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Romane und Berichte über die Arbeitswelt gesucht

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05.07.2020
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Romane und Berichte über die Arbeitswelt gesucht

Hallo,

ich bin auf der Suche nach Romanen, die sich vor allem um die Arbeitswelt und die damit verbundene Lebensrealität ihrer Protagonisten drehen. Beispiel für mich wären da Sinclairs Der Dschungel, Ponthus am laufenden Band oder auch Steinbecks Früchte des Zorn. Leider kenne ich sonst sehr wenig, was in die Richtung (ich würde es mal ganz vorsichtig als proletarische Literatur bezeichnen) geht. Vielleicht habt ihr hier ja ein paar Empfehlungen? Gerne auch aktuellere Werke.

Beste Grüße
Habentus

 

Hallo Habentus,

mir fällt spontan "Der Teufel trägt Prada" ein von Lauren Weisberger.

Liebe Grüße
Silvi

 

Schau mal hier rein

https://werkkreis-literatur.de/de/geschichte/geschichte

lieber @Habentus -

bin selbst überrascht, dass es den Werkreis (noch) gibt.

Als ich noch jung und schön war, war ich ein paar Jahre Mitglied und hab über den Ableger in Oberhausen (Rhld.) tatsächlich ein bissken Geld „verdient“ und etwa auch mit dem einen oder anderen „Abstecher“ bis hin in die Slowakei machen können, eben den hab ich hier irgendwo mal angeschnitten weil das „Gastspiel“ zu Zeiten des Generals Svoboda („Wahrheit“) überwiegend mit dem Zeigefinger vorm Mund stattfand.

Ich hatte das Gefühl, in Holland zu sein (Architektur zB), aber Slowaken sind keine Holländer und ich sah oft den einen und anderen Zeigefinger vorm geschlossenen Mundwerk ...

Friedel

 

Hallo @Silvita und @Friedrichard und danke euch für eure Tipps! Teufel trägt Prada kenne ich nicht (wobei ein bisschen was klingelt da schon) und schaue ich mir mal an. Danke @Friedirchhard für deinen link - das sieht tatsächlich interessant aus und ich schaue es mir gerne mal an!

Viele Grüße!
Habentus

 

Hallo Habentus,

drei ganz unterschiedliche Romane der Gegenwartsliteratur, in denen Arbeit eine zentrale Rolle spielt:

Fien Veldman: Xerox (metaphysisch)
Jacob Guanzon: Überfluss (sozialkritisch)
Alexander Schimmelbusch: Hochdeutschland ("Hochglanz")

Und als Kurzgeschichte: Clemens Meyer: In den Gängen (Ex-DDR-Thema) (ich kenne nur die fantastische Verfilmung -- gut, wenn man gerade auf einem Depri-Trip ist :-)))

Viele Grüße.

 

Hallo @Pazifik und vielen Dank für deine Tipps! Werde ich mir definitiv mal anschauen! Clemens Meyer hatte ich sowieso mal vor, die anderen klingen interessant.
Was mir noch eingefallen ist und wen ich in der obigen Aufzählung sträflicherweise völlig außen vor gelassen habe, ist natürlich Chistian Baron (Mann seiner Klasse, Schön ist die Nacht).

Beste Grüße
Habentus

 

In Deutschland schwierig, weil sich der Literaturbetrieb vor allem aus bildungsbürgerlichen Schichten rekrutiert, die bleiben gerne unter sich. Ist ja die Frage, möchtest du von Autoren lesen, die diese Arbeitswelt tatsächlich auch selbst kennen, und nicht nur diese zum Thema gemacht haben oder vielleicht mal als Tourist ein Jährchen auf dem Bau oder in einem Supermarkt gearbeitet haben, die wirst du dann ansonsten kaum finden. Wenn man genau hinsieht, sind viele Autoren im Grunde Hochstapler, die geben sich medienwirksam den blue collar Anstrich, stammen aber eigentlich aus Familien mit Bibliothek und akademischen Hintergrund, haben meistens selbst Abitur und Studium hinter sich, die fallen dann alle weich.

Franz Innerhofer, Schöne Tage. Ist ein knallhartes Buch, da geht es ums Ganze, und der Typ war edenfall irre genug, sein eigenes Ding gegen alle Widrigkeiten durchzuziehen.

Ludwig Fels, Ludwig Hohmann, die Texte spielen alle in einem Milieu der Lohnarbeit, also die Protagonisten sind keine Akademiker, oft auch eher im provinziellen, kleinbürgerlich-proletarischen Settings. Die ersten Romane von Ralf Rothmann, vor allem Stier.

Stories von Raymond Carver, Robert Olmstead, Beth Nugent, Christine Schutt, die spielen oft in einem Umfeld, das eher blue collar ist, aber ich weiss nicht, ob Arbeit dort immer das vordergründige Thema ist. Wendell Berry fällt mir noch ein, da geht es um Agrar, Landwirtschaft. Ich mache mir nochmal Gedanken.

 

Larry Brown - On Fire. Nicht wirklich Roman, eher Tagebucheinträge, aber es geht um Browns Leben als Feuerwehrmann. Leider nur im Englischen verfügbar.

Willy Vlautin - The Free. Geht um einen Vater, der mehrere Jobs hat, u.a. in einem Farbgeschäft.

John Fante, Charles Bukowski, bei denen geht es auch oft um Arbeit, z.B 1933 war ein schlimmes Jahr oder Post Office. Sind aber schon alte Eisen.

Leonard Gardner - Fat City, eigentlich geht es hier ums Boxen, aber ich fand die doch Präsenz einnehmenden Kapitel über die Arbeit extrem gut gemacht.

Kein Roman, aber die Erzählung In den Gängen von Clemens Meyer, hier fand ich die Arbeit im Supermarkt (oder Großhandel?) sehr gut eingefangen. Schau aber nicht den Film, der ging mir auf den Sack.

Andreas Gläser Berlin Nordost, geht viel um Arbeit und ist aktuell. Aber mit Humor.

Ja, ist ne spannende Kiste, ich lese auch verdammt gerne über Arbeit, allgemein über Leute, die arbeiten und ein Leben haben, und sich das echt anfühlt beim Lesen, für mich gibt's fast nichts Größeres, aber das ist Geschmackssache. Wer hat noch nen Geheimtipp?
Ich schmeiße jeden Roman gegen die Wand, in denen die Protagonisten so herumflanierende Menschen sind, bei denen ich mir keinen Reim drauf machen kann, wie die sich überhaupt finanzieren. In meiner Lebensrealität nimmt Arbeit fast die ganze Lebenszeit in Beschlag, und das geht doch den meisten so.

 
Zuletzt bearbeitet:

Fat City, auch der Film Bombe! Leider ja der einzige Roman von Leonard Gardner.

Natürlich die ganzen Briten vergessen: Alan Sillitoe, John Baines, Delaney, Osborne, alles an kitchen sink realism, angry young men. Auch unbedingt Filme: vor allem "Kes", das ist sozuagen hardcore grim north, wenn nicht sogar der britischste Film überhaupt. Die frühen Romane von Irvine Welsh und James Kelman, beides Schotten.

 

Da kommt ja richtig was zusammen - danke @jimmysalaryman , @zigga und @H. Kopper !

Ist ja die Frage, möchtest du von Autoren lesen, die diese Arbeitswelt tatsächlich auch selbst kennen, und nicht nur diese zum Thema gemacht haben oder vielleicht mal als Tourist ein Jährchen auf dem Bau oder in einem Supermarkt gearbeitet haben
Ja, kann mich dran erinnern, dass wir es mal kurz davon hatten. Du hattest gesagt, dass Ponthus für dich zB eher in so eine Kategorie fällt, wenn ich mich recht erinnere? Und das stimmt bestimmt auch bei so manchem. Ich finde, wenn aber jemand ehrlich etwas aufgreift, ohne Effekthascherei oder "weil sich das nun mal gut verkauft" oder weil man sich als der Streiter der Unterdrückten generieren will, sondern ganz einfach, weil man sich verbunden fühlt und meint, dass diese Lebensrealität (und alles was damit zu tun hat) zu wenig stattfindet - dann ist das legitim. ZB nehme ich Baron (seine auch autoboiografische) Darstellung schon ab.

Franz Innerhofer, Schöne Tage. Ist ein knallhartes Buch, da geht es ums Ganze, und der Typ war edenfall irre genug, sein eigenes Ding gegen alle Widrigkeiten durchzuziehen.
Habe ich noch nicht gehört, aber werde ich mir definitiv ansehen.

Die ersten Romane von Ralf Rothmann, vor allem Stier.
Den habe ich tatsächlich sogar, meine ich. Nur gelesen habe ich den noch nicht.
Wendell Berry fällt mir noch ein, da geht es um Agrar, Landwirtschaft.
Klingt spannend! Werde ich mir ebenfalls ansehen.

Larry Brown - On Fire. Nicht wirklich Roman, eher Tagebucheinträge, aber es geht um Browns Leben als Feuerwehrmann. Leider nur im Englischen verfügbar.
Klingt gut - ich muss nur schauen, ob ich mich da mit meinen mittelmäßigen Englischkenntnissen rantraue oder ob mir da zu viel durch die Lappen geht - was meinst du?

John Fante, Charles Bukowski, bei denen geht es auch oft um Arbeit, z.B 1933 war ein schlimmes Jahr oder Post Office. Sind aber schon alte Eisen.
Puh, ja oft gehört und ein Bekannter schwört auf Bukowski . Ich muss sagen, dass mich da diese Lesung in Hamburg und dieser Hype ein wenig abschrecken. Vielleicht gehe ich da aber zu voreingenommen dran - mal sehen.

Leonard Gardner - Fat City, eigentlich geht es hier ums Boxen, aber ich fand die doch Präsenz einnehmenden Kapitel über die Arbeit extrem gut gemacht.
Ich kenne den Film und fand den super. Aber hatte irgendwie nicht im Kopf, dass das Buch wahrscheinlich auch lohnt. Ich sehe es mir an! Danke für den Tipp

Kein Roman, aber die Erzählung In den Gängen von Clemens Meyer, hier fand ich die Arbeit im Supermarkt (oder Großhandel?) sehr gut eingefangen.
Ja, hat oben auch wer vorgeschlagen. Meyer steht auch schon länger auf meiner Liste.

ch schmeiße jeden Roman gegen die Wand, in denen die Protagonisten so herumflanierende Menschen sind, bei denen ich mir keinen Reim drauf machen kann, wie die sich überhaupt finanzieren. In meiner Lebensrealität nimmt Arbeit fast die ganze Lebenszeit in Beschlag, und das geht doch den meisten so.
Verstehe, was du meinst - mir geht es mittlerweile immer ähnlicher.

H. Kopper: Diverse Stories :rotfl:
;) ich schau noch mal vorbei!

Beste Grüße
Habentus

 

Ist ja die Frage, möchtest du von Autoren lesen, die diese Arbeitswelt tatsächlich auch selbst kennen, und nicht nur diese zum Thema gemacht haben oder vielleicht mal als Tourist ein Jährchen auf dem Bau oder in einem Supermarkt gearbeitet haben, die wirst du dann ansonsten kaum finden. Wenn man genau hinsieht, sind viele Autoren im Grunde Hochstapler, die geben sich medienwirksam den blue collar Anstrich, stammen aber eigentlich aus Familien mit Bibliothek und akademischen Hintergrund, haben meistens selbst Abitur und Studium hinter sich, die fallen dann alle weich.

Ich finde diese Einschätzung etwas zu kritisch. Das klingt so, als dürfte man seinen Horizont nur unter der Bedingung erweitern, dass etwas wirklich existenziell bedrohlich ist. Ausserdem besteht doch die Leistung von Kunst oft eher im Beobachten und weniger im "Mutieren zu". Auch wer nur vergleichsweise kurz oder als "Tourist" irgendwo ist, kann doch in Kontakt mit Realitäten kommen. Sonst könnten ja beispielsweise Politikjournalisten gar nicht über den Politikbetrieb berichten oder Sportjournalisten nicht über Sport. Und "ein Jährchen" auf dem Bau ist meiner Meinung lange genug, um nicht nur alle Jahreszeiten und Arbeitsabläufe zu erleben, sondern auch, um etwa die körperliche Anpassung voll durchzumachen. Wer ein Jahr durchhält, hält vermutlich auch zehn durch. Aber es kann ja nicht der Anspruch sein, sich zu ruinieren, nur um "Authentizität" zu erlangen :-D

;) ich schau noch mal vorbei!

Habe gerade eine Story mit genau diesem Thema hier eingestellt – wie es der Zufall so will

 

Aber es kann ja nicht der Anspruch sein, sich zu ruinieren, nur um "Authentizität" zu erlangen :-D

Die Frage ist, wenn ich eigentlich Autor bin und weiß, dass ich danach etwas anderes machen kann/werde, weil ich eben auf ein Studium zurückgreifen kann, die anderen aber immer noch auf dem Bau oder sonstwo verbleiben müssen, wirkt das Ganze, wenn ich diese Erfahrung literatisch verwerte, dann auf mich (!) voyeuristisch bzw übergriffig. Die anderen haben eben nicht die Möglichkeit, ich bin dann immer der Privilegierte, der dem entfliehen kann.

Aber dieser Betrieb ist eben auch nicht für solche Menschen gemacht, es sind halt in der Regel Bildungsbürger und deren Kinder, die sich dann selbst reproduzieren. Von denen höre ich dann immer, Autor XY geht in Klausur, mietet sich irgendwo in ein Hotel ein, alleine mit Büchern von Brecht, um zu schreiben und zu sich zukommen, und das erste, was ich mich frage: Muss der nicht arbeiten? Und: Wo hat der das Geld her? Das ist einfach meilenweit von der Realität entfernt, also von MEINER.


Das klingt so, als dürfte man seinen Horizont nur unter der Bedingung erweitern, dass etwas wirklich existenziell bedrohlich ist.
Was hat das mit bedrohlich zu tun? Das hat etwas mit Zeit zu tun: Ich arbeite seit 30 Jahren, ich muss mir die Arbeitswelt nicht von jemandem erklären lassen, der erst seit 3 Jahren arbeitet oder überhaupt mal ein Jahr gearbeitet hat. Das hat doch etwas mit Erfahrung zu tun, die sich summiert, gerade das auslaugende, repetetive Element der Lohnarbeit, das kann man nicht erfahren haben, wenn ich mal bei OBI ein Praktikum gemacht habe. Und gerade im deutschen Literaturbetrieb ist es doch so, dass da ordentliches gatekeeping betrieben wird. Ein Autor, der literarisch schreibt, ohne Studium oder Abitur? Seltenst. Es muss aber einen Dachdecker oder Zimmermann oder Fliesenleger oder Tankwart geben, der einen geilen Roman in der Schublade liegen hat, genauso wie es die 130 Kilo Frau mit Pickeln im Gesicht und Colabodenbrille geben muss, die einen herausragenden Roman geschrieben hat, wir werden ihn nicht zu lesen bekommen, denn diese Personen taugen nicht als "Autorenfigur", wie man das in Verlagen nennt.

 
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Hi @jimmysalaryman,

ich stimme dir ja generell zu, aber ich bin da milder geworden. Eine Freundin von mir ist Juristin und sie weist mich in jeder Diskussion darauf hin, dass es unklug ist, immer nur mit "edge cases" zu arbeiten. Es gibt immer Extremfälle, aber bringt es uns weiter, nur diese als Argument gelten zu lassen?

Damit meine ich in diesem Fall: Es mag den Dachdecker ohne Abi, aber mit Roman in der Schublade geben. Aber hast du wirklich das Gefühl, dem Gros der Arbeiter geht es so? Und ist es auf der anderen Seite nicht so, dass Literatur und Literarizität den eigentlichen Kern von Intellektuealität bilden? Zu sagen, vor allem Bildungsbürger lesen und schreiben Literatur, ist doch stating the obvious. Bildung besteht doch vor allem aus Lesen und Schreiben. Der Zugang zu Schrift war und ist immer noch der Zugang zu Bildung.

Ich frage mich auch, ob der Kern der "Arbeit" so interessant ist. Also wenn man die Arbeit und ihre künstlerische Verarbeitung aufs Wesentliche reduziert und nichts Intellektuelles beifügt, sondern nur das Naturgegebene, der Arbeit Inhärente abbildet, ist es dann noch interessant? Ich glaube nicht - so wie die Luft und das Meer und der Wald für sich genommen nichts anderes sind, als sie sind.

Wo zieht man also die Grenze? Wie lange ist der dichtende Proletarier überhaupt Proletarier? Institutionelle Labels wie Abitur oder Magister mal außen vor - wer sagt denn, ab wann es intellektuell und unauthentisch wird? Oder anders: Hätte Einstein als Fliesenleger gearbeitet, wäre er dann nicht mehr Einstein gewesen, sondern nur ein einfacher Handwerker? Ich finde, nein. Genausowenig wie einen ein Doktorgrad per se zum Intellektuellen macht.

 

Und gerade im deutschen Literaturbetrieb ist es doch so, dass da ordentliches gatekeeping betrieben wird. Ein Autor, der literarisch schreibt, ohne Studium oder Abitur? Seltenst.
Es gab vor einigen Jahren mal vob Enno Stahl den Essayband Diskurspogo, worin er sich genau an diesem Thema abarbeitet, typisch Verbrecherverlagmäßig natürlich äußerst links: Klassimus im Litbetrieb, über Arbeit wird nicht geschrieben, Oberschicht reproduziert sich selbst.
Nachdem sich an diesem Missstand abgearbeitet wird, kommt dieser Kassenschlager zur Erkenntnis, dass das alles im Kern deswegen so ist, weil es schlichtweg niemals möglich sei, eine Literatur „von unten“ zu verfassen. (Eine etablierte Theorie im Dunstkreis der Litwissenschaft.) Jeder, der Literatur produziert, muss eine gewisse Art von Bildung haben, muss eine gewisse geistige Deckenhöhe mitbringen, muss irgendwo „oberhalb“ eines Prekariats stehen - selbst wenn man wollte, „von unten“ kann Literatur nicht produziert werden - so die Theorie.
Da habe ich mir lange Gedanken drüber gemacht. Mir sind eine ganze Reihe Autoren eingefallen, von denen ich denke, dass sie „von unten“ geschrieben haben - allerdings kenne ich deren Biografie natürlich nicht im Detail, und selbst, wenn sie in einer sozio-ökonomisch-kulturellen unteren Schicht, so soziologisch-autistisch drücke ich das mal aus, sozialisiert wurden, hatten sie sich einen literarischen Horizont angelesen und ihre Erzähltradition gekannt, was sie nach diesen Kriterien von ihrer Schicht schon wieder entkoppelt hätte. Selbst ein Bukowski war ja mal auf dem College und stammte aus bürgerlichen Verhältnissen, gewissermaßen war er auch Voyeur der Unterschicht, der ihr schließlich auch wieder ins Einfamilienhaus entflüchtet ist.
Auf eine gewisse Art ist diese Theorie auch einfach mega klassistisch. Das erinnert mich ein wenig an koloniale Rassetheorien, dass keine wirkliche Kultur aus Afrika kommen könnte.

Gefährlich finde ich das, wenn man diese Theorie mit der stärker werdenden Own Voices/Wokeness-Ideologie mixt (kein Vorwurd, dass das in diesem Faden jemand getan hätte!) Dann gäbe es nämlich noch weniger, bis gar keine Literatur über Arbeit ider prekäre Verhältnisse mehr - weil jemand, der darüber schreibt, entweder schlichtweg nicht existieren kann, oder aber seiner Schicht so entwachsen ist, dass der Vorwurf schnell im Raum steht, dass das illegitim wäre.

Ich denke, als Autor ist man immer irgendwo Voyeur, der Knackpunkt ist, man muss einfach saugut recherchieren, man muss wissen, worüber man schreibt, man muss dort gewesen sein, das nachempfinden können, und sich vor Projektionen und Idealisierungen aller Art fernhalten.

Meine Meinung: Ich denke, der Preis für eine Erzählung über Arbeit/Armut/etc ist, dass sie häufig von jemandem im dualistischen Schichtdenken „weiter oben“ angesiedelten Menschen verfasst wird - damit sie überhaupt verfasst werden kann. Da bleiben am Ende nur diejenigen, die einmal Teil der beobachteten Gesellschaft waren, aber ihr entwachsen sind als legitimste Erzähler. Je weiter ein Autor von der beobachteten Menschengruppe wegbefindet, desto besser muss er recherchieren - aber eine biografische Verbindung muss da sein, wie auch immer sie aussieht. Letztlich zählt die Erzählung, ob die den Maßstäben genügt, ob sie frei von Idealisierungen und Klischees ist und genügend echte Beobachtungen und Lebenserfahrung enthält, damit sie wahrhaftig sein kann.

 
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Klassimus im Litbetrieb, über Arbeit wird nicht geschrieben, Oberschicht reproduziert sich selbst.

Hallo @zigga,

ich nehme da mal eine krasse Gegenposition und behaupte, dass wir in Kulturzeiten leben, die quasi vom Denken und der Symbolik der Unterschicht dominiert sind – und zwar in einer Weise, die zu einer Art "Shaming" von allem führt, was (hoch)kulturell distinguiert ist.

Du lieferst hier unbewusst einen schönen Beleg für meine Theorie, sprichst von "Oberschicht" im Zusammenhang mit dem Bildungsbürgertum. Dabei ist ein akademischer Grad bei Weiten nichts, was dich in die Oberschicht führt. Und spätestens ab der Mitte des 20. Jahrhunderts wurde die Kunst und Kulturszene beherrscht von Kindern der Mittelschicht – die Oberschicht ist da höchstens als Käufer und Konsument präsent.

Halten wir trotzdem fest: Ja, Kunst kommt meistens nicht von ganz unten, sondern aus der Mitte der Gesellschaft. Aber soll man sich jetzt dafür schämen, dass man nicht aus der Gosse kommt bzw. ohne jegliche Bildung und ohne Mittel aufgewachsen ist? Die Mittelschicht hat doch keinen goldenen Löffel im Arsch, sondern besteht aus Menschen, deren Leben genauso von Arbeit dominiert wird wie das der Unterschicht – oft sogar noch mehr, denn ganz unten lauert ja oft die Arbeitslosigkeit.

Doch wie gesagt, in meinen Augen hat sich das in de letzten Jahrzehnten stark verändert und seit den 80ern und 90ern hat eine Kulturrevolution von unten stattgefunden, getragen hauptsächlich von Hollywood (siehe Komödien und auch Serien wie "Roseanne" oder "Eine schrecklich nette Familie") und der Musikwelt, allen voran dem Hiphop, die Proletentum, neureiche Attitüden und ein archaisches, aggressives Kampfverhalten zum neuen Goldstandard gemacht haben. Ironischerweise haben dabei natürlich nicht die Minderpriviligierten selbst die Fäden in der Hand gehabt. Aber das Ergebnis ist gleich: Seit den Nullerjahren kann man gesellschaftsschichtsunabhängig in Jogginghose vor die Tür gehen, offen Tattoos tragen, kann man mit seinen Muskeln prahlen oder damit, wie viel Bier man am Ballermann säuft. Hat man in den 60ern Muhammad Ali beim "Fechten mit der Faust" zugeschaut, weil er nicht nur Sportler, sondern eine Bürgerrechtsikone war, so wird heute Mike Tyson verehrt, weil er sich wie ein wildes Tier verhalten hat, und MMA breitet sich aus – Gladiatorenkämpfe, die die asiatischen Kampfkünste um all das beraubt haben, was an ihnen kulturell und geistig war. Frauen laufen figurunabhängig in hautengen Leggins rum, geben so entweder mit ihrer Disziplin an oder mit der Absenz von Disziplin, wobei entscheidend ist, dass man heute offen mit Dingen angeben kann, ohne sofort sozial abgestraft zu werden. Sex und Intimität sind im Grunde wertlos geworden, Beziehungen nie exklusiv, weil der Katalog mit Alternativen immer nur einen Klick entfernt ist. Auch hier steht mehr und mehr das Physische im Vordergrund.

Auf der anderen Seite sind wir kultur- und geistskeptisch geworden: Während Grass, Walser, Frisch und Co. in der zweiten Hälfte des 20. Jh. noch für ihre hochintellektuellen Leistungen gewürdigt wurden, schlägt heute jedem Kulturschaffenden, der in geistig höhere Sphären vordringen will, Misstrauen bis hin zu Verachtung entgegen – Chancen auf Erfolg haben gefühlt nur noch Minderprivilegierte und Aufsteiger, so scheint es mir. Es ist im Grunde unmöglich geworden, ein sprachkunstfertiges Gedicht oder lange Sätze zu schreiben, ohne die spöttische Parodie derselben nicht schon selbst mitzudenken.

Warum ist das eigentlich alles so? – Ist es nicht eigentlich egal, wo jemand herkommt? Entscheidet nicht, was am Ende als Gedanke und Werk für sich steht? Und sollte es nicht genau das Ziel sein, vor allem seinen Kopf und weniger seinen Körper zu benutzen?

Die ständige, rückblickende Demontage von Kulturgrössen wegen irgendwelchen Nazi-Vergangenheiten passt übrigens auch in diesen Krieg gegen Leistung und Status: Früher hat die Gesellschaft ihrer Elite das meiste vergeben, heute wird wirklich alles zu einer massiven Kritik aufgebläht, solange man jemanden damit von einem Sockel stoßen kann.

Ich sage damit nicht, dass wir weiter in blinde Heldenverehrung verfallen sollten. Aber ich wundere mich schon, ob es so klug ist, wenn wir als Gesellschaft überhaupt niemanden mehr als Referenz und Elite anerkennen und stattdessen bei Instagram und Co. immer mehr Aufmerksamkeit und Bewunderung über Leute auskippen, die einfach mal gar nichts draufhaben im geistig-kulturellen Sinne.

Und ich frage mich auch, ob wir unsere Werte wirklich vor allem aus der Arbeiterklasse schöpfen sollten, wo ja gerade der härteste Kampf um die Ressourcen herrscht und humanistische Werte vielleicht gerade nicht geheiligt werden. Klar, es ist eine Wahrheit, dass erst das Fressen und dann die Moral kommt – und solche Logiken deutlich abzubilden, ist reizvoll und fesselnd und authentisch. Aber dient uns dieses Abbilden vom Leben als Kampf als moralisches Leitbild?

Darum habe ich oben den Hiphop erwähnt: Anfangs hat er alarmierende Zustände in den "Ghettos" dokumentiert und abgebildet. Aber dann ist dieser Lifestyle mehr und mehr zum sozialen Leitbild geworden und heute will jeder Zweite Gangster sein (oder ein turbokapitalistischer Player à la Wolf of Wallstreet).

In meinen Augen würde es überhaupt nicht schaden, wenn wir wieder mehr Elite und Hochkultur zulassen als Gesellschaft. Das heißt ja nicht, die Arbeiterklasse per se abzuwerten. Es heißt nur, klar zu benennen, wo Menschen sich proaktiv in den Zustand des Menschseins begeben, wo sie reflektieren, verfälschen, verändern, erdichten usw. Der Mensch wird ja nicht durch das nackte Überleben zum Mensch, sondern durch all das, was er da oben drauf pfropft.

Wie siehst du das?

Nachtrag:

Mir fällt übrigens auch noch auf, dass es umgekehrt hochklassistisch ist, die Absenz von Sicherheiten, Bildung und Privilegien zum Ausweis von echter "Arbeiterschaft" zu machen. Arbeit ist doch im eigentlichen Sinne keine soziale Kategorie, sondern eine Tätigkeit. Ob jemand "ein echter Arbeiter" ist, sollte sich in meinen Augen daran festmachen, ob und wie er die entsprechenden Tätigkeiten ausführt.

Wenn ein Adliger pünktlich um sieben Uhr auf der Baustelle steht, den ganzen Tag das tut, was er tun soll, seine Kollegen gut behandelt usw., dann ist er vielleicht kein erbrechtlicher, aber ein guter, vielleicht sogar ein "echter" Arbeiter und wird unabhängig von seiner Herkunft auf der Baustelle Respekt erfahren. Und er wird sich natürlich auch zu einem hohen Grad in seine Kollegen hineinversetzen können, denn so schwer ist es ja nun auch nicht, sich gewisse weitere Dinge vorzustellen, wenn man sich einen Gutteil der Erlebniswelt schon erschlossen hat.

Und auch in der moralischen Bewertung kann man die Sache umdrehen: Anstatt von einem privilegierten "Touristen" zu sprechen, der voyeuristisch ein anderes Milieu ausschlachtet, kann man genauso gut sagen: Er hatte nicht die für sein eigenes Milieu typischen Scheuklappen auf und war sich selbst für nichts zu schade. Aus einem Defizit wird im Handumdrehen ein Ausweis von Charakter und Größe.

 

Wie siehst du das?
Ich denke, dass du sehr verallgemeinernd über deine subjektive Sicht redest. Es mag in deiner Lebensrealität so sein, dass ein Ghettoding das Nonplusultra ist, weil du dich im Bereich Hip Hop, Netflix und Instagram bewegst.
Das hat aber gar nichts damit zu tun, von dem ich redete: Wer sind die Gatekeeper in der Literaturbranche? Das sind allzuoft Absolventen aus zwei, drei Masterstudiengängen, die ihre Studenten wiederum aus einer kulturell-akademischen Oberschicht generieren. Ein Circle Jerk, bei dem Themen auf der Strecke bleiben. Meiner Erfahrung nach traf ich niemandem in führenden Verlagsrollen o.ä., der gerne Gangster oder Coach wäre.

Massenkulturell schlägt das kulturell mittelschichtige Publikum gerne nach oben und unten, aber möchte gleichzeitig alles adaptieren, was oben getan wird, Stichwort Trickle-Down-Effekt. Das ist aber nicht, wovon ich sprach.

Wir müssen aufpassen, dass wir den Rahmen des Fadens nicht sprengen.

 

Es mag in deiner Lebensrealität so sein, dass ein Ghettoding das Nonplusultra ist, weil du dich im Bereich Hip Hop, Netflix und Instagram bewegst.

Wer bewegt sich denn bitte nicht im Bereich "Hip Hop, Netflix und Instagram"? :rotfl:

Aber vielleicht ist das genau mein Punkt: In meinem quasi nur aus Akademikern bestehenden Bekanntenkreis – einige ihres Zeichens sogar Doktor – spielt Literatur keinerlei Rolle. Ich sehe in keiner Wohnung mehr Bücherregale – und wenn, dann nur gespickt mit etwas Sach- und Trivialliteratur. Aus dieser Beobachtung leite ich ab, dass ich nicht alleine dastehe in einer von Popkultur beherrschten Welt ohne Tiefgang.

Es kann also sein, dass wir vom selben reden: Der Literaturbetrieb ist möglicherweise – das kann ich nicht beurteilen, weil ich rein gar nichts mit ihm zu tun habe – zu einem elitären Nischenbereich der Gesellschaft verkommen.

Und da ich nur lese, was mich interessiert, und dabei auf Trends und Chronologie keinerlei Rücksicht nehme – fällt mir die Absenz von Themen naturgemäß nicht auf. Subjektiv finde ich indes nicht, dass die Auswahl an Büchern zu irgendeinem Thema zu dünn ist. Meinem Gefühl nach quillt das Angebot auf dem Buchmarkt in jeder Hinsicht zu einem perversen Grad über, sodass ich mich größtenteils abgewendet habe, weil ich mir dieses Gefühl von "Lesenmüssen" und Fomo nicht geben kann und will. Ich muss ja auch nicht 17 Romane über die Härten und das Unbill der Arbeiterschaft lesen, als Beispiel.

 

Mir ist das manchmal ein wenig zu vermischt. Es wird so getan, als wäre das so ein wenig naturgegeben. Arbeit = keine Bildung. Abitur und Studium = kein Proletarier. Ich denke, dass sich das in den Jahren verändert hat. Subjektiv: Ich kennen wirklich einen Haufen Leute, die einen höhreren Bildungsabschluss haben und dennoch mehrjährig in irgendwelchen schlecht bezahlten Scheißjobs rumhängen (viele Frauen vor allem auch). Klar kann man sagen, dass die aber die Möglichkeit haben, doch was anderes zu machen. Die Realität, wie ich sie erlebe ist, dass das eben nicht so einfach läuft.
Andererseits kann man sicherlich sagen, dass ein höherer Bildungsabschluss die Spannbreite breiter macht als ein niedriger oder gar kein Abschluss, das ist ja klar.

Was ist außerdem echte Arbeit? Muss es handwerklich sein? Reicht eine Tätigkeit des Regalesortierens und an der Kasse Sitzens aus? Ist ein gut bezahlter Industriemechaniker ein echter Arbeiter? Ist ein ITler, der im Büro sitzt und trotzdem seine Arbeitskraft verkauft ein Arbeiter? Bin ich als Sozialarbeiter (im Übrigen sehr schlecht bezahlt) ein Arbeiter? Nein, weil ich "nichts produziere"? Ja, weil ich meine Arbeitskraft verkaufe und keine Produktionsmittel besitze? Ich (und ich will es hier mal nicht zu politisch werden lassen, dafür ist das hier nicht der Ort) vertrete die Meinung, dass ein absoluter Großteil der Menschen in diesem Land zur Arbeiterklasse (wenn man es denn so nennen will) gehört, einfach, weil sie gezwungen sind, zu arbeiten und nicht andere für sich arbeiten lassen.

Zurück zum Thema!
Mir ging es hier vor allem darum, dass ich momentan auf der Suche nach Literatur bin, die sich mit der Perspektive arbeitender Menschen auseinandersetzt. Das kann in Form davon sein, Arbeitsbedingungen (zu einer bestimmten Zeit/ in einem bestimmten Arbeitsbereich) darzustellen (Der Dschungel), das kann sein, indem die Auswirkungen von körperlicher Arbeit, schlechter ökonomischer Stellung und damit einhergehenden Problemen dargestellt werden (Mann seiner Klasse, Schön ist die Nacht) oder auch, indem der Fokus auf die Tätigkeit an sich gerichtet wird.
Das ist für mich interessant, weil es Perspektiven abbildet, die ich zB in anderen Romanen oft so nicht vorfinde. Ich denke aber, dass es wert ist, darüber zu berichten und es literarisch zu bearbeiten.
Wer das jetzt schreibt, ist für mich erst mal (ich sage erst mal weil es da natürlich auch Ausnahmen und Unterschiede gibt) unerheblich, solange das Geschriebene ehrlich, aufrecht und nicht auf Effekt geschrieben daherkommt. Viele eurer Literaturtipps scheinen mir da auch in eben diese Richtung zu gehen.

Beste Grüße
Habentus

 

Von denen höre ich dann immer, Autor XY geht in Klausur, mietet sich irgendwo in ein Hotel ein, alleine mit Büchern von Brecht, um zu schreiben und zu sich zukommen, und das erste, was ich mich frage: Muss der nicht arbeiten? Und: Wo hat der das Geld her? Das ist einfach meilenweit von der Realität entfernt, also von MEINER.

Hierüber habe ich noch nachgedacht. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass man nicht reich sein muss, um Zeit zu haben. Ich hatte schon mehrmals Monate bis Jahre in meinem Leben nichts zu tun und hätte mit Brecht in x Klausuren gehen können, ohne ein Trust Found Kid zu sein.

Gerade aktuell sitze ich gezwungenermassen seit 1,5 Jahren rum – finanziert durch das relativ üppige Arbeitslosengeld, das ich erhalte. Damit bin ich global gesehen immer noch Spitzenverdiener und könnte mich quasi in jedem tropischen Land der Erde einmieten, wo ich wollte (wenn ich das Land verlassen dürfte).

Ich glaube, viele Leute ahnen nicht, wie viel Zeit man haben kann, wenn man bereit ist, den eingefahrenen sozialen Mechanismen zumindest ein Stück weit den Rücken zu kehren. Beispiel von früher:

Hatte ein WG-Zimmer für 350 Euro, dazu noch paar Kosten für Krankenkasse, Handy usw. Für 80 Euro am Tag "auf dem Bau" gearbeitet. Macht bei einer vollen Woche mit Samstagsarbeit ca. 450 Euro die Woche oder 1800 im Monat. Bei bescheidenem Leben bleiben davon 900 pro Monat übrig. Da kannste doch locker alle drei Monate dein Zimmer sogar noch mit etwas Plus untervermieten und für ein paar Wochen irgendwohin abhauen.

Oder später: Hab als Freelance-Texter gearbeitet, halbtags. Hätte das remote machen können. Schwups sitzt du in Thailand oder Peru in einer günstigen Wohnung, arbeitest das in 2,5 Tagen am Stück ab und hast dann fast ne Woche frei.

Es gibt heute tausend Möglichkeiten, "smart" zu arbeiten und sich Zeit zu kaufen, wenn man auf Konsum und Sicherheit verzichtet.

 

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