Maskentreiben
Es war das erste Mal, dass ich die Maske tragen durfte. Es waren weiße Masken aus Stoff und Gips, manche auch aus Holz, die bröckelten weniger, waren aber schwer und unbequem. Ich hatte eine aus Stoff und Gips, mit schwarz umrandeten Augen.
Der Zug ging durch das ganze Dorf, manche hatten Ratschen dabei und andere schlugen auf Töpfe, um den Geistern gehörigen Schrecken einzujagen. Ich hatte immer Angst gehabt vor dem Maskentreiben, ein bisschen hatte ich auch jetzt noch noch Angst, obwohl ich auch stolz war, mitmachen zu dürfen, daher sagte ich nichts und war tapfer.
Meine Mutter hatte sich noch Sorgen gemacht, ob ich wohl schon alt genug sei, aber meine Oma war im Bett gelegen und hatte gelächelt und geflüstert
“Ach, lass doch das Kind, sie ist doch schon groß genug. Du warst ein Jahr jünger, als du zum ersten Mal mit durftest, weißt du noch?”
Ich war empört gewesen, ich hätte also schon letztes Jahr mit dürfen müssen, also musste ich jetzt auf jeden Fall mit dürfen, und da hätte ich ja nun schlecht zugeben können, dass ich doch ein wenig Angst hatte.
Ich drückte noch schnell meine Oma, die in dem großen, weißen Bett lag, das auch ein wenig beängstigend war, früher war sie immer auf gewesen, in bunten Schürzen und immer mit einem Kopftuch, das sie für den Stall gebraucht hatte, damit die Haare nicht nach Kuhschwanz rochen, wie sie immer sagte, und die ganzen Ferien war ich mit ihr im Stall gewesen und hatte gemistet und gemolken und gesagt: “Wenn ich groß bin, dann werde ich Bäuerin, wie du” Aber seit letztem Jahr lag meine Oma nur noch im Bett, und meine Mutter fuhr oft zu ihr, und jetzt in den Ferien kam ich mit, obwohl es nicht mehr so schön war wie früher und es keine Kühe mehr gab und der Stall ganz leer war, aber er roch immer noch nach Kuhschwanz. Früher waren wir dann immer zum Dorfplatz gegangen und hatten zugesehen, wie der Zug mit den Masken laut durch alle Straßen zog, und die Männer und Burschen erschreckten die kleinen Kinder, weshalb ich immer an der Hand meiner Oma blieb, sie schien mir noch sicherer als meine Mutter, da sie ja schließlich in dem Dorf lebte, und wir nur zu Besuch waren, daher waren die Geister und der Lärm Sache meiner Oma. Besondere Angst hatte ich immer ich vor dem Schreiner, ein großer bärtiger Mann, der sich mit der Säge mal die Hand halbiert hat, ich hatte Angst vor dieser Hand, die seltsam und krank und verkehrt aussah, wenn er damit die Ratsche drehte. Meine Oma versteckte mich immer unter ihrer Schürze, wenn es ganz arg wurde. Meine Mutter schüttelte den Kopf über die alten Bräuche, aber ich wollte immer zusehen, wie sie den Winter austrieben, auch wenn es mich ein wenig grauste, schön grausig war das, aber so waren eben die Berge, schön und grausig, das sagte jedenfalls meine Oma, und der Winter tückisch, und es war wichtig, den Frost auch ja komplett zu verjagen, bevor das Vieh wieder raus durfte zu den Almwiesen.
Ich lief mit dem Zug mit und winkte meiner Mutter zu und schrie und machte schreckliche Verrenkungen und Laute, die ich mir von den Dorfbuben abguckte, um auch ja alle bösen Geister zu verschrecken. Als wir einmal durch das ganze Dorf gezogen waren, schwenkten wir auf den Weg am Bach entlang ein, der bis zum Mühlteich ging, an dem schon lange keine Mühle mehr stand, und da bekam ich ein wenig Angst, wo meine Mutter nicht mehr sichtbar war und auch das Haus meiner Oma nicht; daran hatte ich nicht gedacht, dass der Zug auch dahin gehen würde. Ich krabbelte hinter ein Gebüsch und ließ die ganzen Masken vorüberziehen, doch ich wollte auch nicht alleine zurückgehen, weil ich nicht wollte, dass meine Mutter sagte, sie habe ja gewusst, ich sei noch nicht alt genug, ich war sehr wohl alt genug, aber die vielen Masken waren doch unheimlich, und wer weiß, ob sich nicht ein paar echte Geister darunter gemischt hatten unter die aus dem Dorf, so aus Spaß, um uns zu erschrecken?
Als ich den Zug nicht mehr hören konnte wurde mir aber fad allein, und ein bisschen unheimlich auch, und ich beschloss, zum Grubenbauern zu gehen. Die Maske behielt ich auf, wenn ich die Grubenbäurin erschreckte bekam ich ja vielleicht frische Milch, die es bei meiner Oma nicht mehr gab, seit sie immer im Bett lag. Ich wusste den Weg genau, ein Stück zurück und dann querfeldein, an der Wetterfichte vorbei. Aber die Wetterfichte kam nicht, und ich plötzlich hatte ich Angst, ich hätte mich verlaufen; es war trübe und ein klein wenig neblig - vielleicht war ich ja in die Geisterwelt gelangt? - als ich um eine Ecke bog, an die ich mich nicht erinnern konnte.
Da sah ich ihn.
Der Geist mit der weißen Maske beugte sich über jemanden, der unter einem Busch lag und hielt denjenigen fest, das Gesicht konnte ich nicht sehen, aber ich sah deutlich die kaputte Hand mit den drei Fingern am Hals der Gestalt, und obwohl ich eigentlich wusste, dass es der Schreiner war, war ich sicher, das war ein Totengeist, und ich schrie. Der Totengeist kauerte über dem Leichnam und saugte ihm das Blut aus, ich hörte es Röcheln, und dann merkte ich, wie meine Beine liefen und ich schrie weiter, aber ich schrie gar nicht wirklich, ich hörte keinen Laut, wie ich irgendwann merkte, und ich rannte nur zurück bis zum Bach, bis ich endlich eine Stelle wiedererkannte, der kleine Steg, die Wetterfichte, dort hielt ich an, es war nicht mehr weit bis zum Dorf; ich war völlig außer Atem, doch noch immer in Angst, noch immer in Panik. Gewiss war ich noch in der Geisterwelt, und der Tod würde mich holen kommen, er würde mich holen, mit seiner abgesägten halben Hand, und mir die Luft abdrücken, damit ich nicht mehr zurückkönnte, nie wieder, und mir das Blut aussaugen. Und jetzt schrie ich wirklich, da ich nicht mehr rennen konnte, schrie die Angst heraus, und konnte gar nicht aufhören. Mein Schreien muss sehr laut gewesen sein, denn auf einmal war der Schreiner da, der echte Schreiner, ohne Maske, doch ich wich zurück, ich traute ihm nicht, er war der Tod, der Leibhaftige, jedenfalls hatte er gerade jemanden umgebracht, ich wollte kein Risiko eingehen.
“Na, was ist denn los, was schreist Du denn gar so?", er kam näher, "Bist Du nicht die Marita, die vom Riedmayr?”
Ich schubste ihn weg und schlug um mich.
“Jetzt beruhige dich doch, Mädchen”, damit wollte er mich packen, doch da hatte ich wieder Atem geschöpft und rannte, rannte um mein Leben, nach Hause.
“Mama,” schrie ich, als ich auf den Hof kam, und erst jetzt traute ich mich, die Maske abzunehmen und warf sie weit von mir, “Oma! Oma, der Totengeist hat jemanden umgebracht, es ist der Schreiner“,
und meine Mutter kam auf den Hof und sagte nur: “Kind, komm mal her” und schlang die Arme um mich, und ich rief:
“Schnell, wir müssen der Oma Bescheid sagen, dass sie alle warnt, dass der Totengeist kommt”, und meine Mutter sagte:
“Marita, die Oma ist eben gestorben, es tut mir leid.”