Was ist neu

Mondschlaf

Empfehlung
Wortkrieger-Team
Seniors
Beitritt
31.01.2016
Beiträge
2.228
Zuletzt bearbeitet:

Mondschlaf

Vivien lauscht den Äpfeln, die vom Baum fallen. Sie streifen trockenes Laub und Äste. Und während sie tagsüber diesen Vorgang kaum wahrnimmt, hört es sich nachts an, als lösen sie sich vom Zweig, um hinabzustürzen. Sie hört, wie sie im Hof auf den Boden treffen. Manche springen einmal auf, wie in einem gespenstischen Tennismatch. Sonst ist im Hinterhof kein Laut zu vernehmen. Möwen, Krähen und die Nachbarn bevölkern den Garten erst später am Tag und machen sich über das Obst her. Vivien könnte einen langen und tiefen Schlaf gebrauchen. Sie würde aufwachen, wenn all das Schwere vorüber wäre. Sie führt eine offene Beziehung mit dem Tod, der seit Jahren allgegenwärtig ist. Vivien lächelt, denn sie stellt sich vor, wie der Tod Ansprüche stellt und grollt, sie solle gefälligst zu ihm stehen, sich bekennen. Ihre Bettseite steht zum Fenster gewandt, sie kneift die Lider zu, bis ihr die Anstrengung dafür auffällt. Als sie die Augen öffnet, legt der beinah runde Mond das Licht durchs Fensterglas auf sie wie ein Scheinwerfer: Hier liegt Vivien im Mondschlaf; die Vorhänge sind originalverpackt im Schrank verstaut. Georg kann sich nicht dazu bewegen, sie vor dem Fenster anzubringen.

Die Hausbewohner stellten sich in der ersten Woche nach dem Einzug bei ihnen vor. Manche klingelten direkt an der Tür, boten ihr die Falläpfel aus dem Garten oder Hilfe an, indem sie Pakete annehmen würden. Andere fingen sie im Kellergang ab, wenn sie die leeren Umzugskartons hinuntertrugen, und verwickelten sie in ein Gespräch. Überraschenderweise endeten sie meist einheitlich mit dem Satz: Wir sind im Grunde ein sehr ruhiges Haus. Vivien gab gerade so viel preis, dass die Neugier der Nachbarn gestillt wurde und sie das Gefühl hatten, etwas über sie zu wissen, über die freundliche, schweigsame Frau an der Seite eines noch schweigsameren Mannes. Aber vermutlich konnten sie ihm sowieso ansehen, wie wenig er für Nachbarn übrig hatte, wenn er leicht gebeugt an ihnen vorbeiging, nur einen Mundwinkel verzog, in der Annahme, es würde als ein Lächeln durchgehen. Würden sie bemerken, dass er die fünfzig gerade erst überschritten hatte? Der Apfelbaum, dessen oberste Früchte von ihrem Fenster aus zum Greifen nah schienen und die Nähe zum Mond, waren für Vivien die Gründe, die Wohnung im Dachgeschoss zu beziehen. Für Georg war es die Ruhe. Sein Bedürfnis danach wuchs schneller als der Tumor in seinem Bauch. Er befreite sich von Dingen genauso wie von Menschen und ihr gemeinsamer Alltag wurde stiller und stiller, die Anrufe von Freunden weniger. Hin und wieder kamen seine Schwester oder Viviens Mutter. Doch diese Stille in der Wohnung war für beide schwer zu ertragen und mehr als ein Pflichtbesuch wurde nie daraus.

Sie haben sich dann auch mühelos eingefügt und führten Gespräche an den Mülltonnen über den nahenden Winter und beantworteten Fragen über die Familie. Es war keine echte Entscheidung, das Haus auf dem Land zu verkaufen und in die Stadt zu ziehen. Es war ein Reflex von Georg, nach und nach Ballast abzuwerfen. Seine Kraft reicht nicht für das Leben in einem Haus mit Garten. Die reicht gerade, um den Tod auf Abstand zu halten und sich selbst zu ertragen.
„Du schläfst nicht.“ Er spricht heiser, zerschneidet die nächtliche Stille. Nach jedem gefallenen Apfel wartet Vivien auf den nächsten. Sie zählt die Sekunden dazwischen.
„Du auch nicht.“
Wie ein Wal ist Georg mit einer Hirnhälfte immer wach. Wachsam. Als erwarte er jeden Moment das Ungeheuer und könnte es daran hindern, ihn hinterrücks zu erschlagen. Aber es schleicht sich leise und langsam an. Viviens Wachsein in hellen Mondnächten ist ein anderes als das am Tag. Wenn sie auch nicht schläft, fühlt sie sich nicht in der Lage, irgendetwas zu tun; in einigen Momenten ist es so, als würde sie traumwandlerisch zurückblicken, auf die Zeit, als sie Georg das erste Mal sah. Er stand wie aus dem Nichts vor ihr auf dem Steg im Hafen und bot seine Hilfe an, weil sie damit beschäftigt war, den Proviant für eine längere Tour auf das Boot zu verfrachten. Georg sah aus, als hätte er mit bloßen Händen Seeungeheuer töten können. Er nahm mit der Selbstverständlichkeit eines Arbeiters die Kisten mit den Lebensmitteln und trug sie an Bord. Und während Vivien munter plapperte, hörte er zu und machte den Eindruck, als würde er dafür bezahlt, kein Wort zu sagen. Mit einer Freundin wollte Vivien den Sommer auf der Ostsee verbringen und vier Wochen später bei ihrer Rückkehr stand Georg an derselben Stelle, als hätte er sich seit ihrer Abreise nicht vom Fleck gerührt. Vivien könnte augenblicklich niemanden dazu bewegen, für sie ein Boot zu beladen, mit dem sie fortsegeln könnte, denn es scheint, als würde die Lebendigkeit auch aus ihr weichen.

„Ich koch Tee. Willst du auch?“ Vivien muss nicht auf die Uhr sehen. Sie hat ein Gefühl für die Zeit in der Nacht, mehr als für die am Tag, wenn sie damit beschäftigt ist, Essen zuzubereiten, das ihm bekommt, ihn nicht anwidert, nicht im Rachen brennt oder im Magen, wenn sie mehrmals am Tag die Betten frisch bezieht. Die Waschmaschine ist permanent in Betrieb. Auch sie ist leise. Georg richtet sich auf. Nun sitzen sie beide auf der Bettkante, wenden sich gegenseitig den Rücken zu und der Raum dazwischen ist weit und kalt und dunkel wie der Ozean.
„Ich bin so müde“, sagt Vivien leise zum Mond. Sie sagt nicht, dass es ihr nicht nur an Schlaf mangelt. Schmerzhafter ist der Mangel an Hoffnung und an Glück. Sie fühlt diese lähmende Leere und wüsste nicht, womit die zu füllen wäre. Mit zwei Tassen Tee kommt sie ins Schlafzimmer zurück. Georg sitzt noch immer auf der Bettkante, der Kopf hängt herab, als wäre er im Sitzen eingeschlafen und Vivien stellt den Becher leise auf den Nachttisch.
„Wann hast du den Termin?“ Der Wal schläft eben nie ganz.
„Ich werde nicht hingehen.“
„Du solltest aber.“ Alles, was er sagt, klingt gleich. Ob er nach einer Tasse Tee verlangt, über den aufziehenden Sturm spricht oder Helene fragt, wie ihr Tag war. Es sind Herbstferien und Helene ist mit Freunden ins Sommerhaus gefahren. Es wird nur noch selten genutzt. Ballast, sagt Georg. Die Wohnung scheint nun wie ausgestorben. Vivien hat sie minimalistisch eingerichtet, Vieles neu gekauft. Nicht, weil es schick ist. Sie haben sich als Familie nicht mitnehmen können. Es ließen sich lediglich die Möbel transportieren. Die meisten lagern im Keller und finden in den Räumen auch keinen Platz. Im Esszimmer hallt es, wenn sie bei den Mahlzeiten mit dem Besteck das Porzellan berühren.

„Wie geht’s deinem Kopf?“ Er spricht leise.
„Nicht so schlimm. Nur ein … Streifschuss.“
„Ich fahre später zu Nils; der repariert ihn wieder.“
„Soll ich ihn abschrauben oder dich im Stück begleiten?“ Er lacht nicht. Für Vivien ist Humor oftmals die einzige Rettung, einen Sinn zu sehen, um einzuschlafen und wieder aufzuwachen, den Tag zu überstehen, überhaupt zu reden.
„Nils ist ein guter Tischler. Der wird den Stuhl hinkriegen.“
Hätte Vivien auf dem Teppich gelegen, inmitten ihres eigenen Blutes und alles wäre vorüber gewesen, würde im Obduktionsbericht stehen: Bei der Tatwaffe handelt es sich um einen Designstuhl aus geweißter Eiche. Georg hatte ihn nicht nach ihr geworfen. Er warf ihn einfach. Sie stand in der Schusslinie. Wie letzten Sommer, als er mit der Faust gegen die Tür schlug, sie bei der Rückwärtsbewegung hinter ihm stand und der Ellenbogen ihren Brustkorb traf. Eine Rippe wurde dabei gebrochen, sie schützte erfolgreich das Herz und wuchs wieder zusammen. Georgs Leid würde kein Ende nehmen.
„Könntest du dann bitte auf dem Weg unten bei Herrn Stegmann klingeln. Mein Schuh liegt in seinem Garten. Ich habe gerufen und gewinkt, nachdem er ihm beim Laubharken beinahe auf den Kopf gefallen wäre. Der Schuh fiel mir einfach aus der Hand, als ich ihn auf das Fensterbrett stellen wollte.“ Georg fragt nicht. Er wundert sich nicht mehr über die Dinge, die geschehen.
Über seine Schmerzen spricht er auch nicht, nicht über die Infektionen, die die Therapie mit sich bringen, die tauben Füße, die ihn immer wieder taumeln lassen und ihm den Ausdruck eines alten Mannes geben. Nur die Salben, Dosen, Becher und Schachteln, die überall verteilt in den Räumen griffbereit stehen, weisen darauf hin, dass Georg immerzu etwas zu bekämpfen hat.
Georg verlässt das Schlafzimmer; den Tee hat er nicht angerührt. Sie weiß längst nicht mehr, was er macht, wenn er nicht bei ihr ist. Er füllt seine Zeit auf eigene Weise. Vivien sieht ihn sitzen, an die Wand sehen, oder den Kopf auf die Hände gestützt auf das Parkett blickend, auf den Fernsehbildschirm. Tagsüber erledigt er kleinere Einkäufe, unternimmt Spaziergänge, nimmt Arzttermine wahr. Manchmal bleibt er mehrere Tage weg. Es ginge ihm gut, schreibt er dann in einer Kurzmitteilung. Erschöpft kommt er von seinen Ausflügen zurück.

An die Wand gelehnt sitzt Vivien im Bett und der Mond ist weitergezogen, erhellt die Wolkenfetzen am dunklen Himmel und verleiht ihm etwas Dramatisches. Der Tee in Viviens Tasse ist kalt geworden, während die Müdigkeit unaufhaltsam sämtliche Empfindungen dämpft. In zwei Stunden wird die Sonne aufgehen und Vivien wird wieder nicht wissen, womit sie den Tag füllen kann, um sich lebendig zu fühlen. Sie wird zum Gespräch mit einem Psychologen erwartet. Leise zieht sich Vivien an und geht mit einem Eimer in der Hand durch die Wohnung. Im Vorbeigehen sieht sie Georg im Wohnzimmer auf dem Sofa liegen. Sie kann nicht erkennen, ob er schläft. Vorsichtig zieht sie die Wohnungstür hinter sich zu.
Die aufgehende Sonne erhellt den Innenhof nicht und Vivien beginnt, die Äpfel aufzuheben, die verstreut auf dem vertrockneten Rasen liegen, legt sie vorsichtig in den Eimer, als könnte sie ihnen keinen weiteren Schlag zumuten. Sie nimmt alle auf, macht keinen Unterschied in welchem Zustand sie sind. Wie viel Zeit dabei vergeht, vermag sie nicht zu sagen. Die Sonne geht ihren üblichen Weg am wolkenlosen Himmel, fällt nach und nach auf jeden einzelnen Apfel am Boden. Unbeirrt füllt Vivien den Eimer. Als er voll ist, legt sie die weiteren in eine Holzkiste.
Sie hat Georg nicht kommen hören. Als würde sie sich in einem Traum bewegen, vollführt sie immer und immer wieder dieselbe Bewegung. Seine Hände berühren ihre flüchtig, als er auch Äpfel in die Kiste legt, und Vivien durchfährt ein zärtliches Gefühl. Gierig nimmt sie es auf, möchte es verwahren wie dieses Obst, kann es nicht halten und es hinterlässt nichts weiter. Schweigend sammeln sie gemeinsam die Früchte in die Kisten. Georg hat nichts gespürt.
„Du kannst Saft daraus machen.“
„Und Apfelmus.“
„Apfelkuchen.“
„Mit Streuseln. Wir könnten die Nachbarn …“
„Wann kommt Helene zurück?“
„Samstag“, antwortet Vivien.

Im Wartezimmer sieht sich Georg etwas auf dem Display seines Telefons an. Vivien zupft an ihrer Nagelhaut. Die Stellen sind ausgefranst. Immer wieder streicht sie sich die Haare aus dem Gesicht. Sie will keine Zeit verschwenden und hat sich angewöhnt, immerzu etwas zu tun. Auch Sinnloses.
„Was könnte er mir schon sagen?“, flüstert Vivien in Georgs Ohr, obwohl sie alleine sind. Der legt eine Hand auf ihr Bein, die Kälte dringt durch den Stoff ihrer Hose. Nur selten sind seine Hände warm. Er sieht unentwegt auf das Telefon.
Bevor sie ihres ausschaltet, wirft sie einen Blick auf die Nachrichten. Georg hat ihr eben ein Foto geschickt. Er macht viele Aufnahmen, immer vom Himmel, von den Wolkenformationen, den Farben und vom Licht. Vivien wird aufgerufen und während sie zögernd aufsteht, bleibt Georg sitzen. Sie lässt ihn zurück, verschwindet hinter der doppelten und gepolsterten Tür.
„Was führt Sie zu mir?“ Vivien hat diese Eröffnungsfrage erwartet, ärgert sich dennoch darüber.
„Das wissen Sie doch. Ich sagte es ja auch schon am Telefon und ihrer Kollegin …“
Der Arzt nickt und seine Miene ist eine erprobte Mischung aus angedeutetem Lächeln, Verständnis und Nachsicht. Vivien schweigt. Sie weiß wirklich nicht, was sie sich von diesem Gespräch erhofft hat. Ihrer Stimme ist es anzuhören, dass sie sich zwingt, angemessen zu sprechen, ruhig zu bleiben, als sie sagt: „Ich weiß nicht mehr, wie ich mich verhalten soll. Alles, was ich bin, was ich weiß, reicht nicht aus. Seit vier Jahren ist das Leben eine einzige Lüge. Der Tod lauert überall.“ Sie hatte sich einen anderen, weniger emotionalen Text zurechtgelegt. Der Arzt nickt.
„Ich kenne die Diagnose Ihres Mannes und den Krankheitsverlauf.“
Vivien runzelt die Stirn.
„In meiner langjährigen Tätigkeit ist mir kein Fall untergekommen, der in einer Heilung geendet hätte. Ich möchte, dass Sie davon ausgehen, es wird nicht mehr allzu lange dauern. Er hat bereits sehr viel Zeit gewonnen.“ Während Vivien noch versucht zu verstehen und überlegt, was mit gewonnener Zeit anzufangen wäre, fährt er fort.
„Sie sollten sich darauf vorbereiten.“
„Ich vergesse aber dabei zu leben. Ich kenne die Prognose, weiß um jedes geschenkte Jahr“, sprudelt es aus hier heraus. Sie erkennt ihre Stimme in diesem Zustand nicht wieder. „Ich bin nicht hier, um es mir wieder und wieder sagen zu lassen. Ich kenne das Wunder, weiß nur nicht mehr, wie ich mit diesem Wunder leben soll. Ich bin hier, weil …“ Weil sie nicht länger das Ventil seiner Wut sein will. Mit Angst kann sie gut umgehen. Vivien kennt sie. Georg ist lieber wütend. Oder deprimiert. Sie weiß nicht, was gesagt werden muss. Sie sagt nichts und fürchtet, dass sie müsste. Dass die Zeit drängt und nichts ungesagt bleiben darf.
„Sie können jederzeit mit mir reden, zu mir kommen.“
„Ich weiß, danke.“
„Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen einen Termin bei meiner Frau geben. Sie ist Psycho-Onkologin.“
„Das ist nicht nötig. Danke.“ Vivien nimmt ein Taschentuch vom Tisch und schnäuzt hinein bevor sie den Raum verlässt. Georg sitzt nicht auf seinem Platz. Er ist nicht mehr da. Mechanisch nimmt sie ihre Jacke vom Kleiderständer und verlässt die Praxis.
„Ihr Mann wollte ein bisschen an die Luft“, ruft ihr die Dame an der Anmeldung hinterher.

„Du wirst sterben, sagt er." Georg sitzt auf einer Bank in der Sonne. Sie sind zu müde zum Lachen, aber sie stoßen beide Luft durch die Nase aus und es könnte ein verhaltendes Lachen sein.

 

„Läg' ich, wo es Hyänen gibt, im Sand,
Wie wollt' ich hoffnungsvoll die Nacht erharren,
Bis hungrig eine käme hergerannt,
Mich heulend aus der lockern Gruft zu scharren!

Wie wollt' ich freudig mit dem gier'gen Tier
Dann um mein Leben, unermüdlich, ringen!
Im Sande balgt' ich mich herum mit ihr,
Und weiß gewiss, ich würde sie bezwingen.

Und auf den Rücken schwäng' die Bestie ich
Und spräng' im Leichentuch, wie neugeboren,
Und singend heimwärts und schlüg' wonniglich
Dem Arzt den Leichengräber um die Ohren!“
aus: Gottfried Keller: „Lebendig begraben (IV.)“
Anpassung an die neuere dt. Rechtschreibung durch mich​


Vivien könnte einen langen und tiefen Schlaf gebrauchen.
...
„Ich kann mich nicht auf den Tod vorbereiten! Ich vergesse sonst dabei zu leben. ...

Liebe Kanji,

die Geschichte von Georg und Vivien lesend, fielen mir Gedichte des Matthias Claudius und von Gottfried Keller ein – und er hat schon allein wegen des Titels hierher gefunden, denn was ist Georgs „Leben“ anderes, als ein „lebendig begraben“ Sein, wenn es in und außer ihm im Krebsgang weitergeht. Da wird ihm auch Epikurs „solange wir sind, ist er nicht, und wenn er ist, sind wir nicht“ Leugnung des Todes wenig Trost spenden. Und Gevatter zerrt an beiden, oder wie Du es so trefflich sagst

In dieser Zeit führte sie eine offene Beziehung mit dem Tod, …
und eine beschlossene und zu beschließende mit dem Sterbenden, aber auch mit der natürlichen Umwelt im
Mondschlaf
und den Äpfeln lauschend, das Mobiliar geronnene Erinnerung, so lange bis auch sie (wie Wallenstein?) beschließt, einen langen Schlaf zu tun. Ein Thema, um das niemand herumkommt - selbst ein Prothesengott nicht.

Bissken Trivialitäten

Ihr Wachsein in hellen Mondnächten ist ein anderes[...] als das am Tag.
Komma weg, weil ein reiner Vergleich durch die „vergleichende“ Konjunktion ausgeführt wird.

... als würde er dafür bezahlt werden, kein Wort zu sagen.
Warum zweimal „werden“ wenn der Konj. II nicht nur das Aktuelle, sondern gleich die ganze Potentialität umfasst

Schmerzhafter ist der Mangel an Hoffnung und am Glück.
In mir sträubt sich die Ungleichbehandlung von Hoffnung und Glück wegen des verborgenen Artikels in „an dem“ Glück

Alles, was er sagt[,] klingt gleich.
Relativsatz zu Ende

Ob er nach einer Tasse Tee verlangt, über den aufziehenden Sturm spricht[...] oder Helene fragt, wie ihr Tag war.
Komma weg! Wegen reine Aufzählung „ob er nach x, y, z“ oder „ob er x, y oder z“

Die aufgehende Sonne erhellt den Innenhof nicht und Vivien beginnt[,] die Äpfel aufzuheben, …

Diesmal muss ein Komma gesetzt werden
Seine Hände berühren ihre flüchtig[,] als er auch Äpfel in die Kiste legt und Vivien durchfährt ein zärtliches Gefühl.

„Was führt Sie zu mir.“
Klingt nach ? - oder nicht?

Alles, was ich bin, was ich weiß[,] reicht nicht aus.
„Ich kenne die Diagnose ihres Mannes und den Krankheitsverlauf.“
„Ihres“

„Du wirst sterben, sagt er“.
Punkt einfangen und etwas vorsetzen.

Wie dem auch sei, gern gelesen vom

Friedel,
der vorsorglich ein schönes Wochenende wünscht

 

Hej, lieber @Friedrichard ,

vermutlich hast du ohne Lust mit mir an diesen trüben Novembertagen über Leben und Tod nachgedacht. Einmal musste es sein. Dieser Monat bietet sich immer wieder dafür an.
Kellers Gedicht ist äußerst anschaulich, weil er auch alleine gegen die Hyäne kämpft.
:sad: Wat traurig.
Das Leben mit dem Tod im Nacken bedeutet auch nicht bloß für den Angezählten eine Qual und ein Weg, den zu gehen, krumm macht und mürbe und die verbleibende Energie ist schwerlich für Alltagskram aufzubringen, es pflastert auch den Weg der Begleitenden mit großen Steinen und die Füße müssen mühsam angehoben werden, um immer weiter zu gehen.

Und Gevatter zerrt an beiden,
Du sagst es.

Ein lieben Dank fürs Finden der entflohenen Kommas und der Punkte und verunglückten Fälle, auch für deine Unermüdlichkeit, dies hier zu tun. Ich habe alles korrigiert.

Verlebe einen schönen November, damit wir uns dann im Dezember vorfreuen können.

Lieber Gruß, Kanji

 

Hi @Kanji,

In dieser Zeit führte sie eine offene Beziehung mit dem Tod, der ohnehin seit Jahren allgegenwärtig ist.

Eine sehr poetische Beschreibung für einen möglichen Suizid. Oder spielt das auf den Tod von Freunden, Familie an e.c.?
Okay, ergibt sich.

Andere fingen sie im Kellergang ab, wenn sie die leeren Umzugskartons hinuntertrugen und verwickelten sie in ein Gespräch.

Kneif mich, aber muss nach trugen nicht ein Komma?

„Wie geht’s deinem Kopf?“ Er spricht leise.
„Nicht so schlimm. Nur ein … Streifschuss.“
„Ich fahre später zu Nils; der repariert ihn wieder.“
„Soll ich ihn abschrauben oder dich im Stück begleiten?“ Er lacht nicht. Für Vivien ist Humor oftmals die einzige Rettung, einen Sinn zu sehen, um einzuschlafen und wieder aufzuwachen, den Tag zu überstehen, überhaupt zu reden.

Ich mag deine beiden, in ihrem eigenen Elend gefangenen Charaktere, und du zeigst es super, wie sie es nicht schaffen, aus dem Teufelskreis zu entkommen. Aber ich komme irgendwie nicht mit dem Erzähler klar. Manchmal habe ich das Gefühl, er erzählt direkt aus Vivien heraus, manchmal aber eben neutral oder auktorial.

Über seine Schmerzen spricht er auch nicht, nicht über die Infektionen, die die Therapie mit sich bringen, die tauben Füße, die ihn immer wieder taumeln lassen und ihm den Ausdruck eines alten Mannes geben. Nur die Salben, Dosen, Becher und Schachteln, die überall verteilt in den Räumen griffbereit stehen, weisen darauf hin, das Georg immerzu etwas zu bekämpfen hat.

Die Stimmung ist heftig. Hat für mich einen gewissen Noir-Flair. Vor meinem geistigen Auge erscheint alles in Schwarz-Weiß :D.

„Ich kann mich nicht auf den Tod vorbereiten! Ich vergesse sonst dabei zu leben.

Das ist eine Stelle, die ich nicht wirklich verstehe. "Leben" in dem Sinne tut sie ja nicht, richtig? Die Beiden schleppen sich von einer Sache zur nächsten. Ist das also der Moment, in dem sie dann "erleuchtet wird?"
Das Ganze ist so verwinkelt und verzwackt. Schließlich habe ich den Text jetzt so verstanden, dass der Tod, der Georg bedroht und unaufhaltbar erfahren ist, den beiden das "Leben zurückgibt", das Leben also erst im Angesicht seines Gegenübers vollkommen zur Geltung kommt. Frei nach dem Motto: Man erkennt den wahren Wert einer Sache erst, wenn man ihn nicht mehr hat.
Mich erinnert deine Geschichte ein wenig an George R. R Martins Glasblume, ne Sci-Fi-Kurzgeschichte, nur eben ohne Genregerüst, sondern einfach und frei gehalten, wie sie jederzeit passieren könnte. In der Glasblume tauschen ein unsterblicher Cyborg und ein sterblicher Mensch die Körper. Der Cyborg, der nie eines natürlichen Todes sterben wird, ist dem über und sieht die wahre Schönheit des Lebens in ihrer Endlichkeit, will den Lauf des Lebens selbst erfahren, während der Mensch sich nach seiner "erhobenen Stellung" über dem Leben sehnt, da der Cyborg nie altern, erkanken wird und so weiter.
Ich finde deine Geschichte wunderbar schön geschrieben und sehr anschaulich. Einzig und allein der Erzähler verwirrt mich stellenweise.

Liebe Grüße
Michel

 
Zuletzt bearbeitet:

Hej @Meuvind ,

du bist echt gut dabei hier unter den Wortkriegern, machst schönen frischen Wind. ;) Ich freu mich, dass du auch bei mir vorbeischaust.

Ob Vivien jetzt mal einen Suizidgedanken hegt ... wir wissen es nicht. Aber so ein komatöser Schlaf wäre sicher so etwas wie ein Vorgeschmack.

Kneif mich, aber muss nach trugen nicht ein Komma?

*achselzuckendes emoji* - Ich weiß es nicht. Psst.

Aber ich komme irgendwie nicht mit dem Erzähler klar. Manchmal habe ich das Gefühl, er erzählt direkt aus Vivien heraus, manchmal aber eben neutral oder auktorial.

Ich kann nicht behaupten, dass das so sein soll. Ist wohl ein Abfallprodukt meiner Unstrukturiertheit. Ist es sehr schlimm zu lesen diesbezüglich?

Die Stimmung ist heftig. Hat für mich einen gewissen Noir-Flair. Vor meinem geistigen Auge erscheint alles in Schwarz-Weiß :D.

Das gefällt mir wiederum sehr gut. Das kann so bleiben. Ich liebe es, wenn man so lesen kann. :kuss:

"Leben" in dem Sinne tut sie ja nicht, richtig? Die Beiden schleppen sich von einer Sache zur nächsten. Ist das also der Moment, in dem sie dann "erleuchtet wird?"

Das sollte eher der Grund sein, weswegen sie einen Psychologen aufgesucht hat: Sie hat ... vergessen, verlernt, whatever, was das Leben ausmacht, weswegen leicht war. Was sie dafür getan hat und nun nicht mehr kann. Sie lebt ja. Zuvor tat sie es unbewusst. Nun muss sie aktiv werden, damit sie mehr als existiert und sollte jeden Moment, wie es immer so schön heißt, genießen, but: Sie ist dazu nicht in der Lage. So bleibt alles beim Alten.

Schließlich habe ich den Text jetzt so verstanden, dass der Tod, der Georg bedroht und unaufhaltbar erfahren ist, den beiden das "Leben zurückgibt", das Leben also erst im Angesicht seines Gegenübers vollkommen zur Geltung kommt. Frei nach dem Motto: Man erkennt den wahren Wert einer Sache erst, wenn man ihn nicht mehr hat.

Tja, das meint man immer so landläufig. Und es ist offenbar den beiden nicht vergönnt, das Leben zu genießen in Anbetracht der Absehbarkeit. Ist wohl leichter gesagt als getan, wenn man am Boden liegt, das auch noch zu genießen. Oder das Drumherum.

Vielleicht schaffen sie es ja ab Morgen, wenn die Königsberger Klopse gegessen und der Stuhl repariert ist. :D

Mich erinnert deine Geschichte ein wenig an George R. R Martins Glasblume, ne Sci-Fi-Kurzgeschichte, nur eben ohne Genregerüst, sondern einfach und frei gehalten, wie sie jederzeit passieren könnte.

Das ist wunderbar, so übergreifend und unspezifisch. Gefällt mir sehr gut. Die Geschichte werde ich mir heraussuchen. Danke für die Assoziation und natürlich den Hinweis.

Lieber Michel, vielen Dank für deinen Besuch und deine Gedanken, Kanji

 
Zuletzt bearbeitet:

Jetzt hab ich die Geschichte doch noch gestern Nacht gelesen, Kanji, und wie’s halt so meine Art ist, mir ein paar Sachen notiert. Ob die jetzt noch alle aktuell bzw. eventuell schon von anderen angemerkt worden sind, weiß ich nicht. Aber egal, ich zeig dir einfach mal meine Liste:

Vivien könnte einen langen und tiefen Schlaf gebrauchen. Sie denkt so an einige Wochen oder Monate. Sie würde aufwachen, wenn all das vorüber wäre, was ihr Leben lähmt. In dieser Zeit führte sie eine offene Beziehung mit dem Tod, der ohnehin seit Jahren allgegenwärtig ist. Vivien lächelt, …
Das Präteritum hier mag vielleicht nicht richtiggehend falsch sein, aber es irritiert halt schon. Ich mein, deine Erzählzeit ist ja eindeutig das Präsens, aber die Formulierung „In dieser Zeit führte sie“ klingt so, als würde da irgendwer irgendwann später Rückschau halten auf Viviens momentanes Leben.
... denn sie stellt sich vor, wie der Tod Ansprüche geltend machte und grollte
Und das hier soll vermutlich Konjunktiv II sein, aber es klingt zunächst einmal auch nach Präteritum, und das macht halt gleich diese ersten Zeilen in meinen Augen zu einem ziemlichen Tempuskuddelmuddel.
Ich würde da durchgehend im Präsens bleiben und auch den Konjunktiv rausschmeißen. Den braucht‘s hier im Grunde nicht.
Als sie die Augen öffnet, reflektiert der beinah runde Mond das weiß-blaue Licht durchs Fensterglas auf sie wie ein Scheinwerfer
Okay, physikalisch gesehen ist das natürlich vollkommen korrekt, aber … wie soll ich sagen, es klingt einfach … äh, na ja, so unpoetisch irgendwie. (Hab gestern Nacht noch ziemlich lang mit Giuseppe drüber diskutiert. Er meinte, ich solle mich nicht lächerlich machen usw. und dann haben wir noch Grappa getrunken. Aber das ist eine andere Geschichte. :Pfeif:)
Andere fingen sie im Kellergang ab, wenn sie die leeren Umzugskartons hinuntertrugen[,] und verwickelten sie in ein Gespräch.
Er befreite sich von Dingen, genauso wie von Menschen und ihr gemeinsamer Alltag wurde stiller und stiller,
Das Komma hinter Dingen ist unnötig. (Berechtigt wäre es nur, wenn dann noch ein zusätzliches hinter Menschen stünde.)
mehr als ein Pflichtbesuch wurde es nie daraus.
Das Pronomen kannst du auch rausschmeißen.
Sie haben sich dann auch mühelos eingefügt, ebenfalls Pakete für die Nachbarn angenommen, denn keiner von beiden verließ das Haus für eine längere Zeit, Gespräche an den Mülltonnen über den nahenden Winter geführt, Fragen über die Familie beantwortet. Es war
Und hier mischt du wieder die Zeiten. Also entweder schreibst du die Rückblenden im Perfekt oder im Präteritum. Beides durcheinander klingt einfach … na ja, ziemlich durcheinander halt.
Überhaupt haut der Satz so nicht hin. Durch den (unterstrichenen) Nebensatz trennst du die folgenden Satzteile vom für die Prädikate wichtigen Hilfsverb haben, das ja ganz am Anfang steht. In der jetzigen Form klingt der Satz einfach falsch für mich. Ich würde dir empfehlen, ihn zu entkomplizieren, vielleicht sogar zwei Sätze daraus zu machen.
und sich sich selbst zu ertragen.
Wachsam, als erwarte er jeden Moment das Ungeheuer und könnte es daran hindern,
Und hier mischt du Konj. I und Konj. II
und machte den Eindruck, als würde er dafür bezahlt werden, kein Wort zu sagen.
Das Hilfsverb kannst getrost rausschmeißen.
… und vier Wochen später bei ihrer Rückkehr, stand Georg
Das Komma hier ist nicht nur entbehrlich, sondern schlicht falsch.
Sie sagt nicht, dass es [ihr] nicht nur an Schlaf mangelt.
Schmerzhafter ist der Mangel an Hoffnung und am Glück.
Da würde ich aus Gründen der Einheitlichkeit vor Glück auf den Artikel (am = an dem) verzichten und auch an schreiben. Oder die Präposition ganz weglassen.
Alles, was er sagt[,] klingt gleich.
Die Wohnung scheint nun wie ausgestorben [zu sein].
(Oder:... erscheint nun wie ...)
Die meisten befinden sich im Keller und finden hier auch keinen Platz.
Suboptimal, wie’s so schön heißt.
… weisen darauf hin, das [dass] Georg immerzu etwas zu bekämpfen hat.
der Mond ist weitergezogen, erhellt die Wolkenfetzen am dunklen Himmel und verleihen [verleiht] ihm etwas Dramatisches.
Wenn du das Prädikat als auf die Wolkenfetzen bezogen verstanden wissen willst, müsstest du den Satz umbauen.
("bezogen verstanden wissen willst" Geht's noch, offshore? :bonk:)
Seine Hände berühren ihre flüchtig[,] als er auch Äpfel in die Kiste legt[,] und Vivien durchfährt ein zärtliches Gefühl.
Bevor sie ihres ausschaltet, wirft sie einen Blick auf die Eingänge der Nachrichten.
Unschön. Wie wär's mit Nachrichteneingang? Oder nur Nachrichten?
Alles, was ich bin, was ich weiß[,] reicht nicht aus.

Zur Geschichte an sich will ich dir noch nix sagen, Kanji. War gestern einfach zu müde, um mir da noch groß den Kopf drüber zu zerbrechen.
Vielleicht finde ich am Wochenende dafür Zeit.

offshore

 

Hej @ernst offshore ,

dann hast du dir also mit Guiseppe einen Grappa gegönnt und begonnen, die berühmt-berüchtigte Offshore-Liste zu führen. Das ist so unfassbar ... nett von dir. :kuss:
Und deswegen verschweige ich, was ich alleine noch fand, oder dein Mithelfer hier unter uns, der Friedel, sondern korrigiere stillschweigend, was übrig blieb und das ist noch mehr als mit lieb ist. :shy:

Ich will dir deine Zeit nicht stehlen oder deine Geduld strapazieren (bin ich doch heilfroh, dass du so aktiv bist:sealed:), aber ich will zu dem einen oder anderen doch was sagen.

Am Sonntag gehen Vater und Sohn regelmäßig in den Sprachzoo. Dort schauen sie sich vom Aussterben bedrohte grammatische Phänomene an. Am liebsten mögen sie den Konjunktiv. Gerne hülfen sie ihm, denn sie haben Angst, er stürbe aus.

Von Bastian Sick, Spiegel online

Eine Einleitung zu einer herrlichen Zwiebelfischkolumne und ich bin ganz bei ihm, auch wenn der manchmal wie ein Präteritum daherkommt.
Aber okay, die von dir beanstandeten waren auch nur halbherzig, ich geb’s zu. Perdu.

Als sie die Augen öffnet, trägt der beinah runde Mond ein weiß-blaues Licht durchs Fensterglas auf sie wie ein Scheinwerfer: Hier liegt Vivien im Mondschlaf.

Und jetzt sag bloß nicht, der Mond kann nichts tragen. :confused:

Ich würde dir empfehlen, ihn zu entkomplizieren, vielleicht sogar zwei Sätze daraus zu machen.

Ich nehm nur noch n Schluck und mach mich ans Werk: Entkompliziere!

Die meisten lagern im Keller und finden in den Räumen auch keinen Platz.

Recht hast du. Hab noch ein anderes Verb ... gefunden. :shy:

Wenn du das Prädikat als auf die Wolkenfetzen bezogen verstanden wissen willst, müsstest du den Satz umbauen.
("bezogen verstanden wissen willst" Geht's noch, offshore? :bonk:)

Da ist es ja kein Wunder, wenn du so unnachgiebig bist. Du bist auch streng mit dir selbst. :kuss:

Wie wär's mit Nachrichteneingang? Oder nur Nachrichten?

Klar. Mal einfach gemacht.

Lieber ernst, ich schätze deine Mühe und deine Liste und ich hab mich um alles gekümmert und eingefangen und umgemodelt und so. Dank dir.

Bis dann, Kanji

 

Hey Kanji,

das ist ein schöner Text. Ich schreibe bewusst "Text", weil ich mir gerade nicht sicher bin, ob "Geschichte" das richtige Wort ist.
Mir gefällt, wie behutsam und ruhig du die Situation der Protagonisten beschreibst, wie du - ohne viel zu erklären - eine Stimmung erzeugst. Dafür, dass der Text wenig "Handlung" hat, ist er relativ lang. Nach meinem Empfinden könntest du dich bei der Beschreibung der aktuellen Lebenslage (also vor dem Therapeutenbesuch) etwas kürzer fassen, weil sich da manches wiederholt. Zum Beispiel, was die Stille in der Wohnung angeht.

In sprachlicher Hinsicht gefällt mir besonders das Poetische. Ich finde, du verwendest viele schöne Metaphern und Beschreibungen. Ich tu mir selbst mit sowas immer sehr schwer, deswegen finde ich es total cool, dass dir das so gut gelingt ;) Einige Sätze sind mir allerdings zu umständlich oder zu lang, da bin ich dann beim Lesen hängen geblieben. Auf ein paar gehe ich unten dann gleich noch ein.

Sie würde aufwachen, wenn all das vorüber wäre, was ihr Leben lähmt.
Hier finde ich z.B. den letzten Halbsatz störend. Braucht es den wirklich?

Als sie die Augen öffnet, trägt der beinah runde Mond ein weiß-blaues Licht durchs Fensterglas auf sie wie ein Scheinwerfer:
Das ist mir too much. Viele Adjektive UND eine Metapher. Außerdem: dass ein Scheinwerfer etwas "trägt" passt für mich irgendwie nicht ;)

Die Vorhänge, die sie gekauft hat, sind originalverpackt im Schrank verstaut.
Auch hier finde ich den Nebensatz störend und überflüssig.

Und während sie tagsüber diesen Vorgang kaum wahrnimmt, hört es sich nachts an, als wäre es eine bewusste Handlung der Äpfel, sich vom Zweig zu lösen und hinabzustürzen.
Das finde ich gut!
Allerdings frage ich mich, wie realistisch es ist, dass man im Dachgeschoss (womöglich durch das geschlossene Fenster?) tatsächlich den Aufprall der Äpfel hört. Direkt neben meinem Zimmer bei meinen Eltern steht ein Apfelbaum und ich hab nie was gehört, obwohl mein Zimmer im Erdgeschoss war :D

Überraschenderweise endeten sie meist einheitlich mit dem Satz: Wir sind im Grunde ein sehr ruhiges Haus.
Das auch! Schöne Charakterisierung der Nachbarn.

Der Apfelbaum und die Nähe zum Mond waren für Vivien die Gründe, die Wohnung im Dachgeschoss zu beziehen.
Was hat denn der Apfelbaum mit dem Dachgeschoss zu tun? Verstehe ich nicht.

„Ich bin so müde“, sagt Vivien leise zum Mond. Sie sagt nicht, dass es ihr nicht nur an Schlaf mangelt. Schmerzhafter ist der Mangel an Hoffnung und an Glück. Sie fühlt diese lähmende Leere und wüsste nicht, womit die zu füllen wäre.
Meiner Meinung nach könntest du die markierten Sätze weglassen. Der Leser versteht auch so, was Vivien mit ihrem Satz "Ich bin so müde." meint.

Ballast, sagt Georg. Die Wohnung scheint nun wie ausgestorben. Vivien hat sie minimalistisch eingerichtet, Vieles neu gekauft. Nicht, weil es schick ist. Sie haben sich als Familie nicht mitnehmen können. Es ließen sich lediglich die Möbeltransportieren. Die meisten lagern im Keller und finden in den Räumen auch keinen Platz. Im Esszimmer hallt es, wenn sie bei den Mahlzeiten mit dem Besteck das Porzellan berühren.
Hier beschreibst du nochmal die Stille/ Leere der Wohnung. Das könntest du weglassen, das hast du oben schon gezeigt.

„Wie geht’s deinem Kopf?“ Er spricht leise.
„Nicht so schlimm. Nur ein … Streifschuss.“
„Ich fahre später zu Nils; der repariert ihn wieder.“
„Soll ich ihn abschrauben oder dich im Stück begleiten?“
Sehr schöner Dialog.

Ich hoffe, meine Anmerkungen helfen dir weiter!

Lieben Gruß,

Tintenfisch

 

Hej @felixreiner ,

es erstaunt mich, wie du meinen Text gelesen hast, wie sicher du herausliest, was mir wichtig ist, obwohl ich schreibe, wie ich es tu. Du legst ihn offen und erkennst scheinbar jedes Wort, wie ich es gedacht hatte. Es gibt beinahe nichts hinzuzufügen. Das fühlt sich echt gut an und ich danke dir, dass du dich so (zeit-)intensiv mit dem Text auseinandergesetzt und derart treffend beschrieben hast.
Ich kenne den Roman, den du ansprichst und erkenne wie du, die Kunst des Lebens darin. Nur jedem ist diese Gabe nicht vergönnt. Warum auch immer.
Das Leben ist schön , sagt auch Roberto Benigni im gleichnamigen Film.

Ich weiß nicht, ob du es genauso sehen kannst, aber ich finde, meine Geschichte ist keine pessimistische, sie zeigt nur mehr das Bemühen und Scheitern, soll aber dennoch daran glauben lassen, dass ein gutes, wenn auch nicht unbedingt glücklich oder hoffnungsvoll, Leben unter allen Bedingungen geführt werden kann. Vielleicht ist mir das nicht so gelungen. Gut möglich.
Das Musikstück von Ella und Pass habe ich mir sehr gerne angehört. Es könnte zeitweise zu Viviens Stimmung passen.

Vielen Dank und lieber Gruß, Kanji

Hej @Tintenfisch ,

super, dass du reinguckst und mir sagst, was du davon hältst. Du magst sie nicht Geschichte nennen, was schon mal zu Anfang ziemlich an mir nagt.

Nach meinem Empfinden könntest du dich bei der Beschreibung der aktuellen Lebenslage (also vor dem Therapeutenbesuch) etwas kürzer fassen, weil sich da manches wiederholt. Zum Beispiel, was die Stille in der Wohnung angeht.

Ich bin nicht sicher, ob ich das kann. Ich werde es aber mal probehalber auf diese Weise lesen.

Einige Sätze sind mir allerdings zu umständlich oder zu lang, da bin ich dann beim Lesen hängen geblieben.

Warum wundert es mich nicht, das zu lesen? :Pfeif: Das steht nahezu unter jeder meiner Geschichte. Auch das nagt.

Sie würde aufwachen, wenn all das vorüber wäre, was ihr Leben lähmt.

Hier finde ich z.B. den letzten Halbsatz störend. Braucht es den wirklich?

Du hast recht, das geht auch ohne gut.

Als sie die Augen öffnet, trägt der beinah runde Mond ein weiß-blaues Licht durchs Fensterglas auf sie wie ein Scheinwerfer:

Das ist mir too much. Viele Adjektive UND eine Metapher. Außerdem: dass ein Scheinwerfer etwas "trägt" passt für mich irgendwie nicht ;)

Da kann ich auf etwas sicher verzichten. Lass mir Zeit, bitte.

Die Vorhänge, die sie gekauft hat, sind originalverpackt im Schrank verstaut.

Auch hier finde ich den Nebensatz störend und überflüssig.

True.

Allerdings frage ich mich, wie realistisch es ist, dass man im Dachgeschoss (womöglich durch das geschlossene Fenster?) tatsächlich den Aufprall der Äpfel hört. Direkt neben meinem Zimmer bei meinen Eltern steht ein Apfelbaum und ich hab nie was gehört, obwohl mein Zimmer im Erdgeschoss war :D

Glaub oder nicht: das ist genauso so möglich. Dazu hat mich tatsächlich der extrem alte und hohe Apfelbaum im Garten inspiriert. Was soll ich sagen? :shy:

Der Apfelbaum und die Nähe zum Mond waren für Vivien die Gründe, die Wohnung im Dachgeschoss zu beziehen.

Was hat denn der Apfelbaum mit dem Dachgeschoss zu tun? Verstehe ich nicht.

Nun ja, sie beziehen eine Wohnung, die sich im Dachgeschoß befindet. Und da Vivien scheinbar ungerne umgezogen ist, konnte sie sich mit der Wohnung besser anfreunden, weil sie 1. so hoch lag (also dem Mond näher als eine Wohnung im Erdgeschoss bspw. und 2. vor dem Fenster ein Apfelbaum stand. Die Richtung.

„Ich bin so müde“, sagt Vivien leise zum Mond. Sie sagt nicht, dass es ihr nicht nur an Schlaf mangelt. Schmerzhafter ist der Mangel an Hoffnung und an Glück. Sie fühlt diese lähmende Leere und wüsste nicht, womit die zu füllen wäre.

Meiner Meinung nach könntest du die markierten Sätze weglassen. Der Leser versteht auch so, was Vivien mit ihrem Satz "Ich bin so müde." meint.

Echt? Das hätte ich nicht vermutet. Das ist dann eine Streichüberlegung wert.

Ballast, sagt Georg. Die Wohnung scheint nun wie ausgestorben. Vivien hat sie minimalistisch eingerichtet, Vieles neu gekauft. Nicht, weil es schick ist. Sie haben sich als Familie nicht mitnehmen können. Es ließen sich lediglich die Möbeltransportieren. Die meisten lagern im Keller und finden in den Räumen auch keinen Platz. Im Esszimmer hallt es, wenn sie bei den Mahlzeiten mit dem Besteck das Porzellan berühren.

Hier beschreibst du nochmal die Stille/ Leere der Wohnung. Das könntest du weglassen, das hast du oben schon gezeigt.

Da muss ich dir leider widersprechen, denn es geht nicht bloß um Leere und Stille. Es geht auch um die Neuformierung der Familie: Vater/Mutter/Kind, die hier nicht, bzw. anders funktioniert als zuvor.

Ich hoffe, meine Anmerkungen helfen dir weiter!

Du weißt, das es so ist und ich danke dir für deinen Eindruck.

Lieber Gruß, Kanji

 

Hey Kanji,

ich nochmal.

Du magst sie nicht Geschichte nennen, was schon mal zu Anfang ziemlich an mir nagt.
Das fasst du viel zu negativ auf! Das war gar nicht als Kritik gemeint.

Nun ja, sie beziehen eine Wohnung, die sich im Dachgeschoß befindet. Und da Vivien scheinbar ungerne umgezogen ist, konnte sie sich mit der Wohnung besser anfreunden, weil sie 1. so hoch lag (also dem Mond näher als eine Wohnung im Erdgeschoss bspw. und 2. vor dem Fenster ein Apfelbaum stand. Die Richtung.
Das mit dem Mond ist mir klar. Aber der Apfelbaum wäre ja sicher auch vom EG oder 1. Stock aus zu sehen, oder?

Tintenfisch schrieb:
Meiner Meinung nach könntest du die markierten Sätze weglassen. Der Leser versteht auch so, was Vivien mit ihrem Satz "Ich bin so müde." meint.
Echt? Das hätte ich nicht vermutet. Das ist dann eine Streichüberlegung wert.
Trau dem Leser ruhig was zu!

Und: lass die Kritik nicht so an dir nagen, ich mochte deinen Text doch! :)

Freut mich, dass dir der Großteil meiner Anmerkungen geholfen hat.

Liebe Grüße,
Tintenfisch

 

Ach, du lieber @Tintenfisch ,
wie blöd ich bin. :rolleyes: Mir ist eben erst aufgefallen, dass ich überhaupt nicht auf all die netten und guten und freundlichen Stellen eingegangen bin. :bonk:
Ich hab mich so sehr darauf konzentriert, deine Vorschläge zur Verbesserung aufzunehmen, dass ich in meiner Eile all dein Lob natürlich dankend aufgenommen habe, aber dann eben nicht bemerkt und zitiert habe. Entschuldige bitte. :shy:

Das fasst du viel zu negativ auf! Das war gar nicht als Kritik gemeint.

Kommt wohl daher, dass ich einen großen Unterschied mache zwischen einem Text und einer Geschichte :D

Das mit dem Mond ist mir klar. Aber der Apfelbaum wäre ja sicher auch vom EG oder 1. Stock aus zu sehen, oder?

Öh ja, nur, sie sah wohl das ... Gesamtpaket. :schiel:

Trau dem Leser ruhig was zu!

Mein Fehler. :shy:

Und: lass die Kritik nicht so an dir nagen, ich mochte deinen Text doch! :)

Das ist wirklich doof gelaufen - ich sollte nicht mehr die Antworten zwischen Tür und Angel schreiben.

Es tut mir leid und ich bin echt froh, dass du mich noch einmal angesprochen hast.

Und nun lese ich deine Challenge-Geschichte. Aber hallo!

Kanji

 

Hej @felixreiner ,

kein pessimistisches Ende am Schluss kommt mir sehr entgegen, denn das ist nicht das, wovon ich reden möchte. Dann habe ich dich bloß (mal wieder) falsch verstanden.
Ich kann mir gar nicht vorstellen, wo du blind sein könntest. Aber das darfst du natürlich für dich behalten. ;) Hauptsache die Augen sind jetzt offen.

Freundlicher Gruß, Kanji

Hej @Manlio ,

das wär jetzt wirklich nicht nötig gewesen, dir einen Kommentar abzuringen, wenn du nicht mal über den ersten Absatz hinauskommst. Wie stehen wir beide denn jetzt da? :susp::lol:
Nee, ernsthaft, als Versprechen hab ich das unter deiner Platin-Geschichte nicht empfunden. Was nicht geht, kann auch nicht geschoben werden, sagte Oma immer.

Dann grüß ich dich an dieser Stelle einfach mal nur ganz freundlich, Kanji

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi @Kanji ,

krank und eingemummelt im Bett, bin ich soeben auf deine Geschichte Mondschlaf gestoßen. Hatte mich zunächst nur der Titel angezogen, blieb ich dann wegen der wunderbar umgesetzten Tristesse und der dunklen Stimmung, in der sich Vivien wiederfindet und die sich doch irgendwie so passend in diese kühlen Novembertage einfügt. Alles wirkt deprimierend, kühl und distanziert.

Und doch gehen mir die Schicksale der Protagonisten zu Herzen - dank deines Sprachstils, zauberst du mir ab und an auch ein kleines Lächeln ins Gesicht, z.B.:

„Aber vermutlich konnten sie ihm sowieso ansehen, wie wenig er für sie übrig hatte, wenn er leicht gebeugt an ihnen vorbeiging, nur einen Mundwinkel verzog, in der Annahme, es würde als ein Lächeln durchgehen.“

- Ich konnte den älteren Herrn aus meinem echten Leben förmlich vor mir sehen, dessen Freundlichkeit mir immer nur wie ein gesellschaftlich erzwungener Akt anmutet. Köstlich.
Geschichte und Stil wirken also sehr rund und glaubwürdig. Ganz toll haben mir auch wiederkehrende Motive, wie die alles einnehmende Stille, die sich immer wieder in das Bewusstsein des Lesers schleicht, gefallen.

Ich bin ja noch relativ neu bei den Wortkriegern und muss sagen, dass ich mich immer scheue, andere Geschichten zu kommentieren, da ich so selten das Gefühl habe, etwas Wichtiges zum Diskurs beitragen zu können (gerade Rechtschreibung ist da bei mir noch so ein Thema; mein Kommentar strotzt wahrscheinlich schon wieder vor Fehlern :huldig:).
Hier möchte ich es dennoch tun, auch wenn meinem Kommentar negative oder verbesserungswürdige Aspekte abgehen.

Deine Geschichte des langsamen Verfalls einer Familie, der aufgrund eines schweren Schicksalsschlages ausgelöst wird, hat mich persönlich sehr berührt. Im realen Leben habe ich in meinem Umkreis einen ähnlichen Werdegang miterleben müssen. Es ist für alle Beteiligten so unglaublich schwer, im Leben weiterzumachen und - anstatt im Zweifel und Traurigkeit zu zerfallen - die restliche gemeinsame Zeit in Freude zu verbringen. Die Menschen sollten oft dankbarer sein, für die vielen schönen Momente und Möglichkeiten, die ihnen das Leben zu bieten hat.
Dein Text hatte trotz der Thematik eine gewisse Leichtigkeit in sich, die am Ende passend zum Ausdruck kommt. Das hat mir sehr gefallen. Das zu schreiben, mag deinen Text zwar nicht verbessern – aber manchmal ist ein kleines Lob ja auch schon was.

Beste Grüße
Cohen

 
Zuletzt bearbeitet:

Hej @Leonhardt Cohen ,

das aber eine Freude, dich hier anzutreffen. Und du hast auch Geschenke mitgebracht. ;)
Ich pack mal aus:

zauberst du mir ab und an auch ein kleines Lächeln ins Gesicht

Wie mich das freut.:)

Ganz toll haben mir auch wiederkehrende Motive, wie die alles einnehmende Stille, die sich immer wieder in das Bewusstsein des Lesers schleicht, gefallen.

Jaaa. Das ist richtig schön zu hören. Das war mir echt ein Anliegen, du.

Ich bin ja noch relativ neu bei den Wortkriegern und muss sagen, dass ich mich immer scheue, andere Geschichten zu kommentieren, da ich so selten das Gefühl habe, etwas Wichtiges zum Diskurs beitragen zu können

Und davon mach dich mal schnell frei, denn obwohl es mir genauso ging, ist es wirklich okay und genügt völlig, wenn du deinen Eindruck schilderst. Das hilft auch ungemein, vor allem, wenn er nicht so lobend ausfallen sollte wie dieser hier. :D

Im realen Leben habe ich in meinem Umkreis einen ähnlichen Werdegang miterleben müssen.

Das tut mir sehr leid für dich.

Dein Text hatte trotz der Thematik eine gewisse Leichtigkeit in sich, die am Ende passend zum Ausdruck kommt. Das hat mir sehr gefallen.

Und du ahnst sicher, wie schön es ist, das zu lesen, denn ich wollte auf gar keinen Fall zusätzliche Schwere aufbauen, denn: Das Leben ist schön.

Lieber Cohen, es war mir ein Vergnügen. Freundlicher Gruß und gute Besserung, Kanji

 

Eine Rippe wurde dabei gebrochen, sie schützte erfolgreich das Herz
Voll die Lüge, @Kanji! Ich seh doch genau, wie ihr die Situation das Herz bricht und der Hohlraum in ihrer Brust durch die Schwere des Alltags wächst. :sad:
Ich habe die Geschichte gleich zweimal gelesen – die Kommentare aus Zeitgründen nicht. Sorry, für Dopplungen – und wollte meinen Kommentatorenbeitrag als Gegenzug leisten, dir Vorschläge für Veränderungen und Streichkandidaten servieren, mich mit dir über Textstellen austauschen. Aber ich finde nichts, was ich anders haben will. Das ist jetzt nicht nur so dahin geschrieben. Ich mache ganz gern Veränderungsvorschläge :D . Bin glatt noch trauriger, als während des Lesens. Fühl mich richtig unzulänglich. Ganz angestrengt, fallen mir dann doch noch zwei Punkte/Fragen ein:
  • Warum ist Vivien zu Hause? Hat sie ihren Job hingeschmissen, um Georg zu pflegen? Dann könnte Vivien einen Gedanken über diesen Verlust ihrer Eigenständigkeit verlieren.
  • Wo ist Georg, wenn er für ein paar Tage verschwindet? Er müsste alle Cremes, Tabletten, etc. einpacken. Wer wäscht dort die Bettlaken? Einen ganzen Tag, bis spät abends verschwinden, würde mir als Distanzvergrößerer reichen.
Das kam bestimmt schon öfters: Die Geschichte fände ich sehr passend zum Challengethema „Was Dann?“, weil sie zeigt, wie sich das Leben nach solch einer schwerwiegenden Diagnose verändert, auch für die Partner und andere Angehörige.

Sehr gern gelesen.
Viele Grüße
wegen

 

Hej @wegen ,

da bist du ja. :kuss: Und dann auch noch mit nix als Blumen. Danke dafür gleich mal vorweg.

Ich seh doch genau, wie ihr die Situation das Herz bricht und der Hohlraum in ihrer Brust durch die Schwere des Alltags wächst.

:eek: erwischt. Wie du dich einfühlen konntest in Vivien! Und dann noch so poetisch. Mensch wegen. :herz:Nicht, dass wir beide noch heulen.

  • Warum ist Vivien zu Hause? Hat sie ihren Job hingeschmissen, um Georg zu pflegen? Dann könnte Vivien einen Gedanken über diesen Verlust ihrer Eigenständigkeit verlieren.
  • Wo ist Georg, wenn er für ein paar Tage verschwindet? Er müsste alle Cremes, Tabletten, etc. einpacken. Wer wäscht dort die Bettlaken? Einen ganzen Tag, bis spät abends verschwinden, würde mir als Distanzvergrößerer reichen.

Hach, ich habs ja in Geschichten nich so gerne hundertprozentig. Die ist halt ... reich und faul? :shy:
Und auch Praktisches lieb ich gar nicht mal so und deswegen hat Georg, wie auch jede ordentliche Schwangere, einen gepackten Notfallkoffer mit Zeuchs im Flur stehen. :shy:

Das kam bestimmt schon öfters: Die Geschichte fände ich sehr passend zum Challengethema

Nö. Das bist du ganz allein mit.

Danke für deinen Besuch und den schönen Kommentar. Lieber Gruß, Kanji

 

@Kanji

zwei große Themen bestimmen die Literatur seit die Schrift zu mehr als Buchhaltung und Gesetzgebung verwendet wird; Liebe und Tod. Die Liebe als Begleiterin der Arterhaltung, der Tod des Individuums als unausweichliche Weitergabe des Staffelstabs an die nächste Generation. Liebe kann (soll?) den Abschied erleichtern und Trost geben.
Du dekronstuierst die Liebe im Angesicht des nahenden Todes. Damit erzeugt du eine kaum erträgliche Dunkelheit. Nachdem die Menschen Gottes Liebe verloren haben, bleibt nur noch die Liebe zueinander. Ohne das haben wir nichts. Leere.
"Nun sitzen sie beide auf der Bettkante, wenden sich gegenseitig den Rücken zu und der Raum dazwischen ist weit und kalt und dunkel wie der Ozean."
Ab hier möchte ich nicht mehr weiter lesen, mache es trotzdem - vor allem, weil du verdammt gut schreibst.
Ich bleibe zurück , wie nach einem gewaltigen Tritt in die Eier. Das fatalistische - muss ja irgendwie weitergehen - Ende tröstet nicht.
Handwerklich hervorragend, inhaltlich sehr böse. Realistisch? Sicher! Aber was soll der Text auslösen? Die Erkenntnis, dass am Ende nicht mal die Liebe bleibt?
Sehr gut geschrieben. Allerdings könntest du in den Dialogen besser deutlich machen, wer was sagt. Bin da manchmal raus gerutscht.

Schönen Gruß
Kellerkind

 

Liebes @Kellerkind ,

dein Kommentar trifft mich. Ich denke, wir sind quitt.
Liebe und Tod. Alles andere ist Beiwerk. Liebe hat keine Auflagen. Sie kann alles und muss nichts. Wenn es sie im Angesichts des Todes scheinbar nicht mehr gibt, wenn sie blass und unkenntlich wird, bleibt Leere, das sehe ich wie du, oder die Hoffnung, sie würde sich wieder sichtbar machen und nur von allem überdeckt werden. Denn mit Liebe ist es doch wie mit Materie: sie ist nie einfach weg, sie nimmt nur eine andere Form/Zustand an. Auch in der Dunkelheit. Diese Erkenntnis gilt es auszuhalten oder zu verleugnen. In diesem Fall habe ich mich fürs Aushalten entschieden und versucht, zu erdenken, was es machen könnte. Mit den Beteiligten. Fürs Kind war es mir nicht möglich. Und es musste weitergehen und es ging weiter. Sie gehen mit. Der Takt ist vorgegeben. Sie gehen nicht im Gleichschritt, aber sie gehen.
Und nach deinem Kommentar tut es mir ehrlich leid, nichts Tröstlicheres erdacht zu haben. Die Erkenntnis könnte sein: Nicht aufgeben, das Leben schätzen und es füllen, bis es zu Ende ist. An die Liebe glauben, auch wenn sie nicht hell und offensichtlich ist.
Dekonstruieren kann doch auch bedeuten, sie anders wieder zusammenzusetzen, nicht wahr?

Was die Dialoge angeht, denke ich, bei den kurzen Aussagen der zwei Protagonisten, ist es schon erkennbar, zumindest bei dem ersten. Beim zweiten spielt es keine Rolle. Das ist austauschbar und belanglos, wer was sagt. Der Dialog zwischen dem Arzt und Vivien ist wohl eher klar, dachte ich.

Deine ernsthafte Auseinandersetzung und natürlich dein Lob füllen meinen Abend.
Freundlicher Gruß, Kanji

 

Hi @Kanji,

ich komm mal ganz kurz vorbei. Schöner Text - äh: schöne Geschichte, wollt ich sagen.
Und - ich bin dummerweise zu ungeschickt, um über eine übergreifende Würdigung nachzudenken; und das bedaure ich ja selbst, weil sie nur beifällig ausfallen würde, und eigentlich würde ich dir die Freude ja gerne machen - gleich zu den Einzelheiten:

Der erste Absatz gefällt mir zwar gut, aber der Einstieg nicht so. Ich bin zwar kein Erster-Satz-Fetischist, aber dieser:
-- "Vivien lauscht den Äpfeln, die vom Baum fallen."
- gefiele mir trotzdem besser.
Damit will ich nicht sagen, dass ich es gut fände, wenn du alles, was davor steht, streichst. Aber umstellen fänd ich vielleicht ganz hübsch.

Als Zweites will ich versuchen, dir Kopfzerbrechen zu bereiten, indem ich dir sage, dass ich hier
-- "wie der Tod Ansprüche stellt und grollt und sauer wäre"
- den Konjunktiv ("stellte", "grollte") spontan vermisst habe, und zwar weil es dann "wäre" heißt. "Sauer ist" könnte eine Lösung sein, wenn du nicht zum Konjunktiv zurückkehren willst, dann wäre es auf andre Art wieder einheitlich.

Und schließlich finde ich im ersten Absatz doch noch einen kleinen Satz, den ich womöglich lieber streichen würde, das ist dieser:
-- "Sie denkt an einige Wochen oder Monate."

Hier eine winzige Uneindeutigkeit:
-- "Aber vermutlich konnten sie ihm sowieso ansehen, wie wenig er für sie übrig hatte"
- für die Frau oder die Nachbarn? "Wenn er an ihnen vorüberging" - ja, schon, das verankert "sie" bei den Nachbarn. Aber mir ist es beim ersten Lesen so nicht gleich deutlich aufgefallen; ich vermute, weil es meist Vivienne Perspektive ist und ich sie neben ihm gehen sehe, wenn er an den Nachbarn vorbeigeht, und dann könnte sich "sie" eben doch auch auf - sie beziehen.

Diese Begegnungen mit den Nachbarn würde ich vielleicht auch ausdünnen. Die
-- Gespräche an den Mülltonnen"
- sind ja sehr hübsch, könnte sein, dass die noch besser herauskommen, wenn weniger drum herum steht. (Beispielsweise gleich der vorangehende Satz nicht:
-- "Sie haben sich dann auch mühelos eingefügt und ebenfalls Pakete für die Nachbarn angenommen, denn keiner von beiden verließ das Haus für eine längere Zeit." Brauchst du den?)

Da:
-- „Du schläfst nicht.“
- hab ich den Mann gleich vor Augen.
Hier:
--"Er spricht heiser, zerschneidet mit krächzender Stimme"
- würde mir wahrscheinlich eins reichen: "heiser" oder "krächzend".

Wiederholung:
-- "immer wach. Wachsam"
- Wirkt verstärkend und das kannst du so wollen, schien mir aber im Zweifelsfall nicht so günstig.

auch die Vorhänge würde ich eher nicht wiederholen
(-- "Jetzt bringt er nicht einmal mehr Vorhänge vor dem Fenster an")
- sondern einfach:
"Vivien könnte augenblicklich niemanden dazu bewegen, für sie ein Boot zu beladen, mit dem sie fort segeln könnte."

Auch diese Stelle finde ich überdeutlich:
-- "wenn sie mehrmals am Tag die Toilette reinigt oder die Betten frisch bezieht. Die Waschmaschine ist permanent in Betrieb."
- eins von beiden dürfte reichen, meinst du nicht?

Und noch ein Streichkandidat:
-- "Sie sagt nicht, dass es ihr nicht nur an Schlaf mangelt."

--"Ein Wal schläft eben nie ganz."
- Vielleicht auch: "Der Wal"?

Jetzt springe ich mal, weil es langsam spät wird, und greife nur noch das raus:
-- „Du wirst sterben, sagt er."
- Bumm. Schön, wie lakonisch sie das sagt und vor allem, wie er das aufnimmt. Sagt unterschwellig viel Gutes über die zwei aus, finde ich.

So, das war's. Etwas kurz angebunden. Aber dafür hab ich's mal wieder geschafft, überhaupt was dazulassen ...

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom