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When it hurts
Das laute Donnern in den Ohren, das Gefühl das eigene Trommelfell platzen zu hören. Der immer größer werdende Druck. Das schier unerträgliche Knirschen. Alles trotz nahezu vollkommener Stille. Das Rauschen des Windes, schwillt zu ohrenbetäubendem Lärm an und trotzdem genießt du es.
Du genießt, dass du etwas spürst, etwas bewusst wahrnimmst.
Alles vielleicht zum letzten Mal. Auffallend spitze kleine Kieselsteine die gegen deine frierenden Fußsohlen drücken. Auch eine Art von Schmerz.
Alles ist besser als die tagtägliche Benommenheit. Ausgelöst durch den lähmenden Lärm, der dich in deinem aussichtslosen Alltag erbarmungslos erdrückt. Alltag, ein an und für sich schon erdrückender Begriff, geprägt durch grausige Gewohnheit und apathische Antriebslosigkeit. Zumindest für Menschen wie dich und mich. Es ist tödlich.
Es führt zu der Situation in der wir uns gerade befinden, die vermutlich noch öfter vonstatten gehen wird, wenn du es nicht beendest. Auf die eine oder andere Art. Aber wieder zurück kannst du nicht.
Denke an das graue Bürogebäude, welches du wieder fünf Tage die Woche betreten musst, an die schwere Eingangstür aus Stahl, die paradoxerweise leise hinter dir zufällt; egal mit wieviel Schwung du sie hinter dir zuschlägst. Die endlosen steilen Stufen, jeden Schritt verschluckend.
Drei Stockwerke bis du überhaupt jemandem begegnest, der dich wahrnimmt. Beziehungsweise dein Schild mit deinem Namen, nicht dich. Du bist nur ein weiterer zu Kontrollierender für den klapprigen Kontrollierenden. Natürlich weißt auch du seinen Namen nicht, wozu auch. Kannst dich nicht an den Klang seiner schlaftrunkenen Stimme erinnern, sobald du ihn passiert hast. Wozu auch. Wozu solltest du deine wertvolle Zeit mit ihm verschwenden, du hast Wichtiges vor dir.
Drei weitere Stockwerke, bis zu deinem eigenen Büro, den Kaffee im Pappbecher in der einen Hand, die Aktentasche in der anderen. Das obligatorische Nicken in Richtung des Kollegen am Wasserspender, wie jeden Morgen. Seinen Namen weißt du, schließlich musst du manche Dokumente an ihn weiterleiten.
Dein Büro, mit Blick auf die Straße, findest du selbstverständlich vor wie am Tag zuvor. Das Ticken der kleinen hölzernen Uhr nimmst du gar nicht wahr. Dabei hat sie einen ganz besonderen Klang. Wie winzige Eiszapfen, die sich jede Sekunde von einem Vorsprung lösen und auf einem harten, glatten Untergrund zerschellen.
Doch das wird überschattet von dem Straßenlärm, der durch die eigentlich gut isolierten Fenster dringt. Autos, die die Geschwindigkeitsbegrenzung überschreiten und den Motor aufheulen lassen. Was sie damit kompensieren wollen, ist dir unbegreiflich. Doch du zerbrichst dir darüber nicht den Kopf. Du hast Wichtiges vor dir.
Austauschbarer Kollege B wartet auf die Dokumente von dir, austauschbarer Kollegin A.
Der Wind zerzaust dir das einst ordentlich gemachte Haar. Die spitzen Steine durchbohren deine frierenden Fußsohlen. Der Mangel an Licht, führt dich in die Freiheit. In die Freiheit vor deinen inneren Zwängen, aufgedrückt von äußeren Zwängen.
Mit dem erneuten Aufheulen des Windes, lässt du dich treiben.
Unüberlegt. Ungehalten. Ungezwungen.
Du lässt dich treiben, schwelgst in der Gefühlsexplosion. Du entfaltest dich für eine kurze Ewigkeit der Glückseligkeit. Das prickelnde Adrenalin, die kitzelnde Angst lassen dich erblühen. Wie eine Blume im Wind, wiegst du dich in der berauschenden Konvivialität der Freiheit und spürst das Leben.
Das Leben, welches du dir zuerst nehmen musstest, um es in vollen Zügen zu erleben.