, ich lasse das mal außen vor. Ich bin mir noch nicht ganz sicher, ob ich den Text mag, ob der nicht zu weird und widersprüchlich ist, ob die verschiedenen Lesarten was bringen oder nicht. Aber eure Kommentare sind hierzu sehr hilfreich!

Wir lesen uns
zigga

 

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