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Staub

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16.03.2015
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Staub

Ich höre die schrillen, klagenden Rufe der Steppenkiebitze, das Knacken von Ästen im Unterholz, spüre Papas warme Hand, die mich festhält, mich mit nach vorne zieht, zur Seite, an einem Busch vorbei, wieder geradeaus. Fort.
Neben uns strauchelt Mama. Fatima in der Bauchtrage. Fatima schläft.
Vor uns die Hügelkette. Hinter uns fällt etwas vom Himmel, es wird laut, gleißend hell. Papa stolpert, schreit auf, lässt meine Hand los. Mama zieht Papa am Arm. Papa ruft: „Lauf!“ Und ich laufe. Immer weiter.

Lärm. Ich zucke zusammen, ziehe das Leinentuch über den Kopf, das ich im Schutt gefunden habe und taste mit der Hand suchend zur Seite. Mein Mund ist trocken, im Kopf dröhnt es. Der Magen knurrt.
Der Krach hinter der schützenden Mauer wird lauter. Grelle Rufe, Jammern, Heulen. Ich öffne die Augen. Blendendes Licht. Die glänzende Sonne. Ich krieche zum Rand der Backsteinmauer. Wische mir Staub aus dem Gesicht, richte das Kopftuch und blicke vorsichtig um die Ecke.
Viele Menschen stehen auf dem Platz. Im Kreis, um etwas herum. Einige bücken sich, andere tragen etwas fort oder schaffen es heran.
Ich stopfe das Leinentuch in eine Mauerlücke, krauche aus meinem Versteck, trete in Scherben, stoße gegen Steine, spüre keine Schmerzen. Ich eile zum Platz, quetsche mich an Menschen vorbei, krabble zwischen Beinen hindurch.

Es sind Papa und Fatima, die da liegen, im Staub, zwischen den anderen.
Papas Hemd ist rot, Fatima schläft.
Ich lege mich zwischen die beiden, schmiege mich an Papa, greife nach der Hand meiner Schwester.
Papa sagt nichts, hat die Augen geöffnet, guckt in den Himmel. Ein Vogel. Dreifarbiges Flügelmuster, die Brust rosa angehaucht. Das Brutkleid des Steppenkiebitzes. So hat es mir Papa beigebracht.

Ein Fremder hebt mich hoch, zieht mich an der Hand fort. Ich spüre Schmerzen, will mich losreißen.
Ich muss zurück, Mama finden.

 

Hallo GoMusic,

ich habe deine Geschichte mit Freuden gelesen (auch wenn das Theam nicht wirklich dazu passt).
Du triffst für mich mit deinen knappen Sätzen (und Satzeinheiten) eine passende Stimmung. Inhaltlich spricht es mich sehr an.

Ein paar Anmerkungen/Fragen habe ich aber:

Ist bei dem ersten Absatz nur die Formatierung daneben gegangen oder entgeht mir da etwas?

Fatima in der Bauchtrage. Fatima schläft.
"Sie schläft." passt mMn besser.

Ich stopfe das Leinentuch in eine Mauerlücke, krauche aus meinem Versteck, trete in Scherben, stoße gegen Steine, spüre keine Schmerzen.
wohingegen:
Ich spüre Schmerzen, will mich loszureißen.
Woher kommen die Schmerzen auf einmal? Es ist doch alles "gut" - der Papa und die Schwester schlafen. Die Mama wird sich sicherlich auch nur (im Staub) ausruhen.

das Knacken von Ästen im Unterholz
Für mich spielt die Geschichte in einer Stadt / einem Dorf. Zumindest nicht in der Natur.

Beste Grüße und vielen Dank für die Geschichte

 

Hey @GoMusic ,

hab einiges zu dem Text zu sagen, aber will auch hier nichts auslassen und gleich ins Detail. Habe zwar zu Ende gelesen – ist ja auch nicht lang –, aber kommentiere erstmal nur den ersten Absatz.
So allgemein: interessant, dass du wieder ein mit Krieg und Leid assoziiertes Thema wählst, ein schweres. Das finde ich gut. Es ist auch mutig, weil das (würde ich jetzt mal annehmen) auch dir so fremd ist, dass ein Text darüber erstmal nur eine vage Annäherung sein kann, die wir im Kollektiv ein bisschen zu verfeinern versuchen. Das Mutige, finde ich, dass du diesen Weg nimmst und dich nicht scheust, deine Ergebnisse mit uns zu teilen :gelb:

Papas warme Hand, die mich festhält, mich mit nach vorne zieht.

Da weiß ich beim ersten Lesen überhaupt nicht, was du mir erzählst. Es gibt keine räumliche Verortung. Er könnte sogar in der Luft schweben und hin und her gezogen werden. Kein konkretes Bild in meinem Kopf.

Zur Seite, wieder geradeaus. Fort. Neben uns strauchelt Mama.

Hier auch: dieses »zur Seite, wieder geradeaus« weckt bei mir ein total komisches Bild. Ich sehe den Vater den Sohn so in alle Himmelsrichtungen vektormäßig herumwirbeln.

Das »strauchelt« im zweiten Satz gefällt mir nicht. Straucheln ist für mich stolpern, das Gleichgewicht verlieren. Passt mehr zu angeschossenem Reh oder Boxkampf.

Fatima in der Bauchtrage. Fatima schläft.

Das hat mich verwirrt. Ist mit der Bauchtrage symbolisch der Bauch der schwangeren Mutter gemeint, oder ist das ein zusätzliches Kind, diese Fatima? Wenn zusätzlich kann die Mutter ja schwer eine "Bauch"trage auf dem ohnehin dicken Bauch tragen. Wenn Fatima allerdings das Kind im Bauch ist, dann fragt sich, warum sie da bereits einen Namen trägt.

Papa stolpert, schreit auf, lässt meine Hand los

Das fand ich ein recht sonderliches Verhalten. Da hab ich die eigentliche Szene nicht gespürt. Also da explodiert eine Bombe. Zoom auf den Vater: der stolpert, schreit auf. Das »lässt meine Hand los« hingegen find ich gut, weil das auch etwas über die Geste hinaus erzählt. Das Band zwischen Vater und Sohn löst sich. Vater kann Sohn nicht mehr beschützen.

Ich lege mich zwischen den beiden

dahin bin ich zwar mit der Korrektur nicht gekommen, aber beim Lesen deutlich aufgefallen: ... lege mich zwischen die beiden

So viel erstmal. Mal sehen, vielleicht schaue ich später nochmal vorbei.

Schweres Thema, schlimme Momentaufnahmen. Krasses Verhältnis von Erzählzeit und erzählter Zeit. Einiges was mir stilistisch besser gefällt als in »Sog«. Aber wie gesagt, Weiteres eventuell später.

LG
Carlo

 
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„Staub bist du, und zum Staub wirst du zurückkehren"
(1. Mo 2,7; 3,19)​

Papa sagt nichts, hat die Augen geöffnet, guckt in den Himmel. Ein Vogel. Dreifarbiges Flügelmuster, die Brust rosa angehaucht. Das Brutkleid des Steppenkiebitzes.

Nach „Somalia“ nun – den von Dir genannten Namen nach – die Levante, die nach dem Arabischen Frühling mit dem gesamten Maghreb ins Chaos stürzte oder besser, gestürzt wurde, und zugleich mit dem „Steppenkiebitz“ - einer bedrohten Art, die sinnigerweise auch in Eritrea, dem Nachbarn Somalias, „überwintert“ - als Symbol. Dabei strotzt die feine, kleine Geschichte von Symbolik (und hätte statt „Staub“ auch „Lauf!“ heißen können.)

(Fatima > arab. „entwöhnen“, auf kath. Wunder wie das von Fatima [Portugal] geraten wir in den fantastischen Bereich, den ich ungern betrete). Dazu passt Deine Sprache, indem Du (ich weiß ja, machstu grundsätzlich) selbst die stummste Endung ausschreibst („Ich höre … Spüre Papas … nach vorne …), wo andere, vllt. aber nur ich, (Brand-)Beschleuniger ansetzten („hör, spür, vor allem aber Ellipsen, die Du sparsam im Kriegsgetöse einsetzt), Symbol, dass eine Flucht weg vom Gefahrenherd für die Betroffenen immer zu langsam geht und die Gefahr schneller wächst, als man laufen kann – und alles aus der Sicht eines Kindes.

Mein Höhepunkt – vom sprachlichen her – findet sich hier

Ich krieche zum Rand der Backsteinmauer.

Ich stopfe das Leinentuch in eine Mauerlücke, krauche aus meinem Versteck, trete in Scherben, stoße gegen Steine, spüre keine Schmerzen.

im Kontrast des uralten (und immerhin noch landschaftlich verwendeten "krauchen" gegen das gewöhnliche "kriechen"!

(wirklich nur'n bissken Flusenlese)

Papa ruft „Lauf!“. Und ich laufe. Immer weiter.
Neben dem Offensichtlichen (das „!“ genügt doch) müsste m. E. „lauf“ mit Minuskel beginnen oder ein „:“ vorgesetzt bekommen.
Wohlgemerkt, Irrtum nicht ausgeschlossen!

Ist schon ein seltsames Gefühl, dass die ersten Flüchtlinge (ich halt nix von der Weichspüle- und Präpositionsreiterei "Geflüchtete"), mit denen ich Ende 2015 zu tun hatte Eritreer waren und erst später Syrer. Was aber das wirklich erstaunliche ist, wie schnell die Leute aus der Levante die völlig fremde, neue Sprache lernen ... Okay, sind auch oft Akademiker, die zumindest eine westeuropäische Sprache bereits beherrschen)

"Gern gelesen" verbietet sich eigentlich,
also besser "nicht ungern" gelesen vom

Friedel,
der bestimmt noch mal vorbeischaut

PS
Hab ich nicht gestern noch an anderer Stelle über Betriebsblindheit referiert?
Lieber GoMUsic,

schau bitte auf den Titel!!!!!!!!!

 
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Hallo @k1nd3Rr13g3L

danke für deinen Kommentar und willkommen bei den Wortkriegern. Schön, dass du deinen ersten Kommentar hier hinterlässt. (Bei deinem Usernamen bricht man sich ja die Finger. Gut dass es Autovervollständigen gibt :) )

ich habe deine Geschichte mit Freuden gelesen (auch wenn das Theam nicht wirklich dazu passt).
Du triffst für mich mit deinen knappen Sätzen (und Satzeinheiten) eine passende Stimmung. Inhaltlich spricht es mich sehr an.
Danke dafür. Freut mich sehr.

Ist bei dem ersten Absatz nur die Formatierung daneben gegangen oder entgeht mir da etwas?
Kursiv deshalb, weil es ein immerwiederkehrender Traum ist, den die Protagonistin auch jetzt aktuell gerade träumt, während sie hinter der Mauer schläft.

"Sie schläft." passt mMn besser.
Die Wiederholung soll genau so sein. Es sind dieselben Wörter, nur dass sie unterschiedliche Bedeutungen haben.

Woher kommen die Schmerzen auf einmal? Es ist doch alles "gut" - der Papa und die Schwester schlafen. Die Mama wird sich sicherlich auch nur (im Staub) ausruhen.
Sie bemerkt erst jetzt, dass ihr Vater und ihre Schwester gestorben sind.

das Knacken von Ästen im Unterholz
Für mich spielt die Geschichte in einer Stadt / einem Dorf. Zumindest nicht in der Natur.
Es gibt zwei Schauplätze. Die Flucht (über steppenäniches Gebiet) in die Bergkette und später am Ende ein (ehemaliger?) (Markt-)Platz.

Vielen Dank für deine Zeit und deine Worte.


Hallo CarloZwei,

schön, dass du vorbeigeschaut hast.

interessant, dass du wieder ein mit Krieg und Leid assoziiertes Thema wählst, ein schweres. Das finde ich gut. Es ist auch mutig, weil das (würde ich jetzt mal annehmen) auch dir so fremd ist, dass ein Text darüber erstmal nur eine vage Annäherung sein kann, die wir im Kollektiv ein bisschen zu verfeinern versuchen. Das Mutige, finde ich, dass du diesen Weg nimmst und dich nicht scheust, deine Ergebnisse mit uns zu teilen :gelb:
Ich versuche, bin mutig, scheue vor nichts zurück. Jawoll! :)

Papas warme Hand, die mich festhält, mich mit nach vorne zieht.
Da weiß ich beim ersten Lesen überhaupt nicht, was du mir erzählst. Es gibt keine räumliche Verortung. Er könnte sogar in der Luft schweben und hin und her gezogen werden. Kein konkretes Bild in meinem Kopf.
Hm, ich dachte, es sei klar, dass sie sich auf der Flucht in die Berge befinden. Evtl. derzeit in der Steppe. Daher der Steppenkiebitz und das Unterholz.
Mal sehen, ob noch andere Probleme mit der Verortung haben.

Zur Seite, wieder geradeaus. Fort. Neben uns strauchelt Mama.
Hier auch: dieses »zur Seite, wieder geradeaus« weckt bei mir ein total komisches Bild. Ich sehe den Vater den Sohn so in alle Himmelsrichtungen vektormäßig herumwirbeln.
Ja, ganz zufrieden bin ich damit noch nicht. Habe dort viel hin- und herprobiert.

Das »strauchelt« im zweiten Satz gefällt mir nicht. Straucheln ist für mich stolpern, das Gleichgewicht verlieren. Passt mehr zu angeschossenem Reh oder Boxkampf.
Ja. Ich überlege mir hier etwas anderes.

Papa stolpert, schreit auf, lässt meine Hand los
Das fand ich ein recht sonderliches Verhalten. Da hab ich die eigentliche Szene nicht gespürt. Also da explodiert eine Bombe. Zoom auf den Vater: der stolpert, schreit auf. Das »lässt meine Hand los« hingegen find ich gut, weil das auch etwas über die Geste hinaus erzählt. Das Band zwischen Vater und Sohn löst sich. Vater kann Sohn nicht mehr beschützen.
Gut, dass das mit dem sich lösenden Band rüberkam.

Was genau findest du sonderlich? Es ist ja nicht gesagt, dass Vater getroffen wurde.

Fatima in der Bauchtrage. Fatima schläft.
Das hat mich verwirrt. Ist mit der Bauchtrage symbolisch der Bauch der schwangeren Mutter gemeint, oder ist das ein zusätzliches Kind, diese Fatima? Wenn zusätzlich kann die Mutter ja schwer eine "Bauch"trage auf dem ohnehin dicken Bauch tragen. Wenn Fatima allerdings das Kind im Bauch ist, dann fragt sich, warum sie da bereits einen Namen trägt.
Ups. Da ist mir etwas/eine Anmerkung in den Text gerutscht. Ist raus. Mutter hat nur ein Kind in der Bauchtrage.

Schweres Thema, schlimme Momentaufnahmen. Krasses Verhältnis von Erzählzeit und erzählter Zeit.
Über die Erzähltest und die erzählte Zeit würde ich gerne mehr hören, wenn du nochmal wiederkommen solltest.

Einiges was mir stilistisch besser gefällt als in »Sog«.
Sehr schön.

So viel erstmal. Mal sehen, vielleicht schaue ich später nochmal vorbei.
Würde mich sehr freuen.

Auch dir vielen Dank.

@Friedrichard
Danke im Voraus. Das reale Leben hat mich eingeholt. Ich melde mich später. Titel habe ich geändert. Der Fehler ist mir gerade beim Neuaufruf der Seite sofort ins Auge gefallen.
EDIT: Habe noch den auf anderem Gerät den Stand von gestern, 18:16 h offen. Dort hieß der Titel "Staub". Da muss zwischenzeitlich was beim Moderieren passiert sein ... Egal. Ist behoben.

Schönen Wochenstart.
Liebe Grüße, GoMusic

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey GoMusic

Ich zucke zusammen, ziehe das löchrige Leinentuch über den Kopf, das ich im Schutt gefunden habe und taste mit der Hand suchend zur Seite.
Da fehlt noch ein Komma nach "habe".

Handwerklich gefällt mir der Text besser als "Sog".

Zum Inhalt: Bei deinem letzten Text habe ich mir kurz was gedacht, ich habe aber auf einen Kommentar verzichtet. Jetzt sehe ich, dass dieser Text in eine ähnliche Richtung geht und da denke ich, das ist eine Art Programm, das du verfolgst, und dazu möchte ich was sagen.
Mir stellt sich die Frage, worauf dieser Text abzielt. Die typische Antwort auf eine solche Frage - der Text solle in erster Linie unterhalten - wäre hier m.E. mehr als unangebracht. Also muss man zurückgreifen auf andere Ziele: Auf etwas aufmerksam machen, aufrütteln, berühren, neue Perspektiven auf eine bestimmte Frage werfen.
Letzteres macht dein Text nicht. Du zeigst eine schreckliche Szene, die nichts enthält, was man nicht schon wüsste. Rein narrativ bietet der Text kaum etwas. Vielmehr zielt er, wie ich finde, vollständig auf die emotionale Seite des Erzählten und so denke ich an die ersten drei von mir genannten Ziele: Aufmerksam machen, aufrütteln, berühren.

Diese möglichen Ziele werden bei mir nicht erreicht. Was zeigt mir der Text? Er zeigt mir, wie sich ein Mitteleuropäer Krieg vorstellt. Darüber hinaus erfahre ich nichts.
Woran liegt es, dass ich so hart ins Gericht gehe mit einem bestimmt gut gemeinten Text? Ich weiss es nicht so recht, sicher hat es auch mit mir als Leser zu tun. Denn bei anderen Texten, sagen wir Geschichten über häusliche Gewalt oder dem Verlust eines geliebten Menschen, käme es mir wohl weniger in den Sinn zu sagen, sorry, aber das möchte ich lieber von jemandem lesen, der das selbst erlebt hat. Seltsam, aber genau das denke ich bei deinem Text. Es gibt so viele Menschen, die diese schrecklichen Szenen erlebt haben. Ich habe Reportagen darüber gelesen. Dein Text besitzt demgegenüber keinen Mehrwert, im Gegenteil, ich finde es sogar ein wenig ärgerlich, das zu lesen, weil sich das auch handwerklich so leicht zu durchschauen lässt:

Dreifarbiges Flügelmuster, die Brust rosa angehaucht. Das Brutkleid des Steppenkiebitzes.
Die klassische poetisch eingefärbte Wahrnehmung auf dem Höhepunkt der Tragik. Du hast dich bemüht, das Kind möglichst einfach erzählen zu lassen, und dann so was. Kommt der Begriff "angehaucht" in seinem Wortschatz vor? Hebt es in diesem Moment den Kopf und denkt, ja, die Brust ist rosa angehaucht, typisch Brutkleid? Nein, vielmehr schreibst du hier genau das, was eine typische Filmkamera in diesem Moment einfangen würde. Und vielleicht zeigt dieser Satz mehr als alles andere, was mir an diesem Text Mühe bereitet.

Aber auch andere Formulierungen, du hast so ein paar klug gesetzte Stichworte, klagende Rufe, das löcherige Leintuch, im Schutt gefunden. Da ist wieder dieser Blick von aussen, der dezent zeigen soll, wie dramatisch das alles ist. Würde aber das Kind sagen, oh, das Leintuch, mit dem ich mich schütze, hat Löcher drin? Auch sonst hast du alle Ingredienzen, die so ein Text angeblich braucht: Papas warme Hand, Staub im Gesicht, und dann ist Papas Hemd rot und Fatima schläft. Jede dieser Formulierungen geht in Ordnung, die letzte hätte das Potential, sehr zu berühren, auch dass das Kind sich an den Vater schmiegt. Aber in der Kürze des Textes folgt das einfach derart dicht aufeinander, dass der Text die Grenze zum Kitsch in meinen Augen überschreitet. Wie gesagt, vielleicht hat das mit einer bestimmten Empfindlichkeit meinerseits zu tun, wenn ich mit diesem Text so gar nichts anfangen kann. Zumindest hat der Text bei mir ausgelöst, dass ich mich frage, weshalb ich bei diesem Thema und bei diesem Text so reagiere und bei anderen, ähnlichen Texten nicht. Aber insgesamt ist es wohl schon so, dass ich mich lieber von Geschichten berühren lasse, die nicht nach mir greifen.

Lieber Gruss
Peeperkorn

[Edit: Ich hab jetzt noch genauer in die Diskussion unter "Sog" reingeschaut und erkenne, dass mein Kommentar für dich wohl nichts Neues bringt, zum Teil decken sich sogar die Formulierungen. Sorry, ich lasse den Komm natürlich stehen, aber du musst da wirklich nicht ausführlich drauf eingehen und dich dabei wiederholen.]

 

Lieber Friedel,

danke für deinen Besuch.

„Staub bist du, und zum Staub wirst du zurückkehren"
Ja, so hatte ich mir das mit dem Titel "Staub" auch gedacht.

Mein Höhepunkt – vom sprachlichen her – findet sich hier

Ich krieche zum Rand der Backsteinmauer.

Ich stopfe das Leinentuch in eine Mauerlücke, krauche aus meinem Versteck, trete in Scherben, stoße gegen Steine, spüre keine Schmerzen.

im Kontrast des uralten (und immerhin noch landschaftlich verwendeten "krauchen" gegen das gewöhnliche "kriechen"!
Danke dafür.

(wirklich nur'n bissken Flusenlese)

Papa ruft „Lauf!“. Und ich laufe. Immer weiter.
Neb
Erledigt.

Friedel,
der bestimmt noch mal vorbeischaut
Würde mich freuen.

Schön, dass du sofort die Levante (bzw. einen Staat daraus) als Ort des Geschehens erkannt hast. Deswegen habe ich den Steppenkiebitz gewählt.

Habe mich sehr gefreut.

Hallo Peeperkorn,

danke für deine Zeit und deine Worte.

Handwerklich gefällt mir der Text besser als "Sog".
Wenigstens etwas ;)

das ist eine Art Programm, das du verfolgst, und dazu möchte ich was sagen.
Ja genau. Kriegstexte sind es derzeit, an denen ich mich versuche.

Mir stellt sich die Frage, worauf dieser Text abzielt. Die typische Antwort auf eine solche Frage - der Text solle in erster Linie unterhalten - wäre hier m.E. mehr als unangebracht. Also muss man zurückgreifen auf andere Ziele: Auf etwas aufmerksam machen, aufrütteln, berühren, neue Perspektiven auf eine bestimmte Frage werfen.
Unterhalten natürlich nicht.
In erster Linie auf etwas aufmerksam machen. Wenn der Text dann noch aufrütteln könnte, wäre ich froh. Berührung auslösen wäre (doppelsinnig) das höchste der Gefühle, da würde ich mich natürlich auch freuen.

Ist wahrscheinlich auch abhängig vom persönlichen Geschmack, von der Stimmung. Bei dem Anlass für diesen Text (das Vorlesen bei einer Friedensveranstaltung) habe ich auf jeden Fall schon mal die Aufmerksamkeit. ;)
Schade, dass der Text bei dir nicht funktioniert hat, sogar der Begriff Kitsch gefallen ist.

ich finde es sogar ein wenig ärgerlich, das zu lesen, weil sich das auch handwerklich so leicht zu durchschauen lässt
Okay, die sogenannten Kitschelemente ...

Dreifarbiges Flügelmuster, die Brust rosa angehaucht. Das Brutkleid des Steppenkiebitzes.
Die klassische poetisch eingefärbte Wahrnehmung auf dem Höhepunkt der Tragik. Du hast dich bemüht, das Kind möglichst einfach erzählen zu lassen, und dann so was. Kommt der Begriff "angehaucht" in seinem Wortschatz vor? Hebt es in diesem Moment den Kopf und denkt, ja, die Brust ist rosa angehaucht, typisch Brutkleid? Nein, vielmehr schreibst du hier genau das, was eine typische Filmkamera in diesem Moment einfangen würde. Und vielleicht zeigt dieser Satz mehr als alles andere, was mir an diesem Text Mühe bereitet.
Sehr guter Hinweis.
Deshalb habe ich das nun angepasst, damit klar wird, woher er diese Beschreibung auch schon als Kind kennt.
Danke.

Würde aber das Kind sagen, oh, das Leintuch, mit dem ich mich schütze, hat Löcher drin?
Ist raus.

Aber in der Kürze des Textes folgt das einfach derart dicht aufeinander, dass der Text die Grenze zum Kitsch in meinen Augen überschreitet.
Hm ... Wenn der Text doppelt solange mit der gleichen Anzahl an diesen Elementen, würde es vielleicht nicht auffallen.

Du hast mir viel zum Nachdenken dagelassen. Der Text lebt.
Danke dir.

Wünsche euch noch einen tollen Abend.

Liebe Grüße, GoMusic

 

Hey GoMusic

Hm ... Wenn der Text doppelt solange mit der gleichen Anzahl an diesen Elementen, würde es vielleicht nicht auffallen.

Ja, das ist durchaus denkbar. Raum im Text kann ein sehr wichtiges Element sein, das wird m.E. manchmal etwas unterschätzt. Finde das immer wieder eine spannende Frage, unter welchen Bedingungen Verdichtung funktioniert. Möglich wäre auch, die Elemente zu reduzieren und die Dichte/Kürze des Textes beizubehalten. Ich würde beides versuchen, dann hast du drei Versionen und du schaust, welche für dich am besten hinhaut.

Auch dir einen schönen Abend!
Peeperkorn

 

Hallo GoMusic,

anders als Carlo hatte ich spätestens beim Straucheln ein Bild einer flüchtenden Familie vor mir, also das hat bei mir funktioniert.


Ich stopfe das Leinentuch in eine Mauerlücke, krauche aus meinem Versteck,
da ist doch sicher kriechen gemeint

Ähnlich wie bei Sog ist mir der Text in der Kürze zu wenig prägnant, mir fehlt, um dem Thema gerecht zu werden, die ernsthafte Intention des Autors. Das sind ein paar Bilder, die von außen auf die Szene zeigen.

Peeperkorn hat es in seinen Worten so gut auf den Punkt gebracht, wie ich das nie erklären könnte, so dass ich seine Ausführungen nur unterschreiben kann.

Ich finde es jedenfalls mutig, dass du diesen Weg gehst und was Neues schreibst und daran rumprobierst.
Ob sich das Thema Krieg jedoch dafür eignet, stelle ich in Frage. Das ist so ein schwieriges Sujet und ich glaube, dass man es vom warmen Büro mit Kaffee und Sonnenschein nicht leicht hat, der Kälte, dem Staub, dem Hunger, dem Verlassensein und den Todesängsten gerecht zu werden.
Auch mit den Erzählungen von meinem Opa und Onkeln als Soldaten und meinen Eltern als junge Kriegskinder im Hintergrund (und das gäbe einige Plots) würde ich mich nie an diese Komplexität herantrauen, wenn es um Settings wie das nackte Überleben und Tod geht.

Noch mehr stelle ich es dann in Frage, wenn du es in so kurzer Form darbietest, wo jedes Wort sitzen und gleichzeitig im besten Falle Atmosphäre erzeugen sollte. Ich bin der Meinung, dass du, wenn dich das Thema weiterhin interessiert, von dieser Art Flash Fiction weg solltest, (eigentlich gehört dieser Text in diese Rubrik, wenn ich mir das so überlege), weil das auf diese Weise nur oberflächlich bleiben kann.

 

Hey Peeperkorn,

danke für deine Rückmeldung.

Raum im Text kann ein sehr wichtiges Element sein, das wird m.E. manchmal etwas unterschätzt. Finde das immer wieder eine spannende Frage, unter welchen Bedingungen Verdichtung funktioniert. Möglich wäre auch, die Elemente zu reduzieren und die Dichte/Kürze des Textes beizubehalten. Ich würde beides versuchen, dann hast du drei Versionen und du schaust, welche für dich am besten hinhaut.
Verdichtung ist schwierig, bzw. ich habe damit noch meine Schwierigkeiten. Es in verschiedenen Versionen zu versuchen wäre eine gute Herangehensweise.

Danke nochmal.

Hallo bernadette,

anders als Carlo hatte ich spätestens beim Straucheln ein Bild einer flüchtenden Familie vor mir, also das hat bei mir funktioniert.
Ja, habe zwischenzeitlich auch überlegt, es dabei zu belassen.

Ich stopfe das Leinentuch in eine Mauerlücke, krauche aus meinem Versteck,
da ist doch sicher kriechen gemeint
Soll schon speziell "krauchen" sein, das "sich mit Mühe fortbewegen".
"Kriechen" passt da m.E. nicht so gut.

Ich finde es jedenfalls mutig, dass du diesen Weg gehst und was Neues schreibst und daran rumprobierst.
Ja ;)

Ähnlich wie bei Sog ist mir der Text in der Kürze zu wenig prägnant, mir fehlt, um dem Thema gerecht zu werden, die ernsthafte Intention des Autors. Das sind ein paar Bilder, die von außen auf die Szene zeigen.
Ob sich das Thema Krieg jedoch dafür eignet, stelle ich in Frage. Das ist so ein schwieriges Sujet und ich glaube, dass man es vom warmen Büro mit Kaffee und Sonnenschein nicht leicht hat, der Kälte, dem Staub, dem Hunger, dem Verlassensein und den Todesängsten gerecht zu werden.
Im Moment ist mein Anspruch bei Texten zum Thema Krieg das Aufzeigen, auf etwas aufmerksam machen. Alles weitere kann wegen des fehlenden persönlichen Bezugs dann bestenfalls nur durch probieren hinzukommen.
Deshalb bin ich für jedes Feedback dankbar.

Ich bin der Meinung, dass du, wenn dich das Thema weiterhin interessiert, von dieser Art Flash Fiction weg solltest, (eigentlich gehört dieser Text in diese Rubrik, wenn ich mir das so überlege), weil das auf diese Weise nur oberflächlich bleiben kann.
Lass ich mir durch den Kopf gehen.
Ich denke, (vorerst) im Hintergrund auch an einer zweiten Version zu arbeiten, wäre tatsächlich eine gute Idee (siehe auch Peeperkorn oben).

Danke für deine Gedanken.

Liebe Grüße,
GoMusic

 

Im Moment ist mein Anspruch bei Texten zum Thema Krieg das Aufzeigen, auf etwas aufmerksam machen.

Genau das hab ich schon beim Thema Kindersoldaten gedacht,

lieber GoMusic,

aber „Historie“ ist schwierig und ich zitier mich immer ganz gerne selber (wird @Carlo Zwei auch interessieren, denk ich mal nach seinem Beitrag), denn die historische Erzählung gestaltet künstlerisch historische Ereignisse in Prosaform, wobei schon das Wort „Geschichte“ zwo Seiten zeigt: Das Wort selbst, „Geschichte“ (ahd. gisciht) ist vom Verb „geschehen“ (ahd. giskehan) abgeleitet und meint zunächst „Begebenheit / Ereignis /Geschehnis“, um bereits im mhd. die Folge(n) des Ereignisses einzubeziehen und so im 15. Jh. in seiner Bedeutung auch die Erzählung / den Bericht über dieses Geschehen einzubeziehen und historia wird.
Erst mit Herder wird „Geschichte“ auch zur Wissenschaft und erst mit dem Durchbruch des Geschichtsbewusstseins der Romantik(er) entstehen Erzählungen von der kleinsten (Anekdote) bis zur größten Form (dem Geschichtsroman) - im deutschsprachigen Raum verknüpft mit den Namen Arnims, Hauff und Novalis mit einem Höhepunkt in C. F. Meyer, der auch ein Problem auf schlichte Art gelöst hat, indem sein Personal die Sprache der Jetztzeit spricht, was aber genug Fußfallen birgt in Dingen, die es „früher“ nicht gab.
Für alle Formen „historischen“ Erzählens – selbst für die (Auto-)Biografie gilt, dass es eine Annäherung bleibt, ein Bild, dass sich der Autor von der/den Person/en, dem/den Ereignis/sen macht. Aber zwischen Belletristen und Wissenschaftler besteht ein entscheidender Unterschied: Müht sich der Belletrist gemeinhin allzu selten, Archive aufzusuchen, um Handschriften zu lesen, die er vielleicht gar nicht entziffern und/oder erst recht nicht verstehen kann oder will, selbst wenn sie in einer alten Fassung seiner Muttersprache verfasst sind, verlässt er sich auf Spezialisten, und wär's der eigene Großvater, die ihm das aufwändige Studium abnehmen (im anderen Falle wär er buchstäblich von allen guten Geistern verlassen). Und obwohl er nicht unbedingt sein Wissen erweitert, schmückt er Vorgekautes aus und deutet es nach seiner Interessenlage. Die Mühe des dokumentarischen Puzzles überlässt er dem/den Spezialisten – und je begrenzter die Datenlage, umso größer der freie Raum der belletristischen Fantasie. Aber – und da kommt nun Somalia wie die Levante ins Spiel, ich vermute, dass die Quellen sehr spärlich tropfen, was kein Angriff auf Dich bedeutet, lieber GoMusic (Du weißt ja, die Levante hab ich sofort erkannt – hat aber auch nix damit zz tun, dass ich 2015 und hernach in der Flüchtlingshilfe mitmachte). Und dann das, wenn Du begründest

Ist wahrscheinlich auch abhängig vom persönlichen Geschmack, von der Stimmung. Bei dem Anlass für diesen Text (das Vorlesen bei einer Friedensveranstaltung) habe ich auf jeden Fall schon mal die Aufmerksamkeit.

Und die hab ich schon hinter mir zu der Zeit, da ich mit „Gretchen“ experimentierte, dass @barnhelm sogar vorschlug, eben „Gretchen“ in dem Gottesdienst (am 12.11.2017, Auferstehungskirche Osterfeld) einzubringen. Was von den andern Organisatoren kritisch gesehen wurde, stattdessen griff ich auf einen wesentlichen, aber jedem zugänglichen kulturellen Unterschied zurück. Ich zitier mich noch mal (Formatierung gegenüber Original geringfügig geändert)

„Warum begrüßen wir uns mit einem Tagesgruß , / während "Schalom" und "As Salam Alaykom" grundsätzlich uns Friede wünschen? / Ist der gute Tag uns wichtiger als der Friede?
"Friede" ist im Gegensatz zur Zufriedenheit ein sozialer Begriff, / er gibt an, wie der eine mit dem andern auskommt, / beschreibt, wie es um eine Beziehung steht.
Friede meint ursprünglich "Schonung" und "Freundschaft" unter "Freihälsen" - / Leute, die "frei" waren, kein Joch trugen wie der Leibeigene, wie der Sklave. / Friede hat also auch mit Freiheit zu tun.

Heute sind die Zwänge, denen ein jeder unterliegt, / nicht so offensichtlich, oft vertraglich geregelt. / Und um des lieben Frieden willen, kuscht man, / als wäre die Friedhofsruhe das Ideal von Friede und Freiheit. / Man sehnt sich nach Eintracht und Harmonie, / dem häuslichen und ehelichen Frieden, ) will in Ruhe gelassen werden,/ um selber Frieden zu geben./ Aber Friede muss mehr sein als häusliche Beschaulichkeit!

Wie wird Friede? Durch Verträge. / Vertragen wir uns also. / Und um den Frieden sicherzustellen, rüsten wir auf / und der Exportweltmeister liefert "Produkte zur Gefahrenabwehr"/ wie es in der Regierungsbürokratie heißt. / Und schon verwechseln wir Friede mit Sicherheit./ Abschreckung. Schon das Wort klingt nicht sonderlich friedfertig. / Wann hätten Waffen und Schrecken je die Welt friedlicher gemacht? / Und zeugen Sicherheiten nicht von Misstrauen?

Wer kennte nicht die Worte des Lehrers Lämpel!
„Ach!“ spricht er, „die größte Freud, / Ist doch die Zufriedenheit!“​

Über den Begriff "Kitsch" werd ich aber noch bisschen nachdenken, ist eben kein Text aus der Gartenlaube.

Bis bald und einen angenehmen Restsonntag wünscht der

Friedel

PS: Auf 3sat (läuft gerade) sprach gerade G. Grass, wie er als 17jähriger eingezogen wurde, in Gefangenschaft geriet und als "Jugendlicher" wieder - Volljährigkeit galt erst mit 21, darf nicht vergessen werden) frei.

 

Hallo GoMusic,

oh ja, dein Text macht eindeutig betroffen. Gar keine Frage.
Aber jetzt kommt das ABER: ich halte ihn für zu gradlinig in dieser Hinsicht.
Betroffenheit und zwar die wuchtigere Form von Betroffenheit entsteht häufig durch das Zerbrechen, das Ambivalente.
Ich versuche dir ein Beispiel zu bringen:
Der Vater treibt sein Kind zum Laufen an, an die Hand kann er es nicht nehmen, weil er Fatima auf dem Arm hält und noch etwas an lebensnotwendigen Habseligkeiten tragen muss, wofür er die andere Hand benötigt.
Auf der Flucht trifft es Fatima. Sie ist diejenige, die stirbt, nicht der Vater. Und das mitlaufende Kind gerät durch den Tod der Schwester in die privilegierte Situation, nun an der warmen Hand des Vaters mitgezogen zu werden.
Aufstieg durch den Tod.
Vertehst du den Bruch? Krieg ist grausam, aber er ist unerträglich grausam in genau diesen Momenten.
Das fehlt mir in dieser Geschichte, weswegen ich sie als zu linear bezeichnet habe.

Lieben Gruß
lakita

 

Hallo Friedel,

danke für deinen erneuten Besuch und die interessanten Ausführungen.

Über den Begriff "Kitsch" werd ich aber noch bisschen nachdenken, ist eben kein Text aus der Gartenlaube.
Ja, würde mich interessieren, was du darüber denkst.

Hallo lakita,

schön, dass du auch vorbeigeschaut hast.

oh ja, dein Text macht eindeutig betroffen. Gar keine Frage.
Da freut mich.

ich halte ihn für zu gradlinig in dieser Hinsicht.
Betroffenheit und zwar die wuchtigere Form von Betroffenheit entsteht häufig durch das Zerbrechen, das Ambivalente.
Vertehst du den Bruch? Krieg ist grausam, aber er ist unerträglich grausam in genau diesen Momenten.
Ich glaube, ich weiß, was du meinst. Hast ein gutes Beispiel gemacht.

Du hast Recht. Es wäre wahrscheinlich gegen die Erwartung des Lesers, dass es halt nicht so gradlinig läuft. Und damit halt anders, und zwar gut.
Wenn sich also der Prota schuldig hält für den Tod seiner Schwester (weil halt er an der schützenden Hand des Vaters war und nicht die Schwester), dann wäre es keine "reine" Kriegsgeschichte mehr (Flucht, Tod, Einsamkeit), sondern es würde noch ein weiterer Faktor enthalten sein, der der Schuld.

Dein Gedanke gefällt mir sehr gut. ich werde drüber nachdenken, lass die Story noch ein paar Tage ruhen, arbeite zunächst an anderen Texten.
Mit ein wenig Abstand sollte es dann funktionieren.

Danke euch beiden und einen schönen Abend.

Liebe Grüße, GoMusic

 

Ja, würde mich interessieren, was du darüber denkst,

soll so sein,

lieber GoMusic,

und das beginnt bei mir mit Deiner Beteuerung

Ja genau. Kriegstexte sind es derzeit, an denen ich mich versuche.

Aber wir sind doch keine Kriegsberichterstatter und so wenig das Nibelungenlied das Hohelied des Mord und Totschlags singt, es ist m. E. ein Antikriegsroman und stellt mit dem Personal überwiegend mündlich überlieferter, durchaus glorifizierender „Heldensagen“ den wenig heldenhaften Kreuzzug Barabrossas dar und gleichzeitig das Bild des edlen Rittertums vom Kopf auf die Füße. Doch aus der Fehleinschätzung eben des NL als glorreiches Heldenepos kommt dann der Mythos der „Nibelungentreue“ zu Kaisers Zeiten ins Parlament und heißt 1914 die große Masse der Reichstagsabgeordneten incl. Sozialdemokraten der Kriegsfinanzierung zuzustimmen und die Hexenjagd auf die sozialdemokratische Rosa Luxemburg zu eröffnen. Alles andere als Kitsch, so wenig wie Dein kleiner Text, denn wer würde schon – um es drastisch zu sagen – ein noch so schönes dreifarbiges
Brutkleid des Steppenkiebitzes
und wäre es noch so rosig und lieblich anzuschauen ins Wohnzimmer hängen?, mag der Anblick des Vogels noch so unproblematisch sein und Wohlgefallen auslösen (ich wäre übrigens auch ohne Kiebitz auf die Levante gekommen, ich weiß nicht, warum man sich da schwertut, das Krisengebiet anfangs zu identifizieren, als wäre der Name Fatimas nicht schon beredt genug).

Ich hab jetzt mal aus reiner Neugierde, den „Kiebitz“ eingegeben und da zeigt sich ein interessanter Bericht aus den 90er Jahren, der der Geschichte noch eine andere Symbolik verleiht, denn 1996 wurde er zum „Vogel des Jahres“ gekürt, weil er für Verwüstungen durch Menschenhand jenseits aller Kriegsgebiete durch „Kultivierung“ steht, ich zitier mal einfach: „Das Tier sei ein typischer Bewohner der Niederungsgebiete und stehe für einen Lebensraum, der zunehmend durch Flurbereinigung und Entwässerung gefährdet werde, … Mit der Ernennung will der Nabu darauf aufmerksam machen, daß der Kiebitz durch die moderne Landwirtschaft verdrängt wird.“1

Und selbst wenn einem bei Nennung des Vogels wohlige Gefühle überkommen, der Text „schmeckt“ im übertragenen Sinne alles andere als süßlich oder lecker (um Geschmacksfragen zuvorzukommen).

Allein Deine Quellenlage jenseits der Motivation, die wir ja kennen, würde mich interessieren, umso mehr als ich – wie bei Deiner Somalia-Geschichte, einige Eritreer, also „Nachbarn“) so hier Syrer, aber auch – ähnlich gestrickt – Jordanier kennengelernt hab (die freilich nicht als Flüchtlinge hierherkamen). Wenn Du den Film „Lawrence von Arabien“ kennst (oder dessen Vorlage, den autobiografischen Roman „Die sieben Säulen der Weisheit“), weißtu auch um die Zerstrittenheit unter den Clans und selbst wenn Lawrence es symbolisch meinte – wenn ich die Abschlussszene noch korrekt in Erinnerung habe - zeigt sich ein besonderes mental(itär)es Merkmal, während die unter sich zerstrittenen arabischen Führer in Damaskus beraten, brennt es in der Nachbarschaft, vllt.sogar im benachbarten Haus - und keiner rührt auch nur die Hand, um zu helfen … Dazu muss man wissen, dass den Clans (und Lawrence ging davon aus, dass es ehrlich gemeint wäre) Freiheit versprochen wurde, wenn sie das Osmanische Reich angriffen - und die Grenzziehungen, mit dem Lineal gezogen, belegen es noch heute, der Sultan wurde gegen europäische Kolonialherren ausgetauscht.

Und - wie immer – hab ich nach Herkunft und eigentlicher Bedeutung des Wortes „Kitsch“ geschaut – und da umschreibt Duden dieses Wort mit „Schund“ und „Geschmacklosigkeit“ (nichts trifft davon auf Deinen Text zu) – und das Wort gehört „wahrscheinlich“ zum „nur“ mundartlichen Verb „kitschen“, das „streichen, schmieren; zusammenscharren; entlangstreichen, rutschen, flitzen“ meint und wohl „lautnachachmender Herkunft ist“, und vergleicht es mit dem schwedischen „smörja“, das zugleich als Kitsch und Schund mit dem Verb „schmieren“ übereinstimme, und sich verhalte wie „skräp“ = „Kitsch, Schund“ zu „skrapa »scharren«2. M. E. wird mit dem Wort „Kitsch“ leichtfertig umgegangen.

Wie dem auch sei, schönen Tag noch (hier ist Aprilwetter, aber Regen muss auch mal sein, sonst ist das mit dem Grundwasser von Essen bis Wesel und vom Rhein bis Dortmund auch so'ne Sache ... und aus dem Vati Rhein wird ein Wadi Rhein ...

Friedel

1 https://www.welt.de/print-welt/article662976/Kiebitz-ist-der-Vogel-des-Jahres.html, zitiert am 3.10.2019, 12 Uhr

2Duden Bd. 7. Das Herkunftswöerterbuch, Mannheim 2007, 4. Auflage, S. 407, linke Spalte

 

Lieber Friedel,

danke für deinen Besuch, das Nachforschen und den Link.

Allein Deine Quellenlage jenseits der Motivation, die wir ja kennen, würde mich interessieren,
Gerne nenne ich dir meine Quelle ;)

Der Text schildert das, was ein in Libyen lebender Mann als Augenzeuge erlebt hat. Zumindest. Es ist mir nicht ganz klar, ob er sogar selbst Betroffener ist/war.

Mir wurde es von einer Bekannten erzählt (eine mit einem Libyer verheirate, deutsche Autorin), die mit ihm (der Quelle sozusagen) befreundet ist.
Die Szene, in der die Toten auf dem Platz liegen und sich ein Kind zwischen seinen Familienangehörigen schmiegt, ist quasi eine 1:1-Nacherzählung, fast in den Worten, die die Quelle benutzt hat, die auch die besagte Autorin für ihr Gedicht benutzt hat. So entstand meine Motivation, daraus eine Kurzgeschichte zu schreiben.

Wünsche dir ein tolles Wochenende.
Liebe Grüße, GoMusic

 

Ach du heilige Scheiße –

da erweitert sich ja auf die ganze südliche und östliche Mittelmeerküste, ganz Nordafrika vom Maghreb (Westsahara, auf die östliche Nachbarn spekulieren, seitdem Spanien sie aufgegeben hat, bis Libyen, das ja auch seit der Beseitigung Gaddafis dank westlicher Führung alles andere als ein sicherer Zufluchtsort, „verschlimmbessert“ will ich mal nur sagen mit den gleichen Aussichten künftig wie der Irak nach Saddams Beseitigung – da bekommt der Zug des Kiebitz von Eritrea in die Levante und wieder zurück ja noch ne andere Symbolik … gar nicht erst zu sprechen von der Chance, in libyschen Lagern zum Geschäftsobjekt im Sklavenhandel zu werden … oder für die Flüchtlingsströme von südlich der Sahara – nach der Wüste lauert die Hölle …, kein Utopia.

Immer mehr spürt man die unglückliche Hand der (ehem.) westlichen Kolonialmächte seit dem 19. Jh. mit willkürlichen Grenzziehungen, dessen Folgen zwo Weltkriege sind usw. usf. - wen‘s interessiert – so in angemessener Kürze – schaue mal unter Flüchtlingscamp in Libyen: "Hier ist es noch schlimmer" (mit weiteren Quellen). Es gibt inzwischen einiges halb-/dokumentarische Texte/Bücher über die Fluchtbewegungen an Literatur, die aber eher nicht heranreichen an die keineswegs fiktiven Jenny Erpenbecks „Gehen, ging, gegangen“ und/oder Shumona Sinhas „Erschlagt die Armen!“, hierorts rezensiert unter „Erschlagen wir die Armen!“ - die ja auch eher das Ende der Flucht beschreiben ...

Dank Dir,

liebr GoMusic,

für die Ergänzung und trotz des heiklen Themas ein schönes Wochenende (hier, östlich des Rheins fiel heute noch nicht ein Tropfen ... dafür wird zur Sportschau das erste Bier geköpft ...

 

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