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Königliches Nichts
Vor einiger Zeit, genau genommen vor dreihunderteinundzwanzig Jahren, aber nicht direkt im Barock, sondern etwas weiter links, wurde die Tochter eines königlichen Königs Königin, weil ihr Vater verstarb.
Natürlich sollte die holde Isolde, so hieß die traurige Trauernde, bald irgendeinen am Hof untätigen Adligen heiraten, damit das Land wieder einen König hätte. Baldiger Nachwuchs war selbstverständlich auch erwünscht. Die zukünftige Braut hatte jedoch keine Lust, ihre Freiheit zu verlieren, sie sann auf eine Finte. Die Regentin versammelte die geschmückten, gepuderten, berockten, und beschnallschuhten Adligen sowie die farblos bekittelte Dienerschaft in dem prächtigen Thronsaal. Sie verkündete:
„Ich werde denjenigen Bewerber hohen Standes oder niedrigen Sitzes heiraten, der mir ein schönes Nichts als Brautgabe verehrt.“
„Wie einfach“, riefen viele Hofleute, „dann bringen wir einfach nichts!“
„Das tut ihr sowieso“, tadelte Isolde voller Hohn, „sagt erst einmal, was dieses Nichts ist, welches ihr mir geben wollt.“
Daraufhin entstand ein wirres Gemurmel, inwiefern es denn das Nichts gäbe, ob Menschen darüber überhaupt sinnvoll sprechen könnten, man gewann den Eindruck, der ganze Saal sei mit schwärmenden Bienen gefüllt.
Schließlich verschaffte sich der alte Altersminister Gehör.
Diesen Minister konnte die Regentin nicht leiden, weil er seinen Gehstock verkehrt herum spazieren trug. Außerdem faselte der Kauz irgendwas mit Fistelstimme von einem Golfspiel, welches er in Zukunft spielen wolle, mit Löchern in der Erde, die ein Nichts enthielten, weil sonst kein Ball hineinpassen würde.
„Wenn das Nichts beim Einlochen aus dem Loch verschwindet, packe ich das Ding in edles Papier und bringe es meiner verehrten Hoheit als Präsent“, triumphierte der Möchtegerngolfer. „Noch besser - ich fasse alle siebzehneinhalb Löcher zusammen, welch würdiges Geschenk.“
Die Herrscherin verzog ihr Gesicht, wie von Schmerzen geplagt, die würdigen Portraits der goldgefassten Ahnengalerie im Saal schienen ebenfalls zu leiden.
Der schlaksige Schlossastronom blinzelte mit seinen entzündeten Augen, er meinte, das Universum dehne seinen Raum ins Nichts aus, das Nichts müsse dort draußen sein, da unser Universum der Rest sei.
„Dösbaddel“, raunzte die Königin mit dem ihr eigenen Charme „es gibt kein Außerhalb, das Universum umfasst alles, also muss sich das Nichts hier befinden!“ „Wo, wo?“, riefen die Höflinge voller Begeisterung, aber Isolde rülpste nur anstelle einer Antwort.
„Mir, nun ja“, mischte sich der todschick in Schwarz gekleidete Obertheologe ein, „mir gefällt, in prinzipio der Gedanke, mit Nichts meinen wir, hmm - existenzielle Erfahrung. Kein Nichts im Bezug zu dem Etwas, sondern den Punkt, unendlich klein, zwischen ‚Jetzt’ und ‚Jetzt gleich’, ohne Qualitäten. Bewusstsein des Nicht-Seins, dadurch Wahrnehmung des Seins ermöglichend.“
„Ihn haben sie wohl aus einem Kanaldeckelloch gezogen, dass Er dermaßen hohl schwätzt?“ Die Landesherrin war stinkig. “Eine unendlich kleine Erfahrung ist keine. Verneint Er nicht das Schaffen des Schöpfers, ex nihilo, durch die Annahme, das Nichts sei höchstens eine Einsicht?“
„Niemals! Ich denke ... ich meine - das Nichts besteht eigenschaftslos. In ihm findet man keine Kausalität, weil nichts existiert, was etwas bedingen könnte. Jedes Nichts wird allenfalls mit Hilfe des reinen Seins treffend beschrieben. Wenn keine Kausalität vorhanden ist, entspringt dank Gottes Kraft alles dem Nichts, weil es keine einschränkenden Vorgaben für das Entstehen gibt …“
„In diesem Fall wird das Nichts vom Etwas aufgehoben. Vielleicht überlegt Er mal, ob es als Eigenschaft gilt, keine Eigenschaft zu besitzen. Jedenfalls, wenn Nichts keine Eigenschaft hat, besitzt Nichts auch nicht die Eigenschaft, keine Kausalität zu haben. Dann kann es nicht alles hervorbringen, du runzliger Rübenkopf!“ Die widerspenstige Braut hatte gerade einen Anfall von höflicher Freundlichkeit.
„Das Nichts ist nicht nicht Etwas, sondern an sich Nichts“, meldete sich selbstbewusst ein kleiner Mann, auf dem Kopf den Hut mit drei Spitzen.
„Ach, halte die Klappe, Kant“, konterte die konsequente Regentin. „Wie ich Ihn kenne, wird Er das später, mit einem lässig in die Diskussion geworfenen ‚keinesfalls apriori’ widerrufen. Wäre es nicht an der Zeit, dass Er seine Zuckerperlen nimmt, die nichts enthalten, aber trotzdem wirken, und dann ins Bett zu gehen?“
„Tatsächlich“, jammerte der Kleine, „dabei wollte ich vor dem Schlafen Königsberger Klopse essen, das wird wohl nichts werden.“
„Er weiß, auf welche Weise Nichts entsteht!“, jubelten die Höflinge höflich.
„Ich ahnte das sofort“, frohlockte der beleibte Leibarzt. „Zwanzig Klopse, die man nicht isst, die aber trotzdem weg sind – du weißt ja – das ergibt die geheime Formel des Nicht-Seins.“
„Genau, mit dem Essen muss die Sache zusammenhängen: Den ganzen Tag lang hat das Volk nichts gegessen, vielleicht ist das Nichts deshalb nicht auffindbar“, maulte der findige Fürst von Finkelstein.
Daraufhin ging er in die nördliche kantige Ecke des runden Thronsaals, drückte irgendeinen Knopf, Walzermusik ertönte.
„Stell' Er das nur kurz geborgte Radio ab, bevor es wieder verschwindet“, fauchte die widerspenstige Braut, „das hat doch noch niemand erfunden! Was ist denn jetzt schon wieder los?“
Gebückt, unter heftigem Schnaufen zog der schmächtige Minister für Wissen und Schaft sowie Berg und Bau mit Hilfe eines Seils eine rasselnde Maschine mit quietschenden Rädern in den Thronsaal, ein regelrechtes Monstrum: Da gab es riesige Trichter, einen Tauchsieder weiterhin große, stillose, mit der Öffnung aneinander genietete Eierbecher. Kleine Spiegel bedeckten dieses kugelartige Gebilde. Rostige, ratternde Gestänge vervollständigten das Bild, außerdem verwundene Rohre, die früher mit Sicherheit Blechblasinstrumente gewesen waren. Einem Saxophon entquoll zischend grüner Dampf. Mitten auf dem Ungetüm prangte ein Schild
‚Guericke Industries -
Nichts als unsere Leidenschaft!’
„Keine Angst, die Maschine macht Nichts.“
„Warum schleppen Sie das Ungetüm dann hier her?“, stichelte der Zeremonien-meister, er griff theatralisch an seinen Ehrendegen.
„Mann, Er ist ein Hohlkopf, wenn auch ein adliger.“ Die weise argumentierende Hoheit ließ ihren Charme spielen. „So, zeige Er uns, wie das Nichts entsteht!“
Der Angesprochene zog an einer Art Vorhangkordel: Zischend und stampfend, prustend und Qualm pustend setzten sich einzelne Teile des Ungetüms in Bewegung.
„Falls ich erklären darf - hier entsteht das Nichts, weil mein Gerät in einem kleinen Gebiet jegliches Etwas verdampft.“
Isolde lachte. „Er ist total beknallkopft! Innerhalb des Universums befindet sich kein Nichts, weil es immer, selbst bei absoluter Leere, zumindest Raum gibt.“ Sie wedelte erzürnt mit ihrem Fächer. „Raum jedoch, vermag nicht Nichts zu sein. Ein raumloses Nichts jedoch wäre nicht vom Etwas unterscheidbar, da man es nicht feststellen kann.“
Der königliche HamSter nahm all seinen Mut zusammen, als Minister der Hamburgerlogie inklusive Steroidkunde kam er sich ziemlich wichtig vor.
„Das Nichts existiert nicht, nichts benötigt keinen Platz - aber wäre Schweizer Käse ohne Löcher nicht kleiner? Demnach nimmt das Nichts Raum ein!“
„Mein Ministerlein hat nichts begriffen, das ist ja zum Haare raufen“, rügte die Herrscherin.
„Tatsächlich“, murmelte der andächtig lauschende Hofstaat und begann sich die Haare zu raufen.
„Erstaunlich, wie dieses Nichts in ihrem Kopf derart viel Blödheit produziert“, grummelte Isolde in der nur ihrer Stellung angemessenen, charmanten Art.
„Ein Nichts muss vorhanden sein“, behauptete der amtlich schallende Hofmarschall etwas zögerlich, „sonst hätten wir keinen Ort für das, was es gibt“.
„Ha - Er ist ein Nichts, gibt es Ihn nun, oder nicht?“
„Das Nichts muss doch wenigstens in Form einer Idee Gestalt annehmen dürfen“, klagte der Vorsteher der kirchlichen Kragendesigner.
„Schon wieder“, die Königin rümpfte überheblich die Nase, sie genoss die Situation. „Ach was, wir können Nichts nicht alleine denken, ausschließlich als Abwesenheit von Dingen, als Vergleich zweier Zustände - anwesend, abwesend. Ein Vergleich setzt jedenfalls eine Festlegung voraus, was gegenständlich existiert beziehungs- weise was nicht, demnach ergibt sich eine ganz willkürliche Aussage. Nach unserem Gusto legen wir fest was fehlt. Wenn das Glas leer aussieht bestimmen wir, dass Nichts Abwesenheit von Getränk ist, aber die Anwesenheit von Luft ignorieren wir, per definitionem. Sind alle Dinge abwesend, gilt erneut: Raumloses Nichts kann nicht vom Etwas unterschieden werden. Es gibt höchstens das unerkannte Nichts oder in speziellen Fällen ein das Nichts bezeichnendes Symbol, zum Beispiel ein gedankliches Konstrukt, mit dessen Hilfe man sogar die uns vertrauten Zahlen ableitet. Im Nichts ist einiges los, unter Umständen können dort sogar Kräfte wirken! Bemüht euch nicht, ihr werdet meine Ausführungen sowieso nicht kapieren, soviel sage ich schon mal vorbeugend.“
„Gegen welche Krankheit?“ Voller Begeisterung klatschte der Gesundheitsreferent in die Hände, der Altersminister verbeugte sich.
„Was hat der denn?“
„Ein schlechtes Gehör“, flüsterte der Adjutant zum Referenten, „er verstand ‚verbeugen’, der Gute.“
Plötzlich verstummten alle Gespräche. Der Hofstaat starrte gebannt auf die inzwischen stark vibrierende Maschine von Guericke Industries. Rhythmisches Stampfen war zu vernehmen, das Eierbecherding drehte sich surrend, reflektierte Lichtblitze, die aus dem Trichter schossen. Das zerbeulte Saxophon dampfte, nebelspuckend, man hörte näselnd den ohrwurmerzeugenden Refrain einer Discomelodie, Kant schrie mit schriller Stimme „wäre ich bloß in meinem Zimmer geblieben!“, Rattern, Stampfen, Menschen zucken; Brummen, Summen, Blitze flitzen, Hofschranzen tanzen, Bässe wummern …
Die Landesherrin hatte sich schon längst verdrückt, sie schaute erzürnt zum Schloss. „Scheiß Disco-Party, ihr Murksdenker“, rief die Königin in Richtung der grauen Mauern. „Ich habe eure Bauchspeichelungen - äh, Bauchpinseleien satt.“
Dunkle Wolken hatten sich zusammengebraut, eine Stimme erschallte:
„Rien ne va plus“.
Aber ich schon, sinnierte Isolde trotzig, ich werde zur Feministin umschulen, lieber irgendeinen schlauen Habenichts heiraten, als einen von diesen Deppen.
„Ihr gedankenlosen Nichts-Nutze, na - kann es die Gruppe von Dingen, die es nicht gibt, geben?“, schimpfte sie höhnisch in Richtung des Schlosses, mit dem ihr eigenen Charme.