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Untergrund

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16.08.2004
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Untergrund

„Pst... sei still!“
Diese verdammte Stille ist irgendwie unheimlich, dachte sich Frank, aber er sagte nichts.
„Er versucht sich zu erinnern“, raunte Sarah ihm zu.
Warum hören wir uns das eigentlich an? Die Worte des Mittlers sind ein Potential und auch dieses kann er meistens nur in Fragmenten erspüren. Anja meint, es wäre wichtig, ihn zu hören. Nungut...
Frank fühlte sich nicht wohl.
Das Medium begann, einzelne Worte zu formulieren – am Anfang kamen sie stockend, doch dann wurden sie deutlicher.
Frank fragte nach jener geheimnisvollen Höhle: „Wo wird sie sein?“
„Überall“ Der Mann, der ihnen gegenübersaß, hatte die Augen geschlossen. Seine Antwort kam langsam.
„Was soll das heißen, überall?“ Frank wurde unruhig.
„Überall heißt überall!“ Die Stimme war klar und deutlich. Sie hallte von den Wänden und füllte die Dunkelheit des spärlich eingerichteten Raumes.
„Was siehst du?“, flüsterte Sarah.
„Sie tanzen!“
„Sie werden tanzen?“ fragte Frank ungläubig.
Das Medium fuhr fort: „Es ist sehr hell und es ist laut. Und in den Spiegeln der Wände werden sie sich tanzen sehen und sie werden sich erinnern - in jeder Sekunde tausendfach". Die Stimme wurde leiser:„Auch wenn sie nichts von dem Leben wissen, an das sie sich erinnern.“
Ein ungutes Gefühl machte sich in Franks Magengegend breit. Er hatte sonst eine hohe Achtung vor diesem gebildeten Mann. Nun aber ängstigte es ihn und er bereute es schon fast, daß er dieses Mal selbst mitgekommen war. Er wollte den Raum verlassen, doch irgendetwas hinderte ihn daran. Wie in weiter Ferne hörte er nun seine eigene Stimme: „Werden sie die Höhle wieder verlassen können?“
„Die Frage ist nicht relevant.“
„Warum?“
„Sie werden keinen Grund haben.“
Die Stimme des Mediums war nun völlig monoton. Frank schauderte, und das ungute Gefühl im Magen stieg nun langsam nach oben. Ihm war, als würde sich eine unsichtbare Hand auf seinen Hals legen.
„Und wenn ihnen einer gegeben würde?“ fragte er.
Das Medium antwortete nicht. Die Stille wurde ihm unerträglich.
Er hörte Sarah neben sich atmen. Die Hand an seinem Hals begann, langsam zuzudrücken. Sarahs Herz pochte. Es hallte in seinem Kopf wieder.
Hastig stand Frank auf und verließ den Raum. Die kalte Nacht umfing ihn. Keine Wolke war am Himmel zu sehen. Gedankenverloren sah er zu den Sternen hinauf.

Sarah trat leise neben ihn. Lange sagte sie nichts.
Leise fragte sie ihn schließlich: „Glaubst Du an Wunder?“
Frank wußte nicht, was er antworten sollte. Schließlich fasste er sie am Arm und flüsterte: „Wir dürfen diese Realität nicht zulassen... wir werden sie niemals zulassen...“

 

Atmosphäre und Pathos

Eine séance, ein Medium, eine unsichtbare Hand. Und die Welt wird zu einer Höhle, in der die Bewohner sich tanzen sehen, wenn sie in den Spiegel sehen.

Claus, der quasi-Protagonist des kurzen Textes ist das erste Mal dabei, hat aber Respekt vor dem gebildeten Mann, der sich als Medium hergibt, oder beschworen wird, kennt diesen also schon.

Trotz der atmosphärischen Dichte, die der Text heraufbeschwört, finde ich ihn insgesamt ein wenig enttäuschend: das Pathos am Ende, mit dem die Vision von einer Realwerdung abgehalten werden soll, finde ich unangemessen und auch, ob der Unklarheit, die der Text hinterläßt, unangemessen. Sicher weiß Claus, was er verhindern will, aber kann der Leser, der ihn durch so wenige Zeilen kennenlernt seinem Urteil vertrauen?

Noch einige technische Kleinigkeiten:

schon fast unerträglich

gefällt mir nicht recht, wie wäre es mit 'nun schon beinahe' oder 'wird unerträglich'. Weiter unten steht "und er bereute fast", dort sollte m. E. in jedem Fall 'beinahe' stehen.

die Worte des Mittlers sind ein Potential

Was soll das bedeuten, etwa: 'das Wort des Mittlers birgt ein Potential', doch wie gelingt der Anschluß an Fragmente?

Er hatte normal eine hohe Achtung

Er hatte normalerweise/ sonst eine hohe Achtung.

unrelevant

'irrelevant' oder 'nicht relevant'; zur Sicherheit habe ich nachgeschlagen (wie leicht behauptet man dumme Sachen), das Wort existiert nicht.

eine unsichtbare Hand begann sich auf seinen Hals zu legen und drückte langsam zu. [...] Die Hand an seinem Hals begann langsam zuzudrücken.

laß doch das erste "und drückte langsam zu" weg Er hört Sarahs Herz

Er hört Sarahs Herz

bei "hörte" hast Du das 'e' vergessen

 

Ja, naja, und nicht zu vergessen: Platons Höhlengleichnis!

 

back to the roots

@Dante_1:

Interessanter Gedanke, aber wie setzt Du ihn fort?

 

Lieber c

Erstmal Danke für Deine Kritik.

Zu den ersten beiden Absätzen: Gute Zusammenfassung.
Zum dritten Absatz:

das Pathos am Ende, mit dem die Vision von einer Realwerdung abgehalten werden soll, finde ich unangemessen und auch, ob der Unklarheit, die der Text hinterläßt, unangemessen.
Das sehe ich nicht so !
Und:
Sicher weiß Claus, was er verhindern will, aber kann der Leser, der ihn durch so wenige Zeilen kennenlernt seinem Urteil vertrauen?
Ja das ist richtig; die Hauptfigur weiß, was sie verhindern will oder sie ahnt es zumindest - was hier keinen wirklich großen Unterschied macht, denn C. wird von jener Ahnung erfaßt.
Aber : Geht es darum, daß der Leser seinem Urteil vertrauen kann?

Danke für die technischen Anmerkungen: [B]sonst[/B]eine hohe Achtung finde ich auch besser.

Unrelevant gibt es - leider - tatsächlich nicht (>irrelevant< ...hmm...)
Wie schade. Ich finde eigentlich, daß es dieses Wort geben sollte!

PS.: @Dante_1: Es geht nicht direkt um eine Interpretation von Platon - trotzdem ist der Anklang irgendwie passend...

 

Vertrauen

Aber : Geht es darum, daß der Leser seinem Urteil vertrauen kann?

Es mag eine freche Fehlinterpretation Deines Textes gewesen sein: ich hatte beim Lesen den Eindruck, daß der Rezipient am Ende auf Clausens Seite gezogen werden sollte. Vielleicht wolltest Du aber, daß er sich vom Protagonisten distanziert; dann halte ich das für gelungen.

 

Verschoben von "Experimente" nach "Science Fiction".

 

MM hat ja bereits eine wunderbare Fehlerliste zusammengestellt. Bis zur Verbesserung dieser Fehler verschiebe ich den Text ins KC.

verschoben von SF ins KorrekturCenter

 

Aus dem Korrektur-Center zurück nach Science-Fiction!

 

So weit ich die Urfassung noch richtig in Erinnerung habe, so muß ich bekennen, daß die Überarbeitung dem Text bekommen ist. Wenn ich auch nicht mit MM übereinstimme, was die Stelle

Warum hören wir uns das eigentlich an
angeht (meiner Ansicht nach muß hier kein Fragezeichen stehen, da es sich nicht um eine echte Frage handelt), so haben seine Anmerkungen doch die eine oder andere Schwachstelle aufgezeigt.

Ich habe mich schon zuvor an einem Interpretationsansatz versucht, in diesem Zustand macht es mehr Freude, diesen weiter zu verfolgen.

Der Protagonist, inzwischen Frank (vielen Dank, dachte schon an mich selbst), ist, wie Du in die neue Fassung eingeflochten hast, zum ersten Mal dabei. Der Mittler war ihm schon zuvor bekannt, genoß seine Achtung. Doch was geschieht, verunsichert ihn. Die Erinnerungen des Mediums (Anm. @MM: es ist m.E. dem Autor überlassen, wie er seine Welt konstruiert) finden zu einer Höhle, in der getanzt wird, in der man sich tausendfach erinnert. Hier könnte eine unendliche Fortsetzung angedacht sein: in einem Raum sitzen drei, ein Medium und zwei Teilnehmer, das Medium erinnert sich. Erinnert sich einer Höhle, wo Menschen sich erinnern, die sich vielleicht wieder erinnern. Aus dieser Sicht heraus bekommt der Titel, Untergrund, auch eine Bedeutung. Der Ort der Handlung ist selbst eine Höhle.

Diese Vorstellung hat, in ihrer sinnlosen Wiederholung, ein bedrohliches Element. Und Frank könnte darauf referieren, wenn er "diese Realität nicht zulassen" will. Eine Realität, die nur noch aus Erinnern besteht. In der für ein Weitergehen, ein Fortschreiten, eine Zukunft kein Raum ist.

Was ich im Text noch vermisse, ist eine klarere Herausarbeitung der Beziehungsverhältnisse. Das mag erläßlich sein, doch könnte es zu einem immensen Qualitätsgewinn beitragen. Aus dem Text läßt sich im Moment vielleicht nur erahnen, daß Sarah und Frank in einem vertrauteren Verhältnis zueinander stehen, über das Medium erfährt man nichts, nichts seine Beziehung zu Sarah und Frank.

 
Zuletzt bearbeitet:

So, nun ist die Geschichte also ein wenig überarbeitet.
Ich hoffe sie ist jetzt angenehmer zu lesen !

@cb
Ich habe den Namen des Protagonisten geändert, so daß Du nicht so leicht in Versuchung kommst Dich mit ihm identifizieren zu müssen.

@mm
Hmm...
Nett von Dir, Dich derart ausführlich des Textes anzunehmen.
Ich habe einige Deiner Vorschläge in der Korrektur umgesetzt. Mein Medium allerdings erinnert sich.

Das Vieles nur angedeutet ist, hat den Zweck der Phantasie/ Vorstellungskraft des Lesers Raum zu geben.
Was die Realität angeht, die der Protagonist verhindern will, muß/kann/darf der Leser sich eben mit den - vielleicht durchaus kryptisch anmutenden - wenigen Informationen zufrieden geben.

@vita
Falls es Dich intertessiert: Du hast - auch inhaltlich - das Wesentliche durchaus erfaßt.

Liebe Grüße,
rock

PS.: @cb
Sehe gerade Deinen neuen Beitrag.
Interessante Interpretation die Dir da eingefallen ist. Cool; gefällt mir, wenn auch zugegebenermaßen am Anfang nicht so gedacht ( wenn mir auch der Aspekt eines - aktuell [Frank] ängstigenden - Verharrens in Erinnerung dieser Menschen in der Zukunft [im Untergrund...], und eben mit welcher Zukunft [und welchem Grund...] durchaus vor Augen war). Aber das ist ja das Gute , wenn man Interpretationen Raum gibt, daß sie sich entfalten können. ;)
Was die Beschreibung der Beziehung der Charaktere untereinander angeht, so wollte ich dieses bewußt nicht so ausführlich beschreiben, da mir dies nicht so wichtig schien/scheint und m. M. nach ( bezieht sich nicht auf ein Kritiker der Geschichte :cool: ) der Atmosphäre/Spannung, die ich vermitteln wollte abträglich hätte sein können.

PPS.: @cb
Danke übrigens, daß Du Dich neben - neben der formalen Kritik - auch zu einer Interpretation gewagt hast. :thumbsup:

 

Hallo rockz,

ich muss zugeben, auch mich lässt deine Geschichte ratlos zurück, auch nach mehrmaligem Lesen. Interessant fand ich sie allerdings auf jeden Fall.

Die "Erinnerungen" des Mittlers haben mich irritiert. Denn Erinnerungen liegen für mich in der Vergangenheit, die Fragen die Frank ihm stellt beziehen sich allerdings auf die Zukunft. Durch die Doppelung des Erinnerns (die Tanzenden erinnern sich auch) erschien auch mir es teilweise so, als ob der Mittler einer der Tanzenden ist.

Ich dachte beim Lesen an den Tod, nicht im herkömmlichen Sinne, sondern eher an Transformation, Wiedergeburt. Die Menschen verlassen ihre bisheriges Leben und landen in der sogenannten Höhle - tanzend, sich spiegelnd, ohne diese verlassen zu wollen. Eine schöne Vorstellung, wenn auch wohl nicht die, die du im Kopf hattest. Dies würde auch den Vorgang des Erinnerns erhellen, da der Mittler diesen Vorgang des "Ebenenwechsels" vielleicht einfach schonmal durchlaufen hat.

Anja meint, es wäre wichtig, ihn zu hören.
Wer in aller Welt ist bloß Anja? Sie taucht nur das eine Mal auf... Ein Versehen? Oder gar eine derjenigen, die das Medium sieht?

Liebe Grüße
Juschi

 

Danke fürs Graben...

Hallo Juschi

Nett von dir, daß du dich dieses kleinen Experimentes angenommen hast und auch nen Kommentar geschrieben hast. Freut mich, daß du's interessant fandest, sie zu lesen.

Ich gebe zu, daß die Episode/ das Treffen, wovon ich ich hier erzähle, viele Fragen offen läßt und ziemlich kryptisch wirkt. Aber ich wollte hier viel offen lassen und Raum zum Interpretieren geben.

Anja. Nunja - ich muß zugeben, daß sie für diese Erzählung nicht wichtig ist. Sie ist eine Person, die dem Prot nahe steht. Ich wollte ihr einen
Namen geben.

Was habt ihr nur alle gegen Erinnern in die Zukunft?
Ist Zeit so sehr determiniert?
Glaub ich nicht.
Und vielleicht gibt es auch in der Vergangenheit einen Punkt, wo Zukunft zu sehen ist ( mehr als nur bis zur Gegenwart).
An den Tod, dachte ich tatsächlich nicht. Nur daran, daß diese Vision von Leben in >Zukunft< , dem Tod recht nahe sein könnte. Und der Prot ahnt das wohl auch...

Lieben Gruß
rock

PS:

gar eine derjenigen, die das Medium sieht?
Hmm ... coole Idee - wenn ich auch zugeben muß, daß ich bísher noch nicht daran gedacht habe...

 

Salut rockz,

Ich frage mich ehrlich gesagt, worauf die Befragung des Mediums hinauszielt. Sprachlich scheinst du ja die meisten Mängel beseitigt zu haben. Zumindest liest es sich okay. Inhaltlich hat mir das Ende der Geschichte am Besten gefallen. Einfach vom Gedanken her. Das Ende ist dennoch unbefriedigend, weil es mit dem Anfangsteil der Geschichte nicht ganz im Einklang ist. Cbrucher hat einen interessanten Interpretationsansatz gegeben und ich will ihr / ihm zustimmen und dir anraten, die Beziehungen zwischen den Charakteren wie auch zwischen den Handlungen in der Geschichte deutlicher zu machen. Schaden kann es ja nicht. :)
lieben Gruß,
Thorn

 

Mal ne Frage, was studierst du? Als ich die Geschichte das erste mal durchgelesen hatte, war ich etwas verwirrt. Das hat sich beim zweiten Mal nichtgerade groß verändert. Schätze aber, dass du ziemlich viel sinnvolles reingebaut hast, das man aber wohl nur verstehen kann, wenn man die dazu gehörigen Gedankenmodelle kennt oder nicht? Kannst mir ja mal auf die Sprünge helfen, thx.

 

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