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Wie alles begann; Aus dem Tagebuch eines Mädchens

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10.10.2014
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Wie alles begann; Aus dem Tagebuch eines Mädchens

Wie alles begann

Es begann alles mit einem Zucken. Kennt jeder. So ein nerviges Zucken im Gesicht, das aber nach ein paar Minuten nachlässt. Sollte es zumindest. Doch bei mir verschwand es nicht einfach. Zuerst dachte ich, ich hätte mal wieder akuter Magnesiummangel. Wäre ja nicht das erste Mal und gar nicht so abwegig. Also schluckte ich wieder regelmässig mein Magnesium (was ich sonst immer grosszügig vergas) und hoffte das Zucken würde nachlassen. Tat es aber nicht. Nach zwei drei Tagen fing es mich dann richtig an zu nerven. Nicht nur weil ich nachts aufwachte, sondern weil ich auch das Gefühl hatte, ich sähe aus wie eine Irre mit dem bekloppten Zucken im Gesicht. Ich nahm sogar meine Kontaktlinsen raus und ging mit Brille zur Schule (was ich seit Jahren nicht mehr gemacht hatte), in der Hoffnung es wurde das Zucken ein bisschen kaschieren. Dann kam die Übelkeit dazu. Mir wurde so schlecht, dass ich kaum stehen konnte, dazu kam noch, dass ich Probleme hatte, wenn ich den Kopf drehte, die Dinge zu fixieren. Klingt gruselig, war es auch. Also kurz gefasst, vier Tage nach dem Beginn des Zuckens ging es mir wirklich nicht mehr gut. So das ich nicht mehr zur Schule gehen konnte. Stattdessen durfte ich meine Hausärztin aufsuchen. Dazu muss man noch wissen, dass ich (ohne dass ich angeben will) eine relativ hohe Schmerzgrenze habe, und wenn ich nach einem Arztbesuch verlange, dann hat das wirklich seine Gründe. Also besuchte ich, mit meiner Mutter im Schlepptau, meine Hausärztin. Ich durfte ihr meine Situation schildern, wie man das halt so macht beim Arzt und sie machte ein paar Tests. Sie zögerte nicht lange und vereinbarte sofort einen Termin beim Röntgeninstitut für eine MRI. Es ging darum, dass man eine Aufnahme von meinem Gehirn macht, um irgendwelche Läsionen (ich bin stolz auf dieses Fremdwort) auszuschliessen. Mutiple Sklerose (kurz MS) würde diese Läsionen und auch meine Symptome erklären. Beim Wort MS klingelten bei meiner Mutter natürlich schon die Alarmglocken. Sie selber hatte mit etwa dreissig Jahren diese Diagnose erhalten und das Letzte was sie in diesem Moment wollte war, das ihre Tochter dieselbe Diagnose erhalten würde. Ich selbst wusste nicht viel über die Krankheit und das bewusst. Ich wusste, je weniger ich über die Krankheit weiss, desto weniger Sorgen musste ich mir über meine Mutter machen. Klar, bekam ich es mit, wenn sie einen Schub hatte, doch ich konnte es besser ertragen, wenn ich nicht genau wusste was genau abläuft.
Dies änderte sich natürlich nach dem Besuch bei meiner Hausärztin. Zuhause angekommen suchte ich im Internet nach Informationen. Als ich mögliche Symptome durchlas, war es für mich eigentlich schon klar. Es trafen zu viele zu, für das es nur ein Zufall sein konnte. Denn schon ein halbes Jahr zuvor, hatte ich so mysteriöse Symptome. Doch dazumal sagte man noch es sei ein Virus. Ich litt auch dazumal an starker Übelkeit und an Empfindungsstörungen, das heisst, mein ganzer Körper war wie eingeschlafen, so taub und so ein Kribbeln. Das war auch äusserst nervig. Doch es verschwand dann wieder nach rund einem Monat. Doch ich erzähle noch wie es weiter ging.
Also, wie gesagt, für mich war es relativ schnell klar, doch natürlich konnte man so eine Diagnose nicht einfach so stellen. Zahlreiche Tests standen mir bevor. Als erstes musste ich eben ein MRI machen lassen. Ich wusste was mich erwartete dank Grey’s Anatomy.
Ich ging die ganze Sache relativ entspannt an. Als ich beim Röntgeninstitut ankam durfte ich gleich in eine Kabine. Dort musste ich mich bis auf die Unterwäsche ausziehen. Das hingegen fand ich weniger prickelnd. Aber ja, c’est la vie. Dann wurde ich kopfvoran in diese Röhre geschoben, ich bekam noch Kopfhörer mit denen ich Radio hören konnte. Dann ging es los. Diese Maschine macht echt verdammt laut, es hämmert und knallt. Doch man gewöhnt sich schnell daran, zum Glück bin ich auch nicht klaustrophobisch, sonst wären das bestimmt die schlimmsten zwanzig Minuten in meinem Leben gewesen, doch im Gegenteil, ich schlief fast ein.

Während dieser ganzen Zeit war ich noch nicht im Stande in die Schule zu gehen. Meine Freunde begannen sich langsam Sorgen zu machen. Ständig musste ich sie beruhigen, lästig sage ich euch. Nein im Ernst, ich vermisste sie schon nach etwa zwei Tagen. Ich fand es schrecklich nervig, den ganzen Tag nur rumliegen zu müssen und nichts machen zu können. Ja ich weiss, viele wünschen sich das, einfach mal Nichts zu tun, doch ich sage euch meine Freunde, wenn ihr keine andere Wahl habt, dann verleidet es euch ganz schnell.
Ein paar Tage nach dem MRI hatte ich wieder einen Termin bei meiner Hausärztin. Mit bedauernder Miene teilte sie mir und meiner Mutter mit, dass es leider Anzeichen dafür gab, das es sich um MS handeln könne, und man dies auch auf den Bildern sehen könnte. Schockmoment, doch mehr für meine Mutter, für mich war es nicht so ein grosse Überraschung.
„Das kann doch nicht sein!“, sagte sie mit tränenerstickten Stimme. Beide sahen mich an, meine Mutter zum Einen und meine Ärztin zum Anderen. Sie schienen nur darauf zu warten, dass ich in Tränen ausbrach. Doch das tat ich nicht. Ich sass nur da und spürte den Blick von der Seite von meiner Mutter.
„Wie geht es jetzt weiter?“, fragte ich meine Ärztin, obschon ich schon wusste, dass der nächste Schritt war, einen Neurologen aufzusuchen.
„Wie kannst du nur so cool bleiben?!“, fragte meine Mutter mich vorwurfsvoll (ja sie sagte tatsächlich „cool“).
„ Das liegt bestimmt am Schock. Sie muss das erst alles sicken lassen und noch ist es auch nicht wirklich klar ob es wirklich MS ist, das muss sich ein Neurologe ansehen.“, beruhigte die Ärztin sie.
Und ob es klar war, zumindest für mich. Aber ich war nicht geschockt und ich wollte auch nicht „cool“ sein. Ich sass nur da und wartete darauf was als nächstes auf mich zukommen würde. Ich kann nicht beschreiben wie ich mich fühlte. Ich war weder wütend, noch traurig, noch war es mir egal. Auf dem Nachhauseweg fragte ich meine Mutter, was das jetzt für mich hiesse, wenn ich jetzt tatsächlich MS habe, ob ich dann Spritzen bräuchte.
„Du hast keine MS, du hast noch keine Diagnose.“, ich merkte, dass sie sich vielmehr selbst zu beruhigen versuchte, als mich, denn ich war ja die Ruhe in Person.

In meinem Zimmer stapelten sich alle Aufgaben von der Schule, die ich verpasste weil ich ja damit beschäftigt war zuhause rumzuliegen und Nichts zu machen. Und mit Nichts meine ich Nichts. Und das war ja das mühsamste am Ganzen, ich konnte nicht mal ein Buch lesen, weil mir wegen dem Zucken sofort übel wurde. Stelle sich das mal jemand vor, mir wurde übel vom Lesen.

Doch dann nach etwa einer Woche, fing es an, wieder besser zu werden. Die Übelkeit verschwand und auch das Sehvermögen wurde von Tag zu Tag besser. Und auch das verdammte Zucken wurde weniger stark. In dieser Woche hatte ich meinen ersten Besuch beim Neurologen.
Ja zu dem Besuch gibt es nicht viel Spannendes zu erzählen. Ich musste zahlreiche alberne Tests machen, wie zum Beispiel mit meinen Zeigefingern bei geschlossenen Augen auf meine Nase zu Tippen, mein Gesicht zu Grimassen zu verziehen oder auf einem Bein zu stehen. Ich kam mir vor wie der letzte Clown.
Doch ich darf stolz verkünden, dass ich alle Tests mit Bravour bestanden habe. Bis auf den Test bei dem ich mit den Augen hin und her schauen musste. Das eine Auge war langsamer als das Andere, was erklärte weshalb ich beim auf die Seite schauen, meine Umgebung nicht fixieren konnte. Nachdem ich mich auch wieder einmal ausziehen durfte und all meine Reflexe ausgiebig getestet wurden, durfte ich mich wieder anziehen. Der Neurologe war ein netter Kerl, mittleren Alters. Ich weiss ja nicht, ob es an meinem Charme lag, musste er sogar Lächeln. Auch er hatte mir eigentlich nicht viel Neues zu sagen. Er sagte auch, dass vieles auf MS hindeute, es aber noch zu früh sei eine Diagnose zu stellen und dass ich mich noch weiteren Tests unterziehen müsste. „ Wozu noch weitere Tests“, dachte ich mir, aber eben, Betonung auf dachte.

Also unterzog ich mich, heldenhaft wie ich bin, diesen weiteren Tests. Als erstes wurden mir gefühlte 2 Liter Blut abgezapft. Dann durfte ich doch tatsächlich noch mal das Röntgeninstitut mit meiner Anwesenheit beehren, da ich ein weiteres MRI benötigte. Da ich mittlerweile schon ein Richtiger MRI-Profi war und wusste wie der Hase läuft, ging ich auch dementsprechend entspannt an die Sache ran. Eigentlich wie immer. Der Radiologe sagte mir es würde rund dreiundzwanzig Minuten dauern. Er schob mich in die Röhre und ab ging es. Doch nach einer Viertelstunde wurde ich wieder rausgezogen. Der Radiologe sagte mir, leicht genervt, ich müsse wirklich stillliegen und weniger atmen, denn die Bilder seien für die Katz und wir müssen noch mal von vorne beginnen. Was für ein Vollidiot. Wie in Gottes Namen sollte ich bitteschön weniger atmen? Ich war richtig genervt. Er sagt noch etwa dreitausendmal ich müsse WIRKLICH stillliegen, bevor er mich wieder in die Röhre schob.
Ich gebe es nicht gerne zu, aber als ich wieder drin war, hatte ich wirklich einen Moment der Schwäche. Ich war so darauf konzentriert, meine Atmung flach zu halten, dass ich kurz davor war zu hyperventilieren und das Ganze abzubrechen. Dazu kam noch das mich dieser Volldepp von Radiologe immer noch aufregte. Doch dann fand ich die perfekte Strategie mich zu beruhigen. Ich nahm mir nämlich vor, sobald ich wieder rauskommen konnte, diesem Radiologen meine Meinung zu geigen. Dieser Gedanke versetzte mich in so eine Ruhe und in ein mentales Gleichgewicht, das meine Atmung so flach wurde wie sie nur konnte. Ich bereitete mich auf zwei Szenarien vor.
Als erstes würde ich den Radiologen leicht genervt-arrogant fragen, ob er eigentlich schon mal selbst eine halbe Stunde in so einer Höllenmaschine gewesen sei. Hätte er mit ja geantwortet, hätte ich zickig gesagt:
„ Dann sollten Sie ja wissen wie das ist!“, und im Falle er hätte mit nein geantwortet hätte ich gesagt:
„ Dann sollten Sie das schleunigst nachholen und dann werden wir sehen ob sie auch weniger atmen können!“
Ich wollte es wirklich tun. Doch als mich mein Radiologenfreund wieder rausholte sagte er überschwänglich: „ Das haben Sie wirklich toll gemacht, das sind wirklich Top-Bilder geworden!“ Das war’s dann mit meinem super Racheplan. Ich konnte ihn nach dieser Flut an Komplimenten schlecht zur Schnecke machen.

Mittlerweile konnte ich wieder zur Schule gehen. Ich war froh endlich mal wieder etwas Sinnvolles zu tun und das ist jetzt nicht ironisch gemeint, es ist mein voller Ernst. Natürlich blieb meine einwöchige Abwesenheit nicht unbemerkt. Lehrer so wie auch meine Mitschüler fragten mich was mit mir los war. Da kam schon das nächste Problem. Was sage ich nun? Ich meine, eine offizielle Diagnose hatte ich ja noch nicht. Also ging ich nach folgender Strategie vor. Fragte mich jemand, dann sagte ich zuerst: „ Es ist etwas kompliziert“, das funktionierte bei ein paar Leuten, ja manche geben sich schon mit wenig zufrieden. Für die die etwas neugieriger waren, sagte ich dann noch: „ Man weiss es noch nicht genau, ich muss noch weiter Tests machen“, ich meine das entsprach ja voll und ganz der Wahrheit. Dann für die, die gar nicht locker liessen, ja denen erzählte ich einfach die ganze Wahrheit, nämlich das die Untersuchungen immer noch laufen, der Verdacht jedoch auf MS liegt, das sei eine Erkrankung welche das Nervensystem angreife. Ja, so ist es ja auch.
Meinen Freunden erzählte ich natürlich schon von Anfang an die ganze Geschichte. Ich war erstaunt von mir selber, wie offen ich über die Krankheit reden konnte, es war fast so als würde ich gar nicht von mir selber reden, als ich von den Tests und den MRIs erzählte. Doch egal wem ich es erzählte, alle reagierten gleich. Zuerst ein betroffenes Schweigen und dann ein mit vollem Mitleid gefülltes „Tut mir echt leid für dich“ Und das war es genau, was mich nervte, nämlich diese mitleidigen Blicke. Ich weiss, es sollte trösten, doch ich wollte kein Mitleid. Ich wollte nicht die arme 16-jährige mit der unheilbaren Krankheit sein. Sonst kam ich eigentlich echt gut klar. Auch als ich dann die endgültige Diagnose bekam, das ich wirklich MS habe, ging es mir nicht schlechter. Im Gegenteil es ging mir besser, so absurd es auch klingt. Ich war erleichtert. Kennt ihr das, dass man manchmal erst etwas bemerkt, wenn es nicht mehr da ist? So in etwa ging es mir mit der Diagnose. Es war so, als hätte mein Unterbewusstsein gewusst, dass etwas nicht stimmt und als ich dann die Diagnose erhielt, hat es wie eine Erklärung dafür gegeben und es ist mir wie eine Last von den Schultern gefallen. Ich weiss nicht ob man mir folgen kann, es klingt vermutlich alles ein bisschen schräg, aber naja ich hab’s versucht.
Natürlich habe ich mich auch gefragt, ob das wirklich normal ist, das ich so gut klar komme. Oder ob ich vielleicht meine Gefühle verdränge und so kam ich in einen philosophischen Kreislauf von Fragen. Verdränge ich meine Gefühle? Wenn ja, und ich meine Gefühle wirklich verdränge, wäre ich dann in der Lage so rational zu denken, um zu erkennen, dass ich meine Gefühle verdränge?

Bis jetzt habe ich noch keine Träne vergossen. Nicht das ich darauf stolz bin, überhaupt nicht. Ich denke der Grund dafür ist, dass ich mich trotz der Krankheit nicht in der Opferrolle sehe. Schliesslich weiss niemand, ob gesund oder krank, was morgen geschehen wird. Also, warum in Selbstmitleid und in Angst vor der Zukunft leben anstatt jeden Tag so zu nehmen wie er kommt?

 
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Hej cherrygeri,

auf mich hat der Text authentisch gewirkt. Wie die Erzählerin durch ihre flapsige Sprache immer etwas distanziert bleibt und dem Leser und irgendwie auch sich selbst vermittelt, dass sie eigentlich ziemlich gut klar kommt, meistens cool bleibt und nur einmal einen Moment der "Schwäche" hat, das ist, als wolle sie sich über den Tagebucheintrag gleichzeitig mit der Diagnose MS auseinanderzusetzen und sie aus einer sicheren Distanz heraus betrachten. Das halte ich (gerade in ihrem Alter auch wenn ich da nur Vermutungen anstellen kann) für eine recht wahrscheinliche Reaktion.

Schade finde ich, dass es (fast) nur diese eine Haltung gibt.

Auch als ich dann die endgültige Diagnose bekam, das ich wirklich MS habe, ging es mir nicht schlechter. Im Gegenteil es ging mir besser, so absurd es auch klingt. Ich war erleichtert.
Neben der Szene mit dem Radiologen verrät auch das hier, dass da noch andere Gefühle im Spiel waren (ich finde das klingt übrigens nicht absurd).

Weil Du Deine Geschichte in einen Tagebucheintrag verpackst, finde ich es schwierig, etwas zur Figur, zur Handlung oder zum Aufbau zu sagen. Wenn Du hier Feedback zu einer Geschichte bekommen möchtest, wäre es sicher günstiger, eine andere Form zu wählen. Vielleicht beim nächsten Mal.

Ich wünsche Dir noch viel Spaß hier,

Gruß,
Ane

 

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