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Musterung

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23.08.2003
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Musterung

Ich glaube, mein heutiger Musterungsbesuch gibt mir die Gelegenheit, eine (hoffentlich) unterhaltsame Geschichte zu schreiben.

„Micha, aufstehen!!“, brüllt meine Mutter von unten. Ich träume noch und ihre Stimme vermischt sich mit der des Monsters in meinem Traum, das mich gerade in eine Ecke gedrängt hat und mir nun weismachen will, dass es heute noch nichts gespachtelt hat. Doch nach erneutem Bemühen meiner Mutter mich zu wecken, indem sie die Dezibelzahl ihrer Stimme um ca. 100% Prozent nach oben schraubt und mir anschließend noch meinen gemeingefährlichen Hund auf den Hals hetzt, gebe ich mich geschlagen und die Dunstschwaden des Deliriums beginnen sich in einem Nebel-Realitäts-Gemisch zur Wirklichkeit zu verzerren. Versuche, sie (und meine Töle) durch die Pressen-wir-uns-einfach-Kissen-auf-die-Ohren-Taktik zu ignorieren schlagen ebenso fehl, wie mein Unterfangen, ihre Stimme durch meine zu übertönen. Genauso gut hätte ich mit einem Tausendfüssler einen In-den-Hintern-treten-Wettbewerb veranstalten können.

Nachdem ich dem Tod wieder nur knapp entkommen bin, da ich in schlaftrunkenem Zustand meinen Hund übersehen habe, der es sich auf der obersten Treppenstufe gemütlich gemacht hat – was zur Folge hatte, dass ich in lebensmüder Kühnheit zwei (!!!) Treppenstufen überspringen musste (in meinem Zustand war das äußerst mutig) – schleppe ich mich ins Bad. Kurz vor der Badezimmertür blicke ich nach links in das Zimmer meiner Mutter. Dort bietet sich mir ein Bild höchster Motivation und größten Ansporns: sie pennt.

Fluchend betrete ich das Bad. Zwei Minuten und eine eingehende Untersuchung meiner äußeren Erscheinung später – mit dem Befund, dass mir die Ärzte wohl einen Stempel mit der Aufschrift DROGENSÜCHTIG auf die Stirn pressen werden – sitze ich vorm Fernseher. Mit gutem Gewissen zappe ich durchs Frühstücksfernsehen, im Glauben alles für die bevorstehende Musterung vorbereitet zu haben.
„Hast du denn auch alles für die bevorstehende Musterung vorbereitet?“, kreischt ihre verschlafene, aber dennoch kräftige Stimme aus dem Schlafzimmer und ihr Klang lässt mich unweigerlich zusammenzucken. Nach kurzem Überlegen fällt mir ein, ich hab ja nichts eingepackt. Das müsste reichen.
Das tat es aber nicht, da meine Mutter felsenfest davon überzeugt ist, sie müsse mir mindestens drei Elefanten schlachten und einpacken. „Als Frühstück“, meint sie. Frühstück für wen? Für mich und die 500 Kinder aus Afrika, die sie mir vielleicht auch noch in den Rucksack stecken will? Wohl kaum. Ein Blick auf die Uhr sagt uns jedoch, das weder für das eine noch das andere Zeit bleibt – ich werde wohl hungern müssen.

Kurze Zeit später sitze ich im Auto und versuche mich zu entspannen. Scheiß Musterung. Wer braucht denn so was. Ich denke an etwas anderes.
Eine Wiese erhebt sich aus meinen Gedanken und der Pinsel der Imagination zeichnet eine farbenprächtige Flora auf den Hintergrund. Langsam erkenne ich einen Wald, dessen Konturen durch die plätschernden Ströme eines Bergflusses akzentuiert werden.
Nun tritt eine Gestalt aus dem Unterholz, und kommt fröhlich pfeifend auf mich zu. Die Umgebung und die Eindrücke, die ich aus dem Szenario gewinne, müssten mich eigentlich dazu veranlassen, entspannt zu sein, doch es gibt etwas, dass mich zu beunruhigen scheint. Ist es der Hase, der an einem Kleeblatt kaut? Oder die Insekten, die sich um die leuchtintensivsten Blüten scharen? Oder ist es die Person, die mit erhobenen Armen auf mich zurennt, sich nun in einen psychopatischen Arzt verwandelt hat und eine Drei Meter lange Spritze in den Händen hält? Möglich.
Ich sehe den Wahnsinn hinter seinen Pupillen flackern und bin überzeugt, dass ich sterben muss – mal wieder. Er tritt mir gegen mein Knie. „REFLEXE TESTEN!!!“, schreit er. „IMPFEN!!!“, brüllt er und rammt mir die Spritze in den Oberarm, „UMDREHEN! AUSZIEH…..“. Stopp! Ich wache auf. Scheiß Traum. Scheiß Musterung.

„Wir sind da“, erklärt mir meine Mutter gereizt, während sie mich krampfhaft festhält und versucht ins Sprechzimmer von Kaserne 4 zu schleifen. Leider hat sie damit Erfolg, obwohl ich sie mehrmals gebissen hab. Sie fragt den Menschen am Tresen, ob sie Zwangsjacken hätten, diese Hab-mich-lieb-Jäckchen, die einen zum totalen Trottel abstempeln. Die hätten sie nicht, meint er, seien wohl alle gerade in Verwendung.
Ich nehme mir fest vor, auch den Typen zu beißen, lasse es aber, als ich die drei Soldaten sehe, die in der Ecke stehen und sich unterhalten.

Ich frage ihn, was ich in diesem Laden tun müsse, um T3 gemustert zu werden. „Keine Ahnung, dumm anstellen“, entgegnet mir Mister Freundlich, der anscheinend noch weniger geschlafen zu haben schien, als ich, mit einer überaus qualifizierten Antwort. Ich soll mich ins Wartezimmer setzen.
Ich fange an, die Personen, die sich dort ebenfalls eingefunden haben zu beobachten und sie anschließend in ein überaus interessantes Gespräch zu verwickeln, ob die Leute bei der Musterung alle pervers sind und geil davon werden, anderen in den Arsch zu glotzen. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich bei diesen „sogenannten“ Ärzten um einen Haufen geiler, alter Säcke handelt, die sich regelmäßig treffen, um sich die neuesten Anekdoten von ihren Untersuchungen zu erzählen.

Mehr Zeit hab ich nicht, ich werde zum Sehtest aufgerufen. Unlogischerweise muss ich auch dort halbnackt erscheinen, was meine These über das kranke Wesen dieser Quacksalber natürlich noch mehr unterstreicht. Ich soll auf eine Tafel sehen und die Zahlen ablesen. Meine Frage, ob es sich bei den wirren Hieroglyphen auch um Bilder und Buchstaben handeln könnte, wird verneint. Damit verwerfe ich meine Überlegung, dass es sich bei dem dritten Zeichen von rechts um Madonna handeln könnte, die sich mit einem Pferd zwischen den Beinen Tarzan-like von einem Baum zum nächsten schwingt. Aber ich hätte schwören können, dass…
„Und jetzt bitte die dritte Zeile“, meint die Schwester. „Es gibt eine dritte Zeile?“, frage ich verblüfft und sehe sie ernst an. Wird wohl wieder an der Zeit, sich neue Kontaktlinsen zu besorgen.
Durch ein Zusammenkneifen meiner Augen kann ich bewirken, dass sich die verschwommenen schwarzen Punkte in der untersten Zeile schemenhaft zu zahlenähnlichen Gebilden zusammensetzen. „Ääääh, 3….huuu, hmm, 7, dann vielleicht 2 und ääh…nehmen wir die 8, die hatten wir noch nicht so oft…“ stottere ich. Meine Souveränität müsste auch den letzten Zweifel beiseite geräumt haben, ob ich vielleicht jemals in einen Panzer gesetzt werde, oder nicht.
Ab zum 3D-test. Ich muss mir eine Streberbrille aufsetzen, das Bild einer Fliege betrachten und in der Luft andeuten, wo ich das rechte Hinterbein erkenne. Ich sehe aber mehrere Hinterbeine. Ich versuche diplomatisch zu antworten und meine, dass ich eine Fliegenphobie hätte und diesen Test nicht machen könne. Das sieht sie nicht ein.

Als das überstanden ist, geht’s zur Urinprobe. „Machen sie den Becher bitte nicht ganz voll, sonst müssen sie den Rest abtrinken…harharharha….huuuu…!“ grölt sie und ich bin erstaunt, dass sie über den Witz immer noch lachen kann, obwohl sie ihn mit großer Wahrscheinlichkeit jedem aufs Auge drückt. Ich überlege mir, ebenfalls witzig zu sein, drei Becher zu verlangen, sie dann ALLE voll zu machen und den Rest auf ihrem Tablett zu verteilen, dass ich ebenfalls in die Hand gedrückt bekomme, entscheide mich aber dagegen.

Zurück in den Warteraum. Die anderen sind auch gerade fertig geworden, und wir haben Zeit, uns näher kennenzulernen. Tobias hat anscheinend geographische Diskrepanzen in der finanziellen Hemisphäre – kurz: er klaut. Dies hat ihm mehrere Gelegenheiten gegeben, gleich auch noch seine körperlichen Fähigkeiten bei tätlichen Auseinandersetzungen unter Beweis zu stellen – kurz: er schlägt sich.
Mit diesem Vogel, drei Weichies, einem Typen aus dem Bundestag, der in seinem Leben schon 255 Fallschirmsprünge hinter sich hat, und einem aus meiner Klasse unterhalte ich mich geschlagenen 2 Stunden über den Sinn einer Musterung.
Eine Schwester lauscht unserem angeregten Gespräch und schaltet sich schließlich ein, was unseren Ärger natürlich direkt auf sie, als Nächstverantwortliche dieser Katastrophe projiziert. Wir stürzen uns auf unser provisorisch aufgebautes Feindbild und zerlegen es mit dreihundert Argumenten, die wir uns in den 2 Stunden zurechtgelegt hatten. Die Schwester ist jetzt reif für die Klapse, die weiß nicht mehr warum sie den Job macht und findet es nun ebenso abstoßend und scheußlich arme Schüler, Studenten und Lehrlinge auf diese Art zu quälen, wie wir. Eine hätten wir schon mal, fehlt jetzt noch der Doktor.

Doch zu spät, ich werde als erster aufgerufen. Gedanken schießen mir wie Blitze durch den Kopf: Soll ich den Arzt gleich niederstrecken, wenn er mir die Hand geben will, oder soll ich lieber warten und erst dann zuhauen, wenn er mir an die Nüsse geht? Ich bin unschlüssig, betrete den Raum, und muss zu meiner herben Enttäuschung feststellen, dass eine Sekretärin am gegenüberstehenden Tisch sitzt. Eine Zeugin. Nicht sehr vorteilhaft für meinen Plan. Sie lächelt mich an, wobei etwas von ihrem fingerdicken Gesichts Make-up in ihre Teetasse bröckelt. Der Doktor unterhält sich mit ihr über ihren letzten Urlaub, aber ich denke das ist nur Fassade, um mich zu verwirren. In Wirklichkeit war er mit ihr im letzten Urlaub und hat sie gepoppt, aber das ist nur eine unbegründete Vermutung.
Sie nimmt einen Schluck Ekel-Tee und bittet mich Platz zu nehmen. Nach einigen Fragen zu meiner Person (leider hat sie mich nicht nach meiner nummer gefragt *g*) kommen wir zu dem unangenehmen Teil. Der Doktor zieht sich diese Latexhandschuhe an und lässt sie provokativ schnalzen. Ich sehe den Stuhl, auf dem ich bis vor Zwei Minuten gesessen habe und ziehe ihn als erste Waffe zur Verteidigung in Erwägung. Sollte er mir die aus den Händen schlagen, würde ich mich den angespitzten Bleistiften zuwenden. Doch er ist schneller.
Er schiebt mich von den Mordwerkzeugen weg hinter eine beige Trennwand. „Ziehen sie sich bitte ganz aus“, sagt er. Damit du mir in den Hintern sehen kannst, oder was, du geiler sack. Nö. Nicht mit mir. Doch, ich musste.
Und nun komme ich zu dem Punkt, der alle zukünftigen Musterungsbesucher um einiges erleichtern dürfte. SIE SEHEN EINEM NICHT MEHR IN DEN ARSCH!!! Kann natürlich auch sein, dass er bei mir ne Ausnahme gemacht und gedacht hat, wenn das schon von vorne so eklig aussieht, dann will ich es gar nicht erst von hinten sehn, aber bei den anderen wars genauso.
Anschließend hat mir dieser Mensch verklickert, dass ich gar nicht erst hätte herkommen müssen, wenn ich ihnen gesagt hätte, dass ich blind wie ein Maulwurf bin. Das Ergebnis jedenfalls heisst AUSGEMUSTERT!!! Und zwar auf der beschissensten Stufe, nämlich T5. Theoretisch wäre ich zu unfähig zum gehen, aber egal, damit kann ich echt leben.

Ich habe jetzt 10 zusätzliche Monate, um Scheisse zu bauen. Mein Dank geht an die Ärzte und an meinen Vater, dem ich diese Blindheit verdanke.

 

Hi Lordmick

Erstmal ist mir beim Lesen aufgefallen, dass die Geschichte angenehm fehlerfrei geschrieben ist. Das gibt gleich Bonuspunkte :) in der B-Note.
Obwohl ich nur an zwei oder drei Stellen wirklich grinsen musste, hab ich schon gemerkt, dass du viele Pointen eingebaut hast. Vielleicht hat mich gerade dieser Holzhammerhumor etwas abgeschreckt, aber das ist Geschmackssache.

Außerdem sehe ich hier keine richtige Satire. Du beschreibst im Prinzip nur, wie es bei einer Musterung in Wirklichkeit abgeht. Der Humor kommt lediglich durch die Gedanken, die sich der Prot dabei macht, zustande. Satire würde bedeuten, dass du die Musterung ganz klar übertreibst, dass irgendwelche irren Tests oder Frage-Antwort Spiele beschrieben werden, die die Wirklichkeit nur verzerren.

Ansonsten hat mir die Story ganz gut gefallen, einige Gags weniger, andere mehr ;)
Sprache und Stil passen, ließt sich flott weg, kann ich nicht viel bekritteln, lediglich die vielen Bindestrich-Wort-Kombinationen fand ich nicht so brüllermäßig.

Gruß
wolkenkind

 

Hallo wolkenkind

Zu aller erst, danke für deinen Kommentar. Es ist mein erster und ich freue mich, dass überhaupt jemand geantwortet hat.

Ich habe die Geschichte in die Rubrik Satire geordnet, da sie in meinen Augen hoffnungslos übertrieben schien.
Ich wurde vor einer Woche wirklich gemustert, und bin mit einer gewissen Erwartung an die Sache gegangen. Ich war zum Beispiel der festen Überzeugung, einer rund-um Untersuchung unterzogen zu werden - inklusive intensiver Beobachtung meiner Genitalien.

Als sich diese und weitere Vorurteile aber nicht bestätigten, als ich dort eintraf, war ich wirklich enttäuscht. Um diese Enttäuschung halbwegs zu verarbeiten, versuchte ich den Musterungsbesuch noch einmal zu erleben, in der Version, die ich mir zuvor ausgemalt hatte - nämlich stark übertrieben. Daher die Kategorie Satire.

Ciao
LordMick

 

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