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The Punky Christmas Vierundachtzig

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26.08.2002
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Anmerkungen zum Text

Meine erste humoristische Geschichte überhaupt. 1984, 39 Jahre her ;)

The Punky Christmas Vierundachtzig

;


i.
Weihnachten ... 1984.
Ich ging in den Essraum.
Der Gast war eingetroffen: Bodo der Säufer, und im Wohnzimmer lauerte unter dem Weihnachtsbaum die Bescherung. Es gibt keinen Tag, der länger als vierundzwanzig Stunden dauert, dachte ich, und von dem hier waren schon achtzehn vorbei.
Meine Mutter bestand mit der Sturheit eines afrikanischen Wasserbüffels darauf, dass wir singen:
‘Oh Tannenbaum ...’, und ich singe: „ ... wie braun sind deine Nadeln/sie sterben schon seit geraumer Zeit ...“, als meine Schwester heiser wird und Vater versucht, mich mit einem Fünf-Mark-Stück zu bestechen. Ich bleibe hart; schließlich hat Jesus auch nicht gleich nachgegeben.


ii.
Die Bescherung: Ich erhalte von Mutter – wie jedes Jahr – vier Dutzend Paar Socken in drei verschiedenen Farbrichtungen. Ich verstaue sie in meinem eigens für diesen Zweck angeschafften Sockenschrank – an Socken wird es mir nicht mangeln bis zur nächsten Eiszeit – und gehe zurück ins Wohnzimmer.
Alles nimmt seinen Lauf. Mit Ausnahme von Mutter werden sie zuerst saufen, dann politisieren und saufen, und am Schluss saufen, politisieren, sich prügeln und die Wohnungseinrichtung schrotten, während meine Schwester versuchen wird, die Aquariumsfische mit Mutters Weihnachtsbowle zu vergiften.
Der Christbaum brennt schon, es muss halbacht sein, er brennt jedes Jahr um diese Zeit. Meine Schwester löscht.

Vater hat am gestrigen Tag vorsichtshalber die Weihnachtsplatten von Mutter zerkratzt. Bodo der Säufer ruft grölend: „Frooohe Oostern!“, und Mutter bringt ihre ‘Plätzchen’. Wahrscheinlich hat sie das Rezept von einer Firma, die Stahlbetonmischungen zum Bauen von Fundamenten für 24-stöckige Hochhäuser herstellt. Im direkten Vergleich brechen zuerst die Zähne.
Inzwischen leistet der Hund seinen Beitrag. Er scheißt hinter den (immer noch brennenden) Weihnachtsbaum, während Mutter heult und der Vati den Opi unter'm Couchtisch würgt. Bodo hat in der Zwischenzeit den Birnenschnaps fertig, zumindest die erste Flasche. Meine Schwester ist fertig mit Löschen und wirft mir jetzt böse Blicke zu. Sie hat mir drei LPs von den Dead Kennedys geschenkt und ich schenkte ihr drei selbstgemalte Bilder (um dem Kommerz zu widersagen). Vielleicht ist sie auch nicht ganz zufrieden, weil sie in die Hundekacke gestiegen ist.

Schließlich kommt der unvermeidliche Augenblick. Der Augenblick, den jeder kennt, und den alle (Bodo, Opa, Vater, meine Schwester, ich und der Hund) mit Angst erwartet haben: Die Mitternachtschristmette kommt näher.
Bodo ist blau. Er wünscht mir alles Gute zu meinem Geburtstag. Onkel Simon kommt auch noch vorbei, Mutter lässt ihn rein -- ein Mitglied des Pfarrgemeinderats. Er wird wieder versuchen, Bodo für die Neugründung des ‚Bunds der Alten Fadenscheinigen Deutschnationalkämpfer’ zu gewinnen (dessen erklärtes Ziel es ist, Elsaß-Lothringen zurückzuerobern. Eigentlich wollen sie wieder Krieg gegen die Russen, Frankreich ist nur zweite Wahl).
Als Simon wieder weg ist, ist es so weit, da fragt Mutter mit zittriger Stimme: „Ich geh jetzt zur Mette. Die ist so feierlich – und christlich und – schön ... Wer kommt mit?“ Niemand, eigentlich. Und wenn niemand mitkommt, löst sich in Sekundenschnelle das Universum in Nichts auf – und Vater muss wieder den Notarzt kommen lassen wie jedes Jahr. Bodo war ein Mal bereit gewesen, dann aber auf dem Klo verschwunden und bis zum Morgengrauen nicht mehr aufgetaucht. Meine Schwester ist soeben krank geworden. Dem Tode nahe schleppt sie sich auf ihr Zimmer ins Bett.


iii.
Ich opfere mich. Nehme sechs Flaschen Bier in meinen Rucksack, pack meinen Walkman in die Manteltasche, und wir gehen los, Mutter und ich. Wir kommen zu spät, es hat schon angefangen. Den Chorteilnehmern scheint ihr eigener Gesang gut zu gefallen. Ich setze mich und drücke auf Play. Kopfhörer auf, und mitsingen. Sex Pistols: „I am an anarchyst/I am the antichrist...“ Mutter kuckt enttäuscht, ich sage ihr: „Was denn, die anderen singen doch auch!“ Die wenigen Jugendlichen haben sich bald um mich geschart und den Rock’n’Roll und mein Bier.

Eine Gruppe von sechs Hells Angels kommt auch noch in die Kirche, um zu demonstrieren, wie sie ihren ‘Glauben leben’. Einer hat einen 100-Watt-Kassettenrekorder mit AC/DCs ‘Hell Bells’ aufgedreht. Ein anderer ist offenbar hungrig, geht vor zum Altar und frisst sich mit Hostien voll. Ich ignoriere das Weinen meiner Mutter und beginne, dem Kirchenchor den Pistols-Song ‘Anarchy In The UK’ beizubringen. Solche Gelegenheiten sind selten. Vor Angst machen sie mit. Ein paar Jugendliche beginnen mit einer kleinen, stimmungsvollen Messerstecherei und zwei der Hells Angels sind dabei, einen Ministranten zu vergewaltigen. Was für ein Planet, auf dem wir solche Dinge tun! Die Polizei trifft ein. Ich hau ab in die City.


iv.
Penner machen in der U-Bahn Rundfahrten, weil niemand kontrolliert. Die Innenstadt ist voll mit Polizei. Ein Punker ruft: „Haut die Bullen platt wie Stullen!“ Es steht auch auf seiner Jacke, die Polizei nimmt ihn erst mal mit.
Ich setz‛ mich abseits auf eine Bank, mach mein letztes Bier auf und frage Jesus: „Ist das alles dein Ernst? Was sollte das werden? Du wolltest doch nicht wirklich dieses Scheißhaus voller kranker Spackenköpfe? Du warst bloß noch nicht in Übung, stimmt‛s?“ Doch Jesus hatte offensichtlich keinen guten Tag, denn es ziehen schnell schwarze Wolken über mir zusammen und verdunkeln das Firmament. Ein Blitz sticht herunter und trifft mich (und ich denke noch: Touché!) und verwandelt mich in Kompost.
Gott ist manchmal eben doch gerecht.


v.

 

Hallo FlicFlac!

Wollte mal eben passend zu meinem (verdammt zähen!) Lebkuchen eine weihnachtliche Geschichte lesen. Gleich im ersten Abschnitt sind mir dann die Krümel aus dem Mund gefallen. Weil er offen stand ...
Dies ist eine Hinführung auf das "Frohe Fest" der besonderen Art.

Ich bleibe hart; schließlich hat Jesus auch nicht gleich nachgegeben.
Ein Fingerzeig auf den bitterbösen Inhalt, der mir verdammt gut gefällt. Hier wird die andere Seite familiären Beisammenseins an solchen Tagen ausgebreitet und der Hintersinn von Zeremonien persifliert. Die lakonische Art des Erzählens treibt das Ganze noch auf die Spitze.
Sie hat mir drei LPs von ZZTop geschenkt, und ich ihr zwei Packungen Spearmint-Kaugummi (um dem Kommerz zu widersagen).
U. s. w.

Teil III: kein Kommentar! :rotfl:

Ein paar Fehler sind noch drin!


Ciao
Antonia

 

Tel 3 : kein Kommentar: nach d e r Wartezeit?

Und an den Fehlern bin ich auch interessiert!

Ich bitte Mutti, dir Lebkuchen zu backen, oki?

Gruß vom Flic

 

Hallo FlicFlac!

Deine Seitenhiebe in Richtung "Besinnlichkeit" sind mir nicht entgangen. Bodo der Säufer (danke für den Hinweis!) vergisst den Sinn der Feierlichkeit mit jeder Steigerung des Promille-Pegels ein wenig mehr, und auch sonst ist von den eigentlichen Hintergrund besagten Festes in der heutigen Zeit nicht mehr viel übrig geblieben. Wo man früher einmal (vielleicht) im trauten Kreis der Familie in der Nähe eines frisch geschlagenen Baumes saß, zur Hausmusik gemeinsam Lieder sang und dann zur Mette ging, da stehen heute Essen, Trinken und der Austausch von Geschenken im Vordergrund, frühere Gebräuche erscheinen seltsam sinnentleert.

Ich opfere mich.
Da hatte sich doch schon mal jemand geopfert ...
Wir kommen zu spät, es hat schon angefangen.
Die Mette wird als Aufführung entlarvt.
Ein paar Jugendliche beginnen mit einer kleinen, gemütvollen Messerstecherei ...
Auch in der Kirche selbst ist kein Frieden zu spüren.
Was für ein Planet, auf dem wir solche Dinge tun!
Genau!!!

Die Fehler, die ich meinte entdeckt zu haben, hielten einer Überprüfung nicht stand.

:thumbsup:


Ciao
Antonia

 

Hallo FlicFlac

nun ja, eigentlich sollte die Geschichte wohl ein wenig überzogen sein, oder?
Obwohl das zu der geraden (schönen) Weihnachtszeit, die Zahl der kriminellen Delikte (der Frau auf die Schnauze hau, gegenseitiges Verzeihen) im Vordergrund stehen sollte. Oder die Suizidfälle die sich aus Frußt aus den Fenstern stürzen. Nach den Nachrichten zu urteilen, geht es tatsächlich mitunter so zu.

Also warum nicht auch so ein Sahnehäppchen?;)


Hab es gern gelesen

Morpheus

 

Hi FlicFlac!

Wie konnte deine Story so lange ohne Kommentar überleben? :D

Also, dein Werk hat mir gefallen, weil das Weihnachtsfest so schön auf den Arm genommen wird. Wie Toni schon sagte, ist nicht mehr viel übrig geblieben vom traditionellem Weihnachten. Weihnachten ist eigentlich nur noch Commerz (aber was ist das heutzutage nicht?).

Naja, bei mir in der Familie ist es Weihnachten immer so, dass es irgendwelche Diskussionen zwischen meiner Oma und meinem Onkel gibt und wir Würstchen mit Kartoffel-/Nudelsalat zu essen kriegen... aber egal, gehört nicht zum Topic. ;)

Deine Geschichte hat mich auf jeden Fall gut unterhalten.

Greetinx
Alisha

 

Wie konnte deine Story so lange ohne Kommentar überleben? :D

Alle Jahre wieder, ...

Am 13.12. lese ich die Story by the way im Dortmunder Cafe CHAT NOIR; bitte die Plätzchen nicht vergessen!

 

Hallo FlicFlac!

Beinahe hätte ich´s vergessen: Was soll folgender Satz aussagen?

Es gibt keinen Geist ohne Materie.

Da dies sowohl am Anfang als auch am Ende steht, müsste es sich dabei um einen Schlüsselsatz handeln.
Soll evtl. auf eine Nichtexistenz Gottes hingewiesen werden? Ich bitte um Erleuchtung!


Ciao
Antonia

 

Anm.: Die Erleuchtung wurde Antonia als 'Personal Message' zu geschickt. Bei Interesse bitte einen 50-EURO-Schein an mich senden - nach Erhalt bekommen Sie die Erleuchtungsnachricht direkt in Ihr Postfach!

 

Hallo FlicFlac,

ich bin zu später Stunde auf Deine Weihnachtsgeschichte gestoßen und bin positiv überrascht, dass Deine etwas düster ausgemalte aber durchaus pointierte Schreibweise, meinen Geschmack getroffen hat. Da ich die Adventszeit und das Weihnachtsfest liebe, steh ich solchen Geschichten immer ein wenig skeptisch und mit leichter Abneigung gegenüber.
Allerdings mußte ich an einigen Stellen lachen und besonders der Schluß hat mir gut gefallen.

Trotzdem: Frohes Fest

Gruß

 

@FlicFlac

Der Protagonist durchlebt ein, für ihn typisches Weihnachtsfest; jedes Jahr dieselbe Leier. Er fragt sich, warum Gott (?) oder eine andere höhere Macht, diese Chaos zuläßt.
Aber ohne jegliches Engagement, läßt er dieser alljährlichen Szenerie ihren Lauf. Die Bestrafung folgt auf dem Fuße und er wird kompostiert.

Ich denke, diese Zitat, könnte als Fazit aus der Geschichte hervorgehen:

Ich kann nicht sagen ob es besser werden wird, wenn es anders wird. Aber so viel kann ich sagen: es muß anders werden wenn es gut werden soll.
Georg Christoph Lichtenberg

Gruß

 

schönes Zitat

Schönes Zitat, ich kannte es schon;


wid er den Fatalismus!

;-))))


Flic

 

Mich hast du jedensfalls unterhalten. Ich fand gut, dass die Geschichte nicht zu lang war, denn diese Masche kann schnell langweilig finden. Ich musste nicht lachen - eine solche geschichte ist ja nichts neues. Aber grinsen schon. Dir ist gelungen, das zeitgleich ablaufende Chaos, das Drunter und Drüber, darzustellen. Als Leser kann man sich die Situationen gut bildlich vorstellen.

Gruß

Fee

 

Tach FlicFlac,

Wetzlar scheint ja zu Weihnachten ein gemütliches Städtchen zu sein. Ich pack dann mal den Rucksack, Pils oder Alt? :D

Coole Geschichte, nicht zu lasch und nicht zu überzogen. Mit anderen Worten: Du hast genau den richtigen Ton getroffen! :thumbsup:


Oi oi oi polloi!

Dante :xmas:

 

Hallo FlicFlac,

fabelhaft, ich kann Dir das gut nach empfinden, beim Familien Pflichtprogramm immer tief durchatmen. Die Gedanken kreisen schon in der WG, und beenden den Abend in einem Sofatal mit Bier und Punk Rock.

Fohe Weinachten
Mummenschanz

 

Früher war es ungeschrieben üblich - am 24. nach Mitternacht gabs noch eine Auffangparty für alle Familienflüchtlinge bei mir ;-) - meist mehr als dreißig Leute, die noch eintrudelten.


Flic

 

Der 1. und der 2. Teil unterscheiden sich deutlich. Wähernd der 1. Teil noch als Slapstick gelten kann, ist der 2. Teil schon eher "Punk".

Nur was du mit dem Schluss willst, ist mir unklar...

 

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