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Und alles ist ganz weich

Seniors
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07.05.2004
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Und alles ist ganz weich

Jetzt.
Anna kommt auf mich zu. Sie trägt ein blaues Kleid und hat Blumen in ihr schwarzes Haar geflochten. Sie trägt eine Platte, die über und über mit Fleisch beladen ist.
Ich will nicht aufwachen. Ich. Will. Nicht. Anna soll hierbleiben. Ich will das Essen.
Das erste was ich sehe, als ich meine Augen öffne, sind schwarze Stiefelspitzen.
Jetzt ist an Schlaf nicht mehr zu denken. Mein Herz beginnt zu rasen und plötzlich wird mir schwindelig. Ich fühle mich, als wäre ein Wespennest unter meinem Arsch, ich will weg. Gleichzeitig fühle ich mich so, als würden diese Stiefel direkt auf meinem Körper stehen und mich nach unten drücken.
Ich sehe nach oben. Der Feind. Ein Russe. Das erkenne ich an seiner Uniform.
Er wird mich erschießen. Ich habe einen sauren Geschmack im Mund. Und dann werde ich plötzlich müde und will nur noch schlafen.
Es passiert. Wir müssen nicht mehr fliehen. Ich bin müde. Ich drehe mein Gesicht, vergrabe mein Gesicht im Laubhaufen. Er ist feucht, riecht modrig, aber er ist so weich.
Aber dann denke ich an Thomas und springe auf.

Vorher.
Wir stehen dicht gedrängt am Bahnhof und jubeln, als der Zug einfährt. Anna strahlt Thomas an und ihre Augen leuchten. Dabei hat er bloß guten Tag gesagt. Mich hat sie nie so angestrahlt. Kein einziges Mal in all den Wochen, als ich wie ein Idiot ihre Tasche getragen habe.
Thomas grinst. Er schlägt mir so fest auf die Schulter, dass ich beinahe das Gleichgewicht verliere. Seine Mutter heult. Meine nicht. Sie lächelt, aber das sieht aus, als hätte jemand ihre Mundwinkel nach oben genäht.
„Pass auf meinen Thomas auf“, sagt seine Mutter zu mir.
In diesem Moment fängt Anna an zu lachen. Wahrscheinlich lacht sie wegen mir. Schon die Vorstellung, dass ich auf Thomas aufpasse, ist lächerlich. Er überragt mich um zwei Köpfe.
„Einsteigen“, ruft irgendjemand.
Meine Mutter kommt mir ganz nahe, drückt mir einen Kuss auf die Stirn. Sie riecht so gut, einfach nach zu Hause. Meine Hände zittern, weil ich sie so gerne festhalten möchte. Ich will etwas sagen, aber ich habe so viel Angst, dass ich keinen Ton herausbekomme. Die Angst steckt sogar in meinen Beinen und ich schaffe es nicht, mich von der Stelle zu lösen.
„Geh“, sagt meine Mutter und schiebt mich vorwärts.
Ich drehe mich noch einmal zu Anna um und sie lächelt. Das ist wie ein Windhauch an einem heißen Tag.

Krieg spielen.
Die Übungen sind ganz leicht. Wie ein Spiel. Manchmal werden wir ziemlich angebrüllt, aber das ist schon in Ordnung. Am Abend lachen wir darüber.
Ich kann richtig gut schießen. Thomas kann sowieso alles. Er kann schnell rennen, weit werfen, genau zielen. Und er sieht gut aus. Das findet wahrscheinlich auch Anna. Wenn er nicht mein bester Freund wäre, würde er mir manchmal ziemlich auf die Nerven gehen.

Jetzt.
Thomas hockt auf dem Boden, geknebelt und gefesselt. Er starrt mich aus weit aufgerissenen Augen an. Einen Moment lang frage ich mich, wie jemand, der so groß ist so jämmerlich aussehen kann. Er sollte mich beschützen, verdammt!
Dann reise ich mein Gewehr aus der Tasche, doch der Russe ist schneller und schlägt es mir aus der Hand. Er mustert mich von oben nach unten.
Er ist viel größer als ich, wahrscheinlich kann er jemandem mit seiner bloßen Hand das Genick brechen. Aber seine Augen sind so blau wie die von Anna.
„Erschieß uns doch“, schreie ich ihn an.

An der Front, erster Tag.
Wir sind erst seit einer Stunde hier draußen und jetzt weiß ich, dass wir gar nichts können. Die Kugeln sausen über unsere Köpfe, während wir hinter einer Mauer herumkriechen. Wir robben nach vorne, ich kann fast nichts sehen. Dann patscht meine Hand in irgendetwas Feuchtes. Ein zerfetztes Gesicht. Ich muss kotzen. Panik. Luft. Atmen. Würgen. Ich will weg, aber ich kann nicht. Wo ist Thomas?
„Weiter“, schreit jemand.
Blick nach vorne. Nicht nach unten, auf keinen Fall nach unten.
Aber dann tue ich es doch und sehe eine abgetrennte Hand. Am Finger steckt ein Ehering. Ich muss noch einmal kotzen und von dem säuerlichen Gestank wird mir so schlecht, dass ich nicht mehr damit aufhören kann. Irgendjemand schiebt mich weiter.
„Bleibt hier“, brüllt einer. Wir setzen uns hin, lehnen uns an die Mauer. Ich hole meine Feldflasche und trinke. Irgendjemand kaut auf einem Stück Brot herum. Es riecht nach Kotze, Blut und Scheiße. Thomas sitzt zwei Plätze weiter. Er ist blass und versucht zu lächeln, aber seine Mundwinkel zittern.
Die Schüsse hören auf. Ich höre Schreie. Stöhnen. Weinen.
Thomas sagt irgendetwas zu mir, aber ich sehe nur seinen Mund, der sich öffnet und schließt. Er schüttelt mich.
„Wir zeigen den Arschlöchern jetzt mal, mit wem sie sich hier anlegen“, schreit er.
Ein zahnloser alter Mann grinst. „Ich mach das schon.“
Er schaut hinter der Mauer hervor und grinst noch immer, als die Kugel ihn trifft.

Jetzt.
„Das entscheiden andere“, sagt der Russe.
Mir ist nach heulen zumute, aber ich will mich nicht blamieren. Ich versuche, an irgendetwas zu denken. Warum spricht der Russe überhaupt unsere Sprache?
„Wir können es genauso gut gleich hinter uns bringen“, sage ich dann.
Er schüttelt grimmig den Kopf. Dann fesselt er meine Hände auf dem Rücken, steckt mir ein stinkendes Tuch in den Mund und ich muss würgen.
„Vorwärts“, ruft er und schiebt uns mit dem Gewehrkolben vorwärts.
Ich wage es nicht, Thomas anzuschauen. Vielleicht sieht er mich wieder mit diesem vorwurfsvollen Blick an. Oder er weint. Seine Tränen spülen die ganze Kraft aus meinem Körper. Ich habe ihm versprochen, dass alles gut geht.

An der Front, erster Tag.
Der Körper des alten Mannes sackt zusammen.
„Er ist tot“, kreischt Thomas. „Er ist tot. Er ist tot.“
Seine Stimme ist so schrill, dass es in meinen Ohren weh tut, aber er hört mich auf.
„Halt dein Maul“, brüllt jemand.
Tränen rinnen über Thomas‘ Wangen und hinterlassen weiße Stellen auf seinem schmutzigen Gesicht.
Dann versucht er aufzuspringen, ich halte ihn fest, er reißt sich los. Kugeln sausen durch die Luft und ich reise ihn zu Boden. Er fällt, unsere Köpfe knallen zusammen und dann landet er mit seinem Gesicht in einer Blutlache.

Jetzt.
Meine Beine fühlen sich an, als wollten sie Wurzeln schlagen. Schritt um Schritt. Einer noch. Und noch einer. Immer wieder stolpere ich und der Russe muss mir wieder auf die Beine helfen. Die Sonne versinkt, die Welt ist in ein rotes Licht getaucht und einen Moment lang finde ich es einfach nur wunderschön.
„Bleibt stehen“, befiehlt der Feind.
Ich höre die Worte, aber meine Beine wissen nicht genau, was sie tun sollen und ich laufe einfach weiter.
„Bist du taub?“ Er schlägt mich mit dem Gewehrkolben leicht auf die Schulter.
„Setzt euch hin.“
Der Ivan nestelt in seiner Tasche herum, kramt eine Feldflasche und Brot heraus. Mein Magen verkrampft sich bei diesem Anblick. Denk an etwas anderes, befehle ich mir und starre auf den Waldboden.
Dann nimmt der Feind Thomas den Knebel ab und reicht ihm Wasser und Brot. Er trinkt so gierig, dass er sich verschluckt.
„Langsam, du bekommst Bauchschmerzen“, sagt der Russe.
Thomas sieht ihn ganz dankbar an, als wäre er ein Gott oder sowas. Das macht mich richtig wütend, mich hat er nie so angesehen. Thomas kaut ganz langsam und schließt die Augen. Am liebsten würde ich ihm dieses beschissene Brot aus der Hand schlagen.
„Hast du auch Hunger?“, fragt der Russe. Ich schüttle den Kopf, doch er macht meine Arme frei und drückt auch mir eine Flasche und Brot in die Hand.

An der Front, erster Tag.
Thomas setzt sich auf, er zittert am ganzen Leib und seine Zähne schlagen aufeinander. Sein Gesicht ist ganz rot und seine Augen sehen darin aus wie zwei Löcher. Wir starren ihn an.
Er wischt sich das Blut von den Lippen, aber ich sehe, dass auch seine Zunge rot ist und mir wird schon wieder schlecht.
„Geht es dir gut?“, frage ich ihn.
Sein Mund klappt auf. Klappt zu. Er sagt nichts.
Das Schießen geht weiter. Menschen sterben. Aber ich sehe nur Thomas. Er kauert sich zusammen, steckt den Kopf zwischen seine Beine.
„Scheiße, schafft den Jungen hier raus“, brüllt jemand.
Und ich ziehe ihn hinter mir her. Er ist so unglaublich schwer und bald beginnen meine Arme zu krampfen. Aber ich schaffe es.

Jetzt.
„Ruht euch aus“, sagt der Ivan.
„Ich muss mal“, sage ich.
Er nickt.
„Geh hinter den Baum.“
„Nicht hier“, sage ich.
Er blickt mich abschätzend an und ich fühle mich wie ein Idiot. Ich habe Menschen getötet, aber ich kann nicht pinkeln, wenn dieser beschissene Russe zusieht.
Schließlich nickt er. „Aber schnell.“

Ich laufe so weit in den Wald hinein, bis ich die Beiden nicht mehr sehen kann.
Und dann kommt plötzlich dieser Gedanke. Zuerst ist er noch ganz klein, aber dann verwandelt er sich in eine riesige Lawine.
Ich könnte abhauen. Es könnte funktionieren. Mit den Augen suche ich die Umgebung ab. Das Unterholz. Wenn ich dort hineinkrieche, bin ich unsichtbar. Ich gehe einen Schritt darauf zu. Zwei. Es muss schnell gehen. Vielleicht würde er mich gar nicht erst suchen.
Die Russen werden uns erschießen, aber wenn ich abhaue, bin ich gerettet.

An der Front, später.
Thomas redet nie über das, was passiert. Nie. Er redet auch sonst nichts. Er sagt „Guten Morgen“, er sagt „Guten Abend.“ Danke. Bitte.
Aber er schießt richtig gut. Vielleicht, weil es ihm egal ist, ob er trifft. Oder weil es ihm egal ist, ob er getroffen wird.

Jetzt.
Und dann muss ich wieder an Thomas denken. An den großen Thomas, der die ganze Zeit heult und den ich unbedingt nach Hause bringen muss.
Ich kann nicht. Thomas zieht mich wie ein Magnet zu sich zurück.
Verdammt! Wir werden beide sterben. Das weiß ich, aber ich gehe trotzdem zurück.

Der Russe sieht mich lange an, ich glaube fast, er weiß, woran ich gedacht habe.
„Schlaft jetzt“, sagt er.
Er fesselt uns wieder, aber wenigstens werden wir nicht geknebelt.
„Wie geht es dir?“, frage ich Thomas.
„Gut“, sagt er und sieht fast glücklich aus. Er kauert sich auf den Boden und schläft fast sofort ein.
„Was ist mit dir?“, fragt der Russe.
„Ich lasse mich nicht im Schlaf erschießen.“
Er lacht. „Ich muss damit nicht warten, bis ihr schlaft.“
Eigentlich sieht er ganz nett aus.
„Lass uns laufen.“
„Wenn ich das tue, werde ich erschossen. Wenn ich euch laufen lasse geht ihr her und knallt einen von uns ab.“
„Wir lassen unsere Gewehre bei dir.“
Er schüttelt nochmal den Kopf. „ Ich habe eine Frau und zwei Mädchen. Natascha kann schon ein bisschen laufen und Irina geht in die Schule.“
Der Feind, ein Familienvater. Daheim warten Menschen, die ihn lieben. Vielleicht eine Mutter, die jeden Tag um seine Heimkehr betet.
„Warum sprichst du deutsch?“
„Meine Großmutter war Deutsche. Ruh dich jetzt aus.“
Ganz sanft sagt er das und plötzlich weiß ich, dass er uns nichts tun wird. Nicht heute Nacht.

An der Front, später.
Ein Russe! Auf einmal steht er vor uns.
Ich erschrecke so sehr, dass mir beinahe das Gewehr aus der Hand fällt.
Blondes Stoppelhaar, Narbe auf der Stirn, Leberfleck auf der Wange und grüne Augen. Ganz jung ist er, vielleicht zwanzig.
Plötzlich muss ich an ein Mädchen denken, an eine russische Schönheit mit hohen Wangenknochen und goldenem Haar. Vielleicht wartet sie auf ihn und erzählt ihren Freundinnen von seinen schönen Augen.
Einen Moment lang sieht es so aus, als könnten wir einfach aneinander vorbeigehen. Und dann schieße ich. Ich treffe ihn am Bauch. Blut quillt hervor, der Russe schreit auf und versucht, das Loch zuzuhalten – und ich schieße und schieße bis er mit einem dumpfen Laut zu Boden sackt.
Grüne Augen.
„Warum hast du das gemacht?“, schluchzt Thomas.
„Ich habe uns gerettet“, sage ich.
Er kniet sich vor den Jungen und streicht ihm über die Wangen. Thomas schluchzt so sehr, dass er kaum noch atmen kann.
Und in diesem Moment weiß ich, dass wir fliehen müssen.

Jetzt.
„Aufstehen“, ruft der Russe und rüttelt mich. Ich bin so müde, kann kaum meine Augen öffnen. Alles tut weh. Auch Thomas rappelt sich mühsam auf die Beine, doch sie knicken ihm weg und der
Ivan muss ihm helfen.

Der Russe schlägt ein unbarmherziges Tempo an. Thomas stolpert neben mir her. Sein Gesicht ist ganz weiß und ich habe Angst, dass er ohnmächtig wird. Vielleicht erschießt er ihn, wenn er umfällt.

Weg von der Front.
„Wie weit ist es noch?“, fragt Thomas.
„Nicht mehr weit“, antworte ich. Eigentlich weiß ich es nicht. Ich weiß gar nichts, nicht wie weit wir schon gekommen sind oder ob wir in die richtige Richtung laufen.
Thomas ist überhaupt keine Hilfe. Er trottet hinter mir her und ich könnte ihn geradewegs in ein feindliches Lager führen.
„Ich will nach Hause“, flüstert er plötzlich und wirft sich auf den Boden. Er schluchzt und hämmert mit der Hand auf die Erde ein.
Ich knie mich neben ihn und streiche ihm mit der Hand über den Kopf. Er fühlt sich ganz heiß an.
„Glaubst du, wir schaffen es?“
„Natürlich. Unsere Mütter warten schon.“
Und in diesem Moment kann ich das wirklich glauben. Thomas‘ Mutter wird unseren Lieblingskuchen machen und ich werde die Rosinen herauspflücken. Vielleicht werde ich sie auch einfach essen.

Seit diesem Abend will Thomas jeden Tag etwas von zu Hause hören. Ich erzähle ihm vom Dorfweiher, in dem große Forellen schwimmen. Vom Pfarrer, der manchmal zu viel trinkt und den jungen Mädchen hinterherschaut. Und manchmal erzählte ich ihm auch etwas von Anna.

Jetzt.
In der Ferne taucht ein Dorf auf.
Ivan brüllt etwas auf Russisch, als wir näher kommen. Dann tauchen ein paar Russen hinter einem Haus auf.
Ivan redet auf sie ein. Einer starrt uns an und er sieht aus, als wollte er uns mit bloßen Händen töten. Seine Kieferknochen mahlen. Er spuckt vor uns auf den Boden.
Thomas beginnt zu zittern und ich frage mich, was er eigentlich erwartet hat. Dass der Russe uns in ein Hotel bringt?
Dann beginnen die Russen sich gegenseitig anzuschreien. Ivan bekommt einen roten Kopf und zeigt immer wieder auf uns.
Plötzlich zieht einer der Männer das Gewehr und richtet es auf uns. Thomas zuckt zusammen und die Russen lachen. Ivan nicht. Dann beginnt mein Freund zu heulen und ich wünsche mir nur, er würde es nicht tun.
Ivan redet weiter auf die anderen ein
„Wartet hier“, sagt er dann zu uns und verschwindet in einem der Häuser. Als ob wir eine Wahl hätten!

Ivan kommt mit ernstem Gesicht zurück und redet auf die anderen ein. Sie schreien alle durcheinander. Einer stößt Ivan und läuft davon. Meine Beine sind ganz weich und ich frage mich, ob es wehtun wird. Ob ich noch etwas spüren werde. Ich sehe auf den staubigen Boden und stelle mir vor, wie mein Blut darin versickert.

Dann kommt ein weiterer Russe dazu. Er ist schon älter als die anderen. Sie sind ganz still und starren ihn an. Er ist groß wie ein Bär und seine Hände sehen aus, als könnte er uns damit in sekundenschnelle das Genick brechen. Er redet auf die Gruppe ein.
„Er fragt wie alt ihr seid“, sagt Ivan schließlich.
„Sechzehn.“
Der Bär schüttelt den Kopf und sagt etwas zu Ivan. Einer der Soldaten beginnt zu brüllen.
Der große Russe schüttelt den Kopf.
Warum zögern sie unseren Tod noch weiter hinaus? Ich möchte es hinter mir haben. Plötzlich schreit einer der Russen.
Ivan dreht sich zu uns um.
„Ich soll euch laufen lassen. Ihr seid noch Kinder und ihr habt sowieso verloren.“
Der Ivan tritt hinter uns, löst die Fesseln. Wir bleiben stehen und starren ihn an. Wollen sie uns erschießen, während wir wegrennen?
„Lauft, bevor er er es sich anders überlegt“, schreit Ivan uns an.

Und wir laufen…

 

Schönes Pacing, ich mag dieses Zapping zwischen den Situationen. Hab nur eine Frage dazu: Hast du dir "Auf der Flucht" als Zeitpunkt nach "Jetzt" gedacht? Für mich ist das vor dem "Jetzt", aber ich würd gern wissen, wie das eigentlich beabsichtigt ist.

Kleine Korrekturen:

Wir stehen dicht gedrängt am Bahnhof und jubeln, als der Zug einfällt.
Wirklich "einfällt"? Die Wortwahl, wenn beabsichtigt, find ich nicht notwendig, "einfährt" reicht, oder?

Dann reise ich reise mein Gewehr aus der Tasche,
Passt zwar zum Zug, aber trotzdem "Dann reiße ich mein Gewehr aus der Tasche".

 
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Hi Bella,

deine Geschichte hat mir gut gefallen. Ich finde, deine Zeitsprünge klappen gut und sind schlüssig, springen also nicht sinnlos hin- und her, sondern ergeben so ein großes Ganzes; eine Stelle gibt es allerdings, die für mich unschlüssig ist, wo sie angesiedelt ist, und das ist Auf der Flucht. Da checke ich irgendwie nicht, ist das auf der Flucht, nachdem sie aus der deutschen Armee abgehauen sind, und zu den Russen rennen, oder auf der Flucht, als sie der Russe gehen lässt? Ich glaube nämlich nicht, dass sie aus der Wehrmacht abgehauen sind, sondern (da bleibt der Text bisschen undurchsichtig, fand ich) dass sie gleich in der ersten Szene beim Schlafen gefangen genommen werden, von dem Russen, oder? Wie gesagt, war mir nicht 100%ig sicher. Wenn du diese Situation, als sie also von den Russen gefangen genommen werden, durchsichtiger darstellst, dass genau das passiert, dann wird auch Auf der Flucht klarer, wo es angesiedelt ist, denke ich.
Ich finde auch, es ist gut geschrieben, also ich konnte das problemlos in einem Stück durchlesen und habe mich gut unterhalten gefühlt.
Gibt es eigentlich einen Grund, wieso du deine Schauplätze oft in der Geschichte anlegst? Also nicht falsch verstehen, ich finde das ziemlich cool, mir gefällt das gut.
Ja, so ein paar kleine historische Ungereimtheiten habe ich dir unten in den Anmerkungen mal rausgefischt, ich weiß nicht, inwiefern sie für die von Belangen sind, oder ob das für dich alles unter literarischer Freiheit zählt, aber mich reißen solche kleinen Ungereimtheiten immer aus einer historischen Story raus.
Es geht ja hier viel um die Freundschaft und um die Schrecken des Krieges und um Anna, aber was für mich sehr schade ist, und was die Jungs in der Zeit und Situation sicherlich auch mitgenommen hat, ist der verlorene Krieg; dieses Gefühl, jetzt ist alles vorbei, jetzt kommt der Russe, Deutschland ist Geschichte; und vor den Russen hat man sich ja mehr als nur gefürchtet, die Propaganda verkaufte den als barbarischen Untermenschen, und die Leute hatten tatsächlich riesen Angst, weil sie von vielen aus der Ostfront gehört hatten, was für Kriegsverbrechen die Deutschen angestellt hatten; da hatten die riesen Schiss, die Russen würden sich genauso rächen. Also diese Angst vor dem Neuen, dem Ungewissen, und dazu dieses Gefühl, jetzt ist alles vorbei, der Krieg ist verloren, das hätte mir an der ein oder anderen Stelle gut gefallen. Wie gesagt, das ist jetzt blöd dahergesagt, wie ich schon schrieb, mir gefiel deine Geschichte gut, aber so hätte sie mir eben noch besser gefallen, hätte sie dieses Gefühl rübergebracht, von dem ich schrieb.


Paar Anmerkungen, die ich mir mitgeschrieben hab:

Es riecht nach Kotze, Blut und Scheiße.
Wie riecht denn Blut? Erstens weiß ich nicht, ob das ein Eigengeruch hat, und wenn doch, dann kenne ich ihn nicht

„Das entscheiden andere“, sagt der Russe.
Da bin ich auch aufgeschreckt: Wieso spricht der deutsch?

Warum spricht der Russe überhaupt unsere Sprache?
Fragt sich ja dein Prot dann auch. Ich schreibe später noch was dazu.

dass es in meinen Ohren weh tut, aber er hört mich auf.
mich = nicht

Dann versucht er aufzuspringen, ich halte ihn fest, er reißt sich los. Kugeln sausen durch die Luft und ich reise ihn zu Boden.
reise = reiße; kommt auch zweimal vor, keine Ahnung, ob dich das stört, diese Wiederholung


Der Sergej nestelt in seiner Tasche herum, kramt eine Feldflasche und Brot heraus.
Okay, ich bin mir jetzt unsicher, ob Sergej tatsächlich der Name des Russen ist, weil der davor steht; wenn es eine Floskel sein soll, dann kenne ich das eher als Der Ivan, das war so der gängige Ausdruck für den russischen Feind im Zweiten Weltkrieg; Der Sergej kenne ich jetzt nicht.

„Hast du auch Hunger?“, fragt der Amerikaner.
Äh, der Amerikaner? Ich hab da echt ne Minute drüber nachgedacht. Die sind doch in Kriegsgefangenschaft, oder? Aber irgendwo in Russland, weil sie ja dann auch an einem russischen Dorf vorbeilaufen, oder habe ich da was falsch verstanden? Da gab's aber keine Amerikaner. Nicht mal Internationale Brigaden oder so, wo Amis hätten drin sein können - also auf russischem Boden waren keine Amerikaner, die sind nach Bayern, Italien vorgerückt, auch in den Osten Deutschlands, wo sie dann wieder zurückgegangen sind, dass die Russen das Territorium bekommen ... Verbessere mich, wenn du was anderes gemeint hast!

Schließlich nickt er. „Aber schnell.“
Mhm ... also das ist jetzt eine Spitzfindigkeit, aber ich finde im Allgemeinen, dass deine Deutschen Kriegsgefangenen ... irgendwie zu nett behandelt werden. Stell dir mal vor, die sind da drei, vier Jahre lang in ein Land rein, haben Millionen deiner Landsleute, Kinder, Frauen, umgebracht, massakriert - so gut wie jeder Russe hat irgendjemanden in der Familie gehabt, der von den Deutschen umgebracht wurde, sei es Zivilist oder Soldat ... und dein russischer Soldat hat dann Mitleid, wenn der Junge nicht pieseln kann und so ... mhm ... ja, macht mich etwas stutzig, ich vermisse da irgendwie noch mehr Härte, das ging richtig richtig barsch zu, die Russen waren mehr als nur ziemlich sauer

„Meine Großmutter war Deutsche. Ruh dich jetzt aus.“
Also so historisch gesehen steht das auf wackligen Beinen. Die Deutschen, die in Russland unter Stalin gelebt haben, die wurden (fast alle) nach Sibirien u.a. verschleppt, und zwangsumgesiedelt, da Stalin sie unter Generalverdacht hatte - die wurden auch nicht zum Kriegsdienst oder so eingezogen, denen hat man nicht vertraut. Lediglich im Exil lebende deutsche Kommunisten sind für die Russen in den Krieg gezogen, soweit ich weiß.

Auf der Flucht.
Da bin ich mir irgendwie unsicher gewesen, wann ich diesen Zeitsprung einordnen kann: Auf der Flucht, als sie von ihrer Kompanie geflohen sind, oder auf der Flucht aus dem russischen Kriegsgefangenending?

Sergej redet weiter auf die anderen ein
Punkt

Sergej dreht sich zu uns
Punkt


Jo, hat mir gut gefallen, gerne mehr historische Texte, Bella, ich hoffe ich gehe dir mit meinen Spitzfindigkeiten nicht allzu sehr auf die Eierstöcke :-)

Gruß

 

Wie riecht denn Blut? Erstens weiß ich nicht, ob das ein Eigengeruch hat, und wenn doch, dann kenne ich ihn nicht
Blut riecht wie Eisen.

 

Wie riecht denn Blut? Erstens weiß ich nicht, ob das ein Eigengeruch hat, und wenn doch, dann kenne ich ihn nicht
Blut riecht wie Eisen.
Alles klar, dann lag's an mir - jetzt weiß ich Bescheid :D

 

@ Webmaster

Vielen Dank für´s Lesen und Gutfinden.
Die Passage auf der Flucht war quasi "nach der Front" angesiedelt, also vor dem Jetzt. Ich hab den Erzählstrang jetzt umbenannt, das war mir nicht so bewusst, dass das so verwirrend ist. Zigga hatte ja auch gemeint, dass er das nicht einordnen kann.
Ach ja, und die Fehler habe ich korrigiert.

@ Zigga

Vielen Dank für die ausführliche Kritik und die hilfreichen Anmerkungen, gerade rund um den historischen Kontext. Das ist echt klasse, dass du das so im Blick hast.
Die Geschichte habe ich schon vor längerer Zeit geschrieben. Die unterschiedlichen Erzählstränge gab´s zwar schon immer, aber da waren die wie Cliffhanger angelegt. Jetzt hab ich die Geschichte nochmal gefunden und mich bei der Anordnung der Stränge ehrlich gesagt von "Mutterwärme" inspirieren lassen. Ich finde gerade durch die Überschriften kommt da ne gute Dynamik rein. Ich hoffe, das war ok. Du kannst es ja auf jeden Fall als Kompliment sehen. :D

Die Passage "Auf der Flucht" habe ich jetzt in "Weg von der Front" umbenannt. Mir war leider nicht klar, dass das so verwirrend ist. Jedenfalls hast du das trotz verwirrter Überschrift richtig interpretiert. Aber die nächsten Leser werden´s jetzt einfacher haben.

Also, ich interessiere mich sehr für Geschichte und deshalb finde ich´s sehr interessant, eine Geschichte in diesem Rahmen spielen zu lassen. Ich will auch mal noch ne Geschichte schreiben, die im 30-jährigen Krieg spielt, aber damit bin ich noch nicht so weit bzw. da muss ich erst noch viel recherchieren.

Es geht ja hier viel um die Freundschaft und um die Schrecken des Krieges und um Anna, aber was für mich sehr schade ist, und was die Jungs in der Zeit und Situation sicherlich auch mitgenommen hat, ist der verlorene Krieg; dieses Gefühl, jetzt ist alles vorbei, jetzt kommt der Russe, Deutschland ist Geschichte; und vor den Russen hat man sich ja mehr als nur gefürchtet, die Propaganda verkaufte den als barbarischen Untermenschen, und die Leute hatten tatsächlich riesen Angst, weil sie von vielen aus der Ostfront gehört hatten, was für Kriegsverbrechen die Deutschen angestellt hatten; da hatten die riesen Schiss, die Russen würden sich genauso rächen. Also diese Angst vor dem Neuen, dem Ungewissen, und dazu dieses Gefühl, jetzt ist alles vorbei, der Krieg ist verloren, das hätte mir an der ein oder anderen Stelle gut gefallen. Wie gesagt, das ist jetzt blöd dahergesagt, wie ich schon schrieb, mir gefiel deine Geschichte gut, aber so hätte sie mir eben noch besser gefallen, hätte sie dieses Gefühl rübergebracht, von dem ich schrieb.

Ok, das ist echt ein guter Hinweis. Da hast du absolut recht. Ich schätze, ich werde da noch einen Dialog oder sowas einbauen. Muss ich mir noch überlegen. Oder vielleicht mach ich´s auch so, dass mein Protagonist ganz erstaunt ist, weil der Russe so "normal" ist. Mal sehen, wie ich das mache.

Wie riecht denn Blut? Erstens weiß ich nicht, ob das ein Eigengeruch hat, und wenn doch, dann kenne ich ihn nicht

Die Diskussion gab´s wohl schon öfter. Ich finde auch, das Blut nach Eisen riecht. Manche Leute sagen aber, dass sie Blut nicht riechen. Deshalb denke ich, dass manche es riechen können und manche nicht. Ich höre auch immer Marderfallen in Autos. Die hört sonst auch kein Mensch. ;)
Da bin ich auch aufgeschreckt: Wieso spricht der deutsch?

Ich dachte, wenn mein Prota sich das auch fragt, komme ich damit durch. :D

Okay, ich bin mir jetzt unsicher, ob Sergej tatsächlich der Name des Russen ist, weil der davor steht; wenn es eine Floskel sein soll, dann kenne ich das eher als Der Ivan, das war so der gängige Ausdruck für den russischen Feind im Zweiten Weltkrieg; Der Sergej kenne ich jetzt nicht.

Der IVAN. Oh Mann, warum ist mir das nicht eingefallen! Klar.
Ok, das werde ich ändern.

Äh, der Amerikaner? Ich hab da echt ne Minute drüber nachgedacht. Die sind doch in Kriegsgefangenschaft, oder? Aber irgendwo in Russland, weil sie ja dann auch an einem russischen Dorf vorbeilaufen, oder habe ich da was falsch verstanden? Da gab's aber keine Amerikaner. Nicht mal Internationale Brigaden oder so, wo Amis hätten drin sein können - also auf russischem Boden waren keine Amerikaner, die sind nach Bayern, Italien vorgerückt, auch in den Osten Deutschlands, wo sie dann wieder zurückgegangen sind, dass die Russen das Territorium bekommen ... Verbessere mich, wenn du was anderes gemeint hast!

Sorry, das tut mir jetzt echt leid. Der Russe war zuerst ein Amerikaner, aber dann fand ich das unschlüssig. Und jetzt ist leider ein Amerikaner zurück geblieben.

Mhm ... also das ist jetzt eine Spitzfindigkeit, aber ich finde im Allgemeinen, dass deine Deutschen Kriegsgefangenen ... irgendwie zu nett behandelt werden. Stell dir mal vor, die sind da drei, vier Jahre lang in ein Land rein, haben Millionen deiner Landsleute, Kinder, Frauen, umgebracht, massakriert - so gut wie jeder Russe hat irgendjemanden in der Familie gehabt, der von den Deutschen umgebracht wurde, sei es Zivilist oder Soldat ... und dein russischer Soldat hat dann Mitleid, wenn der Junge nicht pieseln kann und so ... mhm ... ja, macht mich etwas stutzig, ich vermisse da irgendwie noch mehr Härte, das ging richtig richtig barsch zu, die Russen waren mehr als nur ziemlich sauer

Hm, ja... ich weiß. Ich hab mir das selber auch gedacht, aber dann dachte ich, dass mein Russe vielleicht ganz nett ist. Einfach weil er ein netter Mensch ist und weil seine Oma Deutsche war. Ok, aber vielleicht muss ich ihn doch ein wenig böser/ wütender machen. Das stimmt schon.

Also so historisch gesehen steht das auf wackligen Beinen. Die Deutschen, die in Russland unter Stalin gelebt haben, die wurden (fast alle) nach Sibirien u.a. verschleppt, und zwangsumgesiedelt, da Stalin sie unter Generalverdacht hatte - die wurden auch nicht zum Kriegsdienst oder so eingezogen, denen hat man nicht vertraut. Lediglich im Exil lebende deutsche Kommunisten sind für die Russen in den Krieg gezogen, soweit ich weiß.

Hm... Denkst du das wäre unmöglich so?

Jo, hat mir gut gefallen, gerne mehr historische Texte, Bella, ich hoffe ich gehe dir mit meinen Spitzfindigkeiten nicht allzu sehr auf die Eierstöcke :-)

Nö. :) Wie gesagt: Ich find deine Anmerkungen echt gut und du kennst dich ja auch damit aus. Vielen Dank!!

Viele Grüße
Bella

 
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Hallo,

etzt hab ich die Geschichte nochmal gefunden und mich bei der Anordnung der Stränge ehrlich gesagt von "Mutterwärme" inspirieren lassen. Ich finde gerade durch die Überschriften kommt da ne gute Dynamik rein. Ich hoffe, das war ok. Du kannst es ja auf jeden Fall als Kompliment sehen. :D
Haha, oh Mann, da kann sich ernst offshore echt auf die Schulter klopfen, diese Zeitstränge machen jetzt wohl die Runde; ich hatte mich von Much im Frühling inspirieren lassen, du dich von Mutterwärme. Das zum Thema, Künstler klauen wie die Raben. ;) (Macht mir gar nix aus)

Die Passage "Auf der Flucht" habe ich jetzt in "Weg von der Front" umbenannt.
Ah okay, sie flüchten also von ihrem eigenen Bataillon. Da solltest du meiner Meinung nach nochmal nachlegen, was sie dazu antreibt; das könntest du gut mit diesem 'der Krieg ist vorbei, alles ist vorbei, wir wollen nicht sterben' kombinieren; weil es hat schon sehr viel dazugehört, Fahnenflucht zu begehen. Selbst in den letzten Tagen wurden da ziemlich viele deswegen erschossen. Und seine eigenen Leute "im Stich" zu lassen - das war damals wohl genauso geächtet, wie heute ... ich weiß nicht, seinen Bruder umzubringen? Vllt ist das ein zu krasser Vergleich. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass viele so empfunden haben.

Ich finde auch, das Blut nach Eisen riecht. Manche Leute sagen aber, dass sie Blut nicht riechen.
Ehrlich gesagt habe ich Blut auch nie gerochen, und ich stand auch schon mal vor Blutlachen und so. Es schmeckt eher nach Eisen, finde ich. Aber gut, wenn das manche riechen können, kann ja sein, wieso nicht.

Ich hab mir das selber auch gedacht, aber dann dachte ich, dass mein Russe vielleicht ganz nett ist. Einfach weil er ein netter Mensch ist und weil seine Oma Deutsche war.
Also so historisch gesehen steht das auf wackligen Beinen.
Hm... Denkst du das wäre unmöglich so?
Ich meine, ich kann dir nicht vorschreiben, wie du was schreibst sollst, um Gottes Willen, das ist echt deine Sache, aber so ein Tipp von mir: Mach das nicht. Zeichne den Russen nicht furchtbar nett. Ich meine, die russischen Soldaten waren keine Ungeheuer und haben sich bei weitem nicht so aufgeführt wie die deutschen, aber sie waren keine lieben Bubis. Das waren ausgezehrte, nach jahrelangem Krieg abgestumpfte, nach Erde und Schweiß und Schießpulver riechende junge Männer, die einen Haufen Freunde und so verloren hatten in der letzten Zeit. Da ist man einfach nicht nett. Da sagt man: Piss dir doch in die Hose, scheiß Faschist. Ich fände es interessant, wenn deine Prots in Gefangenschaft auf einen Politkommisar mit deutschen Wurzeln treffen würden, der 1933, nach den Kommunisten-Verfolgungen, nach Russland ins Exil ging; weil ehrlich gesagt, es gab keine Deutschen in der russischen Armee. Also ich kann es mir nicht vorstellen. Da gibt es einen bekannten, Wolfgang Leonhard, der ist als Kind mit seinen Eltern nach den Verfolgungswellen in Deutschland nach Russland geflüchtet, war also ein Kommunist im Exil, aber selbst der wurde nach Kasachstan umgesiedelt und so. Die Deutschen waren unter Stalin nach 1941 einfach dermaßen verhasst, dass er sie so gut wie alle zwangsumsiedelte und unter Generalverdacht zur Kollaboration hatte. Außer so Politkommisare, die dann für das künftige Deutschland ausgebildet wurden, Ulbricht oder Leonhard z.B., die waren keine Soldaten an der Front mit Gewehr und so, sondern die wurden dafür eingesetzt, in Gefangenenlagern mit deutschen Soldaten zu reden oder Propaganda auf deutsch zu verfassen. Also das ist so der Stand des Wissens, auf dem ich bin. Falls da jemand etwas anderes weiß oder so, lasse ich mir auch gern widersprechen.

Grüße


Ach ja, dreißigjähriger Krieg, ich bin gespannt.

 
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Sorry, da muss ich kurz intervenieren. Wir wollen niemanden schlecht machen, aber der russische Soldat war genauso Ungeheuer wie der deutsche, dazu gibt es genügend Zeitzeugnisse. Da wurde vergewaltigt, verstümmelt, gefoltert, aus Spaß bestialisch getötet, usw. Das waren ja keine Judenvernichter auf deutscher Seite, die da an der Front standen, deshalb muss man die auch nicht schlimmer einordnen, das waren Soldaten, die einfach nur noch fertig waren, genau wie die Russen.

Ich finde schon, dass man den netten Soldaten so stehen lassen kann, gerade gegen Ende des Krieges, als man die Deutschen nur noch eingesammelt hat, sind solche Situationen durchaus vorstellbar. Ok, man hat wahrscheinlich kaum jemanden laufen gelassen, aber dass es die eine oder andere zivilisierte Begegnung gab, ist schon realistisch. Was die Sprache angeht: Deutsche gibt's schon ewig in Russland, so abwegig ist das nicht, dass der Soldat deutsch sprechen kann. Das hat man auch oft in schlüssigen WK2-Romanen, das muss man nicht mal groß begründen.

P.S. Bella hat gesagt, wir sollen uns nicht streiten. Streiten wir? :D

 

Hi Webmaster,

noch kurz ich, dann bin ich still:

der russische Soldat war genauso Ungeheuer wie der deutsche, dazu gibt es genügend Zeitzeugnisse. Da wurde vergewaltigt, verstümmelt, gefoltert, aus Spaß bestialisch getötet, usw.
Vielleicht hatte ich das in meinem Kommentar ungünstig ausgedrückt, aber da stimme ich dir zu. Da gibt es aus historischer Sicht auch keine eindeutige Antwort, wer schlimmer war oder was, das ist immer im Gespräch. Wehrmacht und Rote Armee haben gleichermaßen Kriegsgefangene misshandelt und in Kriegsgefangenschaft verhungern lassen und die Soldaten haben sich an der Zivilbevölkerng vergangen, etc., das will ich gar nicht schönreden oder so.
Jedoch würde ich dabei bleiben, dass die Wehrmacht schlimmeres angerichtet hat - das Ding hierbei ist, dass da die kriegsverbrecherischen Befehle (auch) von oben kamen, z.B. wie viele Zivilisten getötet werden sollen, wenn ein Deutscher von Partisanen erschossen wurde, oder die Leningrader Blockade, wo wissentlich von der Heeresleitung die Bevölkerung totgehungert wurde und so; die Wehrmacht galt lange Zeit als Opfer vom Nazisystem, aber die hat auch Kriegsverbrechen begangen und war oft Handlanger der SS.
Misshandlungen an deutschen Zivilisten und Erschießungen im großen Stil durch Rotarmisten wurden - soweit ich weiß - nie von der Sowjetleitung in dem Maß befohlen, wie es bei den Deutschen war. In Städten, wo es Widerstand gab, gestattete man manchmal Rotarmisten einige Tage zu plündern und zu vergewaltigen, aber dann gab es Befehl von oben, das zu stoppen ... Und naja, es gab halt einfach 27 Mio. tote Sowjetbürger, das muss man mal so sacken lassen.
Ach, das ist blöd zu diskutieren, glaube ich. Ich will da eigentlich auch gar nicht sowas anstoßen. Ich meine, knapp 70 Jahre streiten sich schon Historiker darüber, wer die größere Scheiße gebaut hat, und ich glaube kaum, dass wir jetzt zu einem Ergebnis kommen :D
Aber für die Story: Da gebe ich dir recht, russische und deutsche Soldaten, so wie sie gegenüberstanden, die waren gleich verstört, die waren gleich fertig, es gab Opfer und Täter unter denen, auf beiden Seiten, würde ich mal sagen.

Es ist und bleibt ein schwieriges Thema.

P.S. Bella hat gesagt, wir sollen uns nicht streiten. Streiten wir?
Das ist kein Streit, oder? Wir sind ja jetzt Wortkrieger, da kann man schon mal diskutieren. Außerdem würde ich mich nie mit dem Webmaster anlegen wollen. ;)

 

Ok, danke nochmal euch beiden.
Ich habe mich jetzt entschlossen den Russen ein bisschen weniger nett zu machen. Ich denke, dass kommt dann auch glaubwürdiger rüber. Aber wenn er GAR NICHT nett wäre, und nur einen Hass auf alle Deutschen hat, würde er sich ja auch gar nicht erst für die Beiden einsetzen.
Wobei mir die Idee mit dem Politkommisar auch ganz gut gefällt. Das überlege ich mir nochmal.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Bella,

ich möchte dich echt fragen, wie kommt man auf die Idee, zu so einem Thema zu schreiben? Ich finde das ganz schwierig und ich hätte Angst davor. Den Schwierigkeiten gehst du mit größtmöglicher Nähe zu den Personen aus dem Weg, du schreibst ja im Präsens und stellst daher nur das unmittelbar Stattfindende da. Du umgehst damit die Frage nach dem Wer, Wann, Warum, Wo, die Frage nach den Strukturen und Autoritäten, die so einen Krieg verantworten. In deinem ganzen Text kommt kein einziger Vorgesetzter vor, keine verantwortliche Person. Der Text sagt mir so: Krieg ist böse, aber er geschieht einfach, wie ein Gewitter, und niemand kann was dafür.
Und dabei verwendest du alle Versatzstücke, die man so aus dieser Zeit kennt, die Front ist ganz schrecklich, irgendwann ist jeder gezwungen, jemanden zu töten, aber es macht ihm natürlich seelische Schmerzen und poetische Gedanken (das blonde russische Mädchen), die Personen sind alle eigentlich ganz nett, nur die Umstände sind halt böse. Ich weiß nicht, wie der Krieg ist, aber das, was ich in deiner Geschichte lese, kenn ich schon.
Ich denk, es ist ganz schwierig, aus unserer Position über den Krieg zu schreiben. Und hier im Forum kenn ich nur eine Geschichte, die das gut gelöst hat: http://www.wortkrieger.de/showthread.php?51414-Brass-und-die-Schlacht-auf-den-purpurnen-Feldern

Gruß
Andrea

Edit: Den Titel find ich allerdings toll. Und da sind noch einige Fehler drin: "reisen" statt "reißen", einige Kommafehler, Groß- und Kleinschreibung (der Superlativ wird klein geschrieben).

 

Hallo Andrea,

danke für´s Lesen und deine Kritik.

Ja, wie kommt man auf eine solche Idee.
Der Grundgedanke ist an eine wahre Begebenheit angelehnt, die meinem Großvater widerfahren ist. Er war 17 Jahre als es passiert ist und sollte als Desserteur erschossen werden. Dabei war er gar kein richtiger Desserteur, aber er ist sozusagen mit seinem ganzen Trupp auf einem Friedhof in eine Schießerei geraten und dort sind (u. a. auch durch Querschläger) alle bis auf zwei oder drei getötet worden. Als sie dann erschossen werden sollten, hat einer von denen angefangen zu heulen und dann hat man sie alle (auch wenn sie so jung waren) laufen lassen.

Klar, ich hätte eine ganz andere Geschichte schreiben und damit sicherlich auch die von dir gestellten Fragen behandeln können. Ich hätte aus der Sicht eines SS-Mannes oder einer Aufseherin im KZ schreiben können. Ich gebe zu, dass dieser Blick auf die Dinge sicherlich "frischer" gewesen wäre.
Aber das wäre dann einfach eine andere Geschichte gewesen. Ich wollte aber diese schreiben.

Ich versteh schon, was du damit meinst - dass hier nicht groß irgendwas passiert, das man noch nie irgendwo gehört oder gelesen hat. Klar, das stimmt.
Und eigentlich war das auch so ein bisschen die Intention in meiner Geschichte: Dass die eigentlich alle ganz nett waren und sich dann eben auch mal als Menschen gegenüberstanden und nicht nur als irgendwelche Arschlöcher.

Danke auch für den Tipp mit der Geschichte. Die werde ich auf jeden Fall lesen.

Also, versteh mich nicht falsch. Ich finde deine Kritik auf jeden Fall hilfreich, du vermisst hier einen frischen Blick und ich denke, dass es für mich wirklich mal eine interessante Herausforderung wäre, eine Geschichte ganz anders aufzuziehen. Das klingt echt spannend.
Aber ich bin jetzt eben dafür wie´s geschrieben ist und dafür was ich wollte, recht zufrieden damit.

Liebe Grüße
Bella

 

Liebe Bella,

also mich macht die Geschichte nachdenklich. Wirklich gut finde ich sie leider nicht gelungen. Da erschießt der Junge einen Russen, scheint irgendwie nicht so recht zu begreifen, was er da tut (wirkt wie Paralyse), und danach fliehen die Jungen – geradewegs den Russen in die Hände. Und dann geht es, erlaube mir zu sagen: gar locker flockig weiter und von dem toten Russen ist gar keine Rede mehr.

[Der Russe:] „Wenn ich das tue, werde ich erschossen. Wenn ich euch laufen lasse geht ihr her und knallt einen von uns ab.“
  • Hiernach bin ich überzeugt, dass etwas fehlt. Und wenn dem Jungen nur das Blut in den Adern gefriert. Da muss er sich seiner Tat erinnern.
  • Komma fehlt übrigens nacht laufen lasse. Die Geschichte hat noch weitere Flüchtigkeitsfehler, aber die findest du bestimmt noch selbst ;)
Weder zwischen den Buben noch zwischen den Zeilen, obwohl dieses Erlebnis für einen Jugendlichen, der vielleicht zum ersten Mal von Angesicht zu Angesicht einen Menschen totschießt, wirklich draufhält, weil der Kerl nicht gleich beim ersten Mal niedergeht, doch traumatisch sein muss wie ich weiß nicht was. Das passt für mich nicht zusammen. Überhaupt überzeugt mich nicht, was dein Protagonist so alles fühlt und denkt, herrje, als wär ich selbst im Krieg gewesen, muss ich mich aufspielend sagen: Das ist doch blasiert! Auf weiter Flur nix von Schock und Trauma und du kannst mir nicht erzählen, dass er schon so abgestumpft ist, dass das Umbringen von Menschen für ihn normal geworden ist, es ihm zumindest erst mal so normal vorkommt und dann später vielleicht den einen oder anderen Albtraum beschert, so nach dem Motto, des kömmt halt vor, ned. Möchte wie gesagt nicht so verstanden werden, dass ich mehr Ahnung hätte als du. Aber der Untertitel »Krieg spielen« stimmt in meinen Augen auch für die Abschnitte an der Front, was du wohl kaum intendiert hast. Wenn ich kurz meinem Menschenverstand wegblende, kommt es mir etwa so vor, die Jungen säßen bloß an der Wehrmachtsversion von Monopoly (ich weiß nicht, gibts das? Eh egal).

Mein Fazit: Beschränkt glaubwürdig, sorry. Mein Tipp wäre, neben Geschichtlichem auch nach PTBS im Kindesalter zu recherchieren, Erlebnisberichte von Kindersoldaten im Zweiten Weltkrieg, peripher auch Napola, Flakhelfer, Pervitinmissbrauch, was weiß ich, so Details halt. So wie es jetzt ist, könnte sich auch Lieschen Müller den Krieg vorstellen.

 

Hallo Bella,

Andrea und floritiv sprechen mir aus dem Herzen. Gerade wenn das Drumrum (also z.B. politische Hintergründe) komplett fehlt und der Fokus auf den Personen liegt, dann will ich näher an die Leute ran.

Mir war das wie eingepackt und durch eine Folie betrachtet - ohne Duft und Haptik. Beispielhaft:

Dann patscht meine Hand in irgendetwas Feuchtes. Ein zerfetztes Gesicht. Ich muss kotzen. Panik. Luft. Atmen. Würgen. Ich will weg, aber ich kann nicht.

Das Grauen kommt bei mir nicht an, da lese ich drüber, ohne betroffen zu sein. Ich war beim ersten Durchlesen lange auch der Meinung, dass es sich um ein Spiel oder Theaterstück oder dergleichen handelt, weil es mir so gar nicht authentisch vorkam. Dazu trägt auch der Name Thomas bei - in dieser Zeit hießen die Jungs Erich, Hans, Friedrich, Karl, Josef oder so ähnlich. Nur schon durch den Thomas war ich erstmal auf die heutige Zeit eingeschossen und dachte immer an ein Rollenspiel - wahrscheinlich auch, weil eben diese Anker fehlen, die die Geschichte positionieren könnte.

Kurz dachte ich auch beim großzügigen Brotausteilen des Russen an diese skurille Situation:

httphttp://einestages.spiegel.de/static/topicalbumbackground/1056/ein_bisschen_frieden_mitten_im_gemetzel.html://

Wenn ich es ganz hart ausdrücke, muss ich jetzt sagen, dass du das Setting mißbrauchst, denn du kannst ihm meiner Meinung nach im Moment noch mit der Geschichte nicht gerecht werden.

Dazu müsste ich mehr über die Ängste, Sorgen und Nöte und den Dreck, den Hunger und die Verzweiflung herauslesen können. Schwitzen oder Frieren sie? Wo drücken die Stiefel, stinken sie aus den Hosen? Wie lange haben sie die Kleidung schon nicht mehr gewechselt, wann das letzte Mal gegessen, dass sie satt waren? Wo überall juckt es sie? Wann gab es die letzte Feldpost? Wie kommen sie damit klar, Menschen zu töten. Beten sie? Gibt es noch einen Glauben in dieser Zeit?

Das sind Fragen, um klarzumachen, wo es mir ein Stückweit fehlt. Wenn es schon menschelt, dann bitte richtig.


Noch ein Wort zum Thema Blut:

Nach meiner Erfahrung riecht bzw. stinkt Blut nach einigen Stunden, nach Tagen extrem. Frisches Blut riecht nicht, das schmeckt nur nach Eisen, was Zunge und Gaumen registrieren. Also müsste das Blut, was gerochen wird, schon stinken. Kommt auch auf die Außentemperatur an.

Das mal von mir.

Liebe Grüße
bernadette

 

Hallo Floritiv,

danke für´s Lesen meiner Geschichte.

Und dann geht es, erlaube mir zu sagen: gar locker flockig weiter und von dem toten Russen ist gar keine Rede mehr.

Ok, ich verstehe was du meinst. Ich habe den Fokus zwar anders gesetzt, weil das Erlebnis mit dem Russen bzw. die Reaktion von Thomas der Auslöser für ihre Flucht war.
Aber ich sehe, dass das so unglaubwürdig wirkt und werde daran arbeiten.

Auf weiter Flur nix von Schock und Trauma und du kannst mir nicht erzählen, dass er schon so abgestumpft ist, dass das Umbringen von Menschen für ihn normal geworden ist, es ihm zumindest erst mal so normal vorkommt und dann später vielleicht den einen oder anderen Albtraum beschert, so nach dem Motto, des kömmt halt vor, ned.

Ich habe mich hier weitestgehend an Erzählungen gehalten. Das war vielleicht ein Fehler. Die Erzählenden haben alles, was mit "Töten" zu tun hatte ausgeblendet. Vielleicht, weil sie nicht erinnert werden wollten. Vielleicht, weil sie sich vor jemandem aus der heutigen Zeit auch nicht für das rechtfertigen wollen, was sie damals tun mussten. Ich habe z. B. bei meinem Großvater lange Zeit gedacht, er hat im Krieg niemanden erschossen - einfach, weil er davon nie etwas gesagt hat. Aber gut, innerhalb dieser Geschichte funktioniert das wohl nicht.

Ok, danke dir jedenfalls für deine Hinweise. Ich arbeite da nochmal drüber.

@ Bernadette

Auch dir danke ich für deine Kritik.

Gerade wenn das Drumrum (also z.B. politische Hintergründe) komplett fehlt und der Fokus auf den Personen liegt, dann will ich näher an die Leute ran.

Also, ich habe die politischen Hintergründe bewusst ausgeblendet. Ich finde, die sprengen einfach den Rahmen einer Kurzgeschichte. Ich könnte dann auch nen ganzen Roman über meinen Helden schreiben. Wie er die Machtergreifung erlebt, wie sich sein Alltag ändert, wie er/ seine Eltern politisch dazu stehen usw.
Aber ich verstehe jetzt, was du mit "näher an die Leute ran" meinst. Deine Fragen haben mir da einen wirklich wichtigen Aufschluss drüber gegeben und ich weiß jetzt, wo ich ansetzen muss. Vielen Dank für die hilfreichen Tipps.

Eine kurze Anmerkung, die jetzt allerdings etwas OT ist.
Ich habe diese Geschichte in einer ähnlichen Form vor ca. fünf Jahren schon gepostet. Ich habe die alte Variante wieder gelesen und fand sie jetzt ziemlich schlecht. Seinerzeit habe ich dafür aber recht gute Kritiken bekommen, u. a. von dir (ich hab die Geschichte damals löschen lassen, weil ich sie eingereicht habe, hab mir aber die Kommentare weggespeichert). Und ich hab jetzt gegenüber der ersten Version, jetzt echt schon ordentlich draufgepackt. Gerade was so Emotionen der Progagonisten/ Kriegsgeschehen etc. betrifft.
Ich meine das jetzt gar nicht als Vorwurf oder so, aber ich muss wirklich feststellen, dass das Niveau hier schon ziemlich hoch geworden ist. Und ich frage mich, ob das nicht auch daran liegt, dass die Leute hier einfach so wahnsinnig viele Kurzgeschichten lesen. Ich mein klar - ihr lest hier wahrscheinlich pro Tag eine Geschichte und das seit ca. acht, neun Jahren - da kommen dann schon mal so rund 3000 Geschichten zusammen. Und ich denke mal, dass es für jemanden, der so viel gelesen hat auch schwierig ist, nochmal irgendwas Neues, Frisches zu schreiben.
Ich habe das auch festgestellt, als ich so ein bisschen in meinen alten Kritiken herumgestöbert hab. Die sind oftmals schlecht ausgefallen und dann habe ich die dazugehörige Geschichte gelesen und fand sie eigentlich ganz gut.
Ich finde das mitunter echt demotivierend. Ich weiß jetzt gar nicht so genau, wie ich das schreiben soll, ohne das das jetzt nach einem Megavorwurf klingt, aber ich habe jetzt eigentlich schon bei allen Geschichte, die ich in letzter Zeit gepostet habe, "vorgeworfen" bekommen, dass man das ja schon kennt, dass es nix Neues ist etc. - und DAS finde ich irgendwie demotivierend. Ich meine, ich hab ja jetzt auch keine Story geschrieben, bei der sich meine Prota am Ende wegen Liebeskummer umbringt. Demotivierend finde ich es eigentlich deshalb, weil man den Geschichten hier oft vorwirft, dass sie etwas nicht sind, dass sie auch nicht sein wollen. Ich meine klar - wenn wir alle ne Geschichte schreiben würden, die in diesem Zeitraum spielt, dann würde jeder den Fokus anders setzen. Selbst wenn wir alle über DIESE beiden Jungs schreiben würden, käme noch bei jedem irgendwas anderes heraus und natürlich kann man auch einen ganz anderen Zeitraum oder Zeitpunkt ihres Lebens beschreiben. Aber ich hab das eben so gemacht und irgendwie finde ich das schade, wenn man das dann so vorgeworfen bekommt. Das ist jetzt auch nicht an dich speziell gerichtet, Bernadette, sondern einfach so ne Tendenz die mir aufgefallen ist.

 

Hallo Bella,

ich finde, du solltest dich nicht demotivieren lassen. Man kann das Rad nicht neu erfinden. Ich sehe das ganz ähnlich. Ich glaube, dies ist auch so von der Mehrheit nicht gemeint, also in dem Sinne, alles schon mal gelesen. Dieses Sujet - Krieg - das ist so verfänglich, es ist ein Minenfeld. Wir haben alle keinen Krieg miterlebt. Und ich denke, die meisten verlangen von so einem Thema eine größtmögliche Authentizität. Bernadette hat da eine Menge Fragen aufgeschrieben, die schon wichtig und richtig sind. Es ist eher so, dass dem Text eine gewisse Ebene noch fehlt. Da passieren diese kleinen Dinge, und im Hintergrund ist eben Krieg, und das ist so, als ob es schon ausreichen würde. Der Rest ergibt sich, sozusagen. Dann arbeitest du tatsächlich mit bekannten Versatzstücken, das ist ja gar nicht böse gemeint. Die kennt man nur halt. Lass die doch weg. Floritiv sagt, gehe näher zu den Personen, niste dich da richtig ein. Das würde ich auch sagen. Wenn du von dem großen Konflikt weg willst, musst du mit mehr Details im Kleinen kommen, mit mehr Persönlichkeit.

Alles kein Grund, sich hängenzulassen, wirklich nicht.

Gruss, Jimmy

 

Haben die Kommentatoren denn wirklich gemeint, die Geschichte ist nicht "frisch" und der Plot nicht "originell" genug? Das sollen die dann vielleicht nochmal selbst klarstellen. Ich hatte den Tenor der Kritik anders verstanden.

(Folgendes ist meine Meinung und ich hatte es so verstanden, dass die Kritik einiger Vorposter in eine ähnliche Richtung geht.)
Ich denke, das Problem ist, dass die Beschreibung des Krieges hier nicht *Vorsicht, blödes Wort* authentisch wirkt, sondern wie eine Aneinanderreihung von Bildern, die sich Lieschen Müller so vorstellen könnte.
Versatzstücke, hatte jemand geschrieben. Ich war noch nie in einer aktiven Kriegszone, klopf auf Holz, ich habe vom zweiten Weltkrieg nur so viel Ahnung, wie ich auf der Schule mitnehmen musste, um durchs mündliche Abi zu kommen - aber du, wenn ich jetzt ohne irgendwelche Recherche eine Szene an der Front schreiben müsste: Da käme wahrscheinlich etwas sehr Ähnliches raus wie in deinen "An der Front"-Abschnitten. Weil das meiner naiven Vorstellung, geprägt von Filmen und Romanen, so in etwa entspricht.
Vielleicht solltest du mehr Hintergrundwissen einfließen lassen, Details einarbeiten, die mir das Gefühl geben können, da erzählt wirklich jemand, der damals dabei war. Du sagst, du hast die politischen Hintergründe bewusst ausgeblendet, möglicherweise war das ein Fehler. Der Erzähler soll nicht, bloß nicht, über die Machtergreifung Hitlers und die politische Motivation seiern und sich womöglich noch zum Holocaust positionieren. Aber wie hätte diese Zeit und die Umstände, in denen er aufgewachsen ist, sein Denken und Reden beeinflusst? Das fände ich wichtig für den Text. Ich merke da zu wenig Unterschiede zwischen mir und deinem Erzähler, obwohl unsere Hintergründe extrem unterschiedlich sind. Normalerweise, wenn ich von Autoren lese, die in einer anderen Zeit gelebt haben, wird immer deutlich, dass deren Figuren anders ticken als ich oder sonst jemand aus der heutigen Zeit. Und wenn man sich als Autor daran wagt, "historische Geschichten" zu schreiben, dann sollte es eigentlich auch zu diesem Effekt kommen. Der Autor ist dann aber extrem gefordert, was Recherche und Empathie anbelangt.

Aus genau diesem Grund wär mir deine Geschichte auch zu schwer ;)
Es ist kein Grund, dich insgesamt demotivieren zu lassen. Aber wenn du gern Geschichten in einen anderen historischen Kontext einbettest, dann legst du dir eben selbst die Latte verdammt hoch.

PS: Die Seite arbeitet mal wieder gegen mich und schmeißt mich raus, während ich noch versuche, meinen Komm hochzuladen, hat Jimmy schon geantwortet.

 

Hi Jimmy, hi Möchtegern,

es ist ja wirklich nicht so, dass ich das alles nicht nachvollziehbar finde. Wir hatten da ja auch gestern im Chat drüber gesprochen, Möchtegern, und ich nehme das ja auch so an bzw. ich sehe ja schon auch, woran es krankt. Gerade auch die Fragen von Bernadette fand ich da auch schon sehr gut und zeigen, in welche Richtung es gehen sollte.
Ich hatte jetzt aber mindestens die Kritik von Andrea so als "allgemeine" Kritik aufgefasst. Das ist jetzt auch ihr gegenüber nicht böse gemeint, aber was soll mir das helfen, wenn jemand sagt: Also eigentlich würde mich die Geschichte nur interessieren, wenn du etwas ganz anderes geschrieben hättest.

Und nein, Möchtegern, ich hab die meisten Kritiken unter DIESER Geschichte jetzt nicht so aufgefasst, dass die Geschichte nicht frisch ist. Meine Anmerkung war jetzt auch wirklich nicht nur darauf bezogen, sondern dass ist so der Gedanke, den ich schon in den letzten Wochen hatte. Ich fand und finde diese Anmerkungen zur Authentizität ja auch wichtig und richtig.

Ich hab halt nur so das Gefühl, dass alles was ich schreibe, total kacke und belanglos ist. Ich meine, wenn das so ist, dann ist es eben so. Aber ich hab mir dann einfach gestern Abend so gedacht: Ok, wenn ich es irgendwie nicht schaffe, mal was Vernünftiges zu schreiben, dann lass ich es auch vielleicht einfach sein.

Viele Grüße
Bella

 

Ich hab halt nur so das Gefühl, dass alles was ich schreibe, total kacke und belanglos ist. Ich meine, wenn das so ist, dann ist es eben so. Aber ich hab mir dann einfach gestern Abend so gedacht: Ok, wenn ich es irgendwie nicht schaffe, mal was Vernünftiges zu schreiben, dann lass ich es auch vielleicht einfach sein.

Also, mir geht das immer so. Ich lese dann was von McCarthy und denke, ach, pack ein, hat keinen Sinn. Ist Blödsinn. Die Aufgabe ist es ja nicht, hier Lobhudelei abzusahnen um sich dann besser zu fühlen. Schreiben ist oft ein Kampf, eigentlich immer. Manchmal kommt etwas Gutes dabei rum. Nicht immer. So ist das eben. Setz dir doch Prioritäten. Ich bin hier, um besser zu werden. Ich muss nicht jede Meinung, jeden Vorschlag annehmen. Mir sind die destrukivsten Kommentare oft am liebsten, weil man dann aus seiner Betriebsblindheit rauskommt. Oft denke ich: Ja, scheiße, das stimmt! Du sagst, du hast lange nicht mehr geschrieben. Komm doch erst mal wieder in den mood, in den Rhythmus, und verlange nicht zu viel von dir.

 

Hallo Bella,

ich habe diesen Text vom Stil und der Form her sehr gut gefunden: sauber geschrieben und ein bisschen innovativ, diese kurzen Passagen und diese Dreiecksgeschichte. Was die Authentizität betrifft, schließe ich mich Möchtegern an. Die Protagonisten wirken wie auf "normal" getrimmte heutige Menschen und Befehle und Ränge und die drohende Katstrophe im Hintergrund sind nicht so beschrieben, dass ich das Gefühl hätte: Ja, so könnte das gewesen sein.

An Kriegs-Romanen fand ich "Das Boot" und die "Festung" von Lothar Günther Buchheim von der Empathie, die sie bei mir ausgelöst haben, am besten: Die Leute scheinen gelernt zu haben, damit zu leben, dass es im Umfeld ständig jemanden erwischt hat, mit dem staatlichen Terror, der Zensur, den Zerstörungen. Man müsste da schon genau recherchieren und sich darauf einlassen, um so etwas glaubhaft zu beschreiben - falls das Nicht-Zeitgenossen überhaupt gelingt...

Diese Andeutung von dir, das Schreiben bleiben zu lassen, weil deine Sachen nicht gut genug seien, sind mir sehr unverständlich. Es geht doch darum, immer dazuzulernen und vielleicht ab und zu sich selbst und anderen eine Freude zu machen. Ich schließe mich da voll Jimmy an. Auch wenn jemand als Hobby in einer Band spielt oder Bilder malt, ist es auf jeden Fall eine gute Sache, unabhängig davon, wie "gut" das Ergebnis ist. Außerdem kannst du ja was. ;)

Liebe Grüße,

Berg

 

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