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Alaska

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19.05.2015
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Alaska

Alaskas Haus steht in einer Ortschaft, die zum Großstadtspeckgürtel gehört, zur Behaglichkeitszone im Schatten von Lichtern und Lärm. Die Menschen, die dort wohnen, fahren morgens zur Arbeit in die Metropole, kehren abends zurück, pflegen Wochenendgemütlichkeit, engagieren sich in Vereinen, radeln durch Wälder und passen auf ihre Nachbarn auf.
„Der Container kommt am Nachmittag“, sagt Albert, zuckt mit den Schultern, wendet sich ab.
Für das, was sie vorhat, braucht Maria ihren Mann nicht. Sie streift die Daunenjacke über, zieht den Reißverschluss bis zum Hals, setzt sich ins Auto und startet den Motor. Während der Fahrt lässt sie die Fensterheber nach unten surren, will sie den Oktobergeruch spüren. Nach einer Stunde kommt sie an, stellt den Motor ab. Wind fegt durch die Büsche, ein paar Vögel zwitschern, ein Säuseln aus der Ferne, das die Stille unterbricht. Den Blick durch die Fenster der Einfamilienhäuser verwehren Gardinen. Sie parkt auf dem Hof. Die Rosen wuchern mittlerweile fast die ganze Wand empor, ein Brombeerstrauch wuchert zwischen Haus und Garage.

Maria atmet durch, füllt die Lunge mit Herbstluft, bevor sie das Alaska-Haus betritt. Sie erschauert, als sie die Mischung aus Tabak und Whiskey riecht, die wiesengrüne Raufasertapete bemerkt, die Eichenkommode. Spuren durchwabern die Luft, kleben in den Fugen, an den Wänden, Spinnweben, unsichtbare Fäden, an denen sie nicht vorbeikommt. Als erstes dreht sie in den Räumen die Heizkörper auf, eilt nach oben. Im Bügelzimmer öffnet sie mit dem Feuerhaken die Luke, zieht die Falltreppe herab, klettert zum Dachboden empor. Sie beschließt, ganz oben zu beginnen, den Müll aus dem Fenster zu werfen.

Der Ring fällt ihr ein, vor allem den Ring muss sie finden, das Wolfsgesicht auf dem Karneol berühren. Alles andere kann verschwinden, verrotten wie Alaska selbst. Warum hatte er ihn im Krankenhaus nicht dabei, warum hatte sie ihn nicht nach dem Ring gefragt?

Ihr Blick irrt umher, sucht nach Halt. Sie klappt das Fenster auf, saugt an der Sturmluft, hört dem Knistern der Herbstblätter zu, die auf dem Hof wirbeln. In der Ecke neben dem Kaminabzug verstaubt der Phillips-Plattenspieler, den niemand außer Alaska berühren durfte, weil er fürchtete, das Vinyl könne verletzt, der Fluss der Musik gestört werden. Daneben steht eine Weinkiste mit Schallplatten, alphabetisch geordnet, Schlager, Bach, Beethoven, Heintje, Rex Gildo, Wagner, Miles Davis, John Coltrane, Disco-Zeug. Alaskas Miene hellte sich auf, sobald Musik einsetzte. Er summte die Melodien mit und wenn die Lust ihn überkam, holte er sein Saxofon, presste das Mundstück zwischen die Lippen, begann zu spielen, schlug die Krallenfinger auf die Tasten, bis das Instrument krächzte, jubelte, jauchzte, Botschaften ausspie. Maria liebte es, wenn er musizierte, die Rhythmen ihren Kopf füllten. Manchmal umarmte Alaska die Tochter, sobald der letzte Akkord verhaucht war, presste die Bartstoppeln auf ihre Wangen, kratzte über die Mädchenhaut und erklärte, dass er ein berühmter Musiker hätte werden können, wenn er es nur gewollt hätte. Danach drückte er das Kreuz durch, fuhr sich durchs Haar, benutzte die Finger als Kamm, während das Lächeln aus dem Gesicht wich, eine Maske zurückblieb. Er schaute dann in die Ferne, die Nasenflügel vibrierten, entspannten sich wieder. Maria habe leider keinerlei Talent, deshalb wäre es reine Verschwendung, die Klavierstunden zu bezahlen, die sie gern genommen hätte. Maria fühlte sich als Anhängsel, ein Aschenputtel, [ doppelt?]das kaum mehr als eine Last darstellte. Wenn er Nachbarn, Freunde einlud, mit ihnen sang und lachte, benahm er sich so, als wäre sie gar nicht anwesend.

All die Jahre hat er mich gewärmt, das schon. Als versteckte sich Feuerglut in einer Eisschicht. Der Puls jagte, die Hitze nahm zu, er suchte ein Ventil, musste Luft ablassen, damit er wieder abkühlte, obwohl er sich selbst daran verbrannte. Ich weiß genau, warum er Alaska heißt, kenne die Zweideutigkeit des Namens, die Geheimnisse, die Alaskahölle, spürte im Vorhinein, was aus der Not entstand, wie er sich in die Kreatur verwandelte. Ich war gebunden an ihn, ein Gefangener ohne Aussicht auf Flucht. Entkommen konnte auch er nicht.

Warum hat Alaska die Werkzeuge ausgerechnet hier oben gelagert? Stichel, Meißel, Hämmer, Zangen in allen Größen liegen in einer Holzkiste, glänzen, als wären sie regelmäßig poliert worden, grinsen Maria an, als wollten sie etwas mitteilen. Sie schiebt den Kasten zur Seite, will ihn in die Garage bringen, dorthin, wo der Tisch steht, an dem Alaska arbeitete, wenn etwas zu reparieren war. Vielleicht kann Albert die Zangen, die Hämmer, die Schlüssel gebrauchen. Die halbzerfetzten, leeren Kartons wirft sie durch das Dachfenster nach draußen, schaut ihnen beim Segeln hinterher.

Ein Schwall Eisluft weht ihr entgegen, erinnert sie an die Alaska-Urlaube, die Hundefahrt. Nachdem er sie wie ein Gepäckstück verschnürt und ihr Schal, Handschuhe, eine Mütze mit Augenschlitzen verpasst hatte, stellte er sie vor sich auf den Schlitten. Dann schnalzte er mit der Zunge, rief den Hunden Kommandos zu. Nach einer Weile schwebten sie über die Schneelandschaft, die Sonne gleißte, die Hunde kläfften, der Schlitten knirschte. Am Himmel klebten Engel. Jahrelang waren sie nach Alaska geflogen, mal im Winter, mal im Sommer, berauschten sich am Familienglück. Die Mama hielt Händchen, lief in der Mitte, küsste mal ihn, mal ihre Tochter. Sie lagen zu dritt im Bett, Maria in der Mitte. Die helle Mamastimme mit dem russischen Akzent zwitscherte, flog über das Bett, übertönte Alaskas Brummstimme. Dann starb Marias Mama, der Krebs ließ ihren Bauch zu einem Riesenballon anschwellen, zerfetzte sie inwärts, bis die Bauchwand platzte. Am Grab weinte Alaska. Als niemand mehr da war, kein Pfarrer, kein Zaungast, keiner der Nachbarn und Freunde, versiegte der Tränenfluss, als hätte einer den Hahn zugedreht. Er wischte sich übers Gesicht, nahm Maria an die Hand, hielt ihr die Wagentür auf. Daheim schickte er sie aufs Zimmer, schloss die Tür und sagte ihr, sie solle jetzt schlafen. Maria wiegte sich, drückte die Puppe, das Mamaweihnachtsgeschenk, an sich, zählte die Bärchen auf der Tapete, hörte dem Ächzen, Stöhnen des Holzes und der Wände zu, den Schritten Alaskas. Der Stern war vom Himmel gefallen, das Licht in Marias Kindheit erloschen. Am nächsten Morgen saß ein lächelnder Alaska am Frühstückstisch: „Ich räume Mamas Sachen in die Garage und lasse sie abholen. Ist besser so.“.

Die Finger krampfen, Sehnen, Muskeln gleiten, bewegen sich, zucken. Auf der Haut bilden sich Schweißperlen. Ich spüre die Haare, Borsten, die mich kitzeln, als er mich nach oben katapultiert, um sich die Stirn abzuwischen, mit dem Gold den Alaska-Scheitel, den Haaransatz zu kitzeln, die Werkzeuge zu greifen, zu sägen, zu bohren zu schneiden, zu stückeln, nachdem er Gummi über mich gestülpt, mich im Dunkeln zurückgelassen hat. Zu selten waren die Sonnentage, wenn er mich ins Licht hielt, den Strahlen entgegen, wenn ich schmelzen wollte vor Glück.

Ein Knall schreckt Maria auf. Der Container landet auf dem Kies des Hofes, bebt und steht still. Maria läuft nach draußen, gibt den Fahrern einen Zehner Trinkgeld. Der grüne Lack blättert an manchen Stellen ab. Das Metall fühlt sich extrakalt an. Sie nimmt das Smartphone und wählt Alberts Nummer.

„Du hast’s nicht alle!“ Ihre Stimme überschlägt sich.
„Wieso?“
„Wegen dem Scheiß-Riesen-Container, was sonst.“
„Na und?“
„Du bist echt bescheuert, Albert! Das Ding ist viel zu groß. Na ja, was soll man schon erwarten. Als dein Kanakenvater gestorben ist, hast du sein bisschen Kram ins Auto gepackt und weggeschmissen. Du denkst wohl, Alaska hat das ganze Haus mit Müll vollgestopft, was?"
„Lass meinen Vater aus dem Spiel, hör auf damit, Maria!“
„Ist doch wahr.“
„Alaska war ein Arschloch.“
„Kein Wunder, dass er dich nicht leiden konnte.“
„Egal, Maria. Melde dich, wenn du Hilfe brauchst.“
„Weißt du, Alaska hat mich gewarnt vor dir. Der Albert stammt aus einer Zigeunerfamilie hat er gesagt, alle Rumänen sind Zigeuner, nichts wert, müsste man ausrotten, keine Menschen, hat er gesagt.“
„Jetzt reicht’s aber. Dein Vater war ein verfickter Nazi, das wussten alle!“
„Mm.“
„Okay, gibt’s noch was?“
„Albert?“
„Was?“
„Ich liebe dich.“
„Mm.“
„Hier liegen Erinnerungen begraben, ich halt das kaum aus.“
„Du wolltest alleine hin.“
„Ja, ist besser. Wenn das alles vorbei ist, machen wir Urlaub, okay?“
„Wohin?“
„Wo’s warm ist.“

Nach dem Telefonat fühlt Maria sich leichter, als hätte sie sich von etwas befreit, das in ihrem Herzen feststeckte, als verstünde sie nach und nach, dass die Alaskastimmen verstummt waren, der Vater unter der Erde lag, nur noch die Würmer ihn hören konnten, die Wolfsfratze sich auflöste. Sie muss nur noch den Ring finden.

Als Maria vom Dachboden in die Wärme kommt, zittert sie. Die Dachluke schließt mit einem Gurgeln. In der Küche benutzt sie die Retrokaffeemaschine. Wasser tröpfelt langsam durch den Filter. Auf dem Tisch liegt das Schweizer Messer, dreiunddreißig Funktionen. Er trug es immer bei sich: Ein Mann braucht ein Messer, je schärfer, desto besser, hört sie ihn sagen. Dann schüttet sie den Kaffee in die Tasse mit der aufgedruckten Sonne, schmeckt das bittere Aroma. Das Messer steckt sie in die Jeanstasche, fühlt, wie es an ihrem Oberschenkel reibt. In den Räumen, die sie durchirrt, erkennt sie die Winkel wieder, die Flecken an den Wänden, die unebenen Stellen, den Teppich, auf dem sie die Puppen ausgebreitet, das Fenster, an dem sie die Sterne angeweint hat. Den Ring sieht sie nirgends. Wer ihn trägt, kann zaubern, hatte er gesagt. „Bist du ein Zauberer, Papa?“ „Vielleicht“, war seine Antwort.

In ihrem Zimmer steht die Zeit still, auch wenn Alaska das Bett abgebaut hat, nur der Schreibtisch geblieben war. Ihr Blick fällt auf die Nagellackreste, die sich ins Holz gefressen haben. Sie freut sich über die Traumküsse der Jugendjahre, bis die Erinnerungsbilder nach ihr greifen, endlose Hausaufgabenstunden, Schwärmereien, Einsamkeit, Trauer nach dem Tod der Mutter, Heimlichkeiten, große Angst. Sie kann die Rückblenden nicht verscheuchen. Dabei war so viel Zeit vergangen, so viel Zeit, seit sie sie nach der Lehre ausgezogen war, seit dem Streit wegen Albert, seit sie Alaska gemieden, ihn an Weihnachten, am ersten Weihnachtsfeiertag, niemals an Heiligabend besucht hat.

Schlussendlich zerrte er an mir, schob, drückte, um mich abzuziehen, loszuwerden. Ich steckte so fest auf dem Ringfingerglied, dass er mich einseifen musste, damit ich heruntergleiten, mich von der vertrauten Umgebung lösen konnte. Anstatt mich wegzulegen, irgendwo im Dunkeln zu verstecken, an einem Ort der Ruhe, wo Staubkörnchen das Gold kitzeln, in einer Samtschatulle womöglich, die wärmt und birgt, reißt er mich vom Finger, als sei ich ein Fremdkörper, schließt die Faust und versenkt mich in einem trüben Meer. Seither schwimme ich.

Karton für Karton füllt sie mit dem Kram, den sie fürs Erste behalten will: ein paar Töpfe, den PC, Festplatten, CDs, mit Aufklebern versehen, auf denen Zahlen stehen. Die Kleider nimmt sie sich einzeln vor, entdeckt ein paar Geldscheine, Quittungen, Kugelschreiber, fleckige Hosen, schmutzig, ungepflegt, obwohl er penibel war, einer für den Sauberkeit einen, Wert an sich darstellte. Keine Spur von dem Ring. Die Schränke riechen nach Mottenpulver und einem Hauch Alkohol. Maria leert sie, wirft das Geschirr, bis auf das gute, das mit den grünen Rosen, in den Container, hört dem splitternden Porzellan zu. Die Fotoalben packt sie in den Kofferraum, beschließt, sie irgendwann durchzublättern. Die Eichenstühle mit dem grünen Samtbezug, auf denen sie saß, wenn die Strafpredigten auf sie prasselten wie ein Gewitterregen, endlose Reden über Sauberkeit und Moral; alte Zeitungen, die er stapelweise aufbewahrte, manche aus den 70ern, Schweißrandunterhemden, US-Flaggen-T-Shirts, ein paar Bücher mit vergilbten Seiten, Jack London, Ernest Hemingway, Bildbände, deren Abbildungen verblasst waren, all das, was sie hasst, wirft sie eigenhändig in den Container.

Danach atmet sie durch, ruft Alaskas Freund Richard an:
„Richard, kannst du was von Alaskas Zeug gebrauchen? Schuhe, Mäntel, Anzüge, Pullover, mm?“
„Nee, Maria, nee, lass man. Aber das Saxofon, dass du mir das schenken willst, damit kann ich was anfangen, werde auf die alten Tage probieren, dem Ding paar Töne zu entlocken.“

Sie bleibt auf dem Hof stehen, überlegt sich, Richard nach dem Verbleib des Ringes zu fragen und legt schließlich auf. Als sie ins Haus zurückkommt, sitzen die Dämonen wie eh und je hinter den Tapeten, in den Fugen, verkriechen sich in der Luft, scheinen sich auf ewig festzufressen, glotzen sie an, zeigen ihr Alaskas Wutfratze, die gefletschten Zähne, Zitterhände, wenn er nachts heimkam, Maria auf ihn wartete, seinem Blick auswich, die Augen bemerkte, die über sie hinweg glitten, als suchten sie einen Punkt, an dem er sich festhalten konnte. Maria versuchte, der Alaskawut zu entgehen, sich in eine Eule zu verwandeln, ihn mit Vogelblicken zu bannen, bevor die Woge über sie schwappte, um sie zu verschlingen, etwa, weil sie ein Glas verschüttet, die Hausaufgaben nicht zufriedenstellend erledigt hatte, ihre Schrift nicht lesbar genug erschien, irgendetwas anderes gegen die Alaska-Ordnung verstieß. Alaska schlug sie nicht, er wütete. Danach schwieg er, redete tagelang nichts mit ihr. Manchmal verschwand er die ganze Nacht, kam erst am frühen Morgen zurück, gerade noch rechtzeitig, um die Lieferung aus Holland entgegenzunehmen, die Blumen im Laden zu arrangieren und zurechtzuschneiden, sah ruiniert aus. An solchen Tagen war Alaska am gefährlichsten.

Ich kann zaubern, die Wirklichkeit zerstückeln, zerfasern, dem Träger Macht verleihen, Träume verwirklichen. Alaska glaubte daran und handelte danach. Vor vielen Jahren schon. Wieder und wieder. Er pausierte, als seine Tochter zur Welt kam. Bis Anna starb. Seine goldschöne Frau, die nie etwas bemerken wollte. Als ihn die Tochter verließ, fühlte er sich frei, lebte, lachte, spielte. Manchmal unternahm er einen Ausflug, manchmal musste Blut fließen. Und ich, ich schützte ihn, verlieh ihm Unsichtbarkeit. Um zu sterben, zog er mich ab, aus keinem anderen Grund. Das wusste er. Ich schwebe jetzt mitten in den Erinnerungen.

Maria bemerkt eine Pfütze vor der Garage. Mit dreizehn kaufte sie heimlich Tangas, versteckte sie. Jedes Mädchen trug Strings. Warum er sie fand, was er in der Kommode gesucht hatte, erfuhr sie nie. Eines Abends kam Alaska in ihr Zimmer. Ohne sie anzuschauen, zog er an der Schublade. Die Schiene quietschte. Er hielt einen schwarzen Spitzenstring zwischen Daumen und Zeigefinger, zeigte darauf, stopfte ihn in eine Aldi-Tüte. Die anderen folgten. „Du Hure!“, schrie er und packte sie. Sie fuhren in die Stadt, dorthin, wo Cracknutten auf Freier warten. Dann stieg er aus, schüttete den Inhalt der Tüte auf die regenfeuchte Straße, öffnete den Hosenschlitz und pinkelte auf den Wäschehaufen. Die Huren kreischten und lachten, Maria schämte sich. Wie lange hatte sie daran nicht gedacht?

Weil sie fürs erste genug hat, trägt Maria die Kartons zur Garage, weicht der Pfütze aus, stapelt sie in der Ecke neben dem Werkzeugtisch. Fässer stehen in unterschiedlichen Größen und Farben an den Wänden. Manche weisen Dellen auf. Sie erinnert sich nicht daran, wozu sie dienen, seit wann sie hier lagern. Teppichklebstoffgestank kriecht ihr in die Nase. Im letzten Jahr feierte Alaska auf dem Hof den 70. Geburtstag. Ted brachte Steaks aus dem PX mit. Das Grillfleisch brutzelte. Der Gesangverein rückte an, Volkslieder wurden geschmettert. Das Saxofon kam zum Einsatz. Die Sonne strahlte, bis ein Gewitter tobte, Regengüsse herabstürzten. Alaska öffnete die Garagentür. Die Gäste setzten sich, einige lehnten sich an die Fässer. Fleisch und Holzkohlegerüche verdrängten den Duft des Regens. Maria und Albert trafen spät ein und verließen die Feier früh.

Ich spüre einen Luftzug von draußen, schwimme auf halber Höhe zwischen dem Fleisch. Ach, wenn ich doch nur hier rauskäme. Einmal noch die Sonne genießen, meinen Glanzleib bestrahlen lassen könnte. Die meiste Zeit beschäftige ich mich damit, auszuweichen, auf keinen Fall anzustoßen. Ich erschaure, wenn es geschieht, stoße mich ab, soweit ich es vermag.

Wo ist der Ring? Weder in den Schränken, noch in der Küche oder auf dem Dachboden, weder zwischen dem Kram auf dem Schreibtisch, noch unter den Hinterlassenschaften aus dem Krankenhaus. Sie stellt sich vor, ihn an sich zu nehmen, überzustreifen, zu tragen. Sie stellt sich vor, ihn einzuschmelzen, zu beobachten, wie sich Blasen bilden, bis er die Form verliert, schwindet.

Die Fässer stehen im Weg. Sie muss in der Garage Platz schaffen, damit die restlichen Kisten reinpassen. Also nimmt sie sich das zerbeulte, blaue Fass vor, öffnet den Verschluss. Ein Metallgurt mit einer schlossgesicherten Schnalle hält den Deckel fest. Maria geht zum Haus, holt den Reif mit Alaskas losen Schlüsseln, der auf der Kommode liegt, probiert sie durch, bis einer greift. Die Zwinge krächzt, löst sich. Sie hebt den Deckel an und blickt hinein.

Alaska schwieg, bevor er starb. Wenn sie ihn besuchte, schaute er Maria unentwegt an, während Katheter ihn am Leben hielten, Flüssigkeiten durch die Blutbahnen jagten, obwohl nichts mehr zu retten, das Alaskaablaufdatum überschritten war. Sein Mund zuckte, mahlte, als wollte er etwas schlucken oder Worte formen, die ihm nicht gelangen, die er nicht herauspressen konnte. Die Augen wirkten wie Kieselsteine in einem Bergbach. Der Krankenhausarzt sagte, er habe gar nichts vom Sterben mitbekommen, so morphiniert sei er gewesen. Die Krankenschwester habe ihn zuletzt gesehen, grinsend habe er die Finger zum Victory-Zeichen gespreizt. Für die Beerdigung bestellte sie einen Saxofonisten, der seinen Lieblingssong spielte, das Solo aus „Your latest trick“ von den Dire Straits. Eine Menge Leute kamen, ihn zu verabschieden. Es roch nach feuchter Erde, nach Gras.

Fäulnis, Terpentingeruch, abgestandenes Wasser zwingen sie, einen Schritt zurückzutreten, durchzuatmen, bevor sie sich wieder vorbeugt. Eine milchiggraue Flüssigkeit füllt das Fass bis zum oberen Drittel. Darin erkennt sie Schatten, Gegenstände bewegen sich, angetrieben von der Welle, die Maria durch das Öffnen des Fasses ausgelöst hat. Ihre Augen tränen. Sie tritt zurück, verlässt die Garage, um Luft zu schnappen, reibt sich das Gesicht, geht wieder rein. Auf dem Arbeitstisch findet sie Einweghandschuhe, streift sie sich über. Das Gummi schmatzt, schmiegt sich an.

Maria hört ihr Herz schlagen, als sie die Hand in die Flüssigkeit taucht. Das erste, was sie greifen kann, schwebt oben, erinnert an eine Baguette-Stange, fühlt sich schwer an. Sie zieht den Gegenstand aus dem Fass, hält ihn von sich weg, öffnet die Augen. Was sie sieht, dringt so langsam in ihr Bewusstsein, als müsse sie sich daran gewöhnen, als müsste der Verstand einen weiten Weg zurücklegen, sich in den Alaskarätseln verfangen, auflösen, wieder zusammensetzen, aus dem Gedankennebel tropfenweise eindringen, um das Kind in ihr zu beschützen. Das Bild klärt sich auf. Sie erkennt einen an den Rändern ausgefransten Arm, Klavierspielerfinger, Kalkhaut.

Erst als sie durchatmet, die Luft sorgsam aufsaugt, realisiert sie, was sie mit den plastikumhäuteten Fingern festklammert, sieht den bleichen Frauenarm, den Totenstumpf, bringt es mit ihrem Vater, mit Alaska, in Verbindung, ahnt, dass sie das Geheimnis gelüftet hat. Trotz des Grauens breitet sich etwas wie Euphorie in ihr aus, während sie den Arm wieder in der Flüssigkeit versenkt, den Geruch vergisst, der aus dem Gefäß aufsteigt. Ihr Arm senkt sich tief in das Fass. Ein abgetrennter Fuß kommt ans Licht. Die Reste der Nagellackierung leuchten auf, die Farbe ist an einigen Stellen abgeblättert - rot, was sonst. Maria erschrickt, schleudert zu Boden, was sie in der Hand hält. Das Fleisch prallt wie ein sattgesogener Ball auf, bleibt schließlich liegen.

Ihr Hirn pocht, Gedanken rotieren, Bilder erscheinen, Gestalten, Dämonen, mittendrin Alaska mit Teufelsgesicht, feuerlodernden Augen, abstehenden Riesenohren. Er starrt sie an, grinst. Maria zittert, zwingt sich, zu wühlen, zu suchen. Als ihr Arm wieder zum Vorschein kommt, hat sie einen kleinen Gegenstand gefischt, den Ring Alaskas. Da spürt sie das wutvibrierende Smartphone, zieht es aus der Hosentasche. Aber zuvor streift sie den Ring über und beschließt, nach Alaska zu fliegen.

 
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Hola @Isegrims,

ich bin total von den Socken, während ich Deinen Text lese. Dicht und voller Power – das ist ‚Butter bei die Fische’! Bravo!

Jo, das wollte ich mal gesagt haben. Mir gefallen die langen Sätze, die großen Blöcke. Da wird nicht gefaselt, sondern packend erzählt. Da springt Dir kein Leser ab, das ist einfach großartig, was Du geschrieben hast. Bin schwer beeindruckt.

Ich fänd’ das völlig unpassend, hier herumzustochern, zu mäkeln und zu sülzen. Du hast so viele gute Sachen eingearbeitet, dass ich mir Deine Geschichte mit zunehmendem Vergnügen reingezogen hab. Und das ist viel mehr als nur: ‚Gern gelesen’!

Ich hab den Text ein zweites Mal gelesen und mir vorgestellt, den hätte ein berühmter amerikanischer Autor verfasst. Da würde doch auch kein Mensch auf die Idee kommen, die Geschichte mit gezücktem Rotstift zu lesen?!


Danke, dass ich den neuen Isegrims kennenlernen durfte – und jetzt wirklich schätze.
Kompliment! Die Challenge-Ergebnisse kannst Du in aller Gelassenheit abwarten:).

José

PS 13:46: Weil Novak und wieselmaus auf Deine Wortneuschöpfungen zu sprechen kommen,
darf die (für mich) beste nicht unerwähnt bleiben:

Schweißrandunterhemden, ...
:shy:

 

Lieber Ise, ein wirklich toller Text, sehr dicht, sehr intensiv und emotional. Ich gebe @josefelipe Recht.
Ich habe mir ja immer gedacht, es ist richtig, dass Ise seine Wortschöpfungen beibehält, es ist sein Markenzeichen, er muss nur richtig dosieren. Und hier ist das für mich so. Gefällt mir wirklich, wirklich gut. Sprachlich beeindruckend, klug aufgebaut, packend. Der Dialog zwischen Albert und Maria ist klasse. Auch die Innensichten Marias finde ich verflucht gut geschrieben. Ich finde es auch eine tolle Idee, dass du den Ring Teile der Alaska-Geschichte erzählen lässt. Ist eine gute Möglichkeit, die Tochter in der Erinnerung stöbern zu lassen, ohne dass ihr Suchen aufdringlich oder vordergründig wirkt.

Ein paar Kleinigkeiten (Vertipper und so) sind mir trotzdem aufgefallen, vielleicht finde ich schnell noch ein paar. Ansonsten findest du sie bestimmt selbst.
Ach ja, und eine Sache wollte ich dir noch ans Herz legen, alte Meckerliese, die ich bin und bleiben werde. Du hast hier (auch sonst machst du das ja sehr gerne) häufig Aufzählungen verwendet, angehängte Zusätze, Reihungen. Ich denke mir eigentlich, dass es dir bewusst ist, dass du mit Vorliebe dieses Stilmittel benutzt. Es gibt Stellen in der Geschichte, da passt das ganz exakt, erzeugt eine Atemlosigkeit, die den Leser mitzieht. Und es gibt Stellen, da wechselst du perfekt ab zwischen kurzen, knackigen Hauptsätzen oder Satzgefügen und deinen mäandernden Reihensätzen. Trotzdem wollte ich dir einfach nochmal sagen, dass du auch dieses Stilmittel der Reihung (wie eben auch die die Neologismen und Wortzusammenstellungen) im Auge behalten solltest. Nicht, dass der Stil anfängt, dich zu benutzen, anstatt du ihn. :)
Aber das nur am Rande und nur zum im Kopf behalten.

Großartige, faszinierende Geschichte.
Viele Grüße von da nach dort

Hier noch eine kleine Detailauswahl mit Vertipperlis:

Sie beschließt ganz oben zu beginnen, Müll, überflüssige Gegenstände aus dem Fenster auf den Hof zu werfen.
Muss man nicht, aber ich würde aus Gliederungsgründen nach beschließet Komma setzen.

Er schaute dann in die Ferne, die Nasenflügel vibrierten, entspannte sich wieder.
Evenuell wolltest du "entspannte sich" auf den ganzen Mann beziehen, hier stehts direkt hinter den Nasenflügeln, bezihet sich demnach auf die, von daher Plural.

Sie schiebt den Kasten zur Seite, will ihn in die Garage zu bringen, dorthin, wo der Tisch steht, an dem Alaska arbeitete, wenn etwas zu reparieren war.

Die halbzerfetzten, leeren Kartons, wirft sie durch das Dachfenster nach draußen, schaut ihnen beim Segeln hinterher.
Kein Komma hinter Kartons

zurück blieben Einsamkeit, stille Stunden, Nachmittage im Hort, Abende hinter Büchern versteckt, die Monologe des Vaters.
Satzanfang groß.
Mit dem Satz habe ich ein bisschen Probleme, weil er ja direkt nach dem Begräbnis der Mutter Marias Vorstellung von der Zukunft erzählt. Und dann führt der Satz danach wieder zurück zu dem Verhalten Alaskas. Da später nochmal so ein Satz kommt, der ihre Einsrücke und die Zeit nach dem Tod der Mutter zusammenfasst, würde ich den hier einfach weglassen. So sähe das dann aus:
Der Stern war vom Himmel gefallen, das Licht in Marias Kindheit erloschen. Am nächsten Morgen saß ein lächelnder Alaska am Frühstückstisch: „Ich räume Petras Sachen in die Garage und lasse sie abholen. Ist besser so.“ Maria liebte und hasste ihn.
Finde ich intensiver von den Eindrücken her.

Und jetzt erst mal Kaffee. Bis dann

 
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im Grunde könnte ich den kompletten Kommentar durchzitieren, so sehr freut es mich, dass der Text bei dir erreicht, was ich bewirken wollte, lieber @josefelipe. An der Geschichte habe ich gefeilt, weil ich in mancherlei Hinsicht mal wieder Neuland betreten habe.
By the way: am Freitag kam eine Doku über David Bowie auf Arte. Er kam sphärisch und gleichzeitig echt rüber. Er sagte: wer als Künstler irgendwie weiterkommen will, muss sich immer am Rand der Überforderung bewegen, immer etwas mehr wollen.
So habe ich das Schreiben an diesem Text empfunden, der übrigens eine reale Grundlage hat.

Jo, das wollte ich mal gesagt haben. Mir gefallen die langen Sätze, die großen Blöcke. Da wird nicht gefaselt, sondern packend erzählt.
:Pfeif: mit den längeren Sätzen will ich den Gedankenflug spiegeln, sehr gut, dass es klappt.

Da springt Dir kein Leser ab, das ist einfach großartig, was Du geschrieben hast. Bin schwer beeindruckt.
dass ich mir Deine Geschichte mit zunehmendem Vergnügen reingezogen hab. Und das ist viel mehr als nur: ‚Gern gelesen’!
:Pfeif::thumbsup: dankeschön

Ich hab den Text ein zweites Mal gelesen und mir vorgestellt, den hätte ein berühmter amerikanischer Autor verfasst.
warum ein amerikanischer Autor? Meinst du einen speziellen?

Danke, dass ich den neuen Isegrims kennenlernen durfte – und jetzt wirklich schätze.
ich habe dir zu danken und freue mich, dass du meine "neuen" Texte schätzt:shy:
Kompliment! Die Challenge-Ergebnisse kannst Du in aller Gelassenheit abwarten
kann ich tatsächlich, weil mein Text jetzt endlich online ist.

Ich wünsche Dir einen wunderzauberlichen Start in die Woche
viele Grüße
Isegrims

 
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Hallo @Isegrims,

dieser Text am frühen Morgen, der hat mich total verblüfft. Ich habe dann @josefelipe s Kommentar gelesen und muss sagen, ich gebe ihm in allen Punkten recht. Aufbau, Spannung, Charaktere ... Der Plot ist etwas Besonderes, die Charaktere von Vater und Tochter überzeugen mich, die Spannung ist dramaturgisch hervorragend aufgebaut. Ein Lesesog von Anfang bis Ende, dazu sprachlich dicht und ja, ich sage es ohne Vorbehalt, gut gesetzte, weil sparsam verwendete Wortkombinationen, die auf den Punkt passen. (Du weißt ja, dass ich hier eher kritisch bin).

Ich habe ein paar herausgesucht, die mir besonders gefallen.

Wochenendgemütlichkeit,
Krallenfinger
Tränenwasserfälle
Mamaweihnachtsgeschenk
Faltengesicht
Cracknutten

Der Ring, personifiziert, gibt auf raffinierte Weise Hinweise auf die Geschehnisse, wenn Alaska unterwegs ist, sich frei fühlt, sich in ein Monster verwandelt, von dem die Welt nie etwas erfährt, nur seine Tochter, die etwas ahnt, weil sie Alaskas Fratze kennt und einen Zusammenhang mit dem Ring vermutet.

Der Ring fällt ihr ein, vor allem den Ring muss sie finden, das Wolfsgesicht auf dem Carneol berühren. Alles andere konnte verschwinden, verrotten wie Alaska selbst. Warum hatte er ihn im Krankenhaus nicht dabei, warum hat sie ihn nicht nach dem Ring gefragt?

An der folgenden Stelle bin ich ein wenig aus der Spur gekommen.

„Jetzt reicht’s aber. Dein Vater war ein verfickter Nazi, das wussten alle

Ich weiß nicht, ob das Nazi-Thema hier notwendig ist, es wird ja auch nicht weiter verfolgt. Vielleicht habe ich aber auch was übersehen.

Ja, ist besser. Wenn das alles vorbei ist, machen wir Urlaub, okay?“
„Wohin?“
„Wo’s warm ist.“

Als ihr Arm wieder zum Vorschein kommt, hat sie einen kleinen Gegenstand gefischt, den Ring Alaskas. Maria streift ihn über und, beschließt nach Alaska zu fliegen. Aber was dann?

Nach Alaska, nicht dahin, wo's warm ist? Das lässt mich nichts Gutes ahnen. Toller Text, ich gratuliere.

Herzliche Grüße
wieselmaus

 

Hi @Isegrims ,

Alaskas Haus steht in einer Ortschaft, die zum Großstadtspeckgürtel gehört, zur Behaglichkeitszone im Schatten von Lichtern und Lärm.

Ich hab tatsächlich noch keine Geschichte von dir gelesen. Als ich also nichtsahnend das Fenster öffne, erschlägt mich direkt dieser erste Satz. Was mich am Anfang noch abgeschreckt hat, insbesondere die konstante Wortneuschöpfung und die ganzen Sätze, die du einfach mit einem Komma nach dem anderen aneinandergereit hast, hat mich irgendwann so sehr in den Bann gezogen, dass ich die gesamte Geschichte in einem Rutsch und ohne einmal aufzuschauen gelesen habe. Dein Stil ist einfach so eigen, so komplett anders als das, was ich zu Papier bringe, und das hat mich irgendwie total fasziniert :lol:.

Geräusche dringen wie ein Säuseln aus der Ferne in die Ohren,

Warum nicht direkt säuseln? Warum das wie?

umarmte Alaska die Tochter

Ich finde es verwirrend, dass Maria immer wieder von Alaska spricht, nicht von Papa oder ihrem Vater. Denn bei der Formulierung die Tochter hatte ich das Gefühl, etwas zwischen den Zeilen überlesen zu haben.

Am Himmel klebten Engel.

Meine Lieblingsstelle.

Nachtrag: Alaska mordete über einen Zeitraum von mehr als dreißig Jahren, wurde nie entdeckt, nie verdächtigt. Er starb im Krankenhaus.

Was den Nachtrag angeht: Ich bin jetzt davon ausgegangen, dass die zerstückelte Leiche Marias Mutter ist / war. Aber deiner Formulierung würde ich jetzt entnehmen, dass Alaska mehrere Menschen umgebracht hat. Außerdem schreibst du ja, er wurde nie verdächtigt, aber hätte sich ( falls es sich bei dem zerfranzten Stück Fleisch wirklich um die Mutter handelt) niemand denken könnten, dass der schlechtgelaunte und gewaltbereite Alaska etwas mit ihrem Verschwinden zu tun haben könnte?
Whatever. Vermutlich habe ich einfach nur zu viel hineininterpretiert.

Wirklich gerne gelesen!

Liebe Grüße
Michel

 

Ach Mensch, @Isegrims ,

was ist das denn immer nur? Wieso komm ich denn nun wieder nich klar mim Text? :cry: Ich würd ja wollen, ehrlich. Aber es geht nicht. Schreiben wir es meinen eingefahrenen Leseliebhabseligkeiten zu ;)

Für mich gibt es jetzt so im Abgang, ich habe die Geschichte vor einigen Stunden gelesen, einfach keinen Gefühlsfaden. Weiß auch nicht genau, was ich meine. Ich nehme mal an, dass es mit den zigfachen von Bildern und Eindrücken, die mir nicht immer stimmig und wie so willkürlich erscheinen, die meinem Hirn einen Knoten nach dem anderen verpassen und am Ende habe ich eine Maria, eine Kindheit und einen mordenden Vater. Diese schnelle Aneinanderreihung, dieses durchgehetzte Thema, auch formal ... ich kann eben nicht folgen. Es gibt einen Absatz, auf den ich später noch mal zurückkomme, weil der jetzt im Zitatenband drinnehängt, den ich mir für den gesamten Text gewünscht hätte. Der Gesamttext kommt mir nämlich vor, wie an vielen verschiedenen Tagen in vielen verschiedenen Stimmungen angefertigt.
Die Idee den Mörder anhand der Rückblicke seiner Tochter zu rekonstruieren ist supertoll, aber für meinen Geschmack hats eben nicht gut funktioniert. Da kam bei mir kein Mörder bei rum.Nur ein durchgeknallter Papa und nix hat sich angedeutet. Mag so gewesen sein, aber mir kannste das so nicht verkaufen. Auch gibt es (ich sag mal frech: schon wieder) zu viele Dinge unwichtige Dinge (oder ist es von Belang, auch welche grausame Weise Petra starb, mit der relativ normal lebte?).
Ich fang mal an zu nörgeln.

sonst herrscht Stille. Geräusche dringen wie ein Säuseln aus der Ferne in die Ohren,

Stille oder Geräusche. Was n nu?

Die Rosen wuchern mittlerweile fast die ganze Wand empor,

Sicher die Hauswand (nicht spektakulär, aber ich komme so raus ausm Trott)

Er summte die Melodien mit. Manchmal holte er dann das Saxofon, presste das Mundstück zwischen die Lippen, begann zu spielen, schlug die Krallenfinger auf die Tasten, bis das Instrument krächzte, jubelte, jauchzte, Botschaften ausspie.

Was soll die Hast?

Maria habe leider keinerlei Talent, deshalb wäre es reine Verschwendung, ihre Klavierstunden zu bezahlen.

Sie spielt also und niemand zahlt?

Ich spürte die Feuerglut in einer Eisschicht versteckt.

Nee. Keen Feuer unterm Eis. Das krieg ich nicht hin, auch wenn er hundert Male in Alaska geurlaubt hat.

Nach einer Weile schwebten sie über die Schneelandschaft, die Sonne gleißte, die Hunde kläfften, der Schlitten knirschte.

... Maria lachte ... Ich find das ... einfallslos.

der Vater unter der Erde lag, nur noch die Würmer ihn hören konnten,

Was hören die das so vom toten Papa?

Obwohl Maria vom Dachboden kommt, fröstelt sie.

Ist es nicht immer kalt aufm Dachboden?

In der Küche braut sie sich Kaffee,

Warum kocht sie den nicht einfach?

Wer ihn trägt, kann zaubern, hatte er gesagt. „Bist du ein Zauberer, Papa?“ „Vielleicht“, war seine Antwort.

Ja. Das ist hübsch, aber ... wo ist der Bogen dazu und seine Intention, seine Sucht, sein Antrieb, sein Wahnsinn? Wer ist er, der dreißig Jahre lang so vor sich hin mordete?

Ihr Blick fällt auf die Nagellackreste, die sich ins Holz eingebrannt haben.

Wieso brennt sich Nagellack in Holz?

fleckige Hosen, schmutzig, ungepflegt, obwohl er penibel war, einer für den Sauberkeit einen Wert an sich darstellte.

Das verwirrt mich nur. Wieso denkt sie nicht weiter nach? Laut, damit ich mitkomme?

zeigen ihr Alaskas Traumfängerglut,

:confused: Welcher Traum zH ist denn das?

An solchen Tagen war Alaska am gefährlichsten, entweder liebevoll oder grausam, je nachdem.

Was ist an liebevoll gefährlich?

Die Geschichte mit den Strings fällt ihr ein, als sie die Pfütze vor der Garage bemerkt. Mit dreizehn kaufte Maria heimlich Tangas, versteckte sie. Jedes Mädchen trug Strings. Warum er sie fand, was er in der Kommode gesucht hatte, erfuhr sie nie. Eines Abends kam Alaska in ihr Zimmer. Ohne sie anzuschauen, zog er an der Schublade. Das Scharnier quietschte. Er hielt einen schwarzen Spitzenstring zwischen Daumen und Zeigefinger, zeigte darauf, stopfte ihn in eine Aldi-Tüte. Die anderen folgten. „Du Hure!“, schrie er und packte sie. Sie fuhren in die Stadt, dorthin, wo Cracknutten auf Freier warten. Dann stieg er aus, schüttete den Inhalt der Tüte auf die regenfeuchte Straße, öffnete den Hosenschlitz und pinkelte auf den Wäschehaufen. Die Huren kreischten und lachten, Maria schämte sich. Wie lange hatte sie daran nicht gedacht?

Den Absatz meinte ich oben in meiner Einleitung? Warum hast du sie nicht erzählt?

Es tut mir echt leid, Isegrims. Ich hätte dir nicht zum hundertsten Mal sagen müssen, dass mir deine Geschichten oft zu voll und zu irritierend sind, aber in einer Challenge, in der ich mir in den Kopf gesetzt habe, alle zu lesen und zu kommentieren, blieb mir keine Wahl.

Sieh es mir bitte nach und pack den Kommentar ... auf den Dachboden oder in die blaue Tonne :sealed:.

Freundlich grüßen tu ich aber dennoch, Kanji

 

Liebe @Novak

Ich danke dir sehr für den Kommentar, freut mich ungemein, gerade weil mein Schreiben bei dir in der Vergangenheit einiges an Kritik hervorgerufen hat, auch weil du die sprachlich-stilistische Entwicklung ziemlich genau beobachtet hast und mir immer wieder superwichtige Anregungen gibst.

ch habe mir ja immer gedacht, es ist richtig, dass Ise seine Wortschöpfungen beibehält, es ist sein Markenzeichen, er muss nur richtig dosieren. Und hier ist das für mich so.
nach und nach verlasse ich den Spielmodus und setze die mir zur Verfügung stehenden Mittel gezielt ein, die Wortschöpfungen habe ich oft verteidigt, mag sein, dass es zu einer Art Markenzeichen wurde, aber ich bin damit bei weitem nicht alleine, nutze die Kreationen als Stilmöglichkeit und überlege mir mittlerweile genau, wann ich sie benutze, wann es Sinn, macht, einen zusätzlichen Bedeutungsnutzen bringt.

Sprachlich beeindruckend, klug aufgebaut, packend.
:Pfeif:

Der Dialog zwischen Albert und Maria ist klasse. Auch die Innensichten Marias finde ich verflucht gut geschrieben. Ich finde es auch eine tolle Idee, dass du den Ring Teile der Alaska-Geschichte erzählen lässt.
danke dafür, vor allem, weil ich den Dialog viele Male umgeschrieben habe, um mehr zwischen den Zeilen unterzubringen. Bei den Innensichten Marias war ich mir ganz grundsätzlich unsicher, habe versucht, genau auszutarieren. Tja, und der Ring, da war ich dann an dem Punkt, dass ich eine weitere Ebene ganz dringend gebraucht habe, um die Ambivalenz des Geschehens, auch der Personen, abzubilden, habe mir anfangs überlegt noch ein paar andere Gegenstände sprechen zu lassen, fand ich dann aber too much.

Ich denke mir eigentlich, dass es dir bewusst ist, dass du mit Vorliebe dieses Stilmittel benutzt. Es gibt Stellen in der Geschichte, da passt das ganz exakt, erzeugt eine Atemlosigkeit, die den Leser mitzieht. Und es gibt Stellen, da wechselst du perfekt ab zwischen kurzen, knackigen Hauptsätzen oder Satzgefügen und deinen mäandernden Reihensätzen. Trotzdem wollte ich dir einfach nochmal sagen, dass du auch dieses Stilmittel der Reihung (wie eben auch die die Neologismen und Wortzusammenstellungen) im Auge behalten solltest. Nicht, dass der Stil anfängt, dich zu benutzen, anstatt du ihn. :)
meine Sprachidee besteht lange schon darin zu mäandern, zu bremsen, von neuem anzuheben, vielleicht eine musikalische Vorstellung. Ich werde deinen Hinweis ganz sicher nicht vergessen, gut, dass du es erwähnst.

Großartige, faszinierende Geschichte.
:Pfeif:

Also, what to say: liebe Passen-die-Gref-Völsings-eigetlich-zu-Glühwein-Abendgrüße
Isegrims

Ach, noch was: die Textstellen habe ich direntsprechend verwendet.

 

Hallo @wieselmaus

dein Kommentar hat mich besonders gefreut, schließlich kenne ich deine skeptische Haltung. Was kann man sich mehr wünschen, als eine Kritikerin mitzunehmen, vielleicht sogar zu begeistern, die ihre Vorbehalte bisher deutlich vernehmbar vorgetragen hat und mich gewissermaßen gezwungen hat, einiges zu überdenken, anzupassen, zu verbessern. Was auch etwas über die Qualität und die Möglichkeiten aussagt, die das Forum bietet.

Der Plot ist etwas Besonderes, die Charaktere von Vater und Tochter überzeugen mich, die Spannung ist dramaturgisch hervorragend aufgebaut.
:Pfeif:

Ein Lesesog von Anfang bis Ende, dazu sprachlich dicht und ja, ich sage es ohne Vorbehalt, gut gesetzte, weil sparsam verwendete Wortkombinationen, die auf den Punkt passen. (Du weißt ja, dass ich hier eher kritisch bin).
du zählst einige Wortverbidnungen auf und zum Teil gerade die, bei denen ich mir nicht ganz sicher war, ob sie funktionieren, zum Beispiel Mamaweihnachtsgeschenk.;):thumbsup:

Der Ring, personifiziert, gibt auf raffinierte Weise Hinweise auf die Geschehnisse, wenn Alaska unterwegs ist, sich frei fühlt, sich in ein Monster verwandelt, von dem die Welt nie etwas erfährt, nur seine Tochter, die etwas ahnt, weil sie Alaskas Fratze kennt und einen Zusammenhang mit dem Ring vermutet.
ohne den Ring hätte ich die Geschichte nicht erzählen können, ich fand, dass eine weitere Perspektive nötig ist, wollte Maria auf keinen Fall aus der Ich-Perspektive heraus sprechen lassen.

An der folgenden Stelle bin ich ein wenig aus der Spur gekommen.
Alaska starb im Krankenhaus. Maria dachte, er hätte den Ring bei sich.

Ich weiß nicht, ob das Nazi-Thema hier notwendig ist, es wird ja auch nicht weiter verfolgt. Vielleicht habe ich aber auch was übersehen.
ja, das Nazi-Thema, klar, ich habe allerdings keine Alternative gefunden, um zu zeigen, dass Alaska sich das Morden moralisch zurechtgelegt hat, glaubte, man dürfe töten, wenn es sich um unwertes Leben handle, was ja eine Nazidenkweise war.

Nach Alaska, nicht dahin, wo's warm ist? Das lässt mich nichts Gutes ahnen. Toller Text, ich gratuliere.
:Pfeif:

Liebe Grüße aus dem Glühweintaunuswunderlandreich
Isegrims

 

Alaska, nun nicht mehr allein das „Land, zu dem das Wasser fließt“ und das Land der kunstvollen Totempfähle, benennt nun auch die dunkle Seite des Menschen, von der man selten weiß und doch jeder in sich trägt, aber zumeist im Zaum gehalten und gebändigt werden kann, wenn sie schon nicht ganz gezähmt wird.

Klar, schließ ich mich dem Gros der Vorredner an,

bester Isegrims hierorts und weit und breit,

will aber auch nicht vor Ehrfurcht erstarren und hätt‘ also noch einige Flusen … denn schon hier

Als niemand mehr da war, kein Pfarrer, kein Zaungast, keiner der Nachbarn und Freunde, versiegte der Fluss, als habe einer den Hahn zugedreht.
meine ich, dass nicht Konj. I, sondern irrealis, „als hätte“, und noch einmal gegen Ende der Geschichte – und zwar hier
Sein Mund zuckte, mahlte, als wolle er etwas schlucken oder Worte formen, die ...
„als wollte er ...“ zu nutzen wären denn warum sollte etwas anderes gelten, wenn es an anderen Stellen korrekt heißt
Nach dem Telefonat fühlt Maria sich leichter, als hätte sie sich von etwas befreit, das ...
und/oder
… ihrem Herzen feststeckte, als verstünde sie nach und nach, dass …
, wo zudem die schöne Umlautung an die Stunde erinnert.

Hier schnappt m. E. die Fälle-Falle zu

Er wischte sich übers Gesicht, nahm Maria an der Hand, hielt ihr die Wagentür auf.
, denn gemeinhin heißt es „an die Hand nehmen“, Akk.

Der Container landet auf dem Kies des Hofes, bebt und kommt zum Stillstand.
Warum so umständlich und substantiviert, wenn der Container schlicht „bebt und (dann schlicht) stillsteht“?

M. E. reine Flüchtigkeiten

Der Albert stammt aus einer Zigeunerfamilie[,] hat er gesagt, alle Rumänen sind Zigeuner, nichts wert, müsste man ausrotten, keine Menschen, hat er gesagt.
Ein Mann braucht ein Messer, je schärfer[,] desto besser, hört sie ihn sagen.

Die Kleider nimmt sie sich einzeln vor, entdeckt ein paar Geldscheine, Quittungen, Kugelschreiber, fleckige Hosen, schmutzig, ungepflegt, obwohl er penibel war, einer[,] für den Sauberkeit einen Wert an sich darstellte.

Maria leert sie, wirft das Geschirr, bis auf das [g]ute, das mit den grünen Rosen, …
„bis auf das gute (Geschirr), bloßes Adjektiv/Attribut des Geschirrs
Manchmal verschwand er die ganze Nacht, kam erst am frühen Morgen zurück, gerade noch rechtzeitig[,] um die Lieferung aus Holland entgegenzunehmen, …

Fleisch und Holzkohlegerüche stülpten sich über den des Regens.
Kann man Regen riechen?
Ich hab nachgeschaut und Antwort gefunden und zitier mal: „Regenwasser ist sehr reines Wasser. Und Wasser ist geruchlos. Erste Antwort also: Nein, den Regen selbst kann man nicht riechen. Aber wir alle kennen den herrlichen Duft, der die Luft erfüllt, wenn nach einer langen Trockenperiode der erste Regen fällt. Der Geruch hat sogar einen Namen: Petrichor, gebildet aus den griechischen Wörtern für "Stein" und "Flüssigkeit, die in den Adern der Götter fließt". Woher kommt der göttliche Duft?
...“ (aus: „Kann man Regen riechen?“ Eine Kolumne von Christoph Drösser unter Zeit Online, https://www.zeit.de/2015/05/geruch-regen-stimmts

Also nimmt sie sich das zerbeulte blaue Fass vor, öffnet den Verschluss.
Hier sind m. E. die Adjektive des Attributs gleichrangig und durch Komma zu trennen, die Gegenprobe „das zerbeulte und blaue Fass“ spricht nicht dagegen ...

ohne Worte

... Schlüsseln, der auf der Kommode liegt. probiert sie durch, bis einer greift.
Maria zittert, zwingt sie sich, zu wühlen, zu suchen.

Gern gelesen vom

Friedel

 

Ein kurzes allgemeines Statement vorneweg: mir macht es einfach mehr Freude, wenn ich die anderen Texte der Challenge lese und kommentiere und im Wechsel die Anmerkungen zu meiner Geschichte beantworte, zumal ich auf diese Art feelingmäßig besser eingehen kann. Ohnehin gehöre ich nicht zu denen, die ohne Unterbrechung stundenlang am Stück schreiben. Ich hoffe, euch stört das nicht allzu sehr und bitte um Nachsicht.

Hi @Meuvind

tja, so eine Challenge reißt uns aus unseren Gewohnheiten, freut mich deshalb, dass du den Text gelesen und vor allem genossen hast.

Was mich am Anfang noch abgeschreckt hat, insbesondere die konstante Wortneuschöpfung und die ganzen Sätze, die du einfach mit einem Komma nach dem anderen aneinandergereit hast, hat mich irgendwann so sehr in den Bann gezogen, dass ich die gesamte Geschichte in einem Rutsch und ohne einmal aufzuschauen gelesen habe.
:Pfeif:

Warum nicht direkt säuseln? Warum das wie?
mm, einerseits hast du recht: ich könnte schreiben: Geräusche säuseln aus der Ferne in die Ohren, aber für den Augenblick fühlt sich das zu süßlich an, muss ich drüber nachdenken, kommt auf die Liste.

Ich finde es verwirrend, dass Maria immer wieder von Alaska spricht, nicht von Papa oder ihrem Vater. Denn bei der Formulierung die Tochter hatte ich das Gefühl, etwas zwischen den Zeilen überlesen zu haben.
Maria nennt ihn, glaube ich, deshalb nicht Vater, weil sie dadurch innerlich Distanz aufbaut.

Meine Lieblingsstelle.
Am Himmel kleben Sterne, ja, die Stelle mag ich auch sehr.

Was den Nachtrag angeht: Ich bin jetzt davon ausgegangen, dass die zerstückelte Leiche Marias Mutter ist / war. Aber deiner Formulierung würde ich jetzt entnehmen, dass Alaska mehrere Menschen umgebracht hat. Außerdem schreibst du ja, er wurde nie verdächtigt, aber hätte sich ( falls es sich bei dem zerfranzten Stück Fleisch wirklich um die Mutter handelt) niemand denken könnten, dass der schlechtgelaunte und gewaltbereite Alaska etwas mit ihrem Verschwinden zu tun haben könnte?
Ich habe das weiter oben schon angedeutet: die Geschichte hat eine reale Grundlage. 2014 starb ein Mann an Krebs. Er wohnte in einem kleinen Taunusstädtchen. Als die Tochter das Haus entrümpelte fand sie Fässer mit Leichenteilen. Die Mordserie begann in den 70ern. Dann pausierte er und fing in den 90ern wieder an zu morden. Bei den Opfern handelte es sich um Prostituierte. Und einen Jungen aus Rumänien, nach dem jahrelang gesucht wurde. Wer Taunusmörder googelt, stößt auf den Wikipediaeintrag. Ich habe im Vorfeld ziemlich genau recherchiert und überlegt, wie ich das Thema angehe.

viele Taunuswäldergrüße
Isegrims

 

Hey @Isegrims,

ich schleiche jetzt schon ein paar Tage um deinen Text herum ... Das hat zum einen damit zu tun, dass ich gerade wenig Zeit habe und mir für die Geschichte aber Zeit nehmen wollte. Zum anderen, dass ich nicht genau weiß, was ich beim Lesen empfunden habe. Das wird also kein Kommentar, der dir vermutlich viel weiterhelfen wird, nur ein Leseeindruck.

Dein Einstieg gefällt mir. Ich finde, das klingt galant, fast ein wenig nach einem modernen Märchen, das fand ich gut. Generell mag ich, wie du den Gang durch's Alaska-Haus schilderst, meine Lieblingsstelle ist definitiv die hier:

Als sie das Haus wieder betritt, sitzen die Dämonen weiter hinter den Tapeten, in den Fugen, verkriechen sich in der Luft, scheinen sich auf ewig festzufressen, glotzen sie an
Dämonen, die hinter Tapeten sitzen in einem Haus, das viele dunkle Erinnerungen bereit hält - das finde ich richtig gut.

Ich muss sagen, atmosphärisch gefällt mir das über die meiste Strecke, ich finde auch, dass in diesem Text deine Wortkreationen wohlbedachter dosiert sind und meistens gut passen. An Maria komme ich jedoch nicht so richtig heran. Auch nicht an Alaska. Ich finde ihn weder furchteinflößend, noch brutal, ich lese zwar, wie du ihn beschreibst, aber dabei bleibt es auch. Das liegt daran, dass ich oft das Gefühl habe, das es dem Text (dir?) wichtiger ist, die Bilder zu malen, die du dir vorstellst, als wirklich in ihre Gefühlswelt einzutauchen. Ein Beispiel: Den Absatz, in dem Maria die Zeit beschreibt, als ihre Mutter noch da war, der hat mich am meisten berührt, das fand ich wirklich schön. Dann kommt die Beerdigung und dann dieser Satz:

Am Grab vergoss Alaska Tränenwasserfälle.
Das tut mir jetzt leid, aber da musste ich schmunzeln. Ich finde, genau an dieser Stelle wirken die "Tränenwasserfälle" der Stimmung genau entgegen. Da höre ich ganz deutlich dich, nicht das Leid oder etwaige andere Emotionen deiner Protagonisten. Ich hoffe, du verstehst, was ich sagen will, tue mich gerade ein bisschen schwer, mich auszudrücken.

Ja, und so ging mir das eben immer wieder. Ich finde den Text wirklich gut, er ist dicht und intensiv. Aber an manchen Stellen kippt er in eine Theatralik, die mich rausgebracht hat. Dass Alaska ein Mörder sein könnte, daran habe ich tatsächlich kein einziges Mal gedacht. Als Maria dann die Tonne öffnet, noch bevor sie den Arm rauszieht, ahnte ich was, aber davor dachte ich einfach nur, das war halt ein gefühlskalter Mensch. Was die Beziehung zu seiner Tochter aber nicht weniger interessant machte. Ich habe jetzt eben gelesen, was deine Inspiration zu der Geschichte war und verstehe nun, was dahinter steckt. Den letzten Absatz würde ich dennoch noch einmal überdenken. Vor allem das "Aber was dann?" und den kursiven Nachtrag. Ich finde, diese zwei Dinge zerstören die düstere Stimmung, die am Ende deines Textes eigentlich schön nachklingen könnte.

Liebe Grüße
RinaWu

 

Gude, @Kanji

um deinen Kommentar zu verstehen, habe ich tatsächlich etwas Zeit und (:D) die richtige Gefühlslage gebraucht. Die Anmerkungen von @RinaWu gehen ja teilweise in dieselbe Richtung. Zur Ausgangslage: Klar, ich beschreibe keine Alltagssituation, versuche, etwas schwerzuerklärendes zu umkreisen, zu beschreiben, wie eine Tochter sich anhand ihrer Erinnerungen annähert, ihre Ahnungen am Ende zur Gewissheit werden. Das Thema geistert schon eine Weile durch meinen Kopf, weil es diesem Alaska ja tatsächlich gegeben hat, gar nicht weit weg von mir.

Schreiben wir es meinen eingefahrenen Leseliebhabseligkeiten zu ;)
na ja, ein Wohlfühltext sollte das nicht werden, tut mir leid.

Ich nehme mal an, dass es mit den zigfachen von Bildern und Eindrücken, die mir nicht immer stimmig und wie so willkürlich erscheinen, die meinem Hirn einen Knoten nach dem anderen verpassen und am Ende habe ich eine Maria, eine Kindheit und einen mordenden Vater.
wenige Bilder, allein der Fund der Leichenteile zum Beispiel, das hätte einfach nicht ausgereicht, dafür ist das Ganze zu komplex, auch die Charaktere brauchten Raum, um sich zu entfalten. Ich denke, dass ich eher reduziert habe, viel mehr hätte schreiben können.

Der Gesamttext kommt mir nämlich vor, wie an vielen verschiedenen Tagen in vielen verschiedenen Stimmungen angefertigt.
ehrlich, @Kanji: schreibst du einen Text an einem Tag? Und das mit den unterschiedlichen Stimmungen erkenne ich nicht, welche Textstellen kommen dir in den Sinn? Ich schreibe durchgängig im selben Stil, meine ich.

Da kam bei mir kein Mörder bei rum.Nur ein durchgeknallter Papa und nix hat sich angedeutet. Mag so gewesen sein, aber mir kannste das so nicht verkaufen.
das Rätsel besteht ja, in dem Warum. Allerdings habe ich ein wenig recherchiert, was die Psyche von Massenmördern betrifft. Egoismus, Gehässigkeit, moralische Enthemmung, Narzissmus, Psychopathie, Selbstbezogenheit, Sadismus, übertriebenes Anspruchsdenken, charakterisieren sie. Wenn du genau hinschaust, findest du die meisten Punkte bei Alaska. wie ich ihn beschreibe.

Stille oder Geräusche. Was n nu?
danke, die Stelle habe ich geändert.

Sicher die Hauswand (nicht spektakulär, aber ich komme so raus ausm Trott)
kapiere ich nicht, was du meinst.

Sie spielt also und niemand zahlt?
nö, sie spielt Klavier, er zahlt, hat aber keine Lust mehr, weiter zu zahlen.

Nee. Keen Feuer unterm Eis. Das krieg ich nicht hin, auch wenn er hundert Male in Alaska geurlaubt hat.
Geysire, was weiß ich? Ist doch nur ein Bild, ein Kontrast zwischen Kälte und Feuer.

... Maria lachte ... Ich find das ... einfallslos.
die Schlittenfahrt schildere ich ein wenig romantisch, ist mir klar, eine märchenhafte Erinnerung Marias, so wie wir unsere Erinnerungen eben gestalten, oft schöner als die Wirklichkeit.

Was hören die das so vom toten Papa?
was die Würmer hören? Gejammer, schätze ich.

Ist es nicht immer kalt aufm Dachboden?
nö, manchmal auch stickig, besonders im Sommer:D

Warum kocht sie den nicht einfach?
weil man auch brauen sagen kann:lol: und die handelsüblichen Maschinen das Wasser nicht zum Kochen bringen.

Ja. Das ist hübsch, aber ... wo ist der Bogen dazu und seine Intention, seine Sucht, sein Antrieb, sein Wahnsinn? Wer ist er, der dreißig Jahre lang so vor sich hin mordete?
das ist die Grundfragestellung des Textes :sealed:

Wieso brennt sich Nagellack in Holz?
kennst du das nicht, dass sich Farbe ins Holz brennt, wie eine Tätowierung.

Das verwirrt mich nur. Wieso denkt sie nicht weiter nach? Laut, damit ich mitkomme?
mm, an der Stelle, an der ich sie daran denkt, wie penibel er war, da hätte ich natürlich weitere Erinnerungsfetzen Einbrauen können, stimmt.
Welcher Traum zH ist denn das?
hier genauso, ein Link, um eine Anekdote anzusehen fügen, die Traumfängerglut zu zeigen.

Was ist an liebevoll gefährlich?
die Ambivalenz

Es gibt einen Absatz, auf den ich später noch mal zurückkomme, weil der jetzt im Zitatenband drinnehängt, den ich mir für den gesamten Text gewünscht hätte.
Den Absatz meinte ich oben in meiner Einleitung? Warum hast du sie nicht erzählt?
Die Geschichte der Strings? Was meinst du?

Es tut mir echt leid, Isegrims. Ich hätte dir nicht zum hundertsten Mal sagen müssen, dass mir deine Geschichten oft zu voll und zu irritierend sind,
irritierend finde ich super, spiegelt genau das, was der Text will. Voll? Ja, musste sein. unbedingt sogar.

Vielen Dank für die wertvolle Gedanken zu dem Text!
Liebe Grüße aus den Glühweinsonnentagen
Isegrims

 

Lieber Friedel,

dein Besuch, die Fehlerchenlese, die klugen Anmerkungen, bereiten mir eine besondere Freude. Wie immer, möchte ich sagen, hier- und dortorts. :Pfeif:

benennt nun auch die dunkle Seite des Menschen, von der man selten weiß und doch jeder in sich trägt, aber zumeist im Zaum gehalten und gebändigt werden kann, wenn sie schon nicht ganz gezähmt wird.
der Titel, der Name hat sich quasi selbst den Weg gebahnt, die Alaskadämonen eben.

Klar, schließ ich mich dem Gros der Vorredner an,
bester Isegrims hierorts und weit und breit,
will aber auch nicht vor Ehrfurcht erstarren und hätt‘ also noch einige Flusen …
vielen Dank, ich habe weitestgehend alles umgesetzt:thumbsup:
Bis auf hier:
Der Albert stammt aus einer Zigeunerfamilie[,] hat er gesagt, alle Rumänen sind Zigeuner, nichts wert, müsste man ausrotten, keine Menschen, hat er gesagt.“
Maria betont mit der Dopplung von "hat er gesagt", dass es sich um ein Zitat handelt, sie nicht selbst spricht, wiedergibt, was Alaska ihr gesagt hat.

Der Geruch hat sogar einen Namen: Petrichor, gebildet aus den griechischen Wörtern für "Stein" und "Flüssigkeit, die in den Adern der Götter fließt". Woher kommt der göttliche Duft?
...“ (aus: „Kann man Regen riechen?“ Eine Kolumne von Christoph Drösser unter Zeit Online, https://www.zeit.de/2015/05/geruch-regen-stimmts
sehr interessant, du bist der König der Recherche!:Pfeif: Ich verstehe schon, dass es unpräzise klingt, vom Geruch des Regens zu sprechen, aber als Bild finde ich es nach wie vor passend, auch gebräuchlich, muss trotzdem drüber nachdenken, ob eine andere Formulierung taugt.

viele Weihnachtsmarktgeruchsgrüße
Isegrims

 

Hallo @Isegrims,

ich wusste ja was mich erwartet, wusste worauf es hinausläuft und irgendwie fällt es mir dadurch etwas schwer die Geschichte zu beurteilen.

Gehen wir sie doch langsam durch, mal schauen, ob ich am Ende eine genauere Meinung habe. ;)

Alaska
Ich werde mit diesem Namen nicht warm. Der irritiert mich, stört mich irgendwie in der ganzen Geschichte. Es dauert bis überhaupt klar wird welches Geschlecht die Person mit diesem Namen überhaupt hat. Du willst mit dem Namen direkt die Kälte rüberbringen, aber ich hätte mir einen anderen Namen gewünscht.

Ansonsten finde ich den Einstieg gut, man ist schnell drin, weiß worum es geht.

Einstweilen dreht sie in den Räumen die Heizkörper auf,
Einstweilen klingt sehr gestelzt.

Warum hatte er ihn im Krankenhaus nicht dabei, warum hat sie ihn nicht nach dem Ring gefragt?
Ich würde Präteritum für den zweiten Teil des Satzes verwenden.

Ihre Blicke flattern
Ich würde „Ihr Blick flattert“ als passender empfinden.

saugt an der Sturmluft
Das hört sich merkwürdig an. Man kann an einem Schnuller oder einer Flasche saugen, aber an der Luft? Man saugt die Luft ein oder giert nach der Luft.

hört dem Knistern der Herbstblätter zu, die auf dem Hof wirbeln
Anstatt zuhören einfach lauschen?

All die Jahre hat er mich gewärmt, das schon. Ich spürte die Feuerglut in einer Eisschicht versteckt.
Es hat echt gedauert bis ich verstanden habe, dass hier der Ring spricht. Eigentlich eine coole Idee, aber dadurch das ich das erst nicht kapiert habe, fand ich diese Abschnitte etwas verwirrend.
Ich wusste ja worauf es hinausläuft und dachte erst, die se Abschnitte wären aus der sicht eines der Opfer. Aber das war dann wahrscheinlich nur mein Problem.

Der Dialog zwischen Maria und Albert irritiert. Gehen Leute, die sich lieben, so mit einander um? Erschreckend. :sconf:

Na ja, was soll man schon erwarten. Als dein Kanakenvater gestorben ist, hast du sein bisschen Kram ins Auto geworfen und weggebracht. Du denkst wohl, dass Alaska das Haus mit Müll vollgestopft hat, was?
Klingt unecht. Vielleicht eher so:
Nur weil du den Kram von deinem Kanakenvater sofort weggeschmissen hast, musst du nicht glauben, dass Alaska auch nur Müll im Haus hat.

„Lass meinen Vater aus dem Spiel, hörst du, Maria““
Das vorletzte Anführungszeichen müsste durch einen Punkt ersetzt werden. Aber so redet doch keiner, oder? Einfach nur: Hör auf.

Ich würde den ganzen Dialog noch mal durchgehen. Er kommt mir sehr unnatürlich vor.

werde auf die alten Tage probieren, dem Ding paar Töne zu entlocken.
Ein paar Töne

Und immer noch warte ich auf die Leichen in den Fässern. Werde ich nur ungeduldig weil ich nur darauf warte, oder hat der Text dort seine Längen ...? Du sagst, du baust den Text in diese Richtung auf, aber ich weiß nicht, ob jemand der nicht weiß, worauf das hinauslaufen soll, diese Hinweise erkennen kann.
Selbst dieser Satz ist mir zu kryptisch, zu uneindeutig:

Manchmal unternahm er einen Ausflug, manchmal musste Blut fließen.

Ich glaube ich würde es besser finden, wenn der Leser mehr mitfiebern kann, erahnt, dass etwas schreckliches passiert ist.

Die Gäste setzten sich, einige lehnten sich an die Fässer. Fleisch und Holzkohlegerüche stülpten sich über den des Regens.
Wenn man weiß, was in den Fässern ist, ist das ganz schön makaber. Aber als Leser weiß man das ja noch nicht.

Sie stellt sich vor, ihn an sich zu nehmen, überzustreifen, zu tragen. Sie stellt sich vor, ihn einzuschmelzen, zu beobachten, wie sich Blasen bilden, bis er die Form verliert, schwindet.
Mir wird leider nicht klar, warum der Ring für Maria so wichtig ist.

Maria zittert, zwingt sich, zu wühlen, zu suchen.
Ich verstehe nicht, warum Maria den Ring in genau diesem Fass vermutet.

Man ist nahe dran an Maria und Alaska und trotzdem bezweifel ich, dass ich – wenn ich es nicht gewusst hätte – hier einen Mörder vermutet hätte. Wieso baust du nicht andere Hinweise ein? Vermutungen die Maria hat, aufgrund von bestimmten Situationen.
Dass sie dann am Ende weiter in dem Fass wühlt, auch noch den Ring dort sucht, das kann ich nicht nachvollziehen. Ich hätte eine andere Reaktion erwartet. Die ganze Sache mit dem Ring erschließt sich mir nicht.

Da ich das Gefühl hatte, der Text entwickelt sich nicht in eine bestimmte Richtung, empfand ich den Mittelteil etwas lang. Und das Ende dann verwirrend.
Irgendwie hätte ich mir eine klarere Steigerung und ein emotionales Finale erwartet. Maria reagiert ja so kalt wie ihr Vater ...

Liebe Grüße und viel Erfolg,
NGK

 

Maria betont mit der Dopplung von "hat er gesagt", dass es sich um ein Zitat handelt, sie nicht selbst spricht, wiedergibt, was Alaska ihr gesagt hat.

Versteh ich, keine Frage,

Isa,

aber "hat er gesagt" ist genauso ein vollständiger Satz wie "gesagt hat er ..." und sollte doch von dem vorausgehenden oder nachfolgenden Satz durch ein Zeichen getrennt werden - wobei ich Realist genug bin, jedem zuzugestehn, ohne Punkt und Komma zu sprechen.

Du machs'dat schon richtich, wie der Ruhrpott so spricht.

Tschüssikowski und bis bald

Friedel

 

Zirbenmist, Rina, da bekomme ich einen Kommentar, der vorgibt, er stelle einen Leseeindruck dar, der aber doch eine ganze Menge Bedenkenswertes enthält und einen Blick auf den Text wirkt, der mir weiterhilft, vielen Dank!

Dein Einstieg gefällt mir. Ich finde, das klingt galant, fast ein wenig nach einem modernen Märchen, das fand ich gut.
:Pfeif:

Dämonen, die hinter Tapeten sitzen in einem Haus, das viele dunkle Erinnerungen bereit hält - das finde ich richtig gut.
kann ich mir vorstellen, dass dir das gefällt, derartige dystopische Elemente finde sich in deinen Texten ja auch.

Ich muss sagen, atmosphärisch gefällt mir das über die meiste Strecke, ich finde auch, dass in diesem Text deine Wortkreationen wohlbedachter dosiert sind und meistens gut passen.
glücklicherweise :D

Ich finde ihn weder furchteinflößend, noch brutal, ich lese zwar, wie du ihn beschreibst, aber dabei bleibt es auch. Das liegt daran, dass ich oft das Gefühl habe, das es dem Text (dir?) wichtiger ist, die Bilder zu malen, die du dir vorstellst, als wirklich in ihre Gefühlswelt einzutauchen. Ein Beispiel: Den Absatz, in dem Maria die Zeit beschreibt, als ihre Mutter noch da war, der hat mich am meisten berührt, das fand ich wirklich schön. Dann kommt die Beerdigung und dann dieser Satz:
Ich habe den Fall ziemlich genau recherchiert, auch wie Serienmörder beschrieben werden, wie sie auf die Außenwelt wirken. Furchteinflößend wirkte kaum einer, gefühlskalt schon. Ja, dieser Übergang, die Beschreibung der Beziehung Marias zu ihrer Mutter, liest sich abrupt. Zeigen wollte ich, wie Maria sich durch die Erinnerung an die Tränen ihres Vaters, die Wut über seine Scheinheiligkeit, von dem Schmerz über den Tod der Mutter lösen will. Ich denke aber über die Stelle nach, mal sehen, ob ich was ändere.
Das tut mir jetzt leid, aber da musste ich schmunzeln. Ich finde, genau an dieser Stelle wirken die "Tränenwasserfälle" der Stimmung genau entgegen. Da höre ich ganz deutlich dich, nicht das Leid oder etwaige andere Emotionen deiner Protagonisten. Ich hoffe, du verstehst, was ich sagen will, tue mich gerade ein bisschen schwer, mich auszudrücken.
ja, vielleicht taugen hier die Tränenwasserfälle nicht, hier vielleicht das falsche Mittel.

Ja, und so ging mir das eben immer wieder. Ich finde den Text wirklich gut, er ist dicht und intensiv. Aber an manchen Stellen kippt er in eine Theatralik, die mich rausgebracht hat.
mm, Theatralik, auch darüber muss ich nachdenken, über den Bilderreichtum, den die Geschichte aber braucht.

Dass Alaska ein Mörder sein könnte, daran habe ich tatsächlich kein einziges Mal gedacht. Als Maria dann die Tonne öffnet, noch bevor sie den Arm rauszieht, ahnte ich was, aber davor dachte ich einfach nur, das war halt ein gefühlskalter Mensch.
so war's ja tatsächlich, keiner hat den Taunuskiller für einen Mörder gehalten, insofern: alles richtig gemacht.

Den letzten Absatz würde ich dennoch noch einmal überdenken. Vor allem das "Aber was dann?" und den kursiven Nachtrag. Ich finde, diese zwei Dinge zerstören die düstere Stimmung, die am Ende deines Textes eigentlich schön nachklingen könnte.
auch der Schluss kommt auf die To-think-about-Liste, könnte man was ändern.

Hat mich sehr gefreut @RinaWu
liebe Glühwein-ist-alle-ich-muss-auf-stärkeren-Stoff-zurückgreifen-Grüße
Isegrims

 

Hi Isegrims,

ich habe die Kommentare nicht gelesen ...

Alaskas Haus steht in einer Ortschaft, die zum Großstadtspeckgürtel gehört, zur Behaglichkeitszone im Schatten von Lichtern und Lärm. Die Menschen, die dort wohnen, fahren morgens zur Arbeit in die Metropole, kehren abends zurück, pflegen Wochenendgemütlichkeit, engagieren sich in Vereinen, radeln durch Wälder und passen auf ihre Nachbarn auf.
Routiniert geschrieben, der Alltag der Menschen am Stadtrand.
Das schreit geradezu danach, dass da irgendetwas nicht stimmt, sonst bräuchtest du den Kontrast nicht :)
So beginnen übrigens viele Horrorstorys.

Geräusche dringen wie ein Säuseln aus der Ferne in die Ohren, Gardinen wehren Blicke ab.
Was für Geräusche genau?

Maria schnauft durch, betritt das Alaska-Haus.
Alaska-Haus finde ich eine merkwürdige Bezeichnung.

Einstweilen dreht sie in den Räumen die Heizkörper auf, eilt nach oben.
"Einstweilen" höre ich selten. Klingt altmodisch.

Manchmal holte er dann das Saxofon, presste das Mundstück zwischen die Lippen, begann zu spielen, schlug die Krallenfinger auf die Tasten, bis das Instrument krächzte, jubelte, jauchzte, Botschaften ausspie.
Gefällt mir.

Maria habe leider keinerlei Talent, deshalb wäre es reine Verschwendung, ihre Klavierstunden zu bezahlen. Wenn er Nachbarn, Freunde einlud, mit ihnen sang und lachte, beachtete er Maria nicht, tat so, als wäre sie gar nicht anwesend.
Was für'n fiesen Möpp.

All die Jahre hat er mich gewärmt, das schon.
Wie? Gewärmt? Merkwürdig, rätselhaft.
Selbst am Ende kann ich das nicht richtig deuten.

wie er sich in die Kreatur verwandelte. Ich war gebunden an ihn, ein Gefangener ohne Aussicht auf Flucht. Entkommen konnte auch er nicht.
Klingt, als wisse sie, was geschehen war.

„Ich räume Petras Sachen in die Garage und lasse sie abholen. Ist besser so.“ Maria liebte und hasste ihn.
Aber dafür muss sie ihn wohl mehr gehasst haben, denke ich.
Oder mehr geliebt? Wenn ja, was hat Mutter (ihr) (an)getan?

Ich spüre die Haare, Borsten, die mich kitzeln, als er mich nach oben katapultiert, um sich die Stirn abzuwischen, mit dem Gold den Alaska-Scheitel, den Haaransatz zu kitzeln, die Werkzeuge zu greifen, zu sägen, zu bohren zu schneiden, zu stückeln, nachdem er Gummi über mich gestülpt, mich im Dunkeln zurückgelassen hat. Zu selten waren die Sonnentage, wenn er mich ins Licht hielt, den Strahlen entgegen, wenn ich schmelzen wollte vor Glück.
Klingt sehr abgefahren.
Ich verstehe kaum was.
Wohin katapultiert er sie? Was für Borsten?
Stückeln, im Dunkeln, Gummi überstülpen ...
Ist sie hier in den Gedanken ihrer Mutter oder spricht gar sie hier selbst? :confused:

„Lass meinen Vater aus dem Spiel, hörst du, Maria““
Maria.“

Das Bild klärt sich auf. Sie erkennt einen an den Rändern ausgefransten Arm, Klavierspielerfinger, Kalkhaut.
Puh. Harter Tobak.
Und die Festgesellschaft hat sich ans Fass gelehnt, Bier drauf abgestellt ...

Nachtrag: Alaska mordete über einen Zeitraum von mehr als dreißig Jahren, wurde nie entdeckt, nie verdächtigt. Er starb im Krankenhaus.
Hm ... Wer sagt das?
Klingt wie eine Erklärung. Erklärungen mag ich nicht.
Das Ende gefällt mir nicht so gut.

Ansonsten Daumen hoch. Gerne gelesen.
Was ist aus deinen abgedrehten Wortkreationen geworden? :Pfeif:
Hast sie ein wenig "abgeschwächt". Die, die ich gefunden habe, gefallen mir. :)

Schönen Tag noch und liebe Grüße,
GoMusic

 

Hi, @Isegrims

Deine Geschichte hat mir sehr gut gefallen. Sie ist – Wie könnte es anders sein? – sehr atmosphärisch und kommt ganz leise daher.

Mit dem Anfang und dem Ende habe ich jeweils ein kleines Problem:

Alaskas Haus steht in einer Ortschaft, die zum Großstadtspeckgürtel gehört, zur Behaglichkeitszone im Schatten von Lichtern und Lärm.

Den ersten Satz finde ich großartig. Aber danach hatte ich Schwierigkeiten, in den Text zu finden. Und ich glaube, das liegt ein bisschen daran, dass Du mich mit dem ersten Satz auf eine falsche Fährte führst:

„Der Container kommt am Nachmittag“, sagt Albert, zuckt mit den Schultern, wendet sich ab.
Maria braucht ihren Mann nicht, streift die Daunenjacke über, zieht den Reißverschluss bis zum Hals, setzt sich ins Auto und startet den Motor.

Du erzählst zwar vom "Alaska-Haus" (wunderschön übrigens), und damit fängst Du auch an, und dann sagt jemand was über einen Container, und dann fährt jemand anderes eine Stunde Auto, und DANN erst bin ich doch am Alaska-Haus.

Dass ich am Anfang gar nicht beim Alaska-Haus bin, wird mir vorher nicht deutlich genug. Die ersten drei Absätze weiß ich nicht genau, wo ich mich und vor allem wo die Figuren sich befinden. Ich meine, ich bin eine Leserin, die sich dann halt weiterkämpft, bis alle Fragen sich klären. Aber ich habe dafür drei Anläufe gebraucht, und ich glaube, dass ein winziger Halbsatz, irgendwo im zweiten Satz oder so, der deutlich macht, dass der Erzähler nur an das Haus "denkt", das Haus aber nicht gerade vor sich wahrnimmt und sich in dieser Nachbarschaft befindet, mir da schon helfen würde. Also keine große Sache.

Keine große Sache ist auch die einzige Kleinigkeit, die ich mitgebracht habe:

Maria schnauft durch,

"durchschnaufen"? Nie gehört. Zumal ich ja bei solchen exotischen Ausdrücken immer automatisch versuche, diese Geste nachzumachen (Theatererziehung), und "durchatmen" heißt für mich "tief und geräuschvoll ein- und ausatmen" ("tief und geräuschvoll atmen" = "schnaufen" laut Duden), also versuche ich mal, sehr geräuschvoll "aus-" und wieder "EINzuschnaufen". Ausatmend schnaufen ist kein Problem, aber dieses Einschnaufen klingt, als wäre ich ein sterbendes Walross. Was Maria (beide Marias) doch recht lustig erscheinen lässt. Lange Rede, kurzer Sinn: "schnauft" würde mir völlig reichen. "durchschnaufen" klingt bescheuert.

Nachtrag: Alaska mordete über einen Zeitraum von mehr als dreißig Jahren, wurde nie entdeckt, nie verdächtigt. Er starb im Krankenhaus.

Und das Ende: Ich schließe mich @GoMusic vollumfänglich an. Ich habe das hier (und auch andernorts) schon öfters gelesen, dass am Ende so ein erklärender Abschnitt kommt, der aus der Erzählperspektive rausfällt, sich wie ein Ausschnitt aus einer Zeitung liest und NICHTS zusätzlich erklärt, was nicht vorher auch schon in der Geschichte klargeworden wäre. Nur sehr melodramatisch klingt der hier.

Ganz ehrlich: Nimm das raus. Ich meine, was gewinnt Dein Text dadurch – abgesehen von einem Hauch Melodrama? Das Einzige, wo ich zuvor nicht mit der Nase draufgestoßen wurde (worauf ich aber trotzdem von selbst gekommen wäre), ist, dass der blöde Mörder gänzlich unbescholten gestorben ist: Oh nein! Mein Gott, und um das wirklich in der Story zu erzählen, hast Du doch das hier:

Die Krankenschwester habe ihn zuletzt gesehen, grinsend, habe er die Finger zum Victory-Zeichen gespreizt.

Und das ist so viel besser als ein Zeitungsschnippselende. :D

Ansonsten hat es mir nämlich so gut gefallen, Du wirfst so viele kleine Details rein, ich kann das alles wirklich spüren. Du breitest ja eigentlich Marias ganze Kindheit und Jugend aus, und Du machst das so filigran, so bedacht, so detailliert, ohne dass es langweilig wird. I like. :thumsbup: So ein rotziges Ende hat der Text nicht verdient, und das hat er auch gar nicht nötig.

So viel also von mir. Hab einen schönen Start ins Wochenende!

Walross-Grüße,
Maria

 

Hi NGK,

wär ziemlich öde, wenn man nicht paar Nüsse zu knacken bekäme, paar Textstellen, bei denen man die Worte hin und herwälzen müsste. Dankeschön, super, wie genau du den Text trotz "Vorkenntnissen" gelesen hast.

Ich werde mit diesem Namen nicht warm. Der irritiert mich, stört mich irgendwie in der ganzen Geschichte. Es dauert bis überhaupt klar wird welches Geschlecht die Person mit diesem Namen überhaupt hat. Du willst mit dem Namen direkt die Kälte rüberbringen, aber ich hätte mir einen anderen Namen gewünscht.
komischerweise hat sich der Name von ganz allein ergeben, denn der Spitzname des Taunusmörders war ausgerechnet "Alaska".

Einstweilen klingt sehr gestelzt.
mm, ja, stimmt irgendwie, ich lass es trotzdem einstweilen, weil es ein bisschen Ironie ausdrückt.

Warum hatte er ihn im Krankenhaus nicht dabei, warum hat sie ihn nicht nach dem Ring gefragt?

Ich würde Präteritum für den zweiten Teil des Satzes verwenden.
Präteritum klingt an dieser Stelle mies, warum fragte sie ihn nicht nach dem Ring, nö, behalte ich aber im Kopf.

Ich würde „Ihr Blick flattert“ als passender empfinden.
:thumbsup:

Das hört sich merkwürdig an. Man kann an einem Schnuller oder einer Flasche saugen, aber an der Luft? Man saugt die Luft ein oder giert nach der Luft.
ja, aber es enthält eine versteckte Bedeutung, sie saugt sozusagen an ihrer Kindheit.

Anstatt zuhören einfach lauschen?
lauschen, sehr schön, viel hübscher!

Der Dialog zwischen Maria und Albert irritiert. Gehen Leute, die sich lieben, so mit einander um? Erschreckend. :sconf:
der Dialog soll schon was ausdrücken, ich glaube das kommt auch rüber, halt keine süßlichromantische Erwartung, wie ein Pärchen miteinander umgehen sollte.

Klingt unecht. Vielleicht eher so:
Nur weil du den Kram von deinem Kanakenvater sofort weggeschmissen hast, musst du nicht glauben, dass Alaska auch nur Müll im Haus hat.
an der Stelle habe ich bisschen was verändert.

Ich würde den ganzen Dialog noch mal durchgehen. Er kommt mir sehr unnatürlich vor.
mm, denk ich drüber nach.

Werde ich nur ungeduldig weil ich nur darauf warte, oder hat der Text dort seine Längen ...? Du sagst, du baust den Text in diese Richtung auf, aber ich weiß nicht, ob jemand der nicht weiß, worauf das hinauslaufen soll, diese Hinweise erkennen kann.
kann sein, dass manche Hinweise erst im Nachhinein verständlich werden, why not? Da warst du klar im Vorteil, weil du das Ende vor dem Lesen kanntest.

Wenn man weiß, was in den Fässern ist, ist das ganz schön makaber. Aber als Leser weiß man das ja noch nicht.
braucht man auch nicht.

Mir wird leider nicht klar, warum der Ring für Maria so wichtig ist.
der Ring stellt ja mehr ein Symbol dar., ein Bild, eine Art Fetisch, der für Alaska und seine Tochter Bedeutung hat.

Ich verstehe nicht, warum Maria den Ring in genau diesem Fass vermutet.
sie wühlt einfach, das geschieht aus der Panik über die Entdeckung heraus, irrational.

Man ist nahe dran an Maria und Alaska und trotzdem bezweifel ich, dass ich – wenn ich es nicht gewusst hätte – hier einen Mörder vermutet hätte. Wieso baust du nicht andere Hinweise ein? Vermutungen die Maria hat, aufgrund von bestimmten Situationen.
weil es genau darum geht, weil keiner etwas vernutet hat, wie so oft bei Mördern diesen Kalibers.

Irgendwie hätte ich mir eine klarere Steigerung und ein emotionales Finale erwartet. Maria reagiert ja so kalt wie ihr Vater ...
sie reagiert schon aus der Emotion heraus, aber eben auch mit einer gewissen Kälte, kein einsträngiger Charakter,aber nachvollziehbar.

So und jetzt mal ab ins Nebeltraumland, spät geworden!
liebe Grüße
Isegrims

 

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