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Maskentreiben

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27.02.2014
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Maskentreiben

Es war das erste Mal, dass ich die Maske tragen durfte. Es waren weiße Masken aus Stoff und Gips, manche auch aus Holz, die bröckelten weniger, waren aber schwer und unbequem. Ich hatte eine aus Stoff und Gips, mit schwarz umrandeten Augen.
Der Zug ging durch das ganze Dorf, manche hatten Ratschen dabei und andere schlugen auf Töpfe, um den Geistern gehörigen Schrecken einzujagen. Ich hatte immer Angst gehabt vor dem Maskentreiben, ein bisschen hatte ich auch jetzt noch noch Angst, obwohl ich auch stolz war, mitmachen zu dürfen, daher sagte ich nichts und war tapfer.

Meine Mutter hatte sich noch Sorgen gemacht, ob ich wohl schon alt genug sei, aber meine Oma war im Bett gelegen und hatte gelächelt und geflüstert
“Ach, lass doch das Kind, sie ist doch schon groß genug. Du warst ein Jahr jünger, als du zum ersten Mal mit durftest, weißt du noch?”
Ich war empört gewesen, ich hätte also schon letztes Jahr mit dürfen müssen, also musste ich jetzt auf jeden Fall mit dürfen, und da hätte ich ja nun schlecht zugeben können, dass ich doch ein wenig Angst hatte.

Ich drückte noch schnell meine Oma, die in dem großen, weißen Bett lag, das auch ein wenig beängstigend war, früher war sie immer auf gewesen, in bunten Schürzen und immer mit einem Kopftuch, das sie für den Stall gebraucht hatte, damit die Haare nicht nach Kuhschwanz rochen, wie sie immer sagte, und die ganzen Ferien war ich mit ihr im Stall gewesen und hatte gemistet und gemolken und gesagt: “Wenn ich groß bin, dann werde ich Bäuerin, wie du” Aber seit letztem Jahr lag meine Oma nur noch im Bett, und meine Mutter fuhr oft zu ihr, und jetzt in den Ferien kam ich mit, obwohl es nicht mehr so schön war wie früher und es keine Kühe mehr gab und der Stall ganz leer war, aber er roch immer noch nach Kuhschwanz. Früher waren wir dann immer zum Dorfplatz gegangen und hatten zugesehen, wie der Zug mit den Masken laut durch alle Straßen zog, und die Männer und Burschen erschreckten die kleinen Kinder, weshalb ich immer an der Hand meiner Oma blieb, sie schien mir noch sicherer als meine Mutter, da sie ja schließlich in dem Dorf lebte, und wir nur zu Besuch waren, daher waren die Geister und der Lärm Sache meiner Oma. Besondere Angst hatte ich immer ich vor dem Schreiner, ein großer bärtiger Mann, der sich mit der Säge mal die Hand halbiert hat, ich hatte Angst vor dieser Hand, die seltsam und krank und verkehrt aussah, wenn er damit die Ratsche drehte. Meine Oma versteckte mich immer unter ihrer Schürze, wenn es ganz arg wurde. Meine Mutter schüttelte den Kopf über die alten Bräuche, aber ich wollte immer zusehen, wie sie den Winter austrieben, auch wenn es mich ein wenig grauste, schön grausig war das, aber so waren eben die Berge, schön und grausig, das sagte jedenfalls meine Oma, und der Winter tückisch, und es war wichtig, den Frost auch ja komplett zu verjagen, bevor das Vieh wieder raus durfte zu den Almwiesen.

Ich lief mit dem Zug mit und winkte meiner Mutter zu und schrie und machte schreckliche Verrenkungen und Laute, die ich mir von den Dorfbuben abguckte, um auch ja alle bösen Geister zu verschrecken. Als wir einmal durch das ganze Dorf gezogen waren, schwenkten wir auf den Weg am Bach entlang ein, der bis zum Mühlteich ging, an dem schon lange keine Mühle mehr stand, und da bekam ich ein wenig Angst, wo meine Mutter nicht mehr sichtbar war und auch das Haus meiner Oma nicht; daran hatte ich nicht gedacht, dass der Zug auch dahin gehen würde. Ich krabbelte hinter ein Gebüsch und ließ die ganzen Masken vorüberziehen, doch ich wollte auch nicht alleine zurückgehen, weil ich nicht wollte, dass meine Mutter sagte, sie habe ja gewusst, ich sei noch nicht alt genug, ich war sehr wohl alt genug, aber die vielen Masken waren doch unheimlich, und wer weiß, ob sich nicht ein paar echte Geister darunter gemischt hatten unter die aus dem Dorf, so aus Spaß, um uns zu erschrecken?

Als ich den Zug nicht mehr hören konnte wurde mir aber fad allein, und ein bisschen unheimlich auch, und ich beschloss, zum Grubenbauern zu gehen. Die Maske behielt ich auf, wenn ich die Grubenbäurin erschreckte bekam ich ja vielleicht frische Milch, die es bei meiner Oma nicht mehr gab, seit sie immer im Bett lag. Ich wusste den Weg genau, ein Stück zurück und dann querfeldein, an der Wetterfichte vorbei. Aber die Wetterfichte kam nicht, und ich plötzlich hatte ich Angst, ich hätte mich verlaufen; es war trübe und ein klein wenig neblig - vielleicht war ich ja in die Geisterwelt gelangt? - als ich um eine Ecke bog, an die ich mich nicht erinnern konnte.

Da sah ich ihn.

Der Geist mit der weißen Maske beugte sich über jemanden, der unter einem Busch lag und hielt denjenigen fest, das Gesicht konnte ich nicht sehen, aber ich sah deutlich die kaputte Hand mit den drei Fingern am Hals der Gestalt, und obwohl ich eigentlich wusste, dass es der Schreiner war, war ich sicher, das war ein Totengeist, und ich schrie. Der Totengeist kauerte über dem Leichnam und saugte ihm das Blut aus, ich hörte es Röcheln, und dann merkte ich, wie meine Beine liefen und ich schrie weiter, aber ich schrie gar nicht wirklich, ich hörte keinen Laut, wie ich irgendwann merkte, und ich rannte nur zurück bis zum Bach, bis ich endlich eine Stelle wiedererkannte, der kleine Steg, die Wetterfichte, dort hielt ich an, es war nicht mehr weit bis zum Dorf; ich war völlig außer Atem, doch noch immer in Angst, noch immer in Panik. Gewiss war ich noch in der Geisterwelt, und der Tod würde mich holen kommen, er würde mich holen, mit seiner abgesägten halben Hand, und mir die Luft abdrücken, damit ich nicht mehr zurückkönnte, nie wieder, und mir das Blut aussaugen. Und jetzt schrie ich wirklich, da ich nicht mehr rennen konnte, schrie die Angst heraus, und konnte gar nicht aufhören. Mein Schreien muss sehr laut gewesen sein, denn auf einmal war der Schreiner da, der echte Schreiner, ohne Maske, doch ich wich zurück, ich traute ihm nicht, er war der Tod, der Leibhaftige, jedenfalls hatte er gerade jemanden umgebracht, ich wollte kein Risiko eingehen.

“Na, was ist denn los, was schreist Du denn gar so?", er kam näher, "Bist Du nicht die Marita, die vom Riedmayr?”
Ich schubste ihn weg und schlug um mich.
“Jetzt beruhige dich doch, Mädchen”, damit wollte er mich packen, doch da hatte ich wieder Atem geschöpft und rannte, rannte um mein Leben, nach Hause.

“Mama,” schrie ich, als ich auf den Hof kam, und erst jetzt traute ich mich, die Maske abzunehmen und warf sie weit von mir, “Oma! Oma, der Totengeist hat jemanden umgebracht, es ist der Schreiner“,
und meine Mutter kam auf den Hof und sagte nur: “Kind, komm mal her” und schlang die Arme um mich, und ich rief:
“Schnell, wir müssen der Oma Bescheid sagen, dass sie alle warnt, dass der Totengeist kommt”, und meine Mutter sagte:
“Marita, die Oma ist eben gestorben, es tut mir leid.”

 

Hallo ihr Textkrieger,

das ist mein Start. Ich bin mir nicht ganz sicher mit der Verschlagwortung. Der Text ist ja aus Kinderperspektive, nicht für Kinder; aber es erschien mir trotzdem passend.
Falls nein, bin ich für einen Hinweis dankbar.

Danke & viel Vergnügen
Liva

 

Hallo liva,

herzlich willkommen bei den Wortkriegern.
Dein Einstiegstext hat mir wirklich gut gefallen. Deinen Schreibstil hast du entsprechend eines Kindes gewählt und den damit verbundenen, oft einfachen, manchmal (ich hoffe absichtlich)aber auch recht unvorteilhaften Satzbau benutzt.

Auch verhält sich deine Figur wie ein Kind, außer, dass es während des Umzuges für meinen Geschmack zu mutig ist. Gerade in dieser wogenden Masse ohne Ausweg und Gesichter wäre ich ziemlich psychisch strapaziert worden.
Jedoch bist du leider von dem Thema des Umzuges, der Jagd nach dem Winter nämlich, abgedriftet zu dem Totengeist, wobei ich mir auch nicht sicher bin, ob ein Kind denn schon so konkrete Angst vor dem Tod an sich haben kann. Nun gut, du hast ja auch keine direkte Altersangabe getätigt ...

Im Falle des Toten, den der Schreiner/Geist aussaugt, wird die Überlagerung von Realität und Fiktion nicht ganz deutlich, denn es gibt keine anderen Hinweise aus objektiverer Sicht, warum sich der Schreiner/Geist wirklich hinter den Busch beugt. Vorsicht damit, du musst die Balance halten. Auch gefiel mir nicht, dass du später mit dem Begriff "Geisterwelt" um dich geworfen hast, das hätte es gar nicht gebraucht, erst recht nicht für ein Kind.

Nombreux

 

Hallo Nombreux,

vielen Dank für die Begrüßung und Deine Anmerkungen.

Ja, der Stil sollte kindgerecht sein, mit Wiederholungen und ein paar Verwicklungen im Satzbau.
Ich dachte an eine Zehn- oder Elfjährige, die diese Prozession bereits kennt vom Zusehen, also erst mal klarkommt, dann aber doch Angst kriegt außer Sichtweite des vertrauten.

Es soll gar keinen Übergang zwischen Realität und Geisterwelt geben, die Geschichte sollte nur in der Realität spielen.
Die Angst vor Geistern und Vampieren wird groß durch die Situation des Maskenzugs, und das führt dazu, dass das Kind etwas sieht und das falsch interpretiert. Der Schreiner könnte beispielweise einfach eine andere Prozessionsteilnehmerin geküsst haben. Die Geisterwelt ist bloß kindliche Fantasie.

Das sollte ich wohl deutlicher machen, danke für den Hinweis.

Viele Grüße, Liva

 

Hallo liva!

Ich war empört gewesen, ich hätte also schon letztes Jahr mit dürfen müssen, also musste ich jetzt auf jeden Fall mit dürfen, und da hätte ich ja nun schlecht zugeben können, dass ich doch ein wenig Angst hatte.
Find ich toll!

Ich drückte noch schnell meine Oma, die in dem großen, weißen Bett lag, das auch ein wenig beängstigend war, früher war sie immer auf gewesen, in bunten Schürzen und immer mit einem Kopftuch, das sie für den Stall gebraucht hatte, damit die Haare nicht nach Kuhschwanz rochen, wie sie immer sagte, und die ganzen Ferien war ich mit ihr im Stall gewesen und hatte gemistet und gemolken und gesagt: “Wenn ich groß bin, dann werde ich Bäuerin, wie du”
Hinter dem letzten Wort fehlt ein Punkt. Ich find diese Textstelle (und weitere ähnliche) gut, nur versuch doch mal, das als „echten“ Schachtelsatz zu schreiben. Ich habs versucht … es geht! ;)

Ich lief mit dem Zug mit und winkte meiner Mutter zu und schrie und machte schreckliche Verrenkungen und Laute, die ich mir von den Dorfbuben abguckte, um auch ja alle bösen Geister zu verschrecken.
Gut beobachtet, diese Ernsthaftigkeit, mit der Kinder so was treiben.

Mir gefällt die Geschichte, auch der Schreibstil.
Ähnlich wie Nombreux hatte auch ich Schwierigkeiten, die „Mordszene“ richtig einzusortieren. Ich war mir da nicht schlüssig, beim Lesen. Aber ich glaube, das macht nix, vielleicht sollte das auch im Text nicht weiter erklärt werden.
Am Ende dann, die Konfrontation mit dem echten Tod. Das ist gelungen.
Ich würde sagen, in dieser Geschichte geht es um das Ende der Kindheit. All der Zauber, den das Kind noch sah und auslebte, anfangs im Umzug, wird hier durch den Tod der Oma für immer genommen.

Lieben Gruß

Asterix

 

Hallo Liva,

Deine Geschichte hat mir gut gefallen. Ich wollte sie stetig weiterlesen und wissen, worauf das Ganze hinauslaufen wird. Es gelingt dir aus meiner Sicht gut, die kindliche Sichtweise herauszustellen.
Allerdings hatte ich teilweise das Bild einer jetzt älteren Frau, die auf dieses Erlebnis zurückblickt.
Ich glaube, dieser Eindruck entstand für mich durch Formulierungen, die ein Kind so nicht wählen würde. Zum Beispiel:

ein großer bärtiger Mann, der sich mit der Säge mal die Hand halbiert hat

schwenkten wir auf den Weg am Bach entlang ein

Sprachlich finde ich es an den Stellen sehr elegant, aber es hat mich aus der Kinderperspektive rausgerissen.

Wunderschön finde ich diese Stelle:

aber so waren eben die Berge, schön und grausig, das sagte jedenfalls meine Oma, und der Winter tückisch, und es war wichtig, den Frost auch ja komplett zu verjagen, bevor das Vieh wieder raus durfte zu den Almwiesen.
Ich konnte mir da genau vorstellen, wie das Kind ihre Oma rezitiert und schonmal übt, weise zu sein. Hat mir ein wohliges Schmunzeln ins Gesicht gezaubert.

Leider habe ich auch nicht so recht verstanden, was es mit der "Mordszene" auf sich hatte. Hätte mir irgendeinen Hinweis gewünscht, dass die Fantasie mit ihr durchgeht. Wie, tja, leider hab ich keine Idee. Schwierig, sorry.

Beim Ende musste ich schlucken. Der Text bereitet subtil darauf vor, ich roch etwas, ohne dass ich´s ahnte. Als es dann kam, das Ende, gings mir vermutlich ähnlich wie dem Kind.
Kaltes Wasser. Willkommen im Leben.

Vielen Dank für die Story!

Liebe Grüße,
Saugnapf

 

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